Autorenportrait Emil Cioran

pdf der Druckfassung aus Sezession 16/Februar 2007

sez_nr_161von Till Kinzel

Man mag es für höchst passend halten, daß einer der düstersten Denker des 20. Jahrhunderts, ein Antiphilosoph der Weltverneinung und ein brillanter Aphoristiker, aus Rumänien stammt. Denn Emil Cioran, der 1911 in Rasinari, am Nordrand der südlichen Karpaten, in der Nähe von Hermannstadt, geboren wurde, gehörte zu jener Generation rumänischer Intellektueller, die nicht nur an sich selbst, sondern auch am Zustand ihres Landes verzweifelten. Die rumänische Kultur wurde von Intellektuellen wie Cioran als eine Kultur aus zweiter Hand erlebt: „Es ist überhaupt nicht bequem, in einem Land aus zweiter Hand geboren zu sein", schreibt Cioran in seinem am meisten umstrittenen, nur rumänisch vorliegenden Buch, der Verklärung Rumäniens von 1936. (Cioran kürzte die Ausgabe von 1990 um die seiner Meinung nach stupiden Teile, die sich unter anderem mit den Juden befaßten - eben das, wofür ihn Eliade damals gelobt hatte, der für Cioran die Druckfahnen durchsah). Dieses seltsame Buch steht neben einigen Zeitungsartikeln im Zentrum der Diskussion um Ciorans Verhältnis zum mystischen Nationalismus beziehungsweise Faschismus der Eisernen Garde. Es ist daher aufschlußreich, daß Cioran deren Führer Corneliu Zelea Codreanu ein Exemplar seines Buches zukommen ließ, das indes bei Legionären, rumänischen Nationalisten und orthodoxen Traditionalisten keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stieß.


Aus der Ver­zweif­lung über die fak­ti­sche Exis­tenz Rumä­ni­ens resul­tier­te der Wunsch, ein neu­es Rumä­ni­en zu schaf­fen, ein Wunsch, in dem sich Uto­pis­mus und Fana­tis­mus misch­ten: „Ich wün­sche mir ein fana­ti­sier­tes Rumä­ni­en”, schrieb Cioran, „ein Rumä­ni­en im Deli­ri­um, ein Rumä­ni­en mit der Bevöl­ke­rung Chi­nas und mit der Kul­tur Frank­reichs.” Der Rausch des Fana­tis­mus war für den jun­gen Cioran gleich­sam das Feu­er, mit dem er glaub­te spie­len zu müs­sen – im Rück­blick erschien ihm jedoch in sei­nen rumä­ni­schen Schrif­ten „das Deli­ri­um allgegenwärtig”.
Der Phi­lo­soph Luci­an Bla­ga, der eine gro­ße Bedeu­tung für die Nietz­sche-Rezep­ti­on in Rumä­ni­en hat­te und stark von Speng­ler geprägt war, lie­fer­te dage­gen in sei­ner Theo­rie über den „mio­ri­ti­schen Raum” eine Art Recht­fer­ti­gung Rumä­ni­ens als Kul­tur­na­ti­on. („Mio­ri­tisch” hieß die­ser Raum nach der „Mio­ri­ta”, einer Volks­bal­la­de über ein klei­nes Lamm, die von Bla­ga als zen­tra­ler Aus­druck rumä­ni­scher Kul­tur inter­pre­tiert wur­de.) Ande­rer­seits setz­te bei den bedeu­tends­ten Intel­lek­tu­el­len früh eine Ori­en­tie­rung an der zen­tral- und west­eu­ro­päi­schen Kul­tur ein, jun­ge Rumä­nen streb­ten damals wie heu­te nach Sti­pen­di­en, die ihnen einen Auf­ent­halt zum Bei­spiel in Paris ermög­li­chen soll­ten. Mir­cea Elia­de, Emil Cioran und Euge­ne Ionesco etwa gin­gen ins Aus­land und began­nen spä­ter sogar in ande­ren Spra­chen zu schrei­ben. Der Ver­such Ciorans, sich mit sei­ner Ent­schei­dung für das Fran­zö­si­sche zugleich mit der Spra­che auch von der rumä­ni­schen Ver­gan­gen­heit zu lösen, von der „Tra­gö­die der klei­nen Kul­tu­ren”, als die er die rumä­ni­sche im ers­ten Kapi­tel der Ver­klä­rung Rumä­ni­ens ansah, konn­te nicht gelin­gen. Bis zuletzt war er, als er längst den Natio­na­lis­mus sei­ner Jugend hin­ter sich gelas­sen hat­te, von Speng­lers Kul­tur­phi­lo­so­phie beein­flußt und vom Schick­sal der klei­nen Völ­ker besessen.

