Schreibtisch, Garten, Alltag (XXII): Das Deutsche und sein Ort

Beim abendlichen Gang in den Garten ein Stückchen vom Geheimen Deutschland entdeckt: Die Zweitjüngste hatte wohl ein paar ...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Puff­boh­nen aus der Ton­scha­le geklaubt, in der ich sie auf­be­wahr­te. Weil sie mir half, im frü­hen März, wuß­te sie, was zu machen sei. Auf einem klei­nen, frei­ge­hark­ten Fle­cken steck­te sie die Boh­nen, und als ich nun mit der Sen­se das Gras zwi­schen den Bäu­men schnitt, leg­te ich das ver­ges­se­ne Beet frei. Die Saat ist aufgegangen.

Was ist das Deut­sche, von dem Lutz Mey­er ver­mu­tet, es kön­ne ein Bal­last sein, ein Zuviel an Last, ein Ruck­sack, den weit mehr als tau­send Jah­re Geschich­te ange­füllt haben und der uns am Aus­schrei­ten, am Wei­ter­kom­men hin­der­te, wenn wir es trü­gen wie eine Monstranz?

Vor drei Wochen fuhr ich mit der Zweit­äl­tes­ten nach Bran­den­burg, in die Stadt Bran­den­burg, um dort einen Weih­nachts­gut­schein ein­zu­lö­sen: ein Sin­fo­nie­kon­zert mit Wer­ken Wag­ners und Bruck­ners. Die Fahrt führ­te von der Auto­bahn­ab­fahrt Niemegk über Bad Bel­zig und Golz­ow auf die Pro­vinz­stadt zu, die ich mit Kositza ein­mal gestreift, nie bis­her jedoch besucht hat­te. Eine Alleen­an­fahrt, vor­som­mer­li­che Kie­fernat­mo­sphä­re, ers­te frit­zi­sche Häuser.

Über Bran­den­burg an der Havel ist mir eine Stel­le aus dem Roman Der Vater von Jochen Klep­per seit der ers­ten Lek­tü­re im Gedächt­nis: die, in der Fried­rich Wil­helm I. (der “Vater”) den Prunk Ber­lins flieht, um sich in eini­ger Ent­fer­nung eine ihm ange­mes­se­ne, beschei­de­ne, sol­da­ti­sche Resi­denz zu schaf­fen. Er wählt Bran­den­burg, sucht aber in den drei Tas­gen sei­nes Auf­ent­halts den Rat der Stadt nicht auf, um das ent­schei­den­de Gespräch zu füh­ren und “Ord­re” für den neu­en Regie­rungs­sitz zu geben. Zu dun­kel, zu sehr von den sie­ben gro­ßen Kir­chen und von den mäch­ti­gen Stadt­tür­men beherrscht, zu mit­tel­al­ter­lich in ihrer Anla­ge, zu schwer tritt ihm die Stadt entgegen.

Davon war nun vor drei Wochen nichts mehr zu spü­ren, die Stadt­struk­tur ist seit den Bom­bar­die­run­gen gegen Ende des II. Welt­kriegs gelich­tet, sie hat gleich­sam Bal­last abwer­fen müssen.

Das Kon­zert nun wur­de in der größ­ten Kir­che der Stadt gege­ben, in St. Katha­ri­na, und bereits der Auf­ent­halt in der Ruhe die­ses gran­dio­sen Bei­spiels nord­deut­scher Back­stein­go­tik begann den Abend zu ver­wan­deln. Es musi­zier­ten die Bran­den­bur­ger Sym­pho­ni­ker unter Micha­el Helm­rath, also nicht eines der ganz gro­ßen, der welt­be­rühm­ten Orches­ter, aber gera­de dies füg­te sich in den Bau und vor allem in den Zustrom des Publi­kums: kei­ne über­trie­be­ne Abend­gar­de­ro­be, kei­ne Kar­ten zu hun­dert Euro, kein Sehen und Gese­hen­wer­den, kei­ne Nei­gung zum Zer­fa­sern und Ver­glei­chen des­sen, was gleich zu Gehör gebracht wür­de. Fro­he Gestimmtheit.

Wag­ners Sieg­fried-Idyll, sehr lang­sam diri­giert, ver­sam­mel­te die Hörer. Noch ein­mal ein Nach­stim­men der Instru­men­te. Und dann: der Kon­zert­meis­ter, der auf das Diri­gen­ten­po­dest trat und einen Zet­tel aus der Tasche zog, um vor­zu­le­sen, was ihm Micha­el Helm­rath dik­tiert hat­te: daß die Musik aus der Stil­le kom­me und in die Stil­le zurück­keh­ren sol­le und daß es daher sein Wunsch sei, am Ende der sakra­len Sym­pho­nie des wohl pries­ter­lichs­ten unter den deut­schen Kom­po­nis­ten kei­nen Applaus zu hören: Denn nicht das (stets leicht über­grif­fi­ge) Klat­schen sol­le im Ohr blei­ben, son­dern das dann in sei­ner gan­zen Fül­le und Gabe Vernommene.

Es waren also in die­ser abstei­gen­den Stadt an der Havel hun­der­te Deut­sche zusam­men­ge­kom­men, um Anton Bruck­ners 3. Sym­pho­nie zu hören, und sie gin­gen danach – wie wir – wie­der nach Hau­se, um ihren All­tag zu bestrei­ten. Die Kar­te war für ein paar Euro zu haben gewe­sen, und die Musi­ker um ihren Diri­gen­ten hat­ten die­ses schwie­ri­ge und in sei­ner Zusam­men­stel­lung sehr deut­sche Kon­zert nicht etwa “pas­sa­bel” oder “pro­vin­zi­ell” gespielt, son­dern in aller Kon­zen­tra­ti­on und Ehr­furcht – eben so, wie es sich gehört.

Es war dann ein Gespräch auf der Rück­fahrt dar­über not­wen­dig, was der­lei mit denen mache, die es erle­ben durf­ten. Es macht mit ihnen nichts, zunächst, es ist nicht ver­wert­bar. Aber das, was an die­sem Abend dem guten Durch­schnitt des Vol­kes an einem jahr­hun­der­te­al­ten Ort dar­ge­reicht wur­de (nicht an einem der gro­ßen Plät­ze der Musik, son­dern in den All­tag der Pro­vinz hin­ein­ge­legt), rei­chert sich an unter der Haut, wie so vie­les ande­re auch, das als Geschenk aus dem schwe­ren Ruck­sack der Deut­schen geholt und gespen­det wer­den kann.

Was genau es ist, weiß man ab und an für eine kur­ze Span­ne. Aber wie die Früch­te und das Was­ser zieht es sich zurück, wenn wir – gleich Tan­ta­lus – danach grei­fen möchten.

Denn es ist zwei­fels­oh­ne das unver­hoff­te Betre­ten sol­cher Orte des Gehei­men Deutsch­lands das­je­ni­ge, das aus uns macht, was wir sind, und das uns ver­bie­tet, sol­ches unter dem Aspekt des Gewichts zu sich­ten, ohne das wir viel­leicht leich­ter vor­an­kä­men. Schwer zu sein ist ange­mes­sen unter dem Ein­druck des Erbes. Wären wir leich­ter, wären wir nicht mehr wir.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (53)

Rumpelstilzchen

11. Juni 2015 08:46

Was ist das Deutsche ?
Bevor ein jeder einen "Versuch über den stillen Ort" ( Handke) beisteuert, sollten die wahrhaft Großen nicht vergessen werden:

https://altmod.de/?page_id=2007

Und selbst, wenn wir nicht mehr wissen sollten, was wir konservieren müssen, so gibt es heute doch beeindruckende Konservierungsmethoden :

https://m.youtube.com/watch?v=n4V2Uk5ymzk

Michael Koch

11. Juni 2015 09:02

Der letzte Satz: "Wären wir leichter, wären wir nicht mehr wir.", ist für mich die geniale Antwort auf Lutz Meyers Wegwerf-Artikel!
Wir haben nur eines abzuwerfen - unsere Ketten! Diese Ketten belasten uns zwar, aber sie sind etwas Fremdes, sie sind Ballast. Haben wir sie endlich abgeworfen, dann können wir endlich wieder frei atmen, frei handeln und frei schöpfen. Dies macht UNS natürlich nicht leichter - im Gegenteil - es wird uns mehr Gewicht verleihen!

