weil die Nachtwölfe mit ihrem motorisierten Vereinsausflug Richtung Westen bewußt an den Einmarsch der Roten Armee in Berlin erinnern wollten. Im halbamtlichen Qualitätsjournalismus nicht, weil es eben Putins Nachtwölfe waren. Dabei hätte wenigstens die konservative Seite allen Grund, ein wenig neidisch und sehnsuchtsvoll auf dieses Phänomen zu blicken.
Die Nachtwölfe sind ein russischer Motorradclub (man sagt auch: Rockerclub). Dem glattgebügelten Vorgartenkonservativen, der im Grunde nur seine kleinbürgerliche Ruhe will, ist die schiere Existenz von Motorradclubs ein Gräuel. Wer denkt nicht gleich an die Verstrickung mancher Clubs in kriminelle Geschäfte rund um Prostitution und Drogen? Überhaupt: Wie die schon aussehen! Und dann der Lärm der Maschinen! Die laute Musik obendrein, das unflätige Auftreten!
Selbstverständlich wollen auch wir uns hier nicht zu Verteidigern des Rotlichtmilieus und des rüpelhaften Benehmens aufschwingen. Doch wir möchten dazu ermuntern, gewisse Standardvorbehalte, die wie Chips in manche Hirne implantiert zu sein scheinen, abzulegen. Man würde in diesem Fall nämlich erkennen, daß die Nachtwölfe wie westliche Motorradclubs ein tiefsitzendes (und aus meiner Sicht durchaus nicht unbegründetes) Mißtrauen gegenüber dem Staat haben und sich durchaus als Outlaws fühlen, andererseits aber konservativ bis ins Mark sind.
Im speziellen Fall der Nachtwölfe muß man klar zwischen Staatsverachtung (die dem bürokratischen Monster Staat gilt) und Vaterlandsliebe unterscheiden, die – kein Paradox – Mütterchen Rußland gilt. Die Nachtwölfe unterstützen Putins Bemühungen, an Rußlands alte Größe anzuknüpfen, diese wenn möglich wiederherzustellen. Daß man dies aus deutscher und zentraleuropäischer Perspektive bedenklich finden kann, ist geschenkt.
Aber was wäre daran – also selbstbewußt zur Geschichte des eigenen Landes zu stehen – grundsätzlich verkehrt? Ist es nicht auch unser sehnlichster Wunsch, Deutschland nicht im Mahlstrom der EU-Technokratie untergehen zu sehen? Zwar ist hierzulande die Sache mit dem Wiederanknüpfen an alte Größe nicht unproblematisch und keineswegs konfliktfrei, doch ein wenig selbstbewußter könnten auch wir unsere Träume durchaus leben.
Nun sind die Nachtwölfe etwas mehr als ein selbstbewußt maskulin auftretender PS-gesättigter Club von Putin-Claqueuren. Sie bekennen sich zur russisch-orthodoxen Kirche und zu den traditionellen Werten Rußlands. Das ist nun etwas, was man nicht ohne Weiteres auf hiesige Biker-Clubs übertragen kann – wenn westliche Gangs sich mit Symbolen aus alter Zeit schmücken, darf man getrost mehr den Hang zu pubertärer Provokation vermuten als bewußte Brauchtumspflege. Und dennoch gibt es sie auch im Westen – Motorradclubs, die sich traditionellen Werten nahe fühlen. Man findet sie vor allem in den USA, wo die Neigung zu schweren Maschinen, traditionellem Rock und dem Selbstverständnis als Südstaaten-Outlaw eigentlich nie mit besonderer Sympathie für linke Weltverbesserungsprojekte einhergeht.
Und nun meine Provokation des Tages: Würde ein klein wenig mehr Outlaw-Mentalität uns nicht gut zu Gesicht stehen? Sollten wir nicht gelegentlich ein wenig lockerer auftreten, weniger ängstlich auf die Etikette schielen und uns nicht dauernd fragen, was wohl die Nachbarn sagen könnten (das ist jetzt durchaus auch außenpolitisch gemeint)?
Als ich vor ungefähr zehn Jahren den Namen „Sezession“ das erste Mal hörte bzw. las, mußte ich unweigerlich an die amerikanische Sezession und den Sezessionskrieg denken, also an die Unabhängigkeitserklärung der Südstaaten gegenüber dem Norden und deren Folgen. Um böswilligen Zeigefingern zuvorzukommen: Nein, ich bin kein Freund der Sklaverei und habe auch Vorbehalte gegenüber Pflanzeraristokratien. Aber ich wäre glücklich, unter deutschen Konservativen ein wenig mehr Rebellengeist als sorgenvolle Besitzstandswahrermentalität anzutreffen. Deshalb: Verachtet mir die Outlaws nicht – gleich welcher Nationalität! Schneidet euch lieber mal eine dicke Scheibe davon ab.
Hajo Blaschke
Der Artikel geht am eigentlichen Thema meilenweit vorbei. Wenn die "Nachtwölfe" von Moskau nach Berlin gefahren wären, um ihre Großväter, die als Rotarmisten gekämpft haben, zu ehren, hätte ich nichts dabei gefunden. Mit Auftritten als sog. freiheitsliebende Outlaws hat das, was die da gemacht haben, alles nichts zu tun.
Ansicht der "Nachtwölfe" war es, die Rote Armee unter der Führung des Großen Führers (Великий вождь) Väterchen Stalin zu feiern. Credo der "Nachtwölfe" ist es, ein ehrendes Gedächtnis an diesen kommunistischen Mörder, dem zwischen 45 und 60 Millionen seiner eigenen Landsleute zum Opfer gefallen sind, zu bewahren. Laut Aussage von Alexander Saldostanow, Chef und angeblicher Chirurg (einen anerkannten Nachweis für eine medizinische Ausbildung hat er nie erbracht) hat Stalin Russland zu einer Großmacht gemacht und die dabei entstandenen Opfer waren dafür ein guter Preis. Also: Stalinismus pur.
Ich könnte so eine "Gedenkfahrt" nur akzeptieren, wenn diese "Nachtwölfe" sich engagiert dafür einsetzen würden, dass deutsche Motorradrocker eine Gedenkfahrt für die deutschen Opfer dieser angeblichen Befreiung von Berlin nach Moskau durchziehen könnten und dabei der 1,5 Mio. vergewaltigten Frauen, der 16 Mio. aus ihrem Land vertriebenen Ostdeutschen sowie der dabei ermordeten 2 Mio. Frauen, Kinder und Greise und der 2,5 Mio. in den Gulags krepierten Kriegsgefangenen gedenken könnten.