In seinem Tagebuch Strahlungen notiert Ernst Jünger am 15. November 1942 seine Lektüreeindrücke: „Lektüre der Zeitschrift Zalmoxis, die sich nach einem von Herodot erwähnten skythischen Herakles benennt. Ich las darin zwei Aufsätze, einen über die Bräuche, unter denen die Wurzel der Mandragora ausgegraben und verwendet wird, und einen zweiten über den Symbolisme Aquatique, der die Beziehungen zwischen dem Monde, den Frauen und dem Meer bespricht. Beide stammen von Mircea Eliade, dem Herausgeber, über den, sowie über seinen Meister René Guénon, Carl Schmitt mir Näheres berichtete. … Der Plan, der sich in dieser Zeitschrift ausweist, ist vielversprechend; statt der logischen spinnt sich eine Bilderschrift in ihr an. Das macht den Eindruck von Kaviar, von Fischrogen. In jedem Satze steckt Fruchtbarkeit.” Dies liest sich bereits wie eine aesthetica in nuce der Zeitschrift Antaios, die Jünger gemeinsam mit Eliade in den Jahren 1959 bis 1971 im Klett-Verlag herausgeben würde.
Was für ein Projekt war Zalmoxis? Zalmoxis ist ein thrakischer Gott, genauer: ein Gott der Geten in Thrakien. Man nimmt heute an, daß sein Charakter dem des Gottes Dionysos ähnelte, der auch thrakischen Ursprungs war. Seine Verehrer glaubten, nach ihrem Tod Unsterblichkeit bei Zalmoxis zu erlangen. Daher schickten sie alle vier Jahre einen Boten zu ihm, der durch Los gewählt wurde. Diesen Mann warfen sie über drei aufgerichteten Speerspitzen in die Luft. Starb der Bote, so nahm man an, Zalmoxis habe die Wünsche seiner Verehrer erhört. Blieb er am Leben, so deutete man dies als Zeichen dafür, daß er ein schlechtes Leben geführt habe und des Gottes nicht würdig sei. Indem Eliade seiner Zeitschrift den Namen Zalmoxis gab, setzte er einen nationalen Akzent. Denn Zalmoxis wirkte in der Antike auf dem Gebiet, das später Rumänien einnahm. In der Tat lag es in Eliades Absicht, mit Zalmoxis die rumänische Religionswissenschaft zu begründen. Die Zeitschrift verstand Eliade als ein „Engagement für die rumänische Kultur”, „das sich auf europäischer Ebene auswirken” sollte. Sein Vorbild war der italienische Religionsforscher Raffaele Pettazoni. Wie Pettazoni in Italien, so plante auch Eliade, die Zeitschrift durch eine Buchedition, die den Titel „Bibliothek der Religionsforschung” tragen sollte, zu ergänzen. Nach Finanzierungsschwierigkeiten erschien die erste von insgesamt nur drei Nummern von Zalmoxis Anfang April 1939. Als Autoren für die Zeitschrift konnte Eliade namhafte Religionsforscher gewinnen, darunter Jean Przyluski, Carl Hentze und Ananda Coomaraswamy.
Ein Exemplar dieser Zeitschrift bekam Ernst Jünger also 1942 in die Hand und er begriff ihren Plan: „ … statt der logischen spinnt sich eine Bilderschrift in ihr an”. Dies ist eine für Jünger typische Formulierung. Sie baut eine grundsätzliche Gegenüberstellung auf, deren begriffliche Antipoden „logische (Schrift)” und „Bilderschrift” allerdings sehr vage bleiben. Sie bleiben deshalb so vage, weil ihr Ziel- und Ruhepunkt das Bild des nächsten Satzes ist: „Das macht den Eindruck von Kaviar, von Fischrogen. In jedem Satz steckt Fruchtbarkeit”. Wie so oft, verläßt sich Jünger nicht auf die Unterscheidungskriterien begrifflichen Denkens und Formulierens, sondern streift diese nur, um das, was er eigentlich sagen will, in einem Bild auszudrücken, auf dessen Erkenntniskraft er setzt. Er selbst restituiert hiermit auf der Stilebene die vorsprachliche, vorlogische „Bilderschrift”, die er an den in Zalmoxis beschriebenen und analysierten Mythen bewundert. Was ihn an Zalmoxis fasziniert, ist das, was man die Rücküberschreitung des Logos hin zum Mythos, zum Präkognitiven, zum Bildhaften nennen könnte. Die Beiträge der Zeitschrift verfolgen nicht die Geschichte von Ideen, sondern die Geschichte von Mythen und Symbolen in einer Welt vor der Geschichte. Dahinter steht Eliades Denkansatz, von einer mythologischen Vision und einer ursprünglichen Symbolsprache auszugehen, die allen traditionellen Gesellschaften eigen sei. In Zalmoxis findet Jünger Anklänge an sein eigenes Denken, das auf der Suche ist nach der ursprünglichen Einheit der Erde.
