Die Zeit, sie ruft nach entschlossenen Schritten und mutigen Schnitten! Doch liegt nicht vielleicht im politischen Handeln selbst die Gefahr der Verstrickung in die Welt der Lüge, der Intrige, der Falschheit? Wäre nicht eher der konsequente Rückzug aus der Welt des Politischen das Gebot der Stunde?
Wie ein dicker Panzer aus Eis hat sich die kalte, die berechende und planende Ausbeutung von Mensch, Kultur und Natur über alles Leben geschoben. Es herrscht tiefer Winter. Weltenwinter. Es herrscht Erstarrung durch Mechanik, Apparatur, Organisation.
Das Politische ist selbst ein Teil dieses Eispanzers. Damit meine ich nicht nur die etablierte Politik oder eine bestimmte politische Richtung, sondern das Politische als Kategorie menschlichen Handelns schlechthin. Das Politische selbst ist technokratischer Panzer, es fehlt ihm die lebendige Seele, es ist inhuman, unmenschlich. Man merkt es nicht nur beim Blick auf die Strukturen von Berlin oder Brüssel, sondern auch, wenn man sich konservative oder rechte Projekte der letzten Zeit einmal näher anschaut:
AfD, PEGIDA, die Identitären. Zwar war überall zunächst der Funke der Begeisterung da, der Drang zur Mobilisierung neuer Ideen, das Hochgefühl der geglückten Aktion – alles Ausdruck von Leidenschaft, von Seele. Doch das ist noch nicht das Politische. Das Politische beginnt dort, wo die Kräfte organisiert, wo sie gebündelt und zielgerichtet eingesetzt werden, wo sie Veränderung bewirken können (echte und substanzielle Veränderung – nicht bloße mediale Aufmerksamkeit).
Wenn die Sphäre des Politischen beispielsweise durch Wahlerfolge und parlamentarische Konkretisierung wie im Fall der AfD erreicht wird, beginnt die Verstrickungsmacht des Politischen sich umgehend auszuwirken – man stolpert als politischer Akteur über die erstbesten Fallstricke, verfängt sich in den von den Etablierten eilends ausgeworfenen Netzen, wird sofort durch das Gift der Lüge, Intrige und Falschheit paralysiert (daß man damit leben – und davon sogar gut leben kann – beweisen die Politiker der Altparteien).
Ähnliches konnte man auch im außerparlamentarischen Raum am Beispiel der PEGIDA beobachten – kaum wurden Anfänge einer wärmenden Gemeinschaft, einer Stiftung von Identität umrisshaft erkennbar, setzte die Vergiftungs- und Paralysierungsmechanik des Politischen ein. Man greift zu kurz, wenn man hier nur den politischen Gegner und seine auf Alternativlosigkeit getrimmte „Lügenpresse“ am Werk sieht. Es ist die Verstrickung in das Politische selbst.
Man kann auch Parallelen ziehen zur politischen Landschaft der Weimarer Zeit und den zahlreichen kleinen und winzigen, sich rechts verortenden politischen Gruppen und Bewegungen, die sich auf dem Weg zur politischen Einflußnahme sofort in genau dieser Verstrickung wiederfanden (und zwar verstrickt bereits in Scharmützel untereinander).
Einige der damals auf nationalrevolutionärer Seite agierenden Geister – Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger und Friedrich Hielscher – haben das dann sehr deutlich gesehen. Der Letztgenannte zog daraus relativ früh schon erstaunliche Konsequenzen, über die das Nachdenken sich durchaus lohnt. Um den Keim des Lebens über den Winter zu retten (ein Winter, der sich weit über das Ende des Nationalsozialismus hinaus erstreckte), um im Frühjahr neues Leben und neue Gemeinschaft zu begründen, bedarf es nicht des Politischen und erst recht nicht des Staates. Es bedarf zuallererst einer Religion, es bedarf einer Kirche. Wohlgemerkt: Einer, und zwar nicht etwa der christlichen.
Der vormalige Nationalrevolutionär Friedrich Hielscher gründete eine neue Religion, eine neue Kirche, die sogenannte Unabhängige Freikirche (UFK). Von hier aus – später, nicht sofort – das Politische neu zu denken und neu zu beleben war eines der Anliegen. Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus durften weiterhin gelten als andere Versuche, den alleinwirklichen Gott zu fassen.
