Hatte es ursprünglich „nur“ um Erziehung zu Toleranz und die erzwungene Akzeptanz (ein Widerspruch!) „anderer Lebensentwürfe“ gehen sollen, haben Kretschmann und Genossen nun über die linke Bundesratsmehrheit erneut den Versuch unternommen, homosexuelle Verbindungen zivilrechtlich vollständig mit der Ehe gleichzustellen.
Die Unterschiede sind zwar ohnehin nur noch marginal, nachdem frühere Regierungen Schritt für Schritt Privilegien an gleichgeschlechtliche Partnerschaften verteilt hatten, aber nun will man endgültig alles: den Namen „Ehe“, das Volladoptionsrecht und wahrscheinlich am besten ein großes „Toleranzlager“ für alle, die es wagen, eine abweichende Meinung zu äußern. Über einige Hintergründe der politisch-medialen Vorstöße in Sachen Gender-Mainstreaming, Frühsexualisierung und Homosexuellenpropaganda hatte ich bereits vor einiger Zeit berichtet. Zwei Kundgebungen geben nun den Anlaß, dem einige Beobachtungen nachzuschicken.
Am vergangenen Sonntag trafen sich erneut Christen aller großen Konfessionen, aber auch säkulare Bürgerrechtler und aufgeschreckte Eltern, um gegen die Pläne – und z. T. schon in Umsetzung befindlichen Vorhaben – der baden-württembergischen Landesregierung zu demonstrieren. Mit 4600 Demonstranten hat sich die Teilnehmerzahl seit dem letzten Mal fast verdoppelt, die Veranstalter dürfen sehr zufrieden mit sich sein. Auch bei wiederholtem Besuch erstaunt und erfreut die Klientel, die eine solche Veranstaltung besucht. Wer eifernde Frömmler erwartet, wird enttäuscht; es treffen sich überwiegend bürgerliche Familien mit guten Manieren. Wäre der Begriff noch zu erkennen unter der darum gelegten Schlacke von hypermoralischen sowie ‑alarmistischen Phrasen, könnte man diese Demonstranten die „Mitte der Gesellschaft“ nennen.
Manfred Kleine-Hartlages Analyse dieses Begriffs lehrt, daß die in dieser „Mitte“ (mit dem von ihr ausgehenden angeblichen „Extremismus“) entstehende Skepsis gegen die Regierungen und umgekehrt die Skepsis der Regierungen gegen die Mitte in dem Maße zunehmen muß, in dem die Politik von den Wünschen und Interessen der Mehrheit der Bürger abweicht und immer weiter nach links driftet. Die auf der Demonstration geführten Gespräche bestätigen das: auch wenn mancher sich noch Hoffnungen auf die CDU oder zumindest die AfD macht, haben doch viele mit „denen da oben“ innerlich abgeschlossen und eingesehen, daß die Politik sich nicht um die Bürger schert, sondern das Gegenteil wünscht. Auch über die internationalen Verflechtungen der Gender- und Schwulenaktivisten bestehen keine Illusionen: „Christ-Demokraten als sexuelle Revolutionsführer der UN und EU – Schämt Euch!“ ist auf einem Schild zu lesen. Ein anderes verkündet: „DAS ist der Aufstand der Anständigen!“.
Der Treppenwitz dieser Veranstaltungen ist aber ihre „Buntheit“, „bunt“ nicht verstanden im Sinne der „Utopie einer völligen Uniformierung des Planeten“ (noch einmal Kleine-Hartlage), sondern im Sinne tatsächlicher vielfältiger Differenz. Konrad Gill sah in Stuttgart: Krawatte und Heavy-Metal-Hemd, schwarzes Kraushaar und blonde Kinder, Rollstuhlfahrer und Athleten, Greise und Säuglinge, schmucken Zopf und Rasta-Schopf. Ein Schwarzer hatte seine Bibel dabei, ein anderer eine afrikanische Trommel, und ein paar Meter entfernt standen kernige Jungs mit dem Aufdruck „Still not loving Antifa“ auf der Brust und einem Transparent in Händen.