Yvonne

11. Juni 2015 09:22

Zum Deutsch-Sein gehören viele Adjektive. Ich würde sagen, zuvörderst sind wir ernst. Aber die Lebenswirklichkeit, in der diese Eigenschaften sich zeigen können, wandelt sich, unsere „Riten und Bräuche“ verändern sich – sanft oder unsanft. Die Frage ist vielleicht, welche ins Heutige passende ästhetische Formulierungen wir finden, welche neuen Bilder wir schaffen, die geeignet sind, unser Deutschtum zum Leuchten zu bringen. Wir könnten ein bisschen mehr Mühe darauf verwenden (gab ja mal eine Zeit, da wurde dies mit großer Gestaltungskraft getan). Dazu gehört auch, in welchem Gewand der Widerstand gegen das, was uns angetan wird, kommen darf, wie locker wir anderweitige Stilformen (Auftritt als Rocker z.B.) da hineinbauen. In dem Maße allerdings, wie unsere physische Basis hier verschwindet, wird es natürlich zur Farce, zum Kitsch.

Eveline

11. Juni 2015 10:18

Was für ein schönes Bild.
Und all das geschieht ohne inneres Palaver. Einfach so.
Dank der Sonne und der Erde.

Der Gutmensch

11. Juni 2015 10:53

Eine schöne Erzählung und aufschlussreich, u. a. weil sie einem die Schnittstellen zwischen Ost- und West wieder verdeutlicht: Vor der Wende war ein Opern- oder Konzertbesuch für den normalen Bürger weder außergewöhnlich und noch unerschwinglich. Die hohe Kunst sollte eben nicht einer Oberschicht vorbehalten sein. Nach der Wende stiegen die Preise in den großen Häusern ungefähr in dem Maße, wie seltsamer Weise die Sitten verfielen: Undenkbar, dass früher jemand in Jeans in die schöne Staatsoper gelassen worden wäre ...

Die Beobachtung, die Sie machten - was so alles noch vorhanden ist - machte ich gestern rein zufällig auch: Ich suchte also das Arbeitszimmer am anderen Ende des Hauses auf und fand dessen übellaunigen Besitzer über einer Klausurerstellung: „Was versteht man unter einer Störstellenerschöpfung? (1P). Diese wunderbare, deutsch, deutscher und am besten deutsche! -Formulierung sorgte für einen regelrechten Wirbel in meinem Kopf und ich fragte, weshalb die Antwort eigentlich nur einen Punkt wert sei? Aus der Richtung Schreibtisch grunzte es: „ ...Ionisierung aller Fremdatome!!“ Ich kehrte auf die Erde zurück und orientierte mich in dieser trüben Realität; ich machte mir also klar, dass das ja bestenfalls 8. bis 9. Klasse-Niveau darstellte, mit dem die Studenten konfrontiert werden sollten. Während dieser (stummen) Betrachtungen muss ich wohl etwas dumm aus der Wäsche geschaut haben; jedenfalls wandelte sich das Grunzen in ein Seufzen und eine mir vertraute Platte mit Donatoren und Akzeptoren und Valenzelektronen wurde aufgelegt. Vor mein geistiges Auge schob sich prompt das unerwünschte Bild vom garstigen Chemielehrer, dem ich nun sehr eilig den Stecker zu ziehen versuchte, indem ich versicherte, ebenfalls mal zur Schule gegangen zu sein. Irritiert wurde der Vortrag daraufhin abgebrochen. Ich konnte zu meiner Verteidigung nur das wirklich wunderbare Wort „Störstellenerschöpfung“ anführen und stellte fest, dass die jungen Menschen heute zwar wenig Punkte machen, aber doch und trotz alledem vielleicht doch ein klein wenig mehr wissen könnten, als uns allen bewusst ist.

Der Gutmensch.

Taurec

11. Juni 2015 11:37

Hallo!

Durchaus ein Klassiker zur Frage, was die Deutschen ausmacht:

https://www.zeno.org/Philosophie/M/Spengler,+Oswald/Reden+und+Aufs%C3%A4tze/Vom+deutschen+Volkscharakter

Im übertragenen Sinne gilt aber auch, was Spengler zur Rasse schrieb:
"Wer zuviel von Rasse spricht, der hat keine mehr. "

Sowie:
"Wo Gründe für Lebensfragen überhaupt ins Bewusstsein treten, da ist das Leben schon fragwürdig geworden."

Wenn man sich fragen muß, was das Deutsche ist, was man behalten, was wegwerfen kann, ist das Deutsche an sich schon fragwürdig geworden. Dann ist es in einem selbst nicht mehr lebendig. Das starke Leben fragt nicht nach Gründen. Es fragt auch nicht, was oder wie es ist, sondern ist einfach, aus sicherem Instinkt und innerem Antrieb, der gar nicht voll zu Bewußtsein kommt. Die Daseinsberechtigung, das Recht auf tätige Selbstbehauptung und Wirken nach außen folgen aus der bloßen Tatsache des Daseins und bedürfen keiner Rechtfertigung. Sobald gerechtfertigt wird - eine reine Verstandestätigkeit -, wird auch in Frage gestellt. So untergräbt man, was man eigentlich stärken will.
Man muß schon im wahrsten Sinne des Wortes neben sich stehen, damit einem die eigene Identität als Frage, noch schlechter als Problem, überhaupt ins Bewußtsein dringt.
Folglich kann "Rasse", Volkscharakter, Identität und was man an Begriffen und Eigenschaften mit dem Deutschsein verbindet, auch nicht herbeigeredet werden. Es ist angeboren. Man hat es oder man hat es nicht (mehr). Einmal verloren, kann es nicht wieder hergestellt werden. Das ist meines Erachtens die fatale Situation, in der sich viele Konservative befinden. Sie empfinden den Verlust, können das Verlorene in sich aber nicht wiederbeleben. Der moderne Mensch ist im spenglerschen Sinne rasselos, d. h. nicht biologisch, sondern hinsichtlich seelischer, mentaler Rasse. Freilich folgt die Auflösung der biologischen der eigentlichen Rasse um Generatione zeitversetzt nach. Was bleibt ist, so hoffe ich, ein harter Kern Deutscher, die es schon immer waren.

Gruß
Taurec

Rainer Gebhardt

11. Juni 2015 11:52

Beeindruckender Text. Alles gesagt; vor allem das, was sich nur schwer sagen läßt. Kommentar überflüssig. Nur einen Lektürevorschlag:
H.D.Rauh "Wittgensteins Mystik der Grenze" (Matthes & Seitz, 95 Seiten). Ich bin mir sicher: Ihnen, Götz Kubitschek, dürfte der Text aus dem Herzen sprechen.

Ein gebürtiger Hesse

11. Juni 2015 11:57

So wie manches, das sich "unter der Haut anreichert" (und wer weiß, ob das Geheime Deutschland, wie es heute immer noch lebbar ist, zuvorderst auf solchem beruht, daraus sich speist), gibt es Texte, die geradewegs ins seelische, affektive Blut des Lesers gehen. Dieser ist so einer. Besten Dank dafür!

Arminius Arndt

11. Juni 2015 12:35

Und was Heimat, Deutschtum und die Verwobenheit des Ganzen anbelangt: Da ist es wie mit der Liebe oder mit Gott. Wüsste man es in Worte zu fassen, verlöre es seinen Zauber, also sein Wesen. Gott zu beweisen, würde ihn widerlegen. Die Liebe erklären wollen, kann nur einer, der nie liebte. Heimat bleibt für Fremde ewig unbeschreibbar. Und das Deutsche ist wahrscheinlich einfach nur das finstere Geheimnis in der Mitte Europas …

Jede Definition hat etwas Unverschämtes, etwas Entkleidendes.