Im Herbst 1952 las Eliade Jüngers Tagebücher und stieß dort auf das Lektürenotat zu Zalmoxis. Daraufhin sandte er Jünger ein Exemplar seines Buches Ewige Bilder und Sinnbilder, das eine Neufassung des Zalmoxis-Aufsatzes zur Symbolik der Muscheln (Symbolisme Aquatique) enthielt, den Jünger in den Strahlungen erwähnt. Jünger antwortet am 26. November 1952: Diese Zeitschrift „war der beste Versuch dieser Art, von dem ich bis heute Kenntnis habe. Ich würde die Möglichkeit begrüßen, daß Sie einverstanden wären, von neuem etwas Ähnliches in Angriff zu nehmen.” Doch erst 1957 nahm dieses Vorhaben konkrete Gestalt an, nicht zuletzt auf Betreiben des Verlegers Ernst Klett, dessen Haus Ernst Jünger seine Werke ab den Gläsernen Bienen (1957) anvertraute, nachdem sich in den Jahren zuvor die Verlage Klett und Klostermann das Opus Jüngers teilen mußten.
Pläne für eine Zeitschrift existierten zwischen Ernst Klett und Jünger bereits seit Ende der vierziger Jahre. In den Jahren des Neuanfangs nach 1945 spielten Zeitschriften eine wichtige publizistische Rolle im politischen und geistigen Diskurs. Klett wollte mit einer eigenen Zeitschrift ein Zeichen setzen, die traditionsorientierten Kräften zusammenführen und eine Plattform für das konservative Denken schaffen. Neben der Zeitschrift dachte Ernst Klett auch an eine Konferenz, an der neben Ernst Jünger vor allem Martin Heidegger, Werner Heisenberg, Friedrich Georg Jünger, Carl Schmitt, Hans Speidel und Gerhard Nebel teilnehmen sollten. Im Briefwechsel zwischen Gerhard Nebel und Ernst Jünger lassen sich zwischen Anfang und Mitte 1949 die Überlegungen zu Zeitschrift und „Konsilium” en détail verfolgen – vor allem auch die ablehnende Haltung erst Heisenbergs, dann Heideggers, der im Plan für diese Zeitschrift, die Pallas heißen sollte, ein politisches Risiko witterte.