Diese Mischung ist einerseits schwindelerregend grenzüberschreitend in mehrfacher Hinsicht, grotesk und nur unter gesamtgesellschaftlichen Ausnahmebedingungen möglich; andererseits ist sie ein hochinteressantes Beispiel für die Verflüssigung vormals eindeutiger Frontlinien und Milieuverortungen. Sollte sich tatsächlich einmal ein Gegendemonstrant in die Reihen der „Demo für alle“ verirren, drohte die ernstliche Gefahr der „ideologischen Deprogrammierung“ (ein letztes Mal Kleine-Hartlage).
Und noch ein sehr positiver Eindruck: es ist kein Philisterkonvent, der hier tagt, sondern eine ungewöhnlich junge Versammlung. Geschätzt die Hälfte der Demonstrationsteilnehmer war unter 30 Jahre alt, etwa 30 Prozent unter 20 Jahre; dabei keineswegs nur von den Eltern mitgebrachte Kinder, sondern auch Schüler, Jugendliche und junge Erwachsene. Wie auch immer die politische Entwicklung weiterlaufen wird: die Erfahrung dieses konservativen Widerstands in nach innen harmonisch-freundlicher, nach außen kämpferisch-selbstbewußter Stimmung mit einem grölenden Antifa-Haufen als Begleitmusik wird den jungen Leuten niemand mehr nehmen.
Doch Stuttgart ist nicht Rom, noch nicht. Dort nämlich trafen sich am Vortag (Samstag) mehr als 1.000.000 Menschen (so berichtet die der Sympathien unverdächtige linksliberale „Repubblica“, die deutschen „Qualitätsmedien“, dpa, meldeten „gut 300.000“), um mit der genau gleichen Zielrichtung auf die Straße zu gehen: gegen „Gender“, gegen die Privilegierung von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten, für den Erhalt der „traditionellen“ Familie (also: der Familie) als Keimzelle der Gesellschaft. Unter dem Motto „Family Day“ demonstrierten hauptsächlich Katholiken, doch auf der Bühne sprach auch ein Imam, der Oberrabiner sandte ein Grußwort. Es war die größte Demonstration für die Familie und gegen Gender-Mainstreaming in Europa seit den großen Kundgebungen in Paris 2013.
Rom und Stuttgart, trotz aller Größenunterschiede – Wie sich die Aktionen und Reaktionen gleichen! Hier wie dort ein ganz ähnliches Milieu der Teilnehmer („normale Leute“, arbeitende Bevölkerung), die exakt gleichen Themen und so schlichte wie zutreffende Parolen: „Wir sind hier, um unsere Kinder zu schützen“. Hier wir dort treffen wir auch ähnliche Verunglimpfungen durch die getroffenen Hunde. Während sich in der Bundesrepublik der zwangsgebührenfinanzierte Rotfunk Mühe gab, so zu tun, als hätte er versucht, einen neutralen Fernsehbeitrag zu schneiden – und doch nur Geraune von „Neuen Rechten“ unter Absehung von jeglicher Argumentation dabei herauskam –, bezeichnete in Italien ein einschlägiger Schwulenlobbyist den „Familiy Day“ als
unnütz und haßerfüllt, (…) erbärmlich wie alle rassistischen [sic!] Demonstrationen,
während ein Staatssekretär in erfrischender Offenheit zu verstehen gab, es handele sich um
eine bizarre Demonstration gegen Rechte, aber die Regierung hat [bereits] entschieden.
Ein Video aus Rom zeigt eine Veranstaltung mit Volksfestcharakter, aber auch einige handfeste Männer, die es mit der „Verteidigung“ der Familie sehr ernst zu meinen scheinen. Genauso lassen sich in Stuttgart stolze, starke Väter treffen, die zur Abwehr jeglicher Zumutung keines Staates bedürften – käme die Zumutung nicht genau von dort. Andererseits wurden die italienischen Aktivisten von Spitzenpolitikern und Kirchenhäuptern unterstützt; in Stuttgart meldeten sich per Grußbotschaft zwei Bundestagsabgeordnete und ein Weihbischof zu Wort und auf Nachfragen der Initiative haben weitere Abgeordnete ihre Ablehnung zumindest von Leihmutterschaft und Homo-Ehe bekundet. Die saarländische Ministerpräsidentin erwog gar vernünftige Argumente und dachte weiter, was man ja von CDU-Politikern überhaupt nicht mehr gewohnt ist, wobei da die im Frühjahr 2017 anstehende Wahl schon genauso eine Rolle spielen mag wie die baden-württembergische 2016.