("Raskolnikow", auf diesen Seiten am Dienstag, den 09.06.2015, 16.40 Uhr)

Ich kann obigen Ausführungen Raskolnikows nur zustimmen, manches kann man nur zerreden, um es am Ende doch nicht fassen zu können. Übrigens auch ein Puzzleteil im nie zu Ende bringenden Puzzle "Was ist deutsch", ist genau dieses Streben nach Definitionen, Ordnungen etc. - ein schillerndes Teilchen, mal gereicht es zum Guten, mal zum Schlechten.

Thomas Wawerka

11. Juni 2015 14:08

Arminius Arndt: Ich kann obigen Ausführungen Raskolnikows nur zustimmen, manches kann man nur zerreden, um es am Ende doch nicht fassen zu können.

Die Frage kommt offensichtlich deshalb auf, weil es nicht mehr selbstverständlich ist, was "deutsch" ist.

"Geheimes Deutschland" ... sehr passend.

Dank an Rumpelstilzchen für den interessanten Essay!

enickmar

11. Juni 2015 15:44

"Wären wir leichter, wären wir nicht mehr wir."

Schön formuliert. Und eine sehr gute Antwort auf Meyers Provikation.

Jedoch muß ich Meyer hier unvermutet beispringen: Sind diejenigen unseres Volkes, die Bruckner (als Methapher) nicht hören oder nichtmal kennen, dann keine Deutschen ? Gibt es also nicht vielleicht doch einen identitären Code ohne Bruckner ?
Ich schreibe das vor allem wegen der existenziell notwendigen Diskussion über Überdauerungsformen. Angesichts der Lage ...

enickmar

11. Juni 2015 16:13

Daß ein Volk immer symbiotisch als Ganzes (also die mit und die ohne Bruckner) zusammen betrachten ist, ist klar. Aber dieser Gedanke einer reduzierten Überdauerungsform erscheint mir diskussionswürdig.

Andreas Walter

11. Juni 2015 16:23

"Es macht mit ihnen nichts, zunächst, es ist nicht verwertbar."

Sprechen Sie von Ihrer Tochter, Herr Kubitschek? Denn es macht weitaus mehr und noch wichtigeres als Bruckner für die gesunde Entwicklung zu einer glücklichen Frau, mit dem Papa so einen schönen Ausflug gemacht zu haben. Den meisten Frauen nämlich die zu unseren Werten, und ja, es sind darum auch die Ewigen, in Opposition stehen fehlt nämlich diese Liebe. Ich vermute mal, das Ihnen das gar nicht bewusst ist, weil selbstverständlich, doch es waren auch viele Töchter ohne Vater, die Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut haben, aufbauen mussten. Ich persönlich messe solchen Dingen ja weitaus mehr Bedeutung zu als selbst derzeit noch die Wissenschaft, die ja genau eben aus dem gleichen Grund derzeit ja auch teilweise auf dem Holzpfad ist. Doch es gibt mittlerweile auch schon Menschen, die das erkannt haben und die sich damit beschäftigen und sogar darüber schreiben:

https://www.klett-cotta.de/buch/Psychologie/Toechter_ohne_Vaeter/22192

Wie ich dazu komme? Das hat mit meiner Mutter und ihrem Vater zu tun und hatte sogar noch Auswirkung auf mich. Vatertöchter bringen nämlich Muttersöhne hervor und auch von denen gibt es darum in Deutschland weitaus mehr als man glaubt. Verfluchter Krieg, kann man dazu nur sagen.

Gustav Grambauer

11. Juni 2015 19:25

Es keimen der Seele Wünsche,
es wachsen des Willens Taten,
es reifen des Lebens Früchte.
Ich fühle mein Schicksal,
mein Schicksal findet mich.
Ich fühle meinen Stern,
mein Stern findet mich.
Ich fühle meine Ziele,
meine Ziele finden mich.
Meine Seele und die Welt sind Eines nur.
Das Leben, es wird heller um mich.
Das Leben, es wird schwerer für mich.
Das Leben, es wird reicher in mir.

- Rudolf Steiner, Wahrspruchworte

Nix mit "Unerträglicher Leichtigkeit des Seins"

- G. G.

Nemo Obligatur

11. Juni 2015 21:03

Was genau es ist, weiß man ab und an für eine kurze Spanne. Aber wie die Früchte und das Wasser zieht es sich zurück, wenn wir – gleich Tantalus - danach greifen möchten.

Denn es ist zweifelsohne das unverhoffte Betreten solcher Orte des Geheimen Deutschlands dasjenige, das aus uns macht, was wir sind, und das uns verbietet, solches unter dem Aspekt des Gewichts zu sichten, ohne das wir vielleicht leichter vorankämen. Schwer zu sein ist angemessen unter dem Eindruck des Erbes. Wären wir leichter, wären wir nicht mehr wir.

Sehr fein beschrieben, Herr Kubitschek,

das ist in Worte gegossen ein Gefühl, welches mich mitunter beim Betreten alter Kirchen überkommt, oder wenn ich unvermutet einen alten Handwerksmeister, einen Schmid oder Schuster etwa, bei der Arbeit sehe. Manchmal reicht sogar ein Name auf einem Klingelschild.

Was mich sorgt: Ich könnte nicht genau sagen, ob diese Momente sowieso rar sind oder ob sie in den letzten Jahren abgenommen haben.

Zarathustra

11. Juni 2015 21:49

Sehr geehrter Herr Kubitschek,

Sehr schöner Artikel: Keine pseudointellektuellen Räsonnements, keine gleichgültigen übergeschichtlichen Feststellungen à la »Die Hochkulturen der Menschheitsgeschichte sind samt und sonders nach mehr oder minder langer Blüte untergegangen« – und dem Sinn nach – »die deutsche wird es auch«; sondern kernige Andeutungen auf jenes unverhandelbar Heilige, für das ein ehrbarer Deutscher nur kämpft und kämpft und kämpft (mit klug ausgewählten Mitteln, versteht sich. Ein klassischer Musiker tut es auf seine Art).

Mit Ihren knappen Bildern haben Sie Wesentliches ins Bewußtsein gebracht: daß nämlich jede abstrakte Definition der eigenen Identität notwendig unterkomplex und oberflächlich ist. Denn eine Identität, die diesen Namen verdient, ist nicht etwas, was man sich in universalistischer Manier und als verständiges Allerweltssubjekt aussucht, sondern, sei es als Nicht-anders-empfinden-können, sei es als Nicht-anders-sein-können, immer ein Stück Schicksal, und wie jedes Schicksal erstens nicht mit allgemeinen Begriffen fassbar und zweitens überhaupt nur demjenigen zugänglich, der selber das gleiche Schicksal hat. Es der ganzen Menschheit erklären zu wollen, gleicht dem Versuch eines Sehenden, der einem Blinden erklären will, was das Sehen sei.

Wenn man es dennoch mit der Definition als Sprachfigur versuchen wollte, dann vielleicht so: Was ist Deutsch-sein? Vieles, aber Eins gehört gewiß dazu: Zu wissen, daß man dafür kämpfen will.

Antaios als Name ist dabei Programm. Weiter so!

Beste Grüße,
Zarathustra

Schatten von E.

11. Juni 2015 22:40

Was Herr Kubitschek hier mit seinem Sohn versucht, finde ich gut und hoffe, daß es auch was auf Dauer bringt.

Aber: Für mich funktioniert das nicht mehr.

Ich habe mich dazu entschlossen, keinen Bruckner und keinen Wagner mehr zu hören, solange wir auf dem Weg in den Abgrund sind. Ich k a n n es einfach nicht mehr hören!

Meine Musik habe ich der Realität angepaßt: Politischer Black Metal. Wie Alex Kurtagic es beschrieben hat, ist es eine adäquate Quelle der Kraft. Es baut mich auf.