Die leben­di­ge rumä­ni­sche Kul­tur der Zwi­schen­kriegs­zeit war geprägt von cha­ris­ma­ti­schen und in ihrer Wir­kung auf das intel­lek­tu­el­le Milieu kaum zu über­schät­zen­den Per­sön­lich­kei­ten wie dem Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor und Logi­ker Nae Iones­cu, der wesent­li­chen Anteil an der Ent­wick­lung einer natio­na­lis­ti­schen rumä­ni­schen Ideo­lo­gie hat­te und die Iden­ti­tät von Rumä­nen­tum und Ortho­do­xie pro­pa­gier­te. Er muß als cha­ris­ma­ti­scher Men­tor der gan­zen „jun­gen Gene­ra­ti­on” betrach­tet wer­den, die sich im Cri­ter­ion-Kreis ver­sam­mel­te, zu des­sen Mit­glie­dern neben Cioran und Elia­de auch Intel­lek­tu­el­le wie Con­stan­tin Noi­ca, Mihail Polihro­nia­de und Mir­cea Vul­ca­nes­cu gehör­ten. Noch in den zwan­zi­ger Jah­ren zähl­te ein Schrift­stel­ler wie Mihail Sebas­ti­an auch als Jude zu die­sem Kreis, doch bewirk­te die­ser einen lite­ra­ri­schen Skan­dal, als er sei­nen Roman Seit zwei­tau­send Jah­ren, eine ein­dring­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Schick­sal des Juden­tums, mit einem dem­ago­gi­schen, anti­jü­di­schen Vor­wort sei­nes aka­de­mi­schen Leh­rers Iones­cu ver­öf­fent­lich­te. Doch auch Sebas­ti­an bezeugt die tie­fe Wir­kung Iones­cus als Per­sön­lich­keit: „Ich bedaue­re die jun­gen Men­schen, die nicht zur rech­ten Zeit im Leben einen sol­chen Mann getrof­fen haben, an den sie glau­ben kön­nen, einen, der sie begeis­tert – bis zur Lebens­än­de­rung.” Iones­cu war, so Sebas­ti­an, der „Bewußt­seins­füh­rer” der jun­gen Generation.
In den drei­ßi­ger Jah­ren nahm die Ideo­lo­gi­sie­rung der rumä­ni­schen Gesell­schaft rapi­de zu, neue poli­ti­sche Bewe­gun­gen wie die Legio­närs­be­we­gung gewan­nen rasch an Bedeu­tung. Nae Iones­cu wur­de zu einem Anti­se­mi­ten und erkann­te in den drei­ßi­ger Jah­ren die Auto­ri­tät des Füh­rers der Legio­närs­be­we­gung, der Eiser­nen Gar­de, Cor­ne­liu Zelea Cod­re­a­nu, unbe­dingt an. 1940, noch zwei Jah­re nach der Hin­rich­tung bezie­hungs­wei­se Ermor­dung Cod­re­a­nus, hielt Cioran eine Radio­an­spra­che über ihn, die als „Das inne­re Pro­fil des Haupt­manns” gedruckt wur­de und des­sen poli­ti­sche Leis­tung aus natio­na­lis­ti­scher Sicht lobt: „Vor Cod­re­a­nu war Rumä­ni­en eine bevöl­ker­te Sahara.”
