Alle Straßen münden in schwarze Verwesung

pdf der Druckfassung aus Sezession 58 / Februar 2014

Der Krieg setzt für manchen, der ihn ausficht, der Banalität und Langeweile der Friedensexistenz ein Ende:...

Es geht plötz­lich um etwas, man schweift aus, spürt das Blut auf ande­re Wei­se krei­sen und kommt zu jenen klei­nen Por­tio­nen an Macht und Anse­hen, die im Zivi­len kei­ne Bedeu­tung haben und zu denen es im bür­ger­li­chen Leben nicht reich­te. Der­lei Daseins­stei­ge­rung zu ahnen und auf sie zu hof­fen: das war 1914 neben natio­na­ler Begeis­te­rung, Pflicht­be­wußt­sein und Grup­pen­zwang ein Aspekt für etli­che Frei­wil­li­gen­mel­dun­gen. Für den Dich­ter Georg Tra­kl war die­se exis­ten­ti­el­le Kom­po­nen­te sogar der ein­zi­ge Grund – oder eher Abgrund: fort an die Front, um sich selbst zu ent­kom­men oder sich sei­ner selbst sogar zu ent­le­di­gen. Das Frei­wil­li­ge ist: das Erlö­sen­de einer Entscheidung.

Georg Tra­kl wur­de 1887 in Salz­burg gebo­ren. In der Schu­le schei­ter­te er und begann eine Leh­re als Apo­the­ker, auf die ein Phar­ma­zie­stu­di­um in Wien folg­te. Er leg­te 1910 sein Examen ab und trat als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger in die k.u.k. Sani­täts­ab­tei­lung Nr. 2 ein. Nach dem Ende der Dienst­zeit gelang es Tra­kl auf­grund sei­ner see­lisch-psy­chi­schen Dis­po­si­ti­on nicht, beruf­lich Fuß zu fas­sen. Statt des­sen leb­te er an der Sei­te sei­ner Schwes­ter, einer hoch­be­gab­ten Pia­nis­tin, das Leben eines Bohe­mi­ens mit lyri­schem Genie. Die Nähe zu Mar­ga­re­the unter­schritt bald jedes bür­ger­li­che Maß, die inzes­tuö­se Bezie­hung ende­te in einem Desaster.

Halt fand Tra­kl in dem ver­mö­gen­den Ver­le­ger und Freund Lud­wig von Ficker, bei des­sen Fami­lie er über Mona­te wohn­te und der in sei­ner Lite­ra­tur­zeit­schrift, dem Bren­ner, die meis­ten Gedich­te Tra­kls ver­öf­fent­lich­te. Ihr Ton galt weit über den Freun­des­kreis hin­aus als neu und geni­al, abgrün­dig und erschre­ckend. Die­se Ver­se sind aber vor allem eines: sie sind vom Lebens­voll­zug Tra­kls nicht zu tren­nen, sind nicht distan­ziert oder artis­tisch, son­dern exis­ten­ti­ell im Wort­sinn und – wie stets in der­lei sel­te­nen Fäl­len – mit einem Sie­gel ver­se­hen durch das kon­se­quen­te, nach­ge­ra­de gesucht frü­he Ende des Dichters.Trakl mel­de­te sich mit Kriegs­be­ginn 1914 frei­wil­lig und rück­te am 24. August ein. Sei­ne in Gali­zi­en sta­tio­nier­te Ein­heit wur­de in die Schlacht um Lem­berg gewor­fen (6. bis 11. Sep­tem­ber), das an die Rus­sen ver­lo­ren­ge­gan­gen war, nun zurück­er­obert wer­den und den Aus­gangs­punkt bil­den soll­te für einen raum­grei­fen­den Vor­stoß weit in die Ukrai­ne hin­ein. Die­ser Plan miß­lang ganz und gar, die öster­rei­chi­sche Armee erlitt eine ver­hee­ren­de Nie­der­la­ge und tau­mel­te in einen wir­ren, panik­ar­ti­gen Rück­zug. Tra­kl muß­te als Sani­tä­ter zwei lan­ge Tage auf sich allein gestellt in einem pro­vi­so­ri­schen Laza­rett das Ster­ben sei­ner gräß­lich ver­wun­de­ten Kame­ra­den mit anse­hen, ohne daß Hil­fe oder wenigs­tens Lin­de­rung mög­lich gewe­sen wäre. Ein Selbst­mord­ver­such Tra­kls wur­de auf dem Rück­zug ver­hin­dert, sein täg­lich geäu­ßer­ter, rabia­ter Wunsch nach einem Front­ein­satz wur­de abge­lehnt. Im Kra­kau­er Gar­ni­sons­hos­pi­tal, in das er zur Beob­ach­tung sei­nes Geis­tes­zu­stands ein­ge­wie­sen wor­den war, starr­te er durch das ver­git­ter­te Fens­ter und setz­te sei­nem Leben am 3. Novem­ber mit einer Über­do­sis Koka­in ein Ende. Fehlt noch der Nach­trag, daß Tra­kl über die schreck­li­chen Tage in Gali­zi­en ein Gedicht ver­faß­te, über­schrie­ben mit dem Namen jenes Ortes, in des­sen Nähe er in sei­ner Scheu­ne, die­sem impro­vi­sier­ten Laza­rett, ver­zwei­fel­te: »Gro­dek«.

Gibt es einen schlap­pe­ren Frei­wil­li­gen als Tra­kl? Einen, der noch weni­ger ver­stan­den hät­te von jenem Völ­ker­rin­gen, in des­sen Gemet­zel er hin­ein­ge­riet? Dem schon eine kur­ze Span­ne in einer der »Todes­gru­ben von Gali­zi­en« so zusetz­te, daß er total aus­fiel, wäh­rend sei­ne Kame­ra­den aus den Där­men geschlach­te­ter Kat­zen jenes Mate­ri­al gewan­nen, das sie zum Ver­nä­hen der offe­nen Lei­ber benö­tig­ten? Der nicht aus noch ein wuß­te, weil vor der Laza­rett-Scheu­ne, in der er es nicht mehr aus­hielt, wider­stän­di­sche Ruthe­nen an den Bäu­men auf­ge­knüpft bau­mel­ten? Dem es die Luft abschnür­te, weil der letz­te der Gehenk­ten – so berich­te­te es der ent­setz­te Tra­kl – sich die Schlin­ge selbst um den Hals gelegt hat­te (»der Mensch­heit gan­zer Jam­mer, hier habe er einen ange­faßt«)? Der sich ver­kroch wie zuvor ein hal­bes dut­zend­mal im bür­ger­li­chen Leben, als er Stel­lun­gen anstreb­te, erhielt – und am nächs­ten Tag schon wie­der kün­dig­te, weil es ihm viel­leicht uner­träg­lich schien, im Ver­kaufs­raum einer Apo­the­ke auf Kund­schaft zu war­ten? Der dar­auf­hin im Puff ver­schwand und gelie­he­nes Geld ver­soff? Der, weil um ihn her­um alles geputzt, geölt, dis­zi­pli­niert, »im Rah­men« ablief, »jedem Deut­schen das Beil des Hen­kers« wünsch­te, der also unge­recht, uner­träg­lich war, geni­al zwar, aber in einer geord­ne­ten Gesell­schaft zu nichts zu gebrau­chen, son­dern einer, der sich und ande­ren nicht zu hel­fen wuß­te? Was also, bit­te schön, könn­te uns »Gro­dek« geben, in unse­rer Erin­ne­rungs­be­flis­sen­heit an die­sen Gro­ßen Krieg Num­mer eins?Das ist eine dum­me Fra­ge, und nicht viel bes­ser ist die oben notier­te Mit­tei­lung, Tra­kl habe »über Gro­dek« ein Gedicht geschrie­ben. »Gro­dek« ist sowe­nig ein Gedicht über die­ses gali­zi­sche Kaff, wie Höl­der­lins »Hei­del­berg« eines über einen Stu­di­en­ort wäre. Tra­kls »Gro­dek« ist die Sum­me des unun­ter­bro­che­nen Gedichts, an dem Tra­kl sein gan­zes Leben lang schrieb und das wie ein Myzel unter­halb sei­ner Lebens­äu­ße­run­gen sich ent­lang­zieht, um in kon­kre­ter Form hier und da, ab und an sich zu zei­gen. »Gro­dek« also:

Am Abend tönen die herbst­li­chen Wälder
Von töd­li­chen Waf­fen, die gold­nen Ebenen
Und blau­en Seen, dar­über die Sonne
Düs­trer hin­rollt; umfängt die Nacht
Ster­ben­de Krie­ger, die wil­de Klage
Ihrer zer­bro­che­nen Münder.
Doch stil­le sam­melt im Weidengrund
Rotes Gewölk, dar­in ein zür­nen­der Gott wohnt
Das ver­goß­ne Blut sich, mond­ne Kühle;
Alle Stra­ßen mün­den in schwar­ze Verwesung.
Unter gold­nem Gezweig der Nacht und Sterne
Es schwankt der Schwes­ter Schat­ten durch den schwei­gen­den Hain,
Zu grü­ßen die Geis­ter der Hel­den, die blu­ten­den Häupter;
Und lei­se tönen im Rohr die dun­keln Flö­ten des Herbs­tes.
O stol­ze­re Trau­er! Ihr eher­nen Altäre,
Die hei­ße Flam­me des Geis­tes nährt heu­te ein gewal­ti­ger Schmerz,
Die unge­bor­nen Enkel.

Was ist in die­sen Ver­sen zu fin­den? Eine Land­schaft, durch­aus eine stim­mi­ge, har­mo­ni­sche Land­schaft, in die nun für eine Zeit der Lärm der Schlacht, die ster­ben­den Krie­ger, der Kriegs­gott ein­ge­bet­tet sind. Die Ach­se: Das ist das schreck­li­che, defi­ni­ti­ve »Alle Stra­ßen mün­den in schwar­ze Ver­we­sung.« Aber das, was davor und danach geschrie­ben steht, ist in sei­nem gan­zen Elend so klang­voll aus­ge­spro­chen und über Enjam­be­ments inein­an­der­ge­bun­den, daß man es nicht anders als gege­ben auf­neh­men kann; und jeder Ver­such, sich gegen die­ses Gege­be­ne auf­zu­leh­nen, wäre unreif und ein Zei­chen von Feig­heit. Über die drei letz­ten Zei­len schließ­lich hat Franz Füh­mann längst das Not­wen­di­ge gesagt: »Wir müs­sen gestehn, daß der Schluß die­ses Gedichts, der als so schwie­rig und rät­sel­haft gilt, uns nie so recht Schwie­rig­kei­ten gemacht hat; wir hat­ten ihn von Anfang an, frei­lich nie mit dem Anspruch, ihn ganz zu haben. Stol­zer – wel­che Trau­er wird hier gestei­gert? Wir wis­sen es nicht; wir wis­sen nur, daß sie stol­zer ist als eine ande­re Trauer.«

Das kur­ze Kriegs­er­leb­nis, das Tra­kl zu ertra­gen hat­te, war ihm auf den Leib geschnei­dert. (Ril­ke: »Und wie eine Braut kommt jedem das Ding, das er will.«) Was war die­ser schlapps­te aller Frei­wil­li­gen doch für ein Mensch, daß er die Kraft auf­brach­te, auf den Stra­ßen gen Ver­we­sung, auf denen er sein Leben lang unter­wegs war, die durch ihn hin­durch führ­ten, noch sol­che Wor­te zu finden!

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