Die Zeitschrift kam ebensowenig zustande wie das Gremium. Heisenberg, Heidegger und Friedrich Georg Jünger begegneten sich dann bei der Vortragsreihe Die Künste im technischen Zeitalter vom 16. bis 20. November 1953 im Audimax der TU München. Zum Plan der Zeitschrift faßt Ernst Jünger am 25. Juni 1949 an Nebel zusammen: „Ich halte es … für notwendig, zum mindesten ein bis zwei Jahre zu warten und die Kräfte zu beobachten, die, wie ich hoffe, auftauchen.” Es dauerte dann jedoch etwas länger, bis sich die von Jünger beschworenen „Kräfte” konsolidierten und zwischen Jünger und Klett erneut ein Zeitschriftenprojekt konkret wurde. Zu diesem stieß nun auch Eliade hinzu. Am 11. Dezember 1957 schreibt Jünger an Eliade: „Wenn Sie sich bei Gelegenheit überlegen, in welchem Umfang eine Zeitschrift wie Zalmoxis heute noch erscheinen könnte, werden Ihre Überlegungen gewiß nicht auf unfruchtbaren Boden fallen.” Ein Jahr später kam es, vermittelt durch Ernst Klett, im italienischen Ascona zu einer erneuten Begegnung zwischen Jünger und Eliade. Jünger beschreibt sie in seinen vor wenigen Jahren erstmals veröffentlichten Reisenotizen Sardinien 1958: „Lugano, 22. Juli 1958… Fand im ‚Dante‘ ein Telegramm von Klett vor, in dem er mir Mircea Eliades Adresse mitteilte. Rief dort gleich an; es antwortete Frau Fröbe, die die Eranos-Tagungen zu veranstalten scheint. Verabredung auf einen Anruf morgen um neun Uhr … Singen, 23. Juli 1958. Nachdem ich mich mit Eliade verabredet hatte, fuhr ich nach Ascona und besprach dort die ‚Antäus‘-Angelegenheit mit ihm. Fand ihn aufgeschlossen dafür … Gespräch über Zalmoxis, Steinzeit, Huxleys Buch über Mescalin – wozu Eliade meinte, die Droge führe nicht auf den ‚Urgrund zurück‘ … Gegen elf Uhr fuhr ich nach Lugano zurück, rief dort Klett an, der nicht erreichbar war, diktierte seiner Sekretärin einen Bericht über die Abmachungen mit Eliade.”
In diesen „Urgrund” einzudringen, seinen Mythen und Symbolen interdisziplinär nachzuspüren, sollte die Aufgabe von Antaios. Zeitschrift für eine freie Welt werden. Die erste Nummer der Zweimonatsschrift erschien im Sommer 1959. Unter der Schriftleitung von Philipp Wolff-Windegg, dessen Buch über das Königtum in diesen Jahren im Klett-Verlag erschien und in dem er im Rückgang auf Urbilder des sakralen Königtums eine Restitution der Reichsidee unternahm, entwickelte sich Antaios bald zu einem Sammelbecken konservativer Autoren. Unter anderem publizierte in Nummer 5 Julius Evola seinen ersten Aufsatz im Nachkriegsdeutschland (Das Symbol, der Mythos und der irrationalistische Irrweg).
Wie eng die Zusammenarbeit zwischen Ernst Jünger und Mircea Eliade tatsächlich war, läßt sich schwer beurteilen. Die Aufnahme von Autoren wie Roger Caillois, Marcel Jouhandeau und Johann Georg Hamann verdankt sich natürlich dem Einfluß Jüngers, die zahlreichen ethnologischen und religionswissenschaftlichen Beiträge gehen sicherlich auf Eliades Vermittlung zurück. Allerdings ist anzunehmen, daß die Fäden bei Wolff-Windegg zusammenliefen und die beiden prominenten Autoren – der eine im oberschwäbischen Wilflingen, der andere an der Universität von Chicago – nicht wirklich intensiv an der Gestaltung der einzelnen Nummern arbeiteten.
