in Richtung USA zu blicken, wenn irgendwo auf der Welt gerade mal wieder eine Riesensauerei ablief. Ich muß sagen, daß ich damit nie ganz verkehrt lag. Ich habe mir diesen Reflex deswegen auch später, als ich nicht mehr links war, nie ganz abgewöhnen können. Was sieht man in diesen Tagen, wenn man bei der Ursachenforschung wieder einmal den Blick wendet?
Im Vordergrund die Europa flutenden Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Orient – Menschen, die irgendwie ihr persönliches Schicksal verbessern wollen. In einigen Fällen gibt es wohl auch echte Not und Lebensgefahr als Auslöser der Flucht. Ob echte Not oder nicht – die Flüchtlinge wollen dorthin, wo es allem Anschein nach neben der Aussicht auf gut entlohnte Arbeit auch ein funktionierendes Sozialsystem gibt, eine Wohltaten ausstreuende öffentliche Hand.
Das kann man verstehen – wer träumt nicht vom Schlaraffenland? Daß das Säckel, aus dem diese öffentliche Hand in Zentral- und Nordeuropa ihre Wohltaten hervorzaubert, schon lange leer und nur noch schuldenfinanziert ist, interessiert niemanden, der sich in Nordafrika oder an den Ufern des östlichen Mittelmeers auf den Weg macht. Denn man sieht es doch: In Europa gibt es Länder, die mit dem Geld großzügig umgehen, wenn Menschen in Not um welches bitten. So weit, so klar, so verständlich.
Im Hintergrund erkennt man andere Prozesse. Man weiß, daß den USA der vor allem in Deutschland immer noch gut ausgebaute öffentliche Sektor und das im weltweiten Vergleich noch immer vorbildliche Sozialsystem sowie diverse strenge Umweltschutzauflagen ein Dorn im Auge sind, weil beides das global betriebene privatwirtschaftliche Engagement be- oder gar verhindert.
Bei der Öffnung des öffentlichen Sektors für die Privatwirtschaft wurden in den letzten Jahren zwar bereits bedeutende Fortschritte erzielt, doch noch funktioniert der öffentliche Bereich in Mittel- und Nordeuropa leidlich gut. Nach einer Übernahme öffentlicher Bereiche durch Private läuft es bekanntlich so: Die Leistung wird nach und nach auf ein Minimum reduziert, die mit Steuermitteln und anderen Abgaben in Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur nicht mehr gepflegt, der Preis für die Leistung – sobald die Konkurrenz vom Platz ist – hochgetrieben. Denn es zählt nur noch der Gewinn.
Man hört in diesen Tagen dort, wo etwas differenzierter über Flüchtlingsströme berichtet wird, den Begriff „geostrategische Waffe“. Zu einer Waffe gehört jemand, der sie führt. Man wendet den Blick in Richtung USA – und sieht die Dinge in einem anderen Licht.
Unstrittig ist, daß die USA mit ihrem Überfall auf Libyen und ihrem fragwürdigen Dauereinsatz im nahen und mittleren Osten die Voraussetzungen für die Flüchtlingsströme überhaupt erst geschaffen haben. In Libyen wurde eine zuvor gut gesicherte Küste zum Einfallstor nach Europa, im Großraum Syrien/Irak und in Afghanistan hat man Terrormilizen gefördert, deren Brutalität die Bewohner ganzer Regionen in die Flucht treibt.
Wenn diese Flüchtlingsströme nun gezielt nach Mitteleuropa gelenkt werden, wird dies binnen kurzer Zeit sowohl das öffentliche Gesundheitssystem als auch die Sozialkassen kollabieren lassen. Man wird das Land nicht mehr wiedererkennen. Parallel laufen die Vorbereitungen für CETA und TTIP auf Hochtouren – Freihandelsabkommen, die vordergründig (wer könnte etwas dagegen haben) den freien Handel und den privaten Wohlstand befördern sollen durch den Abbau von Handelshemmnissen. Faktisch wurden die Freihandelsabkommen vor allem dazu ersonnen, privatwirtschaftliches Engagement dort zu ermöglichen und zu schützen, wo es bislang aus gutem Grund zahlreiche sozial- und umweltpolitische Hürden gab.
Schaut man auf den Bereich der Sozialversicherung, ahnt man, was kommen wird – private Risiken wie Krankheit, Armut, Alter sind künftig vor allem privat abzusichern. Für den Rest gibt es von Hilfsorganisationen betriebene Suppenküchen, medizinische Notversorgung und Obdachlosenasyle.
An dieser Stelle sei mir eine persönliche Klarstellung erlaubt: Wenn von „den USA“ die Rede ist, meine ich stets das offizielle Amerika – den militärisch-industriellen Komplex, Wall Street, die jeweilige Marionettenregierung. Ich bin kein Amerikahasser, im Gegenteil. Ich kenne einige Amerikaner persönlich – durchaus anständige Leute. Und bei aller norddeutschen Bodenständigkeit, die mir zu eigen ist:
Ich liebe amerikanische Literatur – von Ray Bradbury bis TC Boyle, von Hawthorne über Poe und Meville bis Annie Proulx, von H.P. Lovecraft bis zu William Gay und Donald Jackson Pollock. Kulinarisch würde ich ein herzhaft-scharfes Jambalaya aus der Küche Louisianas jederzeit einem lustlosen, fetten Schweinebraten mit Rotkohl und Semmelknödeln vorziehen. Ich schaue mit Interesse Serien wie Mad Men, True Detective, Homeland und Masters of Sex.
Ich höre bevorzugt – vielleicht ein Sakrileg hier im Netzraum der Sezession – uramerikanische Musikrichtungen wie Blues, Bluegrass und Cajun und all die anderen versponnenen Folksachen, die auch heute noch zwischen Texas und South Carolina, Montana und Maine, Alaska und Alabama gedeihen. Im Wettstreit zwischen American Folk und altdeutschem Liedgut schlägt mein Herz allemal auf der anderen Seite des Atlantiks, ich musiziere gelegentlich sogar selbst im einschlägigen Stil (und tat dies übrigens bereits zu linken Zeiten). Erst beim Coca-Cola-Imperalismus hörte und hört die Liebe auf. Mein Blick auf die USA ist also durchaus differenziert. Zurück zum offiziellen Amerika.
Die USA betreiben die Politik der Globalisierung unter der Flagge der Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten. In den USA selbst sind Genderideologie und Minderheitenschutz weit fortgeschritten. Diese eindeutig links einzustufenden ideologischen Versatzstücke sind indes nicht mehr als Theaterkulisse.
Den seit den 30er Jahren stattfindenden, zunächst misstrauisch beäugten linken Ideologieimport der Frankfurter Schule von Adorno und Horkheimer bis hin zu Herbert Marcuse (den ich von allen Frankfurtern stets am meisten schätzte) hat man sich nach kurzem Zögern komplett angeeignet und nutzt ihn nun als hochwillkommenes Instrumentarium, um das Globalisierungsprojekt entscheidend voranzutreiben. Nach außen geht es immer um Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, weil dieses Allzweckkonglomerat sich deutlich besser verkaufen lässt als schnöde Geschäftemacherei.
Daß im Hintergrund die Sache anders verdrahtet ist, war im Detail an der Herkunft jener jüngst auftauchenden Internetseite zu erkennen, die den mitteleuropäischen Mittelstand zur aktiven Fluchthilfe mit dem Privat-PKW aufforderte – gesteuert wurde das Ganze offensichtlich vom Ayn Rand Institut, einem Think Tank mit deutlich wirtschaftsliberaler Ausrichtung.
Würde den „Refugees welcome“-Chören hierzulande klar werden, daß sie nur die nützlichen Idioten der Wall Street sind, würden sie sicher bald verstummen. Der hier ganz sicher vorhandene Idealismus junger Menschen (man muß doch nur in die Gesichter schauen: Sie glauben wirklich an die echte Not und vor allem an den guten Willen der zu uns Flüchtenden) wird wieder einmal missbraucht.
It’s the economy, stupid! Und die economy kennt keine Grenzen. Es geht also nicht einmal darum, daß einseitig US-Firmen gefördert werden sollen – selbst der Nationalismus in eigener Sache ist den heutigen USA völlig wesensfremd geworden (vom verbreiteten Fahnenschwenkpatriotismus im ländlichen Amerika darf man sich nicht täuschen lassen). Jeder international agierende Konzern, dessen Aktien an der Wall Street erworben und mit Gewinn wieder verkauft werden können, ist nicht weniger willkommen als der einheimische Großkonzern. Da es nun aber bekanntlich so ist, daß die Gier nicht nur die Führungsetagen und Großaktionäre der Konzerne antreibt, sondern auch den deutschen Kleinanleger, wäre es verfehlt, den Schuldigen nur in den Institutionen und nur in der Wall Street zu suchen.
Die Politik der USA läuft auf eine weltweite Nivellierung aller Unterschiede hinaus. Überall auf dem Globus möchte man gleiche Bedürfnisse züchten, gleiche (Un-)Fähigkeiten, gleiche Ideale, gleiche Normen, gleiche Konsumwünsche, gleiche (nicht besonders gute) Lebensbedingungen – das ist der perfekte Rahmen für einen allerletzten, dann allerdings gigantischen Wachstumsschub der Weltwirtschaft. Alles, was hinderlich ist, wird weggebombt oder mit der Planierraupe des wohlmeinenden Fortschritts ideologisch oder auch juristisch abgeräumt:
Gewachsene Strukturen (Rasse, Volk, Familie), geschichtlich-kulturelle Identitäten, Intelligenz‑, Bildungs- und Geschlechtsunterschiede, der freie Widerstreit der Meinungen und nicht zuletzt auch regionale Besonderheiten (geschützte Herkunftsbezeichnungen von Lebensmittelspezialitäten werden im immer stärker werdenden Ausmaß angegriffen werden, damit irgendwann auch der Schwarzwälder Schinken aus Portugal oder New Mexico kommen kann). Am Ende steht dann der uniforme, konforme, in seinen Ansprüchen reduzierte austauschbare Einheitsmensch, wie kein sozialistischer oder faschistischer Ideologe ihn stimmiger und effektiver hätte ersinnen können.
Sehr schön hat im Jahr 1962 diese Schreckensvision des rundum angepassten Konsumenten die amerikanische Liedermacherin und linke Aktivistin Malvina Reynolds erfasst und vertont.
Die Frage ist nur, ob die Rechnung aufgeht. Und hier, man muss es ganz klar sagen, kann man vielleicht wirklich nur noch darauf hoffen, daß die Zuwanderer eben nicht ohne Weiteres bereit sein werden, ihre kulturellen, religiösen, familiären Identitäten aufzugeben, um zu austauschbaren Partikeln im universalen Menschheitsbrei zu werden. Vielleicht helfen sie uns dann sogar (unfreiwillig) bei der überfälligen Rückbesinnung auf unser Eigenes.
Daß damit auch die Unterscheidung zwischen Freund und Feind auf nicht nur theoretischer Ebene wiederkehren wird, steht auf einem anderen Blatt.
Waldgänger (e.B.) aus Schwaben
Alles richtig und doch nicht richtig.
Vor den US-Kriegen im Nahen Osten und Nordafrika waren "wir" auch Schuld am Elend der Welt. Durch willkürlich gezogene Grenzen in der Kolionalzeit. Ein beliebtes linkes Argument, dass dann gerne dahin fortgeführt wird, dass "wir" dafür Buße tun müssten.
Die Ländern der Dritten Welt haben es gerne übernommen um als Wiedergutmachung weitere Hilfsgelder zu fordern, die dann irgendwo verschwanden.
Nun dasselbe Muster in Nordafrika, in Afghanistan, im Irak. Wir sind schuld, weil wir die USA unterstützt haben, weil wir Waffen liefern, weil wir mit Diktatoren Geschäfte machten. Wir müssen büßen und refugees aufnehmen.
Die Antwort auf alle diese Schuldzuweisung heißt:
Selbstverantwortung
Genauso aber wie wir von den anderen Selbstverantwortung fordern können und müssen, gilt dies für uns. Nichts ist bequemer, als andere für das eigene Elend verantwortlich zu machen und zu jammern.
Nehmen wir endlich unser Schicksal in die Hand.
Und deshalb wieder die Frage hier an das kluge Kommentariat, an die geistreiche Autorenschaft.
Welche Machtperspektive hat die deutsche Rechte?
Nicht irgendwann in ferner Zukunft. Jetzt!