Der Ideo­lo­gi­sie­rungs­pro­zeß der drei­ßi­ger Jah­re, der dem Dra­ma­ti­ker Eugen Ionesco das Anschau­ungs­ma­te­ri­al für das Phä­no­men der „Rhi­no­zi­sie­rung” bot (sie­he Die Nas­hör­ner), ging auch an Cioran und Elia­de nicht spur­los vor­über. Die­se waren von dem völ­li­gen Bank­rott der libe­ra­len Moder­ne mit ihrer spi­ri­tu­el­len Öde über­zeugt und hat­ten Zwei­fel, ob eine ein­fa­che Rück­kehr zur rumä­ni­schen Ortho­do­xie mög­lich war. Elia­de schil­der­te die sol­cher­art ori­en­tie­rungs­lo­se und „ver­lo­re­ne” Gene­ra­ti­on der rumä­ni­schen Zwi­schen­kriegs­zeit in sei­nem Roman Die Hoo­li­gans, in dem Cioran, wie er schrieb, „die Offen­ba­rung unse­rer Fäul­nis, unse­res unein­ge­stan­de­nen Schei­terns, unse­res gehei­men Schick­sals” fand. Ciorans Ver­klä­rung Rumä­ni­ens war sei­ner­seits ein Buch der natio­na­lis­ti­schen Selbst­ver­stän­di­gung: „Es ist nie­mand Natio­na­list, wenn er nicht unend­lich dar­un­ter lei­det, daß Rumä­ni­en nicht die his­to­ri­sche Mis­si­on einer gro­ßen Kul­tur besitzt, daß ihm nicht der für die gro­ßen Natio­nen cha­rak­te­ris­ti­sche kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Impe­ria­lis­mus eigen ist, ja der­je­ni­ge ist nicht Natio­na­list, der nicht fana­tisch an die sprung­haf­te Ver­klä­rung unse­rer Geschich­te glaubt.”
Zugleich aber brach­te er damit auch Gedan­ken zum Aus­druck, die weder mit einem tra­di­tio­nel­len Natio­na­lis­mus, noch mit der Hoch­schät­zung des Bau­ern­tums durch den Legio­na­ris­mus in Ein­klang gebracht wer­den konn­ten. Ciorans Ver­zweif­lung ange­sichts der Kul­tur­lo­sig­keit Rumä­ni­ens spie­gelt sich in einem Schlüs­sel­satz der Ver­klä­rung Rumä­ni­ens, der in nuce auch sei­nen Extre­mis­mus ver­ste­hen läßt: „Ich lie­be die Geschich­te Rumä­ni­ens mit einem gro­ßen Haß.”

Elia­de war wohl nicht nur unter dem Ein­fluß Nae Iones­cus in die Rich­tung der Eiser­nen Gar­de gerückt, auch die begeis­ter­ten Berich­te aus dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land von Cioran, mit dem Elia­de Anfang der drei­ßi­ger Jah­re bekannt gewor­den war, dürf­ten dazu bei­getra­gen haben. So schrieb ihm Cioran zum Bei­spiel im Novem­ber 1933 aus Ber­lin, er füh­le sich dort sehr wohl und sei begeis­tert von der herr­schen­den poli­ti­schen Ord­nung. Daß der Über­schwang, den Cioran emp­fand, sich in Sym­pa­thien mit einer rechts­ori­en­tier­ten Mas­sen­be­we­gung nie­der­schlu­gen, war nicht zwin­gend; bewun­der­te doch der jun­ge Cioran auch Lenin und den Bolschewismus.
