Raspail und Fernau – Auftakt zur edition nordost

aus Sezession 56 / Oktober 2013

von Wiggo Mann

Günter Maschke, dieser eminent belesene Renegat, sieht sich in einem seiner grundsätzlichen Urteile immer dann bestätigt,...

wenn sein Gesprächs­part­ner mit Anspie­lun­gen auf Bücher, Figu­ren, Ver­se nichts anzu­fan­gen weiß: »Die Rech­te liest nicht, vor allem liest sie kei­ne Roma­ne.« Das sind schlech­te Aus­sich­ten für Ver­le­ger, die in Roma­nen und Erzäh­lun­gen nicht nur die sinn­vol­le, son­dern sogar die unver­zicht­ba­re Ergän­zung geis­ti­ger Welt­erschlie­ßung sehen.

Gün­ter Maschke hat selbst ein­mal eine lite­ra­ri­sche Rei­he her­aus­ge­ge­ben: Die Edi­ti­on Maschke erschien im Ver­lag Hohen­heim und ver­sam­mel­te Titel wie Horst Lan­ges Ula­nen­pa­trouil­le oder Ernst Kreu­ders Her­ein ohne anzu­klop­fen. Ein­ge­stellt wur­de das 1979 begon­ne­ne Pro­jekt bereits drei Jah­re spä­ter, als Maschke Carl Schmitts Schrif­ten Der Levia­than sowie Land und Meer erschei­nen ließ und dabei anschei­nend mit sei­nem Nach­wort eine rote Linie über­schritt: Es scheint vor drei­ßig Jah­ren schwie­rig gewe­sen zu sein, Schmitt zu zitieren.

Der­zeit ist die Basis für die kon­ser­va­ti­ve Intel­li­genz (deren Geschich­te nach 45 doch recht kurz und ziem­lich lang­wei­lig ist) soli­der denn je: Es gibt eine Wochen­zei­tung mit hohem Ver­brei­tungs­grad, zahl­rei­che Ver­la­ge und eine tol­le Zeit­schrift. Was es bis­her nicht gab: einen Ort für Bel­le­tris­tik. Die edi­ti­on nord­ost, die inner­halb des Ver­lags Antai­os erscheint, hat nun begon­nen, die­se Lücke zu schlie­ßen, und der ers­te Dop­pel­pack scheint exem­pla­risch zu sein für das geplan­te Pro­gramm: eine Mischung aus Neu­em und Wiedergefundenem.

Erst­mals in deut­scher Spra­che liegt nun der Roman Sie­ben Rei­ter ver­lie­ßen die Stadt aus der Feder des fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers Jean Ras­pail vor. Ras­pail ist in Deutsch­land bekannt als Ver­fas­ser des Unter­gangs­sze­na­ri­os Das Heer­la­ger der Hei­li­gen, und nicht weni­ger Unter­gangs­stim­mung ver­brei­ten die Sie­ben Rei­ter. Der Roman spielt in einem Fürs­ten­tum, viel­leicht gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts. Die Hand­lung setzt zu einem Zeit­punkt ein, als die Zer­rüt­tung, die Zer­set­zung, die Auf­lö­sung aller Ord­nung und jedes Anstands bereits statt­ge­fun­den haben. Sie­ben Pfer­de kann der Fürst ent­beh­ren, sie­ben Rei­ter sen­det er aus, um zu erfah­ren, ob es im Land noch Wider­stands­nes­ter oder sogar Hoff­nung gäbe.

Ent­schei­dend ist, daß die­ser Ritt sich als Suche nach einem kon­ser­va­ti­ven, rech­ten, reak­tio­nä­ren Traum ent­puppt, dem sie­ben rech­te Cha­rak­te­re nach­ja­gen: der mili­tä­ri­sche Füh­rer, der Akti­vist, der Kle­ri­ker, der Geschei­ter­te, der Urwüch­si­ge, der Wald­gän­ger, der Preu­ße. Jeder hat einen Traum, jeder erlebt und berich­tet die Geschich­te auf sei­ne Wei­se, und das eben­so über­ra­schen­de wie scho­ckie­ren­de Ende zeigt, daß der­lei Rit­te viel­leicht die ein­zi­ge Mög­lich­keit sind, etwas von jener Grö­ße wie­der­zu­ge­win­nen, die voll­stän­dig zer­stört und ver­lo­ren ist: Indem man schreibt oder liest, ist man in jenem Traum, dem das Schrei­ben und das Lesen gel­ten. Dies kann man wahl­wei­se als Welt­flcht, Unrei­fe, Unbe­irr­bar­keit, Selbst­si­cher­heit oder Trotz beschrei­ben, auch als Wald­gang, oder eben als den erneu­ten Beginn von allem.

Wie das Ende von allem liest sich der zwei­te Band der neu­en Edi­ti­on: Haupt­mann Pax von Joa­chim Fer­n­au basiert auf einem Tat­sa­chen­be­richt, der Ger­ma­nist Burk­hart Bert­hold hat das in sei­nem Nach­wort dar­ge­stellt. Die Erzäh­lung schil­dert den Aus­bruch von rund ein­hun­dert deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen, die sich im Som­mer 1944 zur Trup­pe durch­schla­gen wollen.

Fern­aus Bericht ist bei­na­he ein Dreh­buch. Dia­lo­ge wech­seln mit Sze­nen­bil­dern, von denen eini­ge immer wie­der­keh­ren: Hun­ger, Erschöp­fung, Hoff­nung, Streit­sucht – vor allem aber der Ver­lust von Kame­ra­den, die nicht mehr wei­ter­kön­nen. Der lapi­da­re Ton Fern­aus paßt zum Grund­cha­rak­ter des Erzähl­ten: Was getan wer­den muß, läßt sich nicht weg­quat­schen, und so ertra­gen Fern­aus Figu­ren ziem­lich stumm, »was kein Tier ertra­gen könnte«.

Die edi­ti­on nord­ost hat an bei­den Büchern Illus­tra­to­ren arbei­ten las­sen. Für Haupt­mann Pax griff der Foto­rea­list Ralph Oer­tel zum Stift, und die in Ruß­land leben­de Künst­le­rin Kris­ti­na Zie­ber fer­tig­te für Sie­ben Rei­ter sze­ni­sche Zeich­nun­gen an. Man kann nur hof­fen, daß die Leser die Bedeu­tung der neu­en Edi­ti­on erken­nen und dem Pro­jekt man­gels Lese­be­reit­schaft kein frü­hes Ende berei­ten. Unter ande­rem, hört man, hat ein Autor ers­te Pro­ben eines Romans über jenes Milieu ein­ge­reicht, dem auch die Sezes­si­on ent­stammt – er soll Anfang nächs­ten Jah­res erscheinen.

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