Allerdings ließ es sich Jünger nicht nehmen, Antaios programmatisch sein Siegel aufzudrücken. In einem Verlagsprospekt erläutert Jünger das „Programm” der Zeitschrift, und dieser Text ist Jünger pur. Zunächst: die Freiheit. Sie wird gleich im ersten Satz nicht ohne Pathos angerufen: „Die Zeitschrift, die wir herauszubringen beabsichtigen und der wir den Namen ANTAIOS geben, will der Freiheit in der Welt dienen.” Und dann schreibt Jünger Sätze, die charakterisieren, welche Art der Freiheit er anspricht. Es ist keine politische Freiheit, die anzurufen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges durchaus nachzuvollziehen wäre, sondern die Freiheit „als geistige Macht”: „Eine freie Welt kann nur eine geistige Welt sein. Die Freiheit wächst mit dem geistigen Überblick, mit der Gewinnung fester, erhöhter Standorte. Dort werden die Tatsachen erkannt und wiedererkannt, und damit wird es möglich, sie zu benennen, zu ordnen und in ihrem Gang zu bändigen. Dort und von dort aus nimmt auch die Sicherheit zu. Die Freiheit folgt nicht der Sicherheit, sie geht ihr als geistige Macht voraus.” Freiheit erscheint als Einsicht in Notwendigkeiten, in Gesetzmäßigkeiten des Erdganges, als Befreiung von blinder Schicksalsverfallenheit. Und doch ist es nicht Freiheit durch Erkenntnis, die Jünger meint – auch wenn der Dreischritt von „Benennen – Ordnen – Bändigen” in diese Richtung zu weisen scheint. Hier sei nochmals an den „Plan” von Zalmoxis erinnert, der Jünger so beeindruckt hatte: „statt der logischen spinnt sich eine Bilderschrift in ihr an.” Freiheit gründet also nicht auf den Abstraktionen, die das Erkennen des Menschen unseres Zeitalters leistet. Diese Abstraktionen schwächen die Mythen und Bilder der Vorzeit ab, indem sie diese ins Allgemeine überhöhen. Echte menschliche Freiheit dagegen ist als geistige Potenz nur dort denkbar, wo die Mythen, auf denen der Logos gründet und aus denen er sich entwickelte, zum Sprechen gebracht werden.
Für diese Erdung, diese Verwurzelung des Denkens der Freiheit, findet Jünger als „heraldische Figur” (Karl Korn) den Riesen Antaios. Es ist auch seine Freiheit, seine Unbesiegtheit, die der Untertitel anspricht: Antaios war ein Sohn des Meeresgottes Poseidon und Gaias, der Göttin der Erde, die die Römer Terra oder Telus nannten. Antaios, der in Libyen lebte und als der kräftigste und geschickteste Kämpfer der griechischen Sagenwelt galt, erhielt seine Kraft aus der Berührung mit seiner Mutter, der Erde. Fremde pflegte er zum Ringkampf aufzufordern. Wurde er zu Boden geworfen, so erneuerte sich seine Stärke durch den Kontakt mit der Erde. Die Schädel seiner Opfer verwendete er als Dachziegel für den Tempel seines Vaters. Herakles, der im Auftrag des Eurystheus in Libyen unterwegs war, um die Rinder des Geryon zu holen, begegnete dort dem Riesen. Antaois bewarf sich mit Sand und verdoppelte dadurch seine Kraft. Herakles bestrich sich nach griechischer Sitte mit Öl. Er besiegte den Riesen Antaios, indem er ihn von der Erde emporhob, so von der Erde trennte und seine Rippen zerdrückte. Antaios ist Symbol für eine Kraft, die, so Jünger im Programm der Zeitschrift, „stets erneut” wird, „doch stets dieselbe” bleibt – „einer der Widersprüche von Mannigfaltigkeit und Einheit, auf denen die Dauer in der Zeit beruht. Antaios berührt den gemeinsamen Grund, aus dem die Völker in ihrer Vielzahl als Brüder erwachsen sind.”
Da ist er wieder, der „Urgrund”, der Urmythos, den Jünger und Eliade in Ascona besprachen und dem sowohl der Religionsforscher Eliade nachforschte wie der Dichter Jünger nachdichtete. Jünger deutete den Sieg des Herakles über Antaios als einen Sieg der Technik über die Urkräfte der Erde, als einen Schritt in die Unfreiheit und damit als einen Schritt der Menschheit weg von ihrer Kraftquelle, von ihrem Ursprung. Diese Deutung läßt sich aus der Interpretationsgeschichte des Antaios-Mythos ableiten, wendet diese jedoch in ihr Gegenteil. So erscheint bei Diodor die Unterwerfung des Antaios durch Herakles als ein Gleichnis für die Stiftung von Kultur, als die Kultivierung eines barbarischen Landstrichs – eine Darstellung, die auch vor dem Hintergrund der Besiedlung Nordafrikas durch griechische Siedler verstanden werden muß: „Nach dieser Großtat unterwarf er Libyen, das voll wilder Tiere war, sowie zahlreiche Wüstengebiete und kultivierte sie, so daß sich das gesamte Land mit Äckern und sonstigen Pflanzungen füllte, die Früchte hervorbringen; … Überhaupt wurde Libyen, das wegen der Unzahl einheimischer wilder Tiere nicht bewohnbar war, von Herkules kultiviert und er erreichte damit, daß es an Wohlstand hinter keinem anderen Land zurückblieb” (Diodorus Siculus, Bibliotheca Historica, 17,4).