Wer erinnert sich nicht an die Szene aus dem Film "Stukas", wo der depressive Fliegeroffizier mit der Krankenschwester in ein Wagnerkonzert geht und daraus wieder neue Kraft schöpft für den bevorstehenden nächsten Einsatz? Das war 1940. Diese Zeit ist sehr lange her.

Schön und gut. Unsere Zeit hat ihre eigene Musik. Wie die beschaffen ist -angesichts des bevorstehenden ultimativen Volkstodes - habe ich für mich herausgefunden: Es sind wahre Höllenklänge angesichts der kommenden Hölle auf Erden.

Resi Burgen

11. Juni 2015 22:54

Leider wurden in den letzten Jahren fundamentale Werte, Traditionen, Bräuche usw. zur Disposition gestellt. Z.B. wurde aus Weihnachtsfest Winterfest oder Martinsumzug wurde zum Mobilen Lichterfest usw. Dafür sind sie jetzt "bunter" :)
Viele Menschen in Großstädten besonders Intellektuelle scheint es nicht groß zu stören. Dieser Intellektuelle geht möglicherweise auch in ein Wagner oder Bruckner Konzert, aber ihn interessiert möglicherweise nicht im Mindesten was Deutsch ist. Er ist eben "nur" kultiviert.
Der einfache Mensch in der Provinz begreift eher noch intuitiv was Deutsch ist. Dieser hört aber eher Blasmusik und Volkslieder.
Im Gegensatz zum Intellektuellen der Großstadt lebt er aber noch deutsche Bräuche und Traditionen.

Corax

11. Juni 2015 23:47

Mit der Frage, was deutsch ist, halte ich mich nicht auf. Ich halte sie für unsinnig. Statt dessen begnüge ich mich damit, einfach ein Deutscher zu sein. Und das fällt mir auch sehr leicht, da ich ja nichts anderes bin. Anders ausgedrückt: als Deutscher das Deutschsein definieren zu wollen, finde ich genauso unsinnig, wie wenn einer sein eigenes Ichsein definieren wollte. Das eigene Ich braucht man nicht zu definieren, denn jeder ist ja von selbst schon sein eigenes Ich.

Eveline

12. Juni 2015 07:52

Heute würde ich schreiben es ist eine wunderschöne Bildergeschichte und das I - Tüpfelchen ist das Geheime. Das freudige Gefühl, was diese Bildergeschichte auslöst. Der i - Punkt auf dem i. Und jetzt weiß ich wenigstens, warum es einen i - Punkt gibt.

@Schatten von E

Lassen Sie sich nicht das fröhliche Gefühl nehmen. Wagner führt raus aus der dunklen Welt. Nicht der Volkstod steht an, sondern das freudige ins Leben gebende Gefühl.

3x4 macht kein Molekül, sagt Axel Klitzke, der die ägyptischen Pyramiden - aus Sicht eines sächsischen Baumeisters - untersuchte, das können nur die Schwingungen. Das ist der Konflikt unserer heutigen Zeit.
Die alten konservativen Universitätsägyptologen , die mit aller Macht ihre Theorien festhalten und seine genialen Forschungsergebnisse, die jedes Kind in der Unterstufe glücklich machen würden.

Waldgänger

12. Juni 2015 07:55

@ Zarathustra

Sehr schön ausgedrückt.

"... daß nämlich jede abstrakte Definition der eigenen Identität notwendig unterkomplex und oberflächlich ist. Denn eine Identität, die diesen Namen verdient, ist nicht etwas, was man sich in universalistischer Manier und als verständiges Allerweltssubjekt aussucht, sondern, sei es als Nicht-anders-empfinden-können, sei es als Nicht-anders-sein-können, immer ein Stück Schicksal, und wie jedes Schicksal erstens nicht mit allgemeinen Begriffen fassbar und zweitens überhaupt nur demjenigen zugänglich, der selber das gleiche Schicksal hat."

Identität ist etwas schicksalhaft Gegebenes, nicht etwas selbst Gewähltes oder Konstruiertes.

antwort kubitschek:
widerspruch. erzählungen, große "bilder", stiften identität. denken Sie bitte einmal daran, mit wem, mit welchen großereignissen der geschichte und mit welchen epochen wir uns nicht mehr identifizieren sollen. bei einem großteil verfängt diese neukonstruktion einer negativ-identität.

Hermann Karst

12. Juni 2015 08:09

"Was [...] ist Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; wenn ich es einem Fragenden erklären will, weiß ich es nicht."
(Augustinus, Confessiones, 11. Buch, 17. Kap.)

Nörgler

12. Juni 2015 08:42

@schatten von E.
Was zum Teufel ist „politischer Black Metal“?
Bin fifhtynine years old,but sometimes ei just verstähe dieses Geschmarri meiner jüngeren Zeitgenossen not anymore.Soll ich mich jetzt schon eindosen lassen?Helft mir doch bitte,Ritter des Zeitgeistes.Tschisess Greist.Amüsiert euch alle
in dieser Halle.

Thomas Wawerka

12. Juni 2015 10:27

Corax: Das eigene Ich braucht man nicht zu definieren, denn jeder ist ja von selbst schon sein eigenes Ich.

Noch nie eine Zeit der existenziellen Krise durchgemacht, wo Sie sich gefragt haben: "Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Was macht mich zu dem, der ich bin?" etc. pp. - Ich schon.

W. Wagner

12. Juni 2015 10:55

Ich hoffe, Sie bringen diesen Text ebenso wie den vom 8. Mai in Ihr neues Buch.

simon

12. Juni 2015 16:53

Also Jugendlich mögen heute viele Problem haben, zu viel historischen und kulturen Ballast mit sich zu schleppen, das gehört sicher nicht dazu.

Ich bin ziemlich sicher, dass eine Mehrheit der Jugendlichen weder weiß, wer Bruckner war, und bei der Definition des Begriffes "sakral" komplett scheitern.

Die Facebook und whats up generation ist von Geschichte ziemlich unbeleckt, allerdings auch von historischer "Schuld". Die wissen gar nicht mehr, was "Schuld" in diesem Sinne bedeutet und Nation und Überlieferung natürlich auch nicht.

Meyer

12. Juni 2015 17:29

Wären die Deutschen leichter, so wären sie schon lange nicht mehr.

waldgänger

12. Juni 2015 18:11

@ Kubitschek

widerspruch. erzählungen, große „bilder“, stiften identität. denken Sie bitte einmal daran, mit wem, mit welchen großen ereignissen der geschichte und mit welchen epochen wir uns nicht mehr identifizieren sollen. bei einem großteil verfängt diese neukonstruktion einer negativ-identität.

Wahrscheinlich habe ich mich unglücklich und zu kurz ausgedrückt.
Ich wollte eigentlich nur @ zarathustra zustimmen und betonen,
dass Identität etwas ist, was wir schicksalhaft empfangen haben, was uns von außen gegeben wurde und wird - durch die Eltern zum Beispiel oder durch besondere Erlebnisse und Erfahrungen, die uns prägen. Oder durch die Lügenpresse.

Ich stimme Ihnen zu. Natürlich sind diese Erzählungen und großen Bilder identitätsstiftend. Insofern ist es wichtig, wenigstens den eigenen Kindern derartige Erfahrungen zu vermitteln.

Und ja, es ist eine Schande, wie unter Leugnung und Verfälschung historischer Tatsachen (z.B. deutsche Wissenschafts- und Kulturleistungen des 19. Jahrhunderts) eine Neukonstruktion von Identität praktiziert wird.
Für derart Verbildete ist dieses Konstrukt dann leider ein Stückweit schicksalhaft empfangene Prägung und wird möglicherweise Teil der Identität.

Stil-Blüte

12. Juni 2015 18:51

@ Götz Kubitschek

wären wir leichter, wären wir nicht mehr.

(Götz Kubitschek)

Doch! Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Richard Strauß' 'Till Eulenspiegel' hörte, aber nicht wußte, was für ein Thema es hat, und ich unwillkürlich zu schmunzeln und zu tänzeln begann.

Sowohl als auch: 'Till Eulenspiegel' und 'Zarathustra', 'Siegfrieds Tod' und die 'Entführung aus dem Serail', 'Dr. Faustus' und 'Felix Krull', der schweigende 'Fischkopp' und die quirlige 'Kirsche' (Bezeichnung in Sachsen für ein Liebchen), das 'Heilige Deutschland' und Karl Valentin, die 'Johannespassion' und die 'Kaffeekantate'. 'Ein feste Burg ist unser Gott' und 'Wenn schon sündigen, dann kräftig...' Herbert von Karajan und Helge Schneider, Heimatfilm und R.M. Faßbinder, Linde und Eiche, 'Luftschloß' und 'Schadenfreude' (zwei deutsche Worte, die anderen Sprachen nicht zur Verfügung stehen), 'saure Wochen' und 'frohe Feste', Rheinischer Karneval und Passionsspiele, Ludwig Richter und Wilhelm Busch, 'Reinecke Fuchs' und 'Ferdinand, der Stier', der 'Taugenichts' und der Bastler im Keller des Einfamilienhauses, der Sonntagsbraten und der Eintopf - das alles ist für mich deutsch. Mir scheint, als lebe unser Geblüt und unser Gemüt gerade wegen der starken Kongraste.

Zugegeben - die deutschen Attribute liegen mehr im Vergangenen und werden heutzutage gnadenlos verramscht, durcheinander gemischt.

Zu dem Thema insgesamt:Ich versuche einen Vergleich betr. 'geheim': Schmeckt mir ein Gericht vorzüglich, muß ich nicht das Rezept kennen. Ich genieße. Schadet es aber, wenn ich es kennenlerne und nachkochen möchte?

Dem Sprößling (dem Böhnchen u n d Söhnchen) meinen Gruß!

Andreas Walter

12. Juni 2015 19:45

@simon

Historische Schuld? Die habe ich abgelegt als ich erkannt habe was sie ist. Oder meinen sie den Galiläer, der das auserwählte Volk hätte retten können wenn sie nur auf ihn gehört hätten? Oder sprechen sie von der Ursünde des Menschen im allgemeinen? Wer allerdings Hindu ist mag das Alles auch wieder anders sehen.

Was das Verhalten der jungen Menschen betrifft: Kondratjew hat doch bereits beschrieben, warum das so ist. Auf ihn wollten die Kommunisten doch auch nicht hören, haben ihn deshalb ermordet.

Ich bin trotzdem froh, dass mein Opa nur verwundet und nicht erschossen wurde von einem Sowjet. Seine Eltern übrigens, wie auch die meiner Oma mütterlicherseits, wurden durch die spanische Grippe und durch den Ersten Weltkrieg vorzeitig aus dem Leben genommen. Ich kann ja dafür mal einen Antrag auf Entschädigung stellen, mal sehen was passiert. Waren doch die Soldaten der VSA, die sie mitgebracht haben? Oder war es der erste Biowaffenangriff auf Europa? Zumindest wurde auch das schon mal den Deutschen unterstellt. Wie so vieles, was sich dann später alles nur als billige Propaganda herausgestellt hat. Dagegen habe ich persönlich die Deutschen eigentlich als recht friedliches Volk kennengelernt, im Gegensatz zu anderen Nationen.

Die andere Geschichte, die mit den abgehackten (Kinder)Händen, haben übrigens die Belgier aus Afrika mitgebracht, weil dort selbst praktiziert (Kongogräuel). Im Augenblick beschäftige ich mich nämlich damit wer eigentlich den Sklavenhändel auf weißer, auf europäischer Seite organisiert hat, weil mir ein Gerücht zu Ohren gekommen ist. Tja, wo viel Licht ist, da ist leider auch immer viel Schatten.

Schatten von E.

12. Juni 2015 20:43

@ Nörgler

Stöbern Sie mal bei Youtube unter Black Metal. Fangen Sie mit "Absurd" an.

@ Simon

Richtig. Die Jugend kann man nicht (alleine) mit Bruckner und Wagner beeindrucken. Jede Zeit hat ihre Instrumente und ihre Musik. Wir dürfen uns hier z.b. nicht der E-Gitarre verschließen.

Wagner hat das damals neu erfundene Saxophon prinzipiell abgelehnt, wofür er gute Gründe hatte. Hätte er, würde er heute leben, hingegen nicht selbst die E-Gitarre verwendet?

Zarathustra

13. Juni 2015 00:28

@ kubitschek

»erzählungen, große „bilder“, stiften identität. denken Sie bitte einmal daran, mit wem, mit welchen großereignissen der geschichte und mit welchen epochen wir uns nicht mehr identifizieren sollen. bei einem großteil verfängt diese neukonstruktion einer negativ-identität.«

Sehr geehrter Herr Kubitschek,

Da sollten wir vielleicht »die Strenge des Begriffs« nicht vermissen lassen und etwas genauer hinschauen: Zunächst würde ich hier zwischen Identität und Identifizierung (im Sinne des Sich-identifizierens mit etwas oder jemandem) unterscheiden:

Identität ist Selbigkeit, d.h. Der- und Dasselbe-sein. — Kann aber jeder jeder sein? und zwar nicht als passives Objekt einer im Heideggerschen Sinne »machenschaftlichen« Machens und Umformierens, sondern aus dem eigenem Vermögen heraus oder wenigstens mitverursacht durch seine eigene Veranlagung? Kann jeder Erdbewohner durch Erziehung deutsch empfinden?

Daß Identitätslosigkeit und Identitätsverlust durch Erziehung möglich sind (oder mit anderen Worten, daß deutsches Blut kein Garant für deutsches Empfinden ist) hat die alliierte Umerziehung zur Genüge demonstriert. Auch die Tatsache, daß die Nachfahren deutscher Auswanderer nach Amerika irgendwann nur Amerikaner waren, hat dies bereits vorher gezeigt. Aber daraus folgt noch lange nicht, daß umgekehrt durch Erzählungen, große Bilder und Erziehung ein deutsches Empfinden bei jedem Erdbewohner machenschaftlich machbar wäre. Der umgekehrte Fall der Amerikanisierung ist ja nur deshalb möglich, weil die amerikanische Identität kaum etwas voraussetzt.

Zwar sind Identifikationsgebote und -verbote (oder auch die sanfteren Identifikations- und Distanzierungs-Angebote) durch Erzählungen und Bilder Bedingungen unter anderem fürs Entstehen oder Vergehen von Identitäten, d.h. im Falle des Entstehenes dafür, daß jemand sich mit einer Gruppe, mit einem Volk oder auch mit seinen eigenen Vorfahren identifiziert, an ihnen ein Vorbild nimmt und in gewisser Hinsicht so wird, wie jene waren oder sind, d.h. daß er eine gewisse Selbigkeit (im Sinne des Selbig-seins) entwickelt und in diesem Sinne eine gewisse Identität bekommt; aber das heißt noch lange nicht, daß dieses Werden sich monokausal erklären ließe. Denn auch Bilder müssen erst aufgenommen werden und Erzählungen kann man so oder so hören. Man kann in ein und demselben Bild Unterschiedliches wahrnehmen, und es kommt sogar vor, daß jemand in einem Bild, das ihm zum propagandistisch-umerzieherischen Zwecke des Identifikationsverbots gezeigt wird, gerade etwas Sympathisches und Identifizierungswürdiges entdeckt.

Identifikationsgebote und -verbote »stiften« nicht monokausal eine Identität, sondern sind höchstens Mitverursacher von Selbig-werden und Selbig-sein. Die These, »Erzählungen, große ›Bilder‹, stiften Identität« scheint mir daher etwas zu monokausal gedacht zu sein.

Die in meinem ersten Beitrag angedeutete Schicksalhaftigkeit der Identität bedeutet ja nicht, daß es da gar keine Gestaltungsmöglichkeiten gäbe (Sonst würde ich auch in diesem Forum kein Wort verlieren), sondern deutet darauf hin, daß es beim Entstehen von Identitäten so etwas wie Nicht-empfinden-können und Nicht-sein-können gibt (auch im konkret leibhaften Sinne des Worts Sein), und daß Identität im strengen Sinne des Wortes, d.h. im Sinne der »geworfenen« Kernmöglichkeiten und Kern-unmöglichkeiten, die einen Menschen ausmachen (Sein jeweiliges Repertoire des »Nicht-empfinden-könnens« und »Nicht-sein-könnens«), nicht beliebig auswählbar ist.

Schicksalhaftigkeit in einer Hinsicht schließt Gestaltungsmöglichkeit in anderer Hinsicht nicht aus. Oder um es gut Heideggerianisch zu formulieren: Die Geworfenheit schließt den Entwurf nicht aus. Der Entwurf ist sogar erst dann ein echter Entwurf, wenn er aus der Geworfenheit kommt und den Schwung der Geworfenheit weiterführt.

Apropos Heidegger: Wenn Sie sich, wie aus Ihrem Sezessions-Sonderheft über Heidegger hervorgeht, für Heidegger interessieren, dann machen Sie das bitte so gründlich wie Ihnen nur möglich ist (Ich weiß, Sie haben auch viel Anderes zu tun). Was dieser Mann gedacht hat, gehört zu den entscheidendsten Dingen, die eine identitäre Wende brauchen könnte, und ich freue mich sehr, daß Martin Sellner und die Wiener Identitären sich mit ihm befassen.

Beste Grüße,
Zarathustra

Stil-Blüte

13. Juni 2015 01:13

Drei Fragen in die Runde:

1) Seit wann dürfen die Toten auf den Friedhöfen nur 25 Jahre 'in Frieden ruhen'?
2) Seit wann gibt es anonyme, namenlose Begräbnisse?
3) Wie lange dauert es, wenn, wie soeben geschehen, unsere Friedhöfe für muslimische Gebeine freigegeben werden, die dort bis in alle Ewigkeit ruhen müssen?

Gewöhnt habe ich ich mich beinahe an die schleichenden Umwidmungen der christlichen Gotteshäuser in Kulturschuppen, Wohnungen, Museen (ja, sogar in eine Synagoge in Cottbus). Die Kollekten gehen sonntags anonym nach Asien, Lateinamerika, Afrika - für das eigene Dach über den Kopf fehlt aber das Geld. So selbstzerstörerisch ist die christliche Religion geworden und kommt sich dabei wahrscheinlich auch noch barmherzig vor.

KW

13. Juni 2015 13:22

@ Götz Kubitschek, Sie beschreiben ein Leben, in dem das Geld nicht die Hauptrolle spielt. Die Musiker gaben trotz niedriger Eintrittspreise ihr Bestes, sie wollten keinen Beifall. Wir alle sollten Geld und Macht nicht zum Ziel des Lebens machen. Ich bin sehr dankbar, daß die Menschen in meinem Umfeld genauso denken. Man hat uns da etwas übergestülpt, was nicht zu uns paßt.

Irrlicht

13. Juni 2015 14:22

@Zarathustra
Nur eine etwas formalere Bemerkung: Identität im Sinne von Selbigkeit bezieht sich hier nicht auf einzelne Menschen, sondern auf eine kollektive Entität, auf die Deutschen, und läßt sich als Frage nach den Identitätskriterien begreifen. Dabei geht es nicht primär darum, was es bedeutet deutsch zu empfinden (im Sinn einer positiven Identifizierung), sondern darum was es (heute) inhaltlich bedeutet, zu diesem Kollektiv zu gehören, also deutsch zu sein. Die Entwicklung ab 1945 ist weniger durch einen Identitätsverlusts - oder verbot, sondern, getragen von entsprechenden Narrativen, durch die Konstruktion einer negativen Identität gekennzeichnet.

Andreas Walter

13. Juni 2015 14:54

Angesichts der derzeitigen Situation, meine Damen und Herren, ist es eigentlich ganz einfach, ein grosses Identifikationsbild zu haben - und das heisst Freiheit.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/tabea-roessner-zum-hacker-angriff-auf-den-bundestag-13642309.html

Einige scheinen sich jedoch noch nicht der Lage bewusst zu sein, in der wir uns tatsächlich bereits befinden und das wir von der nicht mehr vor-selektierten (Selektoren) Totalüberwachung (eine Frage der Speicherkapazität) höchstens noch 2,5 Jahre entfernt sind:

https://www.youtube.com/watch?v=xB80IRbStVE

Um Identität und Identifikation geht es also tatsächlich, doch in etwas anderer Form als wir hier noch diskutieren. Natürlich werden sie uns erzählen, die Russen, die Chinesen oder die Iraner sind's. Doch selbst das muss nicht der Wahrheit entsprechen.

KW

13. Juni 2015 16:09

Liebe Stilblüte, diese Fragen treiben mich ebenfalls umher. Meine Vorfahren in Ostpreußen liegen Jahrhunderte auf dem Friedhof, aber meine Mutter und Oma dürfen nur 30 Jahre liegen. Was läuft hier falsch? Wir sind doch geburtenarm???

Gustav Grambauer

13. Juni 2015 17:58

Stilblüte, KW

"Drei Fragen in die Runde"

Aber was haben Sie denn erwartet?!

Haben Sie eine Vorstellung davon, was Trauerredner für eine Mühe haben, sich zu einer 08-15-Biographie eines "transzendental Obdachlosen", der niemals über die Brot und Spiele der Spät- und Postmoderne hinaus einen Finger gerührt hatte, eine wenigstens einigermaßen "individuell" klingende Trauerrede abzuquälen?!

Wissen Sie eigentlich, was auf Trauerfeiern für "Musik" gespielt wird?! (Oft die "Lieblings-Charts" des Toten, oder sonst "I did it my Way" aus der Konserve.) Was auf Särgen für unfaßbar-infantiler Kitsch drapiert wird?! (Und bei alledem muß vor allem das "Preis-Leistungs-Verhältnis" stimmen: Plastik, Plastik, Plastik.)

Was die Leute so alles an "Souvenirs" ins Grab nachgeworfen bekommen?! (Günter Grass erst neulich seine Blechtrommel, damit Oskarchen im Jenseits auf ewig an ihm kleben möge.)

Wieviele (besser: wiewenige) Hinterbliebene, noch dazu in Turnschuhen, sich typischerweise in einer Großstadt noch den Weg auf den Friedhof machen, um einem Toten die letzte Ehre zu erweisen?!

Wer heftet sich heute noch einen schwarzen Balken an den Kragen?! (Welches "dynamisch-flexible und offene Team" würde für einen solchen Mitarbeiter allein wegen der inzidenten Provokation nicht noch am selben Tag einen Kündigungsgrund finden?!)

Sollte sich im Jahre 2015 tatsächlich noch einmal das Wort "Trauerzeit" in einer "Job Application" finden, wird diese unverzüglich mit einem Knopfdruck gelöscht. Für so etwas hat die Psychokybernetik die Diagnose "Anpassungsstörung" (ICD F 43.2) mit einenm "wissenschaftlich" genau standartisierten Verlauf (in vier vorschablonierten "Phasen" und mit entsprechenden Risikofaktoren, für die es nach dem Baukastensystem wiederum Vorsorgeprogramme auf primärer, sekundärer und tertiärer Ebene gibt). Wir reden hier von zwei, vielleicht drei Wochen Trauer.

Aber vieleschaffen ja nicht mal das.

- G. G.

Gustav Grambauer

13. Juni 2015 18:17

KW

Übrigens weil Sie von Ostpreußen schreiben:

https://www.youtube.com/watch?v=xPkgdmiK1qc

- G. G.

Leo

13. Juni 2015 19:07

Dass es so was noch gibt: Musik - und zum Schluß hin kein Beifall für die Musiker... Ich muß also mal wieder zu Helmrath. Danke für den Tip. (Ist ja auch nicht so weit.)

Kein Beifall: War früher gang und gäbe.
Bis '89 war es z.B. in der Ost-Berliner Bischofskirche so, daß schon auf den Eintrittskarten für Johannes-, Matthäus-, Brockes- oder sonstige Passion höflich darauf hingewiesen wurde, von Beifallsbekundungen Abstand zu nehmen. Die anderthalb Klatscher wurden von den Hunderten bereits Kundigen umgehend darauf verwiesen - und dann zog die Zuhörerschaft, nein, die gehört habende Gemeinde aus... Hat auch mich als Sänger verblüfft. (Und meine Freundin hat es nicht verstanden: Wozu dienet dieser Unrat?)

Tradition im nicht-sakralen Raum hat es m.W. nur noch beim traditionellen Sinfoniekonzert in Dresden an jedem 13. Februar. Jeder Dresdner, der dorthin geht, weiß das.

Ja... vielleicht ist das, war das typisch deutsch.
Das gedruckte wie das gesungene Wort hatte Bedeutung.

Zarathustra

13. Juni 2015 19:11

@ Irrlicht

»Dabei geht es […] darum, was es (heute) inhaltlich bedeutet, zu diesem Kollektiv zu gehören, also deutsch zu sein«

Welches Kollektiv meinen Sie? Die Gesamtheit all derjenigen, deren Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern deutsche Staatsbürger sind oder waren? Wann hört jemand auf, zu »diesem Kollektiv« zu gehören? Mit dem juristischen Akt der Aufnahme einer anderen Staatsangehörigkeit (z.B. der amerikanischen)? Oder damit, daß er selber sich nicht mehr dazugehörig fühlt? Gehört für Sie z.B. der Salafist Pierre Vogel zu »diesem Kollektiv«? Oder ein Antideutscher, der lieber ein Amerikaner wäre? Wenn nicht, wie definieren Sie »dieses Kollektiv«?

Methodisch präzisiert: Entweder weiß man schon im Voraus, was man mit »diesem Kollektiv« meint; und dann hat man damit implizit auch die Frage nach Deutsch-sein beantwortet: Dann gehört zu Deutsch-sein einfach alles, was die Mitglieder dieses Kollektivs sind. Dann ist man nicht mehr weit von Christian Wolfs Position »Der Islam gehört auch zu Deutschland«. —— Oder man meint mit Deutsch-sein etwas anderes, etwas tieferes und geistigeres, vielleicht sogar ein »geheimes Deutschland«, wie Götz Kubitschek es formulierte. Dann können Sie vielleicht auch verstehen, warum ich vom »Deutsch-empfinden« gesprochen habe.

»Die Entwicklung ab 1945 ist weniger durch einen Identitätsverlust – oder verbot, sondern, getragen von entsprechenden Narrativen, durch die Konstruktion einer negativen Identität gekennzeichnet.«

Sie haben Recht: Die nachkriegszeitliche Exorzierung der altdeutschen Art ging mit einer verteufelnden Verfälschung des Bilds der altdeutschen Art einher. Sie war kein einfaches Verbieten. Was Sie und Götz Kubitschek die »Konstruktion einer negativen Identität« nennen, würde ich allerdings eher die Konstruktion eines falschen Identitätsbilds nennen. Denn dadurch wurde streng genommen keine Identität (kein Sein) gebildet.

Am Vorrang des Identitätsverlusts würde ich allerdings festhalten, denn die alliierte Diabologie hatte nicht nur die Funktion, die Deutschen als ewige »Nazis« zu stigmatisieren und erpressbar zu halten, sondern diente in der BRD vor allem einer allmählichen Verwestlichung und Amerikanisierung, die zum faktischen Bruch von Traditionslinien und zum faktischen Identitätsverlust (d.h. zum Erlöschen von gelebten Seinsweisen) führte.

Viele Grüße,
Zarathustra

Arminius Arndt

13. Juni 2015 19:24

@Schatten von E.

Bruckner meets Industrial:

https://www.youtube.com/watch?v=IVppTaJMULo

Ein Evergreen und Tanzflächenfüller in der wirklich "schwarzen" Szene - wundert mich, dass dieses alte Lied noch keiner verlinkt hat.

nörgler

13. Juni 2015 21:55

@Schatten von E.
Ihrem Ratschlag zu gurgeln bin ich nachgekommen.
Sie haben recht,nach sehr kurzer Recherche war mir das klar.Wieder was gelernt,und das in meinem hohen Alter.Die Musikrichtung ist zwar nicht unbedingt „mein Ding“,aber in der Sache(was politische Ausrichtung oder generell Dimension betrifft)sind Sie doch besser informiert als ich dachte.Nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.

Irrlicht

13. Juni 2015 22:41

@Zarathustra
Mit dem Terminus "die Deutschen" meine ich genau das Kollektiv, das vortheoretisch im Deutschen mit "die Deutschen" bezeichnet wird, vorgängig for einer extensionalen (wer gehört dazu?) oder intensionalen (was macht das Deutsche inhaltlich aus?) Explikation, und auch vorgängig vor der Festlegung, ob der Begriff überzeitlich oder als synchroner Schnitt aufzufassen ist. Wünschenswert wäre eine Realdefinition, wobei ich eine präzise Definition, wie bei fast allen interessanten Begriffen, für nicht möglich halte. Der Terminus stellt eher einen theoretischen Begriff, dessen Grundbedeutung der Alltagsprache entnommen ist und der sich durch eine Explikation lediglich partiell charakterisieren und präzisieren läßt, dar.

Der Gutmensch

14. Juni 2015 10:23

... schöne Debatte über "Identität" und "sich identifizieren"; wirklich! Ist alles berechtigt; incl. G.G.s tiefschwarzer Bilder. Und ich bin mir sicher, Heidegger hat´s ausgerätselt; dennoch schaue ich lieber selber hin, weil ich einfach keinem trauen mag: Und stelle dabei fest, dass es zwar fast unmöglich ist, eine Identität zu definieren, dass das aber andere nicht davon abhält, dieselbe effektiv zu zerstören! Denn die Identität eines Menschen scheint hierarchisch aufgebaut zu sein; vergleichbar mit der Maslowschen Bedürfnispyramide: Zunächst mal muss ich wohl festhalten, ob ich nun Weibchen oder Männchen bin - dann hab ich irgenwann vielleicht die Kapazitäten frei, festzustellen, ob mich der Ehrgeiz plagt, ein Hochschulstudium zu absolvieren und/oder eine Brücke zu bauen bzw. ein Instrument zu spielen. Schaut man sich die Gender-Beauftragten an, bestätigt sich genau das: Die (individuell sicher spannende!) Frage, welchem oder ob sie überhaupt einem bekannten Geschlecht angehören (möchten) bindet ersichtlich sämtliche ihrer Kapazitäten (und die unseren, wenn wir nicht die Füße in die Hand nehmen, denn der Leidensdruck der Genderbeauftragten resultiert in einem schier unendlichen Mitteilungsbedürfnis; so ist das nämlich bei Neurotikern)!

Und auf einen größeren Rahmen übertragen: Erst müssen wir mal entscheiden, wer alles dazu gehören soll, wo wir zu Hause sind und dass das ein exklusives Zuhause ist - dann können wir feststellen, dass wir ein Volk sind! Ganz genau so sieht es nämlich auch das Völkerrecht, was man sich in dieser bizarren Situation gar nicht häufig genug vor Augen halten kann:

Wir (!!) erwägen doch tatsächlich, uns mit dem nuklearwaffenbewehrten Putin anzulegen, weil die Ukraine über ein eigenes Volk, ein eigenes Gebiet und eigene Macht (haha) verfügen möchte! Andererseits ächten wir jeden Antwortversuch auf die Frage, wie sich das deutsche denn von anderen Völkern unterscheidet, geben unser Gebiet jedem beliebigen Wirtschaftsflüchtling preis (indem wir die Grenzen trotz schlimmer Überforderung der Daseinsvorsorge und inneren Sicherheit offen halten) und verdammen hartnäckig jede Möglichkeit, hier unter uns zu bleiben, als "inhuman"!

So "prasselblöde" (ein wirklich göttlicher Ausdruck aus dem schönen Dresden) diese Situation zu verkennen, kann doch ersichtlich kein erwachsener Mensch sein; nicht mal ein Politiker! Bleibt die Alternative: Wer uns so kommt, führt etwas im Schilde. Oder, um es mit Wolfgang Schäuble zu sagen: "Die Politik ist zurückgekehrt!" Ich schließe mit einem Bild aus "shining": "Honey - I´m home ....".

Der Gutmensch.

Zarathustra

14. Juni 2015 12:20

@ Irrlicht

»Der Terminus stellt eher einen theoretischen Begriff, dessen Grundbedeutung der Alltagsprache entnommen ist und der sich durch eine Explikation lediglich partiell charakterisieren und präzisieren läßt, dar.«

Die Fragerichtung von Götz Kubitscheks Artikel war aber eine ganz andere, und nur so ist die Frage nach »dem Deutschen und seinem Ort« überhaupt interessant:

Eine Gleichsetzung des deutschen Wesens mit dem, was alltagssprachlich mit dem Wort Deutsch genannt wird, schützt zwar vor dem lügenjournaillistischen Sprachgebrauch (vgl. Manfred Kleine-Hartlages Die Sprache der BRD, Eintrag »Deutsch«), bei dem etwa eine Nachricht über einen arabischen Djihadisten mit deutschem Paß als »Deutscher Djihadist sprengt sich in die Luft etc.« betitelt wird; aber angesichts der zunehmenden Amerikanisierung bedeutet eine solche Gleichsetzung mehr und mehr, Deutsch-sein sei die Art »dieser« weißen Global-Aamerikaner, was – wenn es so weiter geht – in ein paar Jahrzehnten kaum etwas anderes sein wird als einfach die Art der weißen Amerikaner. Was dieses »Deutsch-sein« mit Wagner und Bruckner, mit Hölderlin und Heidegger zu tun hat, können Sie sich vorstellen.

Wo durch die Amerikanisierung Tag für Tag Fakten geschaffen werden, darf der metapolitische Kämpfer nicht diesen Fakten hinterherrennen, indem er sich von ihnen vorschreiben läßt, was das Ziel der eigenen konservativen Bestrebungen ist. Er muß aus eigener Kraft bestimmen können, wofür er kämpft. Er muß im Carl-Schmittschen Sinne von sich aus bestimmen, wer Freund und wer Feind ist, d.h. was man als Deutsch-sein gelten lassen darf und was nicht.

Ein Konservatismus, der auf die Erhaltung dessen aus ist, was nach der allerneuesten Deutung als Deutsch verstanden wird, macht sich zum Spielball derjenigen Kräfte, die diese Sinnverschiebungen bewerkstelligen, und ist kaum etwas anderes als eine Variante des CDU-Konservatismus, welcher dem linksliberalen Zeitgeist nur hinterherrennt. Bewahren wir uns davor.

Viele Grüße,
Zarathustra

Waldgänger

14. Juni 2015 13:44

Wunderbare Sätze:

Schwer zu sein ist angemessen unter dem Eindruck des Erbes. Wären wir leichter, wären wir nicht mehr wir.

Allerdings muss eben leider das Wort "wir" betont werden.

Denn während wir etwas spüren, wenn wir Bruckner hören, einen mittelalterlichen Dom betreten oder alte Filmaufnahmen des kaiserlichen Deutschlands von 1900 sehen, ist das bei anderen das ja eben nicht der Fall.

Interessant die Frage, welche verwertbaren Reste von deutschem Identitätsbewusstsein heute in der Mehrheitsgesellschaft noch vorhanden sind.
Und beinahe noch wichtiger: Was ist die verwertbare positive Schnittmenge in den real existierenden Einzelidentitäten der heutigen Deutschen?

Gibt es Bereiche des Identitätsbewusstseins, die sich der Umerziehung und Propaganda weitgehend entziehen und die dennoch wichtig sind? Ich denke ja, z.B. die Prägung durch einen bestimmten Naturraum, die Sprache und Alltagssitten.

Sind diese Dinge, die man im Gegensatz zum Geschichts- und Kulturbewusstsein als basale oder niedrigschwellige Identitätsaspekte bezeichnen könnte, belanglos oder lässt sich hier anknüpfen?
Man wird hieran anknüpfen müssen.

Weltversteher

14. Juni 2015 17:26

Was das unterlassene Geklatsche angeht, ganz meine Zustimmung. Ich habe mich jedoch schon oft gefragt, mit welcher Geste man den solchermaßen offenen Schluß auflösen könnte? Denn darum geht es doch auch: eine gemeinschaftsstiftende, abschließende Handlung.
Meinetwegen ein bedächtiges Nicken oder ein knappes Grunzen, aber wie die Autisten davontappen?

Irrlicht

14. Juni 2015 23:02

@Zarathustra
Sie haben den zitierten Satz nicht verstanden. Er bedeutet nicht, dass ich "deutsche Wesen" mit der aktuellen alltagssprachlichen Verwendung des Terminus "deutsch" gleichsetze, sondern impliziert nur, dass sich ein Terminus nicht nach Belieben definieren läßt, wenn die Definition nicht bloß eine Stipulation sein soll.

Der Gutmensch

15. Juni 2015 09:50

"Er muß im Carl-Schmittschen Sinne von sich aus bestimmen, wer Freund und wer Feind ist, d.h. was man als Deutsch-sein gelten lassen darf und was nicht."

Vielleicht sollten wir freundlich sein und damit beginnen, zu fragen wer hier überhaupt noch Deutscher sein will? Der deutsche Paß sollte niemandem aufgezwungen werden, das ist ja respektlos (vor dem unfreiwilligen Inhaber und vor dem, was der Pass repräsentiert).

Der Gutmensch.

Schatten von E.

15. Juni 2015 21:08

@ Arminius Arndt

Danke für den Hinweis. Nicht schlecht.

Ich kann es nicht erklären, warum mich die klassische Musik mittlerweile depressiv macht. Es ist wohl das Unfassbare, die Ahnung, was an Genialem verloren geht, wenn kein Wunder geschieht. Vielleicht schaut der Abgrund schon zu sehr in mich.

Hier noch was für Sezessionisten zur "musikalischen Versöhnung".

https://www.youtube.com/watch?v=omqqGViq3Ng

Zarathustra

15. Juni 2015 22:18

@ Der Gutmensch

Im von Ihnen zitierten Satz von mir geht es ums »Deutsch-sein«, d.h. ums deutsche Wesen (im vorwiegend normativen Sinne), und nicht ums »Deutscher sein« (im deskriptiven Sinne). Es geht nicht um »die Deutschen«, sondern um »das Deutsche«, also um jenes »geheime Deutschland«, von dem Kubitschek geschrieben hatte.

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@ Irrlicht

Mag sein. Sie haben mit »dem Terminus« die Deutschen gemeint, ich habe aber in dem Augenblick ans Deutsch-sein gedacht (siehe auch meine Antwort an @ Der Gutmensch). Meine darauffolgenden metapolitischen Überlegungen bleiben allerdings von dieser Verwechslung unberührt.

Überhaupt: Hier geht es nicht um sprachphilosophische Wortspaltereien, sondern um Strategien für den konkreten metapolitischen Kampf.

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P.S. an alle Kommentatoren: Für mich ist diese Diskussion hiermit beendet.

ene

16. Juni 2015 09:49

Liebe Stil-blüte,
das ist gar nichts Neues!
Die Platzfrage gibt es schon seit Jahrhunderten und sie ist auf verschiedene Weise gelöst worden: Verlagerung der Bestattungen vor die Stadttore, Sammeln der Gebeine. Siehe Karner in Österreich, ossuaire in Frankreich (speziell Bretagne), überhaupt das Thema "Beinhaus".

Eine Leseempfehlung - wirklich interessant und keineswegs bedrückend , wie der Titel vielleicht vermuten läßt:

Philippe Ariès: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.