Zu den wenigen im medialen Hauptstrom geduldeten Publizisten, die verstanden haben und aussprechen, worum es Politik, Medien und Industrie eigentlich geht bei ihren „Akzeptanz“-Programmen, gehört Alexander Kissler vom Cicero. Angesichts einer (nach mehreren gescheiterten Anläufen: erneuten) Handlungsempfehlung aus dem EU-Parlament, dem „Noichl-Bericht“, braucht er kaum mehr als daraus zu zitieren, um darzustellen,
[d]ass Gender angewandter Feminismus ist mit latent androphoben Zügen. Dass durch Gender Mainstreaming sämtliche, auch private Bereiche des Zusammenlebens reorganisiert werden sollen. Und dass drittens das behauptete Ziel – die „vollständige Gleichstellung der Geschlechter“ – aus wirtschaftlichen Erwägungen in den Rang einer Schicksalsfrage erhoben wird. Letztlich ist Gender das effektivste Mittel, „das Wirtschaftspotenzial der EU deutlich zu stärken“.
Der Bericht scheut sich nicht, Frauen als „Humankapital“ zu bezeichnen, dessen „umfassende Nutzung“ geboten sei (…), weil nur so „das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit in der EU“ zu neuen Höhen geführt werden können. Frauen dürfen nicht, nein, sie müssen „alle Talente in den Produktionsapparat“ einbringen, müssen beitragen zu „Arbeitsmarkteffizienz und ‑fluidität“, damit die Rendite stimmt, die Firma brummt. (…) Schleierhaft und mysteriös, wie eine parlamentarische Mehrheit zu dieser Selbstpreisgabe des Menschlichen auf dem Altar der wirtschaftlichen Ausbeutung je ihr Ja geben konnte.
Dies als wahr unterstellt, würde der „antifaschistische“ Widerstand gegen die „Demos für alle“ noch absurder, wären wir es nicht schon gewohnt, daß die eifrigsten Linksextremisten bloß die nützlichen Idioten für das Großkapital abgeben.
Wie die Politik auf den anhaltenden bürgerlichen Protest reagieren wird, ist noch nicht abzusehen. Wer glaubt, hier auf die Beharrungskräfte der Politik allein verweisen und den Widerstand für sinnlos erklären zu können, unterschätzt vielleicht die Angst der Landtagsabgeordneten und nachgeordneten Funktionäre vor unterbleibender Wiederwahl und ihre Hoffnung auf Abwahl der derzeitigen Regierung. Die gegen den Bildungsplan gerichtete Petition hatten fast 90.000 Landeskinder unterschrieben, das ist nicht zu vernachlässigen. Ganz gleich, ob die Parteioberen das wollen: wenn die CDU, deren Landesverband allen Anpassungsritualen zum Trotz in der Basis zu den konservativsten in Deutschland gehören dürfte, wieder die Regierungsgeschäfte führen will, muß sie geradezu eine Gegenposition zur grün-roten Politik einnehmen.
Und dabei wird sie in sehr interessante Gesellschaft und Konkurrenz geraten, denkt man daran, daß die AfD sich längst eingereiht hat in die Phalanx der Widerständler und daß die Junge Freiheit massiv versucht, über diese Proteste Neuabonnenten zu gewinnen – in Stuttgart fuhr sogar ein JF-Automobil herum, daß mit auf die Anti-Gender-Mainstreaming-Kampagne zugeschnittenen Parolen und Bildern bedruckt war.
Es sollte also niemand diese Auseinandersetzungen im Südwesten unterschätzen. Für Alexander Kissler wäre der Ausgang des „Gleichstellungsprojekts (…) hochsymptomatisch“ für den Zustand des Gesamtsystems EU:
Sein Sieg wäre der Triumph des Kapitals über den Menschen.
Ausgang: offen
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+ Bilder zur Stuttgarter Demo bei der Identitären Bewegung und der Sonderseite zur Kampagne “Demo für Alle: Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder”
+ Neuerscheinung zum Thema: Johannes Rogalla von Bieberstein: Schwulenkult und feministischer Geschlechterkampf, Graz: Ares 2015, 144 S., 14.95 €
Eveline
Langsam verstehe ich, Jesus ist (mußte ?) in einem Stall geboren werden.
Es ist auch heute gut, sein Kind nicht zählen zu lassen.