Wobei die Aussicht, dort auf 625.000 Freunde, Mitbürger, Respektpersonen etc. zu treffen, auch im nachhinein nicht sehr verlockend klingt. Dafür durfte ich (teilweise) lesen, was unsere intellektuelle Elite aus diesem Anlaß zu Papier gebracht hat. Volker Zastrow unter der Überschrift “Feiern im Spielzeugland” in der FAZ. Der “Mord an Ohnesorg”
war der Auftakt zum Terrorismus in der Bundesrepublik und zugleich zur Durchsetzung des Antifaschismus, einer ursprünglich kommunistischen Lehre, die vierzig Jahre danach unfassbarerweise Gemeingut geworden ist. Wer heute sagt, auch im Dritten Reich habe Omas Apfelkuchen gut geschmeckt, aber auch, wie verzwickt und verdruckst das Leben in einer Diktatur für fast alle Menschen ist, für die Mehrheit der Verirrten und Verängstigten, der schwebt schon in Gefahr, sich konkludenter Holocaust-Leugnung schuldig zu machen, Verbrecher im Geiste zu werden. Die rituelle Vergangenheitsbewältigung folgt selbst den Maßstäben des Spielzeuglands, Erkenntnisse müssen verfilmbar sein von Tarantino, darstellbar von Brad Cruise oder Tom Pitt.
Ralph Giordano unter der Überschrift “Mein Deutschland” in der Jüdischen Allgemeinen:
Aber ich will, dass das Deutschland von heute weiß, dass in ihm immer noch Augenzeugen weilen, die vergeben, aber nicht vergessen können. Menschen, die beim unfreiwilligen Einatmen der Auspuffschwaden im Stau des motorisierten Wohlstandsblechs unweigerlich an die Krematorien von Auschwitz, an die Gaswagen von Chelmno denken; denen beim Anblick jeder Wunde, jeden Tropfen Bluts die Schreckensbilder von Babi Jar, von Lidice und Sobibor vor Augen stehen; Menschen, über deren Lippen nie mehr das Wort „Einsatz” kommt, nachdem es die mobilen Mordkommandos der „Einsatzgruppen” gegeben hat. Nie wieder.
Erstaunliche Bandbreite. Immerhin. Werden wahrscheinlich beide trotzdem unter den 625.000 gewesen sein.
Bild: Joachim Kulicke (www.pixelio.de).