Ulrich Schacht II – Unheimliche Paradiese

aus Sezession 54 / Juni 2013

von Heino Bosselmann

Selbst Prosa hat ein empfundenes Alter, insbesondere wenn sie in erster Person daherkommt.

Es liest sich an den Inhal­ten, mehr noch an der Spra­che ab. Die­se hier tanzt nicht, turnt nicht, sitzt zurück­ge­lehnt und bevor­zugt den Plau­der­ton. Sogar der Humor lächelt gemächlich.

Ulrich Schachts Tex­te klin­gen alters­wei­se (nicht ‑mil­de!), und man hört zu, wie man einem hono­ri­gen Herrn zuhört – gedul­dig, höf­lich und ohne zu unter­bre­chen. Da sitzt der Autor in sei­nem Pra­ger Lieb­lings­ca­fé, blickt über die Mol­dau zum Hradschin, genießt Char­don­nay, denkt über Absinth nach und raucht. Die­ser behag­li­che Moment wird zum Anlaß, eine Ver­bin­dung zu kon­stru­ie­ren zwi­schen dem Pra­ger Früh­ling und dem Wider­stand gegen das EU-Rauch­ver­bot: »Heu­te sit­zen, ging ich den ein­ge­schla­ge­nen Gedan­ken­weg wei­ter, die neu­es­ten altern­den Revo­lu­tio­nä­re zwar weit im Wes­ten, kurz vor dem Ärmel­ka­nal, aber daß in den Restau­rants zu Prag noch immer blau­er Dunst auf­stei­gen darf, treibt sicher­lich gan­ze Kom­mis­sa­ria­te in der Welt­haupt­stadt des Aller­neus­ten Men­schen um, in unzäh­li­gen Sit­zun­gen zu prü­fen, wie man die­ses Mal das inter­ven­tio­nis­ti­sche Theo­rem von der begrenz­ten Sou­ve­rä­ni­tät im Fal­le Prags anwen­den könne …«

Und wäh­rend man nach­sinnt, ob die Inva­si­on der Sowjets und die EU-Büro­kra­tie stim­mig zu ver­glei­chen wären und ob solch syn­tak­ti­sche Umständ­lich­keit gute Lite­ra­tur ist, zieht der Autor an der Zigar­re und erle­digt gleich noch den ara­bi­schen Früh­ling, weil er sich sicher ist, der gin­ge unaus­weich­lich den Weg der ira­ni­schen Revo­lu­ti­on, hält eine Lau­da­tio auf Vaclav Klaus, der nur die tsche­chi­sche, nicht aber die EU-Fah­ne dul­de, und wet­tert gegen die »Wet­ter­apo­ka­lyp­ti­ker«, die Hys­te­rie ver­brei­ten wür­den, die­se »Pries­ter­kas­te der Kli­ma­er­wär­mungs­kir­che (…), beglei­tet von schaum­mau­li­gen Tet­zeln, die auf den media­len Markt­plät­zen dem wohl­ge­nähr­ten Dumm­volk die Sün­den­re­gis­ter her­un­ter­be­ten und die gro­ße Keh­re ein­for­dern, die dar­in besteht, die Dächer mit ver­gif­te­ten Son­nen­kol­lek­to­ren zu bepflas­tern …« Als Sua­da beacht­lich, als Erzäh­lung bemüht.

Der Autor geht lie­ber shop­pen, fidet aber in einem Anti­qua­ri­at prompt Feucht­wan­gers Mos­kau 1937, die­se unse­li­ge Ehren­ret­tung des Sta­li­nis­mus, zitiert dar­aus das Übels­te und erregt sich erneut, bis das Kapi­tel in einem Absinth-Geschäft ver­däm­mert. Recht groß­ka­li­brig, denkt man. Gin­ge es nicht sub­ti­ler? Vor allem: Das ist weni­ger Pro­sa als Vor­trag, Pole­mik, Geschichts­di­dak­tik. Ande­res bleibt selt­sam, gewinnt aber kei­ne Kraft: »Am Abend las Gre­gor S., ein Dich­ter aus den Wei­ten des Nor­dens, in einem Schloß an der Gren­ze zum Böh­mi­schen …« So beginnt Schachts Die Ver­wand­lung. Man erwar­tet sich also – zumal wegen Gre­gor S(amsa)! – eine Por­ti­on Kaf­ka, wird aber mit einer selt­sa­men Meta­mor­pho­se hin­ge­hal­ten, die der »Dich­ter« aus Erre­gung wäh­rend sei­nes Vor­le­sens durchmacht.

Über­haupt wird wenig erzählt. Der Autor sin­niert eher und for­mu­liert Gedan­ken­pro­to­kol­le, in denen er sein Welt­bild aus­brei­tet. – Im ers­ten Abschnitt des Buches aus der Per­spek­ti­ve sei­nes schwe­di­schen Wohn­sit­zes. Man lebt bewußt im Abseits, das Inte­ri­eur wie von Carl Lars­son gemalt, umge­ben von auf­ge­schlos­se­nen Nach­barn, alle­samt intel­lek­tu­ell, ein biß­chen berühmt, gut essend, noch lie­ber gut trin­kend – ein geist­rei­ches Milieu, in dem man mit­ein­an­der spricht, kocht, denkt und in lan­gen Sym­po­si­en alles ver­tieft. Damit die­ser skan­di­na­vi­sche Frie­dens nicht zu sta­tisch gerät, wer­den Kon­tras­te ein­ge­zeich­net. Ein totes Reh­kitz in der Idyl­le. Eine geheim­nis­vol­le alte Frau, die sich als deut­sche Emi­gran­tin erweist, Goe­the lie­bend und Schil­ler, Sel­ma Lager­löf gar noch per­sön­lich ken­nend, aller­lei Geis­tes­grö­ßen biblio­phil und in Bil­dern ver­sam­melnd. Fer­ner eine Grä­fin im Pfle­ge­heim, wie­der Emi­gran­tin, die auf ein Paar unga­ri­scher Exi­lan­ten hin­weist, er von den Sowjets ver­folgt, sie als Jüdin vor­her von den Nazis. Die Num­mer am Arm blitzt auf. Schick­sal über Schick­sal im schwe­di­schen Schnee.

Ein­mal führt ein Strom­aus­fall auf der Bahn­stre­cke einen Wahl­schwe­den mit einem ech­ten und einem Nie­der­län­der zusam­men, und man par­liert über Geschich­te und Natio­nen, über Olof Pal­me, den Fall der Gren­zen, die Glo­ba­li­sie­rung und den Vor­teil der Mon­ar­chie. Was der Autor poin­tiert dar­zu­stel­len meint, was gar als poli­ti­sche Weis­heit inten­diert wird, das wirkt über die zahl­rei­chen Län­gen oft behä­big, banal und mit­un­ter gar selbst­ge­fäl­lig. Sicher, es geht um tie­fe Lotungs­ver­su­che. Wenn der Autor ins Mau­so­le­um unterm Roten Platz hin­ab­steigt, eine dan­tesk colo­rier­te Rei­se, die auch Sta­lin, den »Höl­len­hund aus Gori«, auf­ruft und das tra­gi­sche Schick­sal der Lyri­ke­rin Zweta­je­wa. Der Ich-Erzäh­ler ver­harrt als Sie­ger der Geschich­te vorm Glas­sarg, dar­in der »Diabo­lus« Lenin.

Im drit­ten Teil nach Paris, schö­ner Jugend­er­in­ne­run­gen voll, eher in Dur, dann nach Vene­dig, der Ser­inis­si­ma, eher in Moll. Stets asso­zi­ie­rend, deu­tend und jede Impres­si­on mit Bedeu­tun­gen auf­la­dend, selbst das, was wenig her­gibt. Man ver­steht das aus Ulrich Schachts trau­ma­ti­sie­ren­der Erfah­run­gen mit dem DDR-Sozia­lis­mus. Man ver­steht es kon­tex­tu­ell, kann es nur nicht durch­weg lite­ra­risch genießen.

Ulrich Schacht: Klei­ne Para­die­se. Erzäh­lun­gen. Berlin/Hörby: Edi­ti­on Ruge­r­up 2013. 184 S., 17.90€.

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