In einem Brief vom Dezem­ber 1937 an Elia­de schreibt Cioran aus Paris, nur durch eine Revo­lu­ti­on von rechts kön­ne Rumä­ni­en auf­er­ste­hen, die Eiser­ne Gar­de sei Rumä­ni­ens letz­te Chan­ce und die Zer­stö­rung der Demo­kra­tie ein schöp­fe­ri­scher Akt. Elia­de selbst preist zur glei­chen Zeit die Legio­närs­be­we­gung und sieht das Ziel die­ser Bewe­gung nicht nur in der Ver­söh­nung des rumä­ni­schen Vol­kes mit Gott, son­dern über­haupt in der Schaf­fung eines „neu­en Men­schen”, der einer neu­en euro­päi­schen Lebens­wei­se ent­spre­chen wür­de. Das reli­giö­se Pathos der Erschaf­fung eines „neu­en Men­schen” zeigt den im Grun­de unpo­li­ti­schen Kern der Erneue­rungs­be­stre­bun­gen, zu deren Sprach­rohr sich Elia­de machte.
Was an Ciorans Werk ist typisch für sei­ne Gene­ra­ti­on, was Aus­druck sei­ner höchst indi­vi­du­el­len Wei­se zu den­ken und zu füh­len? Man wird kaum fehl­ge­hen, wenn man in Ciorans fran­zö­sisch geschrie­be­nen Wer­ken auch einen Abschied von den rumä­nisch geschrie­be­nen Gedan­ken erblickt, die dem Kli­ma der drei­ßi­ger Jah­re ent­stam­men, also eine Abwen­dung von poli­ti­schem Extre­mis­mus, ohne jedoch dem kon­se­quen­ten Gedan­ken­ex­tre­mis­mus zu ent­sa­gen. Ande­rer­seits zei­gen gera­de die rumä­ni­schen Schrif­ten, daß Cioran sich bereits als zwei­und­zwan­zig­jäh­ri­ger Mann Auf den Gip­feln der Ver­zweif­lung (1934) befand, also bereits das The­ma sei­nes Schrei­bens, sein The­ma gefun­den hat­te. Von größ­ter Bedeu­tung für Cioran wie für sei­ne Gene­ra­ti­on war die Rezep­ti­on der Lebens­phi­lo­so­phie, von Scho­pen­hau­er, Nietz­sche und Berg­son bis zu Sim­mel, Speng­ler und Kla­ges, den er wäh­rend eines Stu­di­en­auf­ent­hal­tes in Ber­lin selbst gehört hat­te. Dazu kam das Exis­tenz­den­ken eines Leo Sches­tow, der ihn von der Phi­lo­so­phie befreit habe. Ciorans Den­ken ist ein Den­ken wider Wil­len, das die Exis­tenz des Bewußt­seins beklagt und dar­un­ter lei­det. Wenn es eine For­mel für Ciorans Leben und Den­ken gibt, so lau­tet sie: „Bewußt­sein als Ver­häng­nis”. Denn das Elend des Men­schen bestehe eben dar­in, daß er zwar das Elen­de sei­ner Lage erken­nen, jedoch nichts dar­an ändern kön­ne: „Der Geist ist die Frucht einer Krank­heit des Lebens und der Mensch nur ein erkrank­tes Tier. Das Vor­han­den­sein des Geis­tes ist eine Anoma­lie im Leben”. Der Geist ist es, der auch Cioran selbst kei­ne Ruhe gelas­sen hat, seit er in jun­gen Jah­ren von der Schlaf­lo­sig­keit gepei­nigt wur­de, die ihn mehr als alles ande­re in die Radi­ka­li­tät sei­nes Den­kens hin­ein­ge­trie­ben hat­te. Wenn es der Schlaf ist, der das mensch­li­che Dasein zu ertra­gen hilft, bedeu­tet dies umge­kehrt, daß der­je­ni­ge, der nicht zu schla­fen ver­mag, für alle Trös­tun­gen der Reli­gi­on oder Phi­lo­so­phie uner­reich­bar ist. Noch in einem sei­ner letz­ten Apho­ris­men-Bän­de steht ein Satz, der naht­los an sein ers­tes Buch anschließt: „Das Bewußt­sein ist mehr als ein Dorn, es ist der Dolch im Fleisch.”

