Die Politik des Großen Tiers

pdf der Druckfassung aus Sezession 16/Februar 2007

sez_nr_167von Martin Voelkel

Der Ruf Aleister Crowleys ist ein schlechter, das war schon zu Lebzeiten so und dafür gab es gute Gründe. Der Begründer der „Magick" und Erfinder des Gesetzes von „Thelema", eine der einflußreichsten Figuren des „okkulten Establishments" (James Webb) neigte zu Lehren und Praktiken, die früh die Sensationslust, aber auch den Abscheu der Öffentlichkeit erregten. Was immer dabei Übertreibung oder falsche Anschuldigung war, Crowley hatte den übelsten Erwartungen Vorschub geleistet, indem er sich als Prophet einer neuen, antichristlichen Offenbarung und als Inkarnation des „Großen Tieres" der Apokalypse bezeichnete. Die Biographie dieses Exzentrikers, der zwischen 1875 und 1947 gelebt hat, weckte Interesse weit über den engeren Kreis hinaus, aber es hat lange gedauert, bis sein Lebensweg einigermaßen gesichert nachgezeichnet werden konnte. Manche Fragen waren trotzdem nicht zu klären. Dazu gehörte auch die nach seinem Verhältnis zur Politik.


Hier eine abschlie­ßen­de Ant­wort gelie­fert zu haben, darf die jetzt in deut­scher Spra­che erschie­ne­ne Arbeit von Mar­co Pasi in Anspruch neh­men (Aleis­ter Crow­ley und die Ver­su­chung der Poli­tik. Mit einem Nach­wort von Hans Tho­mas Hakl: Eini­ge zusätz­li­che Bemer­kun­gen zum Fra­gen­kom­plex Juli­us Evo­la und Aleis­ter Crow­ley, Graz: Ares Ver­lag 2006. 335 S., geb, acht Tafeln, 24.90 €). Was sie vor allem aus­zeich­net, ist das Bemü­hen, das Sen­sa­ti­ons­hei­schen­de zu mei­den, weder den Fin­ten Crow­leys, noch den Irre­füh­run­gen sei­ner Anhän­ger oder den Ver­leum­dun­gen sei­ner Fein­de zum Opfer zu fal­len. Für die­sen Zusam­men­hang war des­halb von beson­de­rer Bedeu­tung, zu klä­ren, inwie­weit die poli­ti­schen Posi­tio­nen Crow­leys Affi­ni­tä­ten zu Faschis­mus oder Natio­nal­so­zia­lis­mus auf­wie­sen. Ent­spre­chen­de Mut­ma­ßun­gen lagen nahe, wegen Crow­leys Demo­kra­tie­ver­ach­tung, sei­nes Eli­tis­mus und der Gewalt­apo­lo­gie, die bestimm­te Aspek­te sei­ner Leh­re kenn­zeich­ne­te. Die detail­lier­te Unter­su­chung Pasis führt aller­dings zu dem Schluß, daß es kei­ne unmit­tel­ba­ren Bezie­hun­gen irgend­wel­cher Art gege­ben hat. Crow­leys Sym­pa­thie für Mus­so­li­ni und den Faschis­mus schwand sofort, nach­dem er wegen der Gerüch­te, die sei­ne „Abtei” auf Sizi­li­en umga­ben, aus Ita­li­en aus­ge­wie­sen wur­de. Die Bezie­hung zu J. F. C. Ful­ler, dem hohen bri­ti­schen Mili­tär und bedeu­ten­den Theo­re­ti­ker der Pan­zer­waf­fe, der spä­ter zum Füh­rungs­kreis der Bri­tish Uni­on of Fascists gehör­te, beschränk­te sich auf die Zeit vor dem Ers­ten Weltkrieg.
Auf Hit­ler wur­de Crow­ley erst spät auf­merk­sam, obwohl er immer enge Kon­tak­te nach Deutsch­land gehal­ten hat­te. Die exal­tier­te Ver­eh­rung, die eine sei­ner Anhän­ge­rin­nen, Mar­tha Künt­zel, ihm genau­so wie Hit­ler ent­ge­gen­brach­te, konn­te sei­nem Selbst­ver­ständ­nis als dem ein­zig legi­ti­men Herr­scher des „Neu­en Äons” selbst­ver­ständ­lich nicht genü­gen. Wahr­schein­lich hat ihm die Vor­stel­lung eine Zeit­lang geschmei­chelt, daß Hit­ler sein „magi­scher Sohn” sei, aber von Dau­er war das nicht. Beson­ders auf­schluß­reich ist, daß sich in den Nach­laß­be­stän­den ein Exem­plar von Rausch­nings Gesprä­che mit Hit­ler erhal­ten hat, die mit Crow­leys Rand­be­mer­kun­gen ver­se­hen sind. Ihnen ist zu ent­neh­men, daß er glaub­te, Hit­ler habe sei­ne Leh­ren wohl gekannt, sie aber nicht rich­tig ver­stan­den oder falsch angewendet.

Die­se Auf­fas­sung ent­spricht ganz der poli­ti­schen Linie, die Crow­ley in der Zwi­schen­kriegs­zeit ver­trat. Nach dem Schwan­ken sei­ner frü­hen Jah­re – der übli­che Jin­go­is­mus, dann Par­tei­nah­me für den iri­schen Frei­heits­kampf und Mit­glied­schaft in Sinn Fein, bei Beginn des Krie­ges Rück­zug in die USA, dort pro­deut­sche Agi­ta­ti­on – hat­te er sich mit wach­sen­dem Selbst­be­wußt­sein die Anschau­ung zu eigen gemacht, daß er beru­fen sei, den ihm offen­bar­ten Liber Legis zur Grund­la­ge des kom­men­den Zeit­al­ters zu machen. Die Sti­li­sie­rung als „Anti­christ” hat­te dabei die Funk­ti­on, den radi­ka­len Bruch mit der gesam­ten Geschich­te des Abend­lan­des sym­bo­lisch vor­weg­zu­neh­men. Wenn Crow­ley in bezug auf sei­ne Ziel­set­zung von einer „aris­to­kra­ti­schen Revo­lu­ti­on” sprach, war das aber kein Indiz für eine „rech­te” poli­ti­sche Ziel­set­zung. Die Aris­to­kra­tie, von der er sprach, war kei­ne, die sich für herr­schafts­tech­ni­sche, wirt­schaft­li­che oder sozia­le Aspek­te einer Ord­nung inter­es­sier­te. Das äußers­te an Rea­lis­mus, wozu er sich ver­stand, war der Ver­such, nach dem Schei­tern der Grün­dung bezie­hungs­wei­se Über­nah­me einer Geheim­ge­sell­schaft – des Ordo Templi Ori­en­tis (OTO) – Ein­fluß dadurch zu gewin­nen, daß er sich einen welt­li­chen Arm ver­schaff­te. Die gro­ße Stär­ke Pasis liegt nun dar­in, daß er deut­lich macht, wie weit Crow­ley auch in die­ser „prag­ma­ti­schen” Pha­se von kon­ven­tio­nel­len poli­ti­schen Erwä­gun­gen ent­fernt blieb. Im Grun­de war er bereit, sich jedes Mit­tels zu bedie­nen, das ihn sei­nem Ziel näher brin­gen konn­te. Dabei muß­ten natur­ge­mäß die radi­kals­ten Bewe­gun­gen den Vor­zug genie­ßen, da sie allein bereit waren, jenes Zer­stö­rungs­werk durch­zu­füh­ren, das Crow­ley als Bedin­gung sei­ner eige­nen Umge­stal­tung betrach­te­te. Pasi weist des­halb dar­auf hin, daß die anfäng­li­che Sym­pa­thie Crow­leys für den Faschis­mus auf des­sen revo­lu­tio­nä­rer und anti­kle­ri­ka­ler Ten­denz beruh­te, und die Abwen­dung begann, als Mus­so­li­ni den Aus­gleich mit dem Vati­kan such­te. Ähn­lich sah es in bezug auf Deutsch­land aus, solan­ge man den Ein­druck haben konn­te, daß Hit­ler den Kir­chen­kampf zu einem kon­se­quen­ten Ende füh­ren wer­de; daß der sich statt des­sen auf die Ver­fol­gung der Juden kon­zen­trier­te, erschien Crow­ley als gro­tes­ker Fehler.
Es war wegen der offen­sicht­li­chen Män­gel, die Faschis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus aus Crow­leys Sicht hat­ten, für die­sen nahe­lie­gend, neben der revo­lu­tio­nä­ren Rech­ten auch die revo­lu­tio­nä­re Lin­ke genau­er zu beob­ach­ten, und zu den auf­schluß­reichs­ten Bele­gen Pasis gehört ein Brief, den Crow­ley schon 1925 an sei­nen Freund Wal­ter Duran­ty, den Mos­kau­er Kor­re­spon­den­ten der New York Times geschrie­ben hat­te, und in dem er jenen bat, er möge den Macht­ha­bern sei­nen Plan einer „neu­en Reli­gi­on” vor­le­gen, in der er Crow­ley als Mes­si­as ver­ehrt und das Gesetz von The­le­ma als dog­ma­ti­sche Grund­la­ge betrach­tet wer­de. Die Idee erscheint etwas weni­ger absurd, wenn man sich vor Augen hält, daß Crow­ley kei­ne prin­zi­pi­el­len Vor­be­hal­te gegen­über der Lin­ken hat­te. Wie Pasi sehr plau­si­bel dar­stellt, kann die Wel­le des Okkul­tis­mus, die seit dem Ende des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts anwuchs, nicht ohne Wenn und Aber als Aus­druck des „Irra­tio­na­lis­mus” betrach­tet wer­den. Viel­mehr habe es von Anfang an Ver­bin­dun­gen zu radi­kal-auf­klä­re­ri­schen und posi­ti­vis­ti­schen Ten­den­zen gege­ben, denen auch Crow­ley nahe­stand. Sein „Magick” war denn auch eine „moder­ne” und in gewis­sem Sinn „demo­kra­ti­sier­te Magie”, die sich vor allem dem Chris­ten­tum gegen­über als „wis­sen­schaft­lich” über­le­gen ver­stand. In die­ser Per­spek­ti­ve moch­te dann ein Zusam­men­ge­hen mit Sta­lin sogar nahe­lie­gen­der erschei­nen als mit Mus­so­li­ni oder Hitler.
Zuletzt sind Crow­leys Ver­su­che „magi­scher Poli­tik” alle geschei­tert. Das hat­te natür­lich vor allem mit sei­ner bizar­ren Wirk­lich­keits­auf­fas­sung zu tun, sei­ner Unfä­hig­keit, die tat­säch­li­che Welt zu begrei­fen. Daß sol­che Unfä­hig­keit intel­lek­tu­el­le Pro­duk­ti­vi­tät nicht hin­dert, son­dern för­dert, ist eine alt­be­kann­te Tat­sa­che, und das Buch von Pasi bie­tet inso­fern zwar kei­ne Ent­hül­lun­gen über den Hin­ter­grund der Poli­tik des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts, aber tie­fe Ein­bli­cke in des­sen lite­ra­ri­sche Kul­tur und Sub­kul­tur. Das Spek­trum ist dabei weit gespannt, sehr weit gespannt möch­te man sagen, und reicht von der kur­zen, aber inten­si­ven Bezie­hung Crow­leys zu dem bedeu­ten­den por­tu­gie­si­schen Schrift­stel­ler Fer­nan­do Pes­soa bis zu sei­ner Ver­bin­dung in die Bohè­me der Homo­se­xu­el­len, Schie­ber und pro­fes­sio­nel­len Verräter.

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