Jede Religion erkennt nur einen Teil der göttlichen Alleinwirklichkeit, die – das war ein spezifischer Ansatz des Goethe studierenden Friedrich Hielscher – sich nicht im Menschlichen allein offenbart, sondern auch die gesamte belebte und unbelebte Natur umfasst. Er griff dabei auf die alte nordische Mythologie und auf den Volksglauben zurück. In dieser neuen Religion gibt es Feste, Rituale, himmlische Boten.
Man kann Hielschers Religionsgründung natürlich – gerade als Christ und gerade hier in diesem Forum – sehr sorgenvoll sehen und ihm Synkretismus, Egomanie, Sektiererei und zuletzt sogar Erfolglosigkeit vorwerfen (auf ihrem Höhepunkt in den 1950er Jahren hatte die UFK kaum mehr als 60 Mitglieder, wobei die unterschwellige Wirkung durchaus stärker gewesen sein kann), doch der Gedanke als solcher ist nicht ohne Strahlkraft. Und er ist auch konsequent.
Denn wenn einerseits die christlich-jüdische Religion in Europa – man verzeihe mir die Formulierung – abgewirtschaftet hat und selbst in das lähmende, seelenlose Netz des Politischen verstrickt ist, wenn andererseits aber eine starke Sehnsucht nach einem neuen Glaubenkönnen, nach einer neuen Religion da ist – warum nicht eine gründen?
Ich kann die Einwände, die auf diese harmlose Frage niederprasseln werden, schon vorwegnehmen: Eine Religion kann man doch nicht einfach so gründen und wie am Reißbrett konstruieren! Und wer bitteschön soll denn festlegen, an wen oder was geglaubt und wie verehrt werden soll? Da könnte ja jeder kommen! Müsste dieser neue Gott sich nicht für alle sichtbar offenbaren – wo ist er denn? Wäre das nicht zwangsläufig so eine unverbindliche Wohlfühlreligion à la New Age, eilig zusammengeklaubt von der Sinngebungsresterampe? Wer soll bestimmen – und welche Qualifikation braucht man dafür überhaupt? Das ist doch Scharlatanerie, das endet doch bei Bhagwan! Kommt nicht alles Unheil aus diesem Wahn, alles neu und anders machen zu müssen? Man sieht doch an den Wiedertäufern, wo so etwas endet! Und überhaupt: So ein heidnischer Synkretismus, das gibt es doch schon – diese ganzen neopaganistischen Gruppen, da kommt man doch in Teufels Küche. – - -
Klar, man kann das alles ablehnen, alles von sich weisen, auf das Christentum pochen und nach Exkommunikation, Inquisition und Scheiterhaufen rufen. Aber man könnte auch – vielleicht auch nur einen experimentierfreudigen Abend lang – einmal in aller Ruhe darüber nachdenken, ob dieser Ansatz Friedrich Hielschers (um den persönlich und konkret es hier gar nicht geht), nicht doch einen wahren Kern enthält. Fragen wir uns also rein experimentell:
- Geht das Religiöse dem Politischen notwendig voraus, kann und muß es dieses wirklich leiten?
- Wenn ja: Kann dieses Religiöse auch etwas anderes als eine der heute verbreiteten Weltreligionen sein?
- Wenn ja: Wie könnten die Konturen, wie könnte das Keimhafte dieses neuen Religiösen aussehen?
Zu Punkt 3: Hier sollte man nicht einfach nur persönliche Vorlieben ausleben, sondern auch begründen, warum gerade so und nicht anders.
Yvonne
Ist schon richtig, die Leute auf ihrer emotional-überrationalen Ebene anzusprechen. Dem Politischen Wollen geht ja etwas voraus (i.A.: der Lifestyle), und das könnte auch religiös überhöht sein (für uns: irgendsowas nordisch-germanisch-Deutschkirchliches). Aber auf jeden Fall bräuchte es einen authentischen Verkünder. Das letzte Mal, dass wir so etwas hatten, ist wohl bekannt. Die Gefährlichkeit dieser Religion wurde natürlich von ihren Feinden sofort gesehen. Sie wurde vernichtet und verboten.
Machen wir jetzt also eine Castingshow. Gesucht wird der neue Messias. Geglaubt wird alles, was hilft, die Sache hier zu überwinden. Aber bitte keine Parallelen zu anno dunnemals, wir sind sauber..