Puffbohnen aus der Tonschale geklaubt, in der ich sie aufbewahrte. Weil sie mir half, im frühen März, wußte sie, was zu machen sei. Auf einem kleinen, freigeharkten Flecken steckte sie die Bohnen, und als ich nun mit der Sense das Gras zwischen den Bäumen schnitt, legte ich das vergessene Beet frei. Die Saat ist aufgegangen.
Was ist das Deutsche, von dem Lutz Meyer vermutet, es könne ein Ballast sein, ein Zuviel an Last, ein Rucksack, den weit mehr als tausend Jahre Geschichte angefüllt haben und der uns am Ausschreiten, am Weiterkommen hinderte, wenn wir es trügen wie eine Monstranz?
Vor drei Wochen fuhr ich mit der Zweitältesten nach Brandenburg, in die Stadt Brandenburg, um dort einen Weihnachtsgutschein einzulösen: ein Sinfoniekonzert mit Werken Wagners und Bruckners. Die Fahrt führte von der Autobahnabfahrt Niemegk über Bad Belzig und Golzow auf die Provinzstadt zu, die ich mit Kositza einmal gestreift, nie bisher jedoch besucht hatte. Eine Alleenanfahrt, vorsommerliche Kiefernatmosphäre, erste fritzische Häuser.
Über Brandenburg an der Havel ist mir eine Stelle aus dem Roman Der Vater von Jochen Klepper seit der ersten Lektüre im Gedächtnis: die, in der Friedrich Wilhelm I. (der “Vater”) den Prunk Berlins flieht, um sich in einiger Entfernung eine ihm angemessene, bescheidene, soldatische Residenz zu schaffen. Er wählt Brandenburg, sucht aber in den drei Tasgen seines Aufenthalts den Rat der Stadt nicht auf, um das entscheidende Gespräch zu führen und “Ordre” für den neuen Regierungssitz zu geben. Zu dunkel, zu sehr von den sieben großen Kirchen und von den mächtigen Stadttürmen beherrscht, zu mittelalterlich in ihrer Anlage, zu schwer tritt ihm die Stadt entgegen.
Davon war nun vor drei Wochen nichts mehr zu spüren, die Stadtstruktur ist seit den Bombardierungen gegen Ende des II. Weltkriegs gelichtet, sie hat gleichsam Ballast abwerfen müssen.
Das Konzert nun wurde in der größten Kirche der Stadt gegeben, in St. Katharina, und bereits der Aufenthalt in der Ruhe dieses grandiosen Beispiels norddeutscher Backsteingotik begann den Abend zu verwandeln. Es musizierten die Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmrath, also nicht eines der ganz großen, der weltberühmten Orchester, aber gerade dies fügte sich in den Bau und vor allem in den Zustrom des Publikums: keine übertriebene Abendgarderobe, keine Karten zu hundert Euro, kein Sehen und Gesehenwerden, keine Neigung zum Zerfasern und Vergleichen dessen, was gleich zu Gehör gebracht würde. Frohe Gestimmtheit.
Wagners Siegfried-Idyll, sehr langsam dirigiert, versammelte die Hörer. Noch einmal ein Nachstimmen der Instrumente. Und dann: der Konzertmeister, der auf das Dirigentenpodest trat und einen Zettel aus der Tasche zog, um vorzulesen, was ihm Michael Helmrath diktiert hatte: daß die Musik aus der Stille komme und in die Stille zurückkehren solle und daß es daher sein Wunsch sei, am Ende der sakralen Symphonie des wohl priesterlichsten unter den deutschen Komponisten keinen Applaus zu hören: Denn nicht das (stets leicht übergriffige) Klatschen solle im Ohr bleiben, sondern das dann in seiner ganzen Fülle und Gabe Vernommene.
Es waren also in dieser absteigenden Stadt an der Havel hunderte Deutsche zusammengekommen, um Anton Bruckners 3. Symphonie zu hören, und sie gingen danach – wie wir – wieder nach Hause, um ihren Alltag zu bestreiten. Die Karte war für ein paar Euro zu haben gewesen, und die Musiker um ihren Dirigenten hatten dieses schwierige und in seiner Zusammenstellung sehr deutsche Konzert nicht etwa “passabel” oder “provinziell” gespielt, sondern in aller Konzentration und Ehrfurcht – eben so, wie es sich gehört.
Es war dann ein Gespräch auf der Rückfahrt darüber notwendig, was derlei mit denen mache, die es erleben durften. Es macht mit ihnen nichts, zunächst, es ist nicht verwertbar. Aber das, was an diesem Abend dem guten Durchschnitt des Volkes an einem jahrhundertealten Ort dargereicht wurde (nicht an einem der großen Plätze der Musik, sondern in den Alltag der Provinz hineingelegt), reichert sich an unter der Haut, wie so vieles andere auch, das als Geschenk aus dem schweren Rucksack der Deutschen geholt und gespendet werden kann.
Was genau es ist, weiß man ab und an für eine kurze Spanne. Aber wie die Früchte und das Wasser zieht es sich zurück, wenn wir – gleich Tantalus – danach greifen möchten.
Denn es ist zweifelsohne das unverhoffte Betreten solcher Orte des Geheimen Deutschlands dasjenige, das aus uns macht, was wir sind, und das uns verbietet, solches unter dem Aspekt des Gewichts zu sichten, ohne das wir vielleicht leichter vorankämen. Schwer zu sein ist angemessen unter dem Eindruck des Erbes. Wären wir leichter, wären wir nicht mehr wir.
Rumpelstilzchen
Was ist das Deutsche ?
Bevor ein jeder einen "Versuch über den stillen Ort" ( Handke) beisteuert, sollten die wahrhaft Großen nicht vergessen werden:
https://altmod.de/?page_id=2007
Und selbst, wenn wir nicht mehr wissen sollten, was wir konservieren müssen, so gibt es heute doch beeindruckende Konservierungsmethoden :
https://m.youtube.com/watch?v=n4V2Uk5ymzk