Soldatenväter: Belletristik von Koneffke und Rothmann

Zwei große Romane dieses Sommers mit zahlreichen Parallelen: Beide kreisen um die Taten der Väter im Zweiten Weltkrieg.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Grund­la­ge für die Fik­ti­on sind jeweils die ech­ten Väter von Kon­eff­ke und Roth­mann. Bei­de Autoren gehö­ren der glei­chen Gene­ra­ti­on an (Kon­eff­ke 1960, Roth­mann 1953), bei­de sind erfah­re­ne, viel­fach preis­ge­krön­te Schrift­stel­ler. Bei­de Bücher wur­den von der Kri­tik ein­hel­lig gelobt, zurecht; es sind bei­des bild­mäch­ti­ge, atmo­sphä­risch dich­te Wer­ke. In bei­den geht es nicht um eine „Abrech­nung“- es scheint, die­se Zei­ten sind vorbei.

Bei­der Väter wur­den sieb­zehn­jäh­rig in den Krieg mehr hin­ein­ge­zo­gen, hat­ten lau­fend Skru­pel, haben doch getö­tet, sind nicht deser­tiert. Bei­de Väter waren her­nach (min­des­tens) sozi­al­de­mo­kra­tisch gesinn­te Pazi­fis­ten, die – selbst im Fami­li­en­kreis – sich über ihre Kriegs­ver­gan­gen­heit aus­schwie­gen, Vater Kon­eff­ke reüs­sier­te gar als Pro­fes­sor, als links­li­be­ra­ler Bil­dungs­theo­re­ti­ker. Wie staun­te der Sohn, als er im Nach­laß Brie­fe fand, in denen Papa prahlt, wie er zwei „ duss­li­ge Iwans zu Sup­pe aus Blut, Ein­ge­wei­den und Kno­chen“ zusammenschoß!

Neben­bei sind bei­de Bücher her­vor­ra­gend recher­chiert, und sie pfle­gen stel­len­wei­se ähn­li­che Bil­der, es wird aus­gie­big gefer­kelt (vul­go: gefurzt und gefickt etc.) – man staunt bei­de­mal über all die wil­li­gen NS-affi­nen Weibchen!

Bei Roth­mann ten­diert die Detail­freu­de (an Mar­ken, Lie­dern, Stars, Geschüt­zen und Rede­wen­dun­gen) teils zum eit­len Über­maß, man fühlt sich hier stre­cken­wei­se als Leser einer „Gene­ra­ti­on Golf“ der vier­zi­ger Jah­re. Ohne­hin erscheint mir Roth­manns Buch trotz sprach­li­cher Stär­ke als das schwä­che­re die­ser bei­den lesens­wer­ten Bücher. Es ist bei aller Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Emo­ti­on das vor­her­sag­ba­re­re. Im Kern ist es ziem­lich exakt die aus­wei­te­te Pro­sa­form des von Adal­bert von Cha­mis­so pro­mi­nent über­tra­ge­nen Gedichts von H.C. Anders­sons Der Sol­dat:

Es geht bei gedämpf­ter Trom­mel Klang : Ich hab’ in der Welt nur ihn geliebt,//Nur ihn, dem jetzt man den Tod doch gibt.//Bei klin­gen­dem Spie­le wird paradiert// Dazu, dazu bin auch ich kommandiert.

Bei Andersson/Chamisso haben „neun angelegt“ ,

“acht Kugeln haben vorbeigefegt//Sie zit­ter­ten alle vor Jam­mer und Schmerz, // Ich aber, ich traf ihn mit­ten ins Herz!“

Das ist eine der bei­den Kern­sze­nen in Roth­manns Buch: Wie Prot­ago­nist Wal­ter (nach ver­zwei­fel­ten Bemü­hun­gen, einen Frei­spruch des Fah­nen­flüch­ti­gen zu errei­chen) bei der Exe­ku­ti­on sei­nes Freun­des Fie­te selbst Hand anlegt, anle­gen muß.

Die ande­re Sze­ne steht zu Beginn des Romans: Wie auf einer feucht­fröh­li­chen Fei­er mit Frei­bier dut­zen­de Jun­gen als „Frei­wil­li­ge“ für die SS rekru­tiert wer­den. Indem näm­lich mit­ten im Gela­ge ein Par­tei­mann sich auf die Büh­ne stellt und „vor­schlägt“, daß „jeder Mann auf die­sem Fest, dem das Leben sei­ner Fami­lie und sei­ner Schol­le lieb ist, noch heu­te Abend frei­wil­lig in die sieg­rei­che Waf­fen-SS ein­tritt. (…) Wer dage­gen ist, kann ja jetzt auf­ste­hen.“ Natür­lich gibt es kei­ne Drückeberger!

Trotz aller ansons­ten viel­fach colo­rier­ten Bil­derhaf­tig­keit unter­wirft Roth­mann sein (zumin­dest das sich jen­seits einer schma­len der Grau­zo­ne befind­li­che) Per­so­nal grund­le­gend einem Schwarz­weiß­sche­ma; so sehr, daß der Leser manch kal­ku­liert wir­ken­der Evo­ka­ti­on nur wider­stre­bend folgt.

Die Bösen haben „fet­te Hän­de“, polier­te Stie­fel“, sind dick­lich, haben „ schlaf­fe brei­te Lip­pen“ und gabe­rn Kaf­fee­trop­fen auf andachts­voll vor ihnen aus­ge­brei­te­ten Madonnenbildern.

War es so? Oder war es viel weni­ger ein­deu­tig, näm­lich wie es uns Kon­eff­ke zeigt in sei­nem groß­ar­ti­gen Roman, der den Zeit­raum sei­ner Hand­lung bis ins Jahr 2007 spannt? Der Vater und trau­ri­ge Kriegs­held heißt hier Kon­rad Kann­ma­cher. Über sei­nem Leben (als Sonn­tags­kind eben) steht der Stern des zwar skru­pu­lö­sen, stets von Gewis­sens­bis­sen geplag­ten, doch letzt­lich glück­haf­ten Sich-Durchwurschtelns.

Kon­rad ist nicht bös, nicht mal derb oder ober­fläch­lich, er hat ein Gewis­sen, und er ist vor allem eines: Ein stets kor­rek­ter Mensch. Die Buch­hal­ter­see­le sei­nes strikt anti­na­zis­ti­schen Vaters hat sich in Tei­len auch auf Kon­rad ver