Ciorans spä­te­res Den­ken mag man mit Armin Moh­ler als „post­re­vo­lu­tio­när” bezeich­nen; zwei­fel­los ent­hält es nicht den gerings­ten Fun­ken einer Hoff­nung in bezug auf die poli­ti­schen Din­ge. Kein Opti­mis­mus über das Mach­ba­re oder zu Hof­fen­de, bloß eine unbe­irr­ba­re geis­ti­ge Selbst­kas­tei­ung, die sich dazu zwingt, die guten Sei­ten des Lebens nur mür­risch und wider­wil­lig hin­zu­neh­men, kei­nes­falls aber als Argu­ment für irgend­ei­ne Welt­be­ja­hung zu akzep­tie­ren. Ciorans Den­ken bewegt sich in jenem Raum jen­seits von Opti­mis­mus und Pes­si­mis­mus, der nur den furcht­lo­ses­ten Ana­ly­ti­kern ihrer selbst zugäng­lich ist. Auch hier erstaunt, wie früh sich Cioran in sei­nem Den­ken von der qua­si-anthro­po­lo­gi­schen Erkennt­nis lei­ten ließ, „daß das Elend eng mit dem mensch­li­chen Dasein ver­quickt ist”, wes­halb er kei­ner Theo­rie und Leh­re zustim­men kön­ne, die eine Gesell­schafts­re­form pre­di­ge: „Alle dün­ken mich glei­cher­ma­ßen töricht.” Cioran litt also von Anfang an bis zur Ver­zweif­lung am Lei­den des Men­schen, und es mach­te die­se Ver­zweif­lung nicht klei­ner, daß er als ani­mal ratio­na­le noch über die­ses Elend nach­zu­den­ken gezwun­gen war. Ange­sichts des Elends der Men­schen emp­fin­det Cioran tie­fe Scham selbst noch wegen der Exis­tenz der Musik, die er in sei­nem Buch der Täu­schun­gen, jeden­falls was Bach und Mozart betrifft, als Heil­mit­tel gegen die Ver­zweif­lung ansah, als viel­leicht ein­zi­gen Got­tes­be­weis. Aber auch die Musik ist not­wen­dig mit dem Lei­den des Men­schen ver­knüpft: „Die Unmög­lich­keit, das Unend­li­che vom Tod zu schei­den, den Tod von der Musik und die Musik von der Melan­cho­lie! …”, so ruft er aus. Die Exis­tenz des Men­schen wird als Lei­den schlecht­hin bestimmt, wes­halb schon das blo­ße Fak­tum der Geburt Anlaß genug für die tiefs­te Ver­zweif­lung ist. Weil der Lei­dens­cha­rak­ter des Daseins unauf­heb­bar ist, gibt es auch kei­ne Gerech­tig­keit: „Das Wesen des sozia­len Lebens ist Unge­rech­tig­keit. Und wie kann man dann noch einer sozia­len oder poli­ti­schen Dok­trin anhän­gen?” Das Wesen des Men­schen ist Melan­cho­lie, die­se ist die unauf­heb­ba­re Gren­ze für alle Ver­su­che, die Lage des Men­schen zu ver­bes­sern: „Wenn der Glau­ben, die Poli­tik oder die Bes­tia­li­tät die Ver­zweif­lung in Angriff neh­men, läßt doch alles die Melan­cho­lie bestehen: sie hört erst mit dem Pul­sie­ren unse­res Blu­tes auf.”
Gegen die­ses Elend kul­ti­viert Cioran nun aber nicht quie­tis­ti­sche Gleich­gül­tig­keit, son­dern eine Art meta­phy­si­sche Rebel­li­on, einen „ewi­gen Auf­ruhr” gegen die Struk­tur der Welt, was Cioran apho­ris­tisch auf den Punkt bringt: „Die Schöp­fung war der ers­te Sabo­ta­ge­akt.” Die Welt ver­dient daher Cioran zufol­ge nicht erkannt zu wer­den – was aller­dings para­do­xer­wei­se ihre Erkennt­nis schon vor­aus­setzt. Gegen­über einer sol­chen Wirk­lich­keit muß Cioran die stoi­sche Gleich­gül­tig­keit der Wei­sen, die dem Lei­den gegen­über unemp­find­lich ist, als Aus­druck inne­rer Lee­re erschei­nen. Ciorans Distanz zur Phi­lo­so­phie könn­te nicht deut­li­cher mar­kiert wer­den: „Ich will lie­ber von einer inner­li­chen Feu­ers­brunst ver­schlun­gen wer­den als an der Lee­re und Resi­gna­ti­on des Wei­sen ver­re­cken.” Im Grun­de ste­hen dem Men­schen nur zwei Ein­stel­lun­gen zum Leben zur Ver­fü­gung: einer­seits die Nai­vi­tät, die aus orga­ni­scher Lie­be zur Welt Har­mo­nie und Schön­heit in ihr fin­det, ande­rer­seits der Hero­is­mus. Wer aber die­se Alter­na­ti­ve als sol­che erkennt, kann bereits nicht mehr naiv sein, also bleibt ihm nur der Hero­is­mus, die Flucht in das Hel­den­tum: „Die hel­den­haf­te Hal­tung ist Vor­recht und Fluch der vom Leben Abge­fal­le­nen, der vom Sein Ent­bun­de­nen und zu jeder Befrie­di­gung oder Selig­keit Unfä­hi­gen.” Es war aber wohl auch eben die­se Beja­hung des Hero­is­mus, die ihn Anfang der drei­ßi­ger Jah­re zu einem posi­ti­ven Urteil über den Natio­nal­so­zia­lis­mus kom­men ließ: „Jede Revo­lu­ti­on ist hero­isch, wobei ich dar­un­ter die gan­ze Spann­wei­te des Hero­is­mus ver­ste­he, der mit der Bru­ta­li­tät beginnt und im Opfer endet.”

Ciorans Anti-The­is­mus, dem Kampf gegen Gott, dem Rin­gen um ein Ver­ständ­nis des abwe­sen­den, nicht zu den Men­schen spre­chen­den Got­tes, der Ankla­ge gegen die Schöp­fung steht bei Cioran indes die eben­so frü­he Nei­gung zur Mys­tik (Von Trä­nen und Hei­li­gen) gegen­über oder zur Sei­te. Denn die mys­ti­sche Eksta­se wäre das ein­zi­ge, was den zer­set­zen­den „Ver­hee­run­gen der Klar­sicht”, dem Nichts, ent­ge­gen­ge­setzt wer­den könn­te, etwas, das aber auch Cioran selbst nicht mög­lich war. Ciorans Den­ken ist von einer Art, die es fri­vol erschei­nen läßt, es zusam­men­fas­send im Lexi­kon­stil auf den Punkt zu brin­gen. Es ist eine Feind­schaft gegen alle Sys­te­me, gegen die Theo­lo­gie eben­so wie die Phi­lo­so­phie. Der Apho­ris­ti­ker Cioran zeigt durch die Klar­heit sei­ner Sät­ze, durch den Wil­len zum Stil, zur ästhe­ti­schen Durch­ar­bei­tung sei­nes Denk­ma­te­ri­als, daß selbst sei­ne Gleich­gül­tig­keit, sein Welt- und Men­sche­ne­kel ihre Gren­zen haben. Denn war­um soll­te man sich anstren­gen, Stil zu haben, wenn doch alles Nichts ist? Skep­sis ist das form­ge­ben­de Prin­zip der Cioran­schen Exis­tenz, jene The­ra­pie, die nicht recht­zei­tig kommt: „Die Skep­sis”, so heißt es nach dem Welt­krieg in den Syl­lo­gis­men der Bit­ter­keit, „brei­tet zu spät ihre Seg­nun­gen über uns aus, über unse­re von Über­zeu­gun­gen ver­wüs­te­ten Gesich­ter, über unse­re hyä­nen­haf­ten Idea­lis­ten­ge­sich­ter.” Über­zeu­gun­gen, zu denen Cioran auch den fana­ti­schen Natio­na­lis­mus sei­ner Jugend­jah­re rechnete.
Die Skep­sis ist ein Lebens­pro­gramm, nicht blo­ße Denk­me­tho­de (wie bei Des­car­tes), die aus­ge­dient haben wird, wenn man fes­ten Boden unter den Füßen gewon­nen hat. Der poli­ti­sche Mehr­wert die­ser Skep­sis ist indes nicht all­zu hoch zu ver­an­schla­gen, weil die Skep­sis gera­de­wegs zum nicht­po­li­ti­schen Den­ken führt. Skep­ti­ker sind Ein­zel­ne, kei­ne Grup­pen­men­schen, denn „wer im Namen ande­rer spricht, ist not­wen­dig ein Betrü­ger. Poli­ti­ker, Refor­mer, alle jene, die von einer kol­lek­ti­ven Sache spre­chen, sind nur Schar­la­ta­ne”. Ciorans Ableh­nung jeg­li­cher posi­ti­ven poli­ti­schen Zie­le ist zwei­fel­los das Resul­tat sei­ner Refle­xi­on auf das eige­ne Ver­hal­ten, das dem älte­ren Cioran schier unbe­greif­lich erschien. Die­se Erfah­rung mach­te ihm ein gro­ßes Nein zur Ver­pflich­tung: „Die Betrü­ger flie­hen, nie­mals irgend­ein Ja aus­spre­chen.”
Ciorans rumä­ni­sche Jah­re bil­den das Sub­strat, auf dem sein gan­zes spä­te­res Den­ken auf­baut – auch und gera­de in der von ihm abge­lehn­ten Zeit sei­ner Sym­pa­thie und sei­nes Enga­ge­ment für den Legio­na­ris­mus. Die Geschich­te sei­nes Den­kens läßt sich nicht schrei­ben ohne die Geschich­te sei­ner Zeit­ge­nos­sen, hei­ßen sie nun Mir­cea Elia­de, Con­stan­tin Noi­ca, Nae Iones­cu. Die gemein­sa­me Sym­pa­thie für den rumä­ni­schen Faschis­mus soll­te jedoch nicht ver­de­cken, daß die rumä­ni­schen Den­ker und Schrift­stel­ler jener Jah­re von Anfang an auch eigen­stän­di­ge Köp­fe waren, die bei den von der Zeit dik­tier­ten Ideen nicht ste­hen­blei­ben konn­ten. Gleich­wohl zei­gen sich Denk­mo­ti­ve, die bereits in den ers­ten Tex­ten eines Cioran klar und deut­lich zuta­ge tre­ten, bis in die spä­ten Wer­ke hin­ein. Der gedank­li­che Extre­mis­mus fin­det aber sei­nen Aus­druck nicht mehr in poli­tisch radi­ka­len Pro­jek­ten oder Uto­pien einer Erneue­rung Rumä­ni­ens; viel­mehr setzt sich die Inte­gra­ti­on der Skep­sis in die Phi­lo­so­phe­me der rumä­ni­schen Zwi­schen­kriegs­zeit in eine Uto­pie- und Ideo­lo­gie­kri­tik um, die gera­de des­halb von so durch­schla­gen­der Ein­dring­lich­keit ist, weil sie weiß, wovon sie spricht, weil sie das eige­ne Erle­ben zur Grund­la­ge der theo­re­ti­schen Erkennt­nis macht. In Geschich­te und Uto­pie schreibt Cioran: „Wenn die Stun­de einer Ideo­lo­gie schlägt, wirkt alles, sogar ihre Fein­de, an ihrem Erfolg mit; weder Pole­mik noch Poli­zei kön­nen ihre Aus­brei­tung ver­hin­dern oder ihre Tri­um­phe ver­zö­gern” – doch irgend­wann fin­de jede Ideo­lo­gie eine Form, die über den idea­len Inhalt tri­um­phiert, und alle Heils­er­war­tun­gen verdampfen.

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