Auch Platon sieht im Sieg des Herakles über Antaios einen Fortschritt zu einem höheren Grad an Kultivierung. In den Nomoi stellt er das unsportliche, „ungriechische” Ringen des Antai-os dem korrekten Wettkampfverhalten des Herakles gegenüber, der ja die Olympischen Spiele begründete. Maßstab der ethischen Beurteilung des sportlichen Verhaltens ist die Rolle, die die Leibesübung als Vorbereitung für die Kriegsführung spielt: „Was sodann das Ringen anlangt, so sind die Kniffe, die Antaios oder Kerkyon in ihren Künsten aus nutzlosem Ehrgeiz erfunden haben …, da sie für die kriegerische Begegnung nicht brauchbar sind, es nicht wert, mit Worten gepriesen zu werden; aber die Kunstgriffe, die vom Ringen in aufrechter Stellung herstammen, vom Herauswinden des Nakkens, der Arme und der Flanken, … diese dürfen wir, da sie zu jedem Zweck brauchbar sind, nicht übergehen, …” (Platon, Nomoi, 79, 5a‑b).
Herakles begründete Geschichte, nach Platon sogar bürgerliche Geschichte. Er bereitete den Boden für eine geordnete Gesellschaft, die das Stadium der Wildnis und der Wildheit verläßt und sich Regelwerke und technische Vorschriften gibt. In Jüngers Perspektive ist jene uralte Überwindung des Riesen Antaios ein Gleichnis für die Abtrennung des Menschen von der Erde, ein Gleichnis für die fatale Inkraftsetzung der Autonomisierung des menschlichen Denkens und Handelns, das sich außerhalb des „Nomos der Erde” stellt. Dieses Denken und Handeln mündet, so Jünger, in die Technik und in unserer Zeit in eine Zuspitzung der technischen Allmacht, in die technische Perfektion (Friedrich Georg Jünger: Die Perfektion der Technik), die jede Erdung verloren hat. Auch dies charakterisiert die Zeitenschwelle, die Jünger in seinem Buch An der Zeitmauer beschrieben hat, das in jenen Jahren erschien (1959).
Im Antaios-Programm heißt es hierzu: „Diese Berührung ist, als Symbol gesehen, stets die gleiche, und doch verschieden im zeitlichen Gewande, besonders in einer Wende, an der nicht nur die Erde vom menschlichen Bewußtsein auf eine neue Weise technisch, ökonomisch, politisch begriffen und umspannt wird, sondern in der auch geistig und physisch gewaltige Zurüstungen, sich von ihr abzulösen, im Gange sind.” Hierin nun sieht Jünger die Aufgabe seines Denkens der Freiheit und mithin auch die Aufgabe der neuen Zeitschrift: „Aufgang und Untergang, Licht und Schatten” nicht zu trennen, sondern gemeinsam ins Auge zu fassen, eine, wie es hier etwas esoterisch heißt, „neue Einheit, Welteinheit”, ein „kosmisches Bewußtsein …, dem Erde als solche Heimat wird”, zu begründen. Antaios, der Sohn der Erde, tritt an, dem Zuwachs an Macht und Raum, den die Welt der Technik eröffnet, „in der alten, heiligen Tiefe ein Gegengewicht” zu schaffen.
Jünger und Eliade nahmen mit Figur und Namen des Antaios die Gestalt des Zalmoxis wieder auf und formulierten ein anspruchsvolles Programm: Antaios soll „feste, erhöhte Standorte” begründen, und zwar „theologisch und philosophisch als auch durch das Kunstwerk, das geistige Heimat schafft. All diese Wege führen auf ein gemeinsames Plateau, auf dem die Disziplinen und Ideologien als Hilfsmittel erkannt werden. Man legt sie ab wie Krücken, die man an den Wänden der Heiligtümer sieht.” Verwirklichung von Freiheit als Auflösung von Denkdisziplinen ist denn auch das erste, was einem bei kursorischer Sichtung der Antaios-Hefte ins Auge fällt. Allein die sechs ersten Ausgaben enthalten – unter anderem – Beiträge zur Musik im alten Griechenland, zu Goethe als Alchimisten, zur Symbolik Giorgiones, zur menschlichen Rechtsordnung, zu vorgeschichtlichen Fischgravierungen in Japan, zu Daphnis und Chloe, zum religiösen Element im Marxismus, zum Stiftungsgedanken, zu Symbol und Utopie der Staatsverfassung oder zum Pentagramm in Kroatien. Daneben stehen Texte von Eliade (Der magische Flug) sowie von Ernst (Sgraffiti, Vierblätter, An der Zeitmauer) und von Friedrich Georg Jünger (Antaios). Und noch im letzten, zwölften Jahrgang (1971) findet man diese Mischung aus entlegener Symbolforschung, heterodoxer Volkskunde, vergleichender Mythenbetrachtung und dichterischem Versuch: Neben anderen schreiben Gerhard Nebel über Amsterdam als Biberburg, der Märchenforscher Max Lüthi über Rumpelstilzchen und der Sinologe Jan Ulenbrook über die Bedeutung der Nord-Süd-Richtung im alten China.
Nur am Rande sei bemerkt: 1971, im Jahr der Einstellung von Antaios, gründen Friedrich Georg Jünger und Max Himmelheber im Verlag von Vittorio Klostermann die Scheidewege. Vierteljahresschrift für skeptisches Denken, deren Schriftleiter der Antaios-Mitarbeiter Franz Vonessen wurde. Zwischen 1975 und 1982 erscheinen die Scheidewege dann im Verlag Ernst Klett. Es wäre eine interessante Aufgabe, genauer zu untersuchen, inwieweit die Scheidewege mit ihrem skeptischen, ökologischen Ansatz, der zunächst eindeutig konservativ fundiert war, den eigentümlichen Blick, den Antaios auf die Welt der Mythen und Symbole warf, fortsetzten und aktualisierten.
Die „Eigenart des Blickes” (Jünger), der hier auf die Welt gerichtet wird, macht die Einheit der heterogenen Antaios-Beiträge aus. Dieser Blick erschließt sich bei der Lektüre der für sich betrachtet fraglos interessanten Zeitschriftenbeiträge nicht ohne weiteres, aber er wird erkennbar, wenn man abermals Jüngers Programm zu Rate zieht. Hier unterstreicht Jünger, daß das, was auf den ersten Blick als Willkür erscheint, begrenzt wird „durch die Worte Mythos und Symbol”. Auch dies ist zunächst wieder ein typisch Jüngerscher Begriffspfahl, der vor dem Leser unvermittelt in den Boden gerammt wird. Was Jünger hier meint, ist: In der Vielfalt der historischen, politischen, religiösen und ästhetischen Erscheinungen suchen die Beiträge von Antaios das immer Wiederkehrende, die „Macht, die die Geschichte gründet und, … den Strom des Geschehens durchbricht”. Zum Symbol wird ein solcher Mythos, wenn er sich emblematisch konkretisiert. Die Erdberührung des Antaios ist ein solches Symbol. Diese Suche nach mythischen Komplexen und Konstanten, nach „Urmythen”, wenn man so will, ist nicht auf die Vergangenheit beschränkt, sondern greift auch auf Gegenwart und Zukunft aus. Dies ist eben die Eigenart des erhöhten Blicks, man könnte auch sagen: des distanzierten Betrachters. Wie ein roter Faden zieht sich diese Suche nach den Urmythen, die dem gemeinsamen Urgrund entsteigen, durch Antaios. Die Zeitschrift ist damit ein Zeichen der Sehnsucht nach einer ursprünglichen Einheit und zugleich, so zumindest die Hoffnung Jüngers und Eliades, Ankündigung einer neuen Welteinheit.