Hier eine abschließende Antwort geliefert zu haben, darf die jetzt in deutscher Sprache erschienene Arbeit von Marco Pasi in Anspruch nehmen (Aleister Crowley und die Versuchung der Politik. Mit einem Nachwort von Hans Thomas Hakl: Einige zusätzliche Bemerkungen zum Fragenkomplex Julius Evola und Aleister Crowley, Graz: Ares Verlag 2006. 335 S., geb, acht Tafeln, 24.90 €). Was sie vor allem auszeichnet, ist das Bemühen, das Sensationsheischende zu meiden, weder den Finten Crowleys, noch den Irreführungen seiner Anhänger oder den Verleumdungen seiner Feinde zum Opfer zu fallen. Für diesen Zusammenhang war deshalb von besonderer Bedeutung, zu klären, inwieweit die politischen Positionen Crowleys Affinitäten zu Faschismus oder Nationalsozialismus aufwiesen. Entsprechende Mutmaßungen lagen nahe, wegen Crowleys Demokratieverachtung, seines Elitismus und der Gewaltapologie, die bestimmte Aspekte seiner Lehre kennzeichnete. Die detaillierte Untersuchung Pasis führt allerdings zu dem Schluß, daß es keine unmittelbaren Beziehungen irgendwelcher Art gegeben hat. Crowleys Sympathie für Mussolini und den Faschismus schwand sofort, nachdem er wegen der Gerüchte, die seine „Abtei” auf Sizilien umgaben, aus Italien ausgewiesen wurde. Die Beziehung zu J. F. C. Fuller, dem hohen britischen Militär und bedeutenden Theoretiker der Panzerwaffe, der später zum Führungskreis der British Union of Fascists gehörte, beschränkte sich auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Auf Hitler wurde Crowley erst spät aufmerksam, obwohl er immer enge Kontakte nach Deutschland gehalten hatte. Die exaltierte Verehrung, die eine seiner Anhängerinnen, Martha Küntzel, ihm genauso wie Hitler entgegenbrachte, konnte seinem Selbstverständnis als dem einzig legitimen Herrscher des „Neuen Äons” selbstverständlich nicht genügen. Wahrscheinlich hat ihm die Vorstellung eine Zeitlang geschmeichelt, daß Hitler sein „magischer Sohn” sei, aber von Dauer war das nicht. Besonders aufschlußreich ist, daß sich in den Nachlaßbeständen ein Exemplar von Rauschnings Gespräche mit Hitler erhalten hat, die mit Crowleys Randbemerkungen versehen sind. Ihnen ist zu entnehmen, daß er glaubte, Hitler habe seine Lehren wohl gekannt, sie aber nicht richtig verstanden oder falsch angewendet.
Diese Auffassung entspricht ganz der politischen Linie, die Crowley in der Zwischenkriegszeit vertrat. Nach dem Schwanken seiner frühen Jahre – der übliche Jingoismus, dann Parteinahme für den irischen Freiheitskampf und Mitgliedschaft in Sinn Fein, bei Beginn des Krieges Rückzug in die USA, dort prodeutsche Agitation – hatte er sich mit wachsendem Selbstbewußtsein die Anschauung zu eigen gemacht, daß er berufen sei, den ihm offenbarten Liber Legis zur Grundlage des kommenden Zeitalters zu machen. Die Stilisierung als „Antichrist” hatte dabei die Funktion, den radikalen Bruch mit der gesamten Geschichte des Abendlandes symbolisch vorwegzunehmen. Wenn Crowley in bezug auf seine Zielsetzung von einer „aristokratischen Revolution” sprach, war das aber kein Indiz für eine „rechte” politische Zielsetzung. Die Aristokratie, von der er sprach, war keine, die sich für herrschaftstechnische, wirtschaftliche oder soziale Aspekte einer Ordnung interessierte. Das äußerste an Realismus, wozu er sich verstand, war der Versuch, nach dem Scheitern der Gründung beziehungsweise Übernahme einer Geheimgesellschaft – des Ordo Templi Orientis (OTO) – Einfluß dadurch zu gewinnen, daß er sich einen weltlichen Arm verschaffte. Die große Stärke Pasis liegt nun darin, daß er deutlich macht, wie weit Crowley auch in dieser „pragmatischen” Phase von konventionellen politischen Erwägungen entfernt blieb. Im Grunde war er bereit, sich jedes Mittels zu bedienen, das ihn seinem Ziel näher bringen konnte. Dabei mußten naturgemäß die radikalsten Bewegungen den Vorzug genießen, da sie allein bereit waren, jenes Zerstörungswerk durchzuführen, das Crowley als Bedingung seiner eigenen Umgestaltung betrachtete. Pasi weist deshalb darauf hin, daß die anfängliche Sympathie Crowleys für den Faschismus auf dessen revolutionärer und antiklerikaler Tendenz beruhte, und die Abwendung begann, als Mussolini den Ausgleich mit dem Vatikan suchte. Ähnlich sah es in bezug auf Deutschland aus, solange man den Eindruck haben konnte, daß Hitler den Kirchenkampf zu einem konsequenten Ende führen werde; daß der sich statt dessen auf die Verfolgung der Juden konzentrierte, erschien Crowley als grotesker Fehler.
Es war wegen der offensichtlichen Mängel, die Faschismus und Nationalsozialismus aus Crowleys Sicht hatten, für diesen naheliegend, neben der revolutionären Rechten auch die revolutionäre Linke genauer zu beobachten, und zu den aufschlußreichsten Belegen Pasis gehört ein Brief, den Crowley schon 1925 an seinen Freund Walter Duranty, den Moskauer Korrespondenten der New York Times geschrieben hatte, und in dem er jenen bat, er möge den Machthabern seinen Plan einer „neuen Religion” vorlegen, in der er Crowley als Messias verehrt und das Gesetz von Thelema als dogmatische Grundlage betrachtet werde. Die Idee erscheint etwas weniger absurd, wenn man sich vor Augen hält, daß Crowley keine prinzipiellen Vorbehalte gegenüber der Linken hatte. Wie Pasi sehr plausibel darstellt, kann die Welle des Okkultismus, die seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts anwuchs, nicht ohne Wenn und Aber als Ausdruck des „Irrationalismus” betrachtet werden. Vielmehr habe es von Anfang an Verbindungen zu radikal-aufklärerischen und positivistischen Tendenzen gegeben, denen auch Crowley nahestand. Sein „Magick” war denn auch eine „moderne” und in gewissem Sinn „demokratisierte Magie”, die sich vor allem dem Christentum gegenüber als „wissenschaftlich” überlegen verstand. In dieser Perspektive mochte dann ein Zusammengehen mit Stalin sogar naheliegender erscheinen als mit Mussolini oder Hitler.
Zuletzt sind Crowleys Versuche „magischer Politik” alle gescheitert. Das hatte natürlich vor allem mit seiner bizarren Wirklichkeitsauffassung zu tun, seiner Unfähigkeit, die tatsächliche Welt zu begreifen. Daß solche Unfähigkeit intellektuelle Produktivität nicht hindert, sondern fördert, ist eine altbekannte Tatsache, und das Buch von Pasi bietet insofern zwar keine Enthüllungen über den Hintergrund der Politik des zwanzigsten Jahrhunderts, aber tiefe Einblicke in dessen literarische Kultur und Subkultur. Das Spektrum ist dabei weit gespannt, sehr weit gespannt möchte man sagen, und reicht von der kurzen, aber intensiven Beziehung Crowleys zu dem bedeutenden portugiesischen Schriftsteller Fernando Pessoa bis zu seiner Verbindung in die Bohème der Homosexuellen, Schieber und professionellen Verräter.