beschrieben und vermarktet; eine nicht nur für die Medienwirtschaft enorm gewinnträchtige Mode:
Eigentlich sympathisch, daß Leute ihre Zeit und ihr Geld nun für Kauf und Hege alter Rosen‑, Tomaten‑, Rübensorten ausgeben, daß sie wieder in der Erde wühlen, daß sie im Rahmen dieses Selbstmachtrends dazu selbstgenähte und eigens bestickte Schürzen tragen, ihr Streuwiesenobst in selbstgezimmerten Stiegen lagern, liebevoll mit kalligraphisch gestalteten Etiketten beschriftete Marmeladen zum selbstgebackenen Brot kredenzen, dazu ein Gläschen selbstgefertigter Holunderlimo.
Ach ja, laßt tausend bunte Blumen blühen, schreinert Insektenhotels, betreibt Beautypflege aus der puren Natur – es ist schon sehr in Ordnung! Besser live als virtuell!
Allerdings bin ich davon überzeugt, daß hierbei kein kernhaftes „Umdenken“ im Gang ist, sondern daß es sich dabei um einen rein hobbymäßigen Trend von (nahezu) ausschließlich Großstädtern handelt.
Nicht nur, weil diese bewußt „unentfremdete“ Arbeit meist nur ein Hantieren mit gefälligen Sahnestückchen ist, also im Regelfall im Effekt vielleicht 1% des persönlichen Konsums ausmacht. Es geht um Optik und Gefälligkeit; deshalb fehlen in all den pittoresken Land-Zeitschriften auch Schlachttips und verdorbene Ernten, es gäbe keine hübschen Bilder her.
Nein, auch weil der Gegen (und Haupt-)trend mir weit eindringlicher erscheint! Meine kleine Völkerpsychologie, allein am Befund der ländlichen Garten- und Vorgartengestaltung erstellt, ergab schon vor Jahren, daß etwa der Engländer die Sache pragmatisch sieht:
Neumodisches Zeug aus dem Baumarkt braucht er nicht, weder grüne Metallzäune noch Standardeinfassungen aus Betonguß. Er hat sich, anders als der (gerade Mittel-)Deutsche auch keine Rolladenkästen andrehen lassen, wozu auch? Auf die typisch (alt)deutsche Idee, einen wiederkehrenden Ein- und Ausgrabeaufwand mit Dahlienknollen zu treiben, Studentenblumen vorzusäen, zu pikieren und zu verpflanzen, kommt er nicht.
Er, der Engländer, sieht auch nicht ein, die Tulpen nach dem Frühjahr auszugraben und zum Trocknen aufzuhängen, um dann Sommerknollen einzusetzen und im Herbst mit Chrysanthemen zu prunken. Wieviel Mühe für einen bescheidenen Nutzen!
Nein, er hat seinen gepflegten Rasen, ein paar pflegeleichte Stauden, dazwischen gern großzügige Aufschüttungen von Schieferblättchen, damit nichts sinnlos rumwuchert. Daß es dennoch gut aussieht, liegt an der Beibehaltung der alten Natursteinmauer, des bewährten Holzzauns, dem Fehlen von Münchner Rauhputz an den Fassaden. Gab‘ s in England eigentlich je Glasbausteine? Plastikklinker?
In Kroatien, wo eine vollzeittätige Gymnasiallehrerin etwa halb so viel verdient wie ein englischer Bauarbeiter, haben sie hingegen weder Baumarkt- Schnickschnack noch Schiefersplitter – dort blühen selbst in Vorgärten Kartoffeln, wachsen Tomaten und Paprika, und zwar nicht als Zutat fürs Chutney in teuren Gläschen aus der Manufaktur, sondern als echte Mahlzeit.
Nun waren wir gerade in Polen, und zwar im ehemals deutschen Teil. Wer dort auf angemessenen Verdienst aus ist, schafft natürlicherweise auf Montage in Deutschland. Wo in einer Familie Vater und Sohn von Montag bis Freitag in Stuttgart oder Aschaffenburg arbeiten (Fahrt im VW-Bus zu siebt), ist keine Teilselbstversorgung mehr nötig. Wer was übrig hat, kauft Rheinkiesel im Baumarkt und macht sich einen pflegeleichten Steingarten, thujaumstellt. Für Gartenarbeit ist weder Zeit noch Bedarf – man hat das Mittelalter doch eben verlassen!
Die materiell schlechter gestellten Nachbarn ziehen nach – so ist das mit den Moden! Entsprechend sieht sogar die Kleingartenkultur in den schlesischen Kolonien aus: Wer auf sich hält, hat Rasen, einen aufstellbaren Pool – und israelisches/neuseeländisches Gemüse von Biedronka, der polnischen Supermarktkette. New life!
Der Hang zu den pflegeleichten Gärten ist mir in diesem Sommer auch in BR-Deutschland aufgefallen. Nicht in den Neubaugebieten, wo die jungen, aus der Stadt in den Speckgürtel gezogenen Nachbarn um den schönsten Oleander und die seltenste Quitte wetteifern, sondern im ländlichen Raum.
Sinnlose Romantik, tumbes Altweibertun, abgeblühte Petunien sauberzuzupfen! Die ollen Geranien vom Vor- und Vorvorjahr wieder aufzumöbeln! Vom Dreck und den Ameisen, den die im Haus vorgezogenen Tagetes und Löwenmäulchen verursachen, ganz zu schweigen! Sinnloses, zweckfreies Tun, nur wegen ein bißchen Farbe für acht, zehn Wochen!
Ich habe noch nie so viele Kiesel- Schiefer und Mulchvorgärten gesehen wie dieses Jahr. Allerdings nicht von alten Steinmauern umfaßt wie in England, sondern von Kunststoffplanken oder schmucklos verzinkten Zäunen, Meterware. Und inmitten der Aufschüttung ein kunststoffener Frosch, Saisonware von Thomas Philipps, der ein nettes Schild hält mit der Aufschrift: „Ein Lächeln hilft immer!“ Der Vorgarten sagt: Der Deutsche ist pragmatisch geworden, seine Restromantik ist von der Stange.
Kann sein, daß es schwerwiegendere Probleme als Vorgärtenumbauten gibt – gerade dieses Jahr. Für mich aber fallen jene Hauptprobleme und der deutsche Vorgartenumbau in eins, Überschrift: Schulterzucken, Motto: „ Was soll der ganze Schaff – bringt doch eh nichts. Hat man nicht mehr.“
Mr. Kurtz
Darüber, ob es auf dem Lande derzeit wirklich schwerwiegendere Probleme als Vorgärtenumbauten gibt, ließe sich trefflich streiten. In Grenznähe sicher, aber dafür hat man ja u.a. die Rollkästen, welche die Engländer aufgrund ihrer Insellage bisher anscheinend nicht gebrauchen konnten. Das dürfte sich nun auch ändern.
Der Garten auf dem Foto folgt jedoch weder einer "sinnlosen Romantik" noch einer sinnvollen romantischen Tradition (was immer das in diesem Kontext sein mag), sondern der japanischen. Hier geht es vor allem um die absolute, harmonische Gestaltbarkeit der Umwelt, welche die Japaner im Garten ausleben, anstatt sie, wie in Europa seit der Französischen Revolution üblich, totalitär auf die Gesellschaft zu übertragen. Ein sehr sympathischer Zug, auch wenn die dabei herauskommenden Gartenprodukte für meinen Geschmack etwas streng wirken.