Doch wie virulent sind diese virtuellen Kontakte? Was lösen einzelne Berichte oder Kommentare in den Lesern aus? Erzeugen sie neue Gedanken? Geben sie Anstoß zu Aktionen? Stiften sie dazu an, das eigene Leben zu verändern? Finden sie irgendwie Niederschlag im täglichen Leben? Führen sie aus der Vereinzelung heraus?
Noch konkreter gefragt: Wo und wie begegnen sich Leser der Sezession im Alltag? Ich meine damit nicht die löblichen und unverzichtbaren Kongresse und Akademien des ifs, den zwischentag und andere organisierte Gelegenheiten, Leute auf ähnlicher Wellenlänge zu treffen. Ich meine das ganz alltägliche Leben. Wo also trifft man sich? Trifft man sich überhaupt? Und wenn ja: Bleibt man unter sich oder trägt man seine Gedanken in die Welt hinaus, stiftet andere zur Sezession an?
Einige der hier Mitlesenden und Mitdenkenden leben auf dem Dorf, andere in der Stadt, einige leben allein, andere haben Familie. Einige arbeiten, andere sind vielleicht arbeitslos. Einige werden gut verdienen, andere weniger gut. Doch all diese Freunde der Sezession wissen voneinander wenig oder nichts.
Man kann das romantisieren oder heroisieren – der einsame Wachtposten, der in kalter Nacht das Gelände im Blick behält; der Steuermann, der in stürmischer Nacht das Schiff auf Kurs hält; der Krieger, der einsam am Lagerfeuer sitzt, das heulende Wolfsrudel in der Nähe. Aber man kann es auch schade finden. Denn diese Art zu leben, diese Isolation, diese Vereinzelung ist letztlich unfruchtbar, führt zu geistigem Inzest.
Sucht man nach den Gründen für diese Isolation, stößt man auf diffuse Ängste. Viele Sympathisanten der Sezessionisten haben wahrscheinlich das Gefühl, in einer ihnen nicht wohlgesonnenen Umgebung überleben zu müssen. Ist dieses Gefühl wirklich berechtigt?
Ich habe vor einiger Zeit aus einer Laune heraus mal für wenig Geld gräßlich knallbunte Kugelschreiber in Metalliclackierung (vier Reststücke sind im Bild zu sehen – möge man mir diesen ästhetischen Fehl- wie auch den unautorisierten Eingriff in Markenrechte verzeihen) mit dem Aufdruck www.sezession.de produzieren lassen und die Dinger nach und nach bewußt an allen möglichen Orten „vergessen“ – bei entfernten Bekannten, bei guten Freunden, sogar bei Kunden – meist so, daß ich das weitere Schicksal der Schreibgeräte ein wenig verfolgen konnte.
Ich war einfach gespannt, ob es Reaktionen geben würde. Eine wie auch immer geartete Reaktion setzte ja voraus, daß man einfach mal nachschaute, was auf dieser Internetadresse stattfindet. Die Reaktionen waren gemischt. Einer sagte einfach nur „Die Botschaft ist angekommen.“ Ein anderer: „Interessante Seite. Kann ich den Kuli behalten oder wollen Sie ihn zurück?“ Wieder ein anderer: „War das Zufall, daß du den Stift hier vergessen hast?“
Natürlich gab es auch mißtrauische Nachfragen: „Wo hast du denn den her? Warst du mal auf dieser Seite?“ Und es kam oft vor, daß die Werbekulis kommentarlos weiterbenutzt wurden – mögen sie ihre aktuellen Nutzer nicht in Verruf bringen. Wen das Kuli-Experiment doch zu sehr irritiert: Ich verspreche an dieser Stelle hoch und heilig, daß ich davon Abstand nehmen werde, beispielsweise Outdoor-Klamotten, Weinbrandbohnen oder einen Herrenduft unter dem Label „Sezession“ testweise durch die Welt vagabundieren zu lassen (wobei ich vermute, daß es einen Markt für so etwas geben könnte – oder?).
Werden wir wieder ernst. Das mit den bunten Stiften war natürlich nur ein kleiner, nicht-repräsentativer Akzeptanztest. Aber er zeigte doch, daß Sezessionisten keineswegs in einer nur feindlichen Umgebung leben. Abseits der veröffentlichten Meinung und der von offizieller Seite dominierten Diskurse gibt es eine erstaunlich große Offenheit für viele der hier verhandelten Themen.
Das liegt nicht nur am akuten Medien- und Politikverdruß, ist also keineswegs rein negativ bestimmt. Nein, es gibt ein ehrliches Interesse an diesen Fragen: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wie wollen wir künftig leben? Wie wichtig sind uns Tradition, Werte, Herkunft und Muttersprache, kurzum: was ist unser Eigenes und was bedeutet es uns? Ist es unwandelbar oder verändert es sich mit den Zeiten? Voraussetzung für die wachsende Akzeptanz ist allerdings der Verzicht auf die Eigenetikettierung als „rechts“ oder „konservativ“. Doch was liegt schon an Etiketten, solange die Inhalte stimmen?
Natürlich gibt es auch die anderen, die niederträchtigen Denunzianten und strunzdummen Anschwärzer, die in ihrer kleingeistigen Beschränktheit und moralischen Verkommenheit keine Sekunde zögern würden, einen Sezessionisten, so sie ihn denn erkennen würden, bei dessen Kollegen, Chefs oder Kunden namhaft zu machen, um sich dann in hämischer Vorfreude auf eine baldige soziale Verbannung des Angezeigten die Hände zu reiben.
Diese Verfolger vom Dienst gab es zu allen Zeiten. Man sollte ihnen nicht in die Hände spielen, ihre Bedeutung aber auch nicht zu hoch veranschlagen.
Entscheidend ist, daß wir uns aus der Isolation befreien. Damit meine ich zum einen die Bildung von kleinen, sich langsam ausbreitenden Gemeinschaften im Umkreis des täglichen Lebens, die Schaffung kultureller, solidarischer und ökonomischer Strukturen ganz ähnlich wie es in den 70er Jahren im linksalternativen Milieu üblich war – es müssen ja nicht gleich Landkommunen mit all ihren teilweise durchaus befremdlichen Lebensäußerungen sein, doch die greifbare, handlungsfähige Vernetzung im realen Leben ist von allergrößter Wichtigkeit und kann durch keine noch so gute virtuelle Vernetzung ersetzt sondern höchstens ergänzt werden.
Zum anderen aber meine ich das kleine Zeichen, das Flaggezeigen im persönlichen Lebensumfeld. Man suche den Austausch mit Bekannten, Nachbarn, Kollegen, komme ins Gespräch – wohlgemerkt ohne das Ziel schneller Proselytenmacherei – und überzeuge nicht zuletzt vor allem durch die eigene persönliche Integrität und die selbstgewisse Ruhe des Vortrags. So kann es gelingen, dieser Vereinzelung und steten Besorgnis zu entkommen und ein – oha, fast schon merkeldeutsch – „Klima der Offenheit“ und (nein, nicht der Toleranz, sondern:) des Selbstbewusstseins zu schaffen: Jeder Sezessionist wird zur Keimzelle eines sich ausweitenden Netzwerkes (Schnellroda ist überall!). Diese Netzwerke wachsen irgendwann zusammen und werden zum Alptraum der herrschenden Eliten.
Also: Stehen wir doch ganz einfach im Alltag zu dem, was wir fühlen und denken – und sagen es auch. Mit fröhlicher Miene und einem Lachen im Gesicht. Daß es mir nicht um die Gründung elitärer Stammtische geht, an denen dann doch wieder nur gegenseitiges Schulterklopfen stattfindet, dürfte sich von selbst verstehen. Nein, der Stammtisch wäre nur eine neue Form der Isolation. Es geht um das Einwurzeln im Leben selbst.
Hartwig
Es geht nichts über die Art der Körperhaltung, der Sprache und der Stimme.
Aber es gibt auch die Symbole und Farben:
Die Reichsfarben, die schwarz-rot-goldenen Farben, das eiserne Kreuz, das Eiserne in seiner Bundeswehrversion, ein Kruckenkreuz, das Balkenkreuz der Wehrmacht ... man könnte fortsetzen.
Eine Nadel am Revers, eine Gürtelschnalle, ein Aufnäher am Ärmel, ein gestaltetes Poloshirt ohne Krokodil, sondern mit einem o.a. Symbol.
Das sieht nicht albern aus, wenn es dezent daherkommt; allemal besser als mit 'nem Werbelabel und tausendmal besser als anglo-affin bedruckte "Streetware".
Der Edding sollte nicht fehlen. Jede öffentliche Toilettentür hat eine Innenseite, und auf jeder Innenseite gibts noch ein wenig Platz.
Die meisten Restaurants und Kneipen haben eine Flyer-Ecke. Einfach die eigenen Flugblätter dort postieren.
Die Katalogblätter des Antaiosverlages, die in jedem Umschlag aus Schnellroda stecken, werden gezielt in den Cafe- oder Lese-Ecken von Buchhandlungen liegengelassen.
Darauf zu verzichten, sich als rechts zu bezeichnen, halte ich allerdings für eine Unterwerfung. Gewiss sollte man mit dieser Selbstbezeichnung taktisch umgehen. Aber nichts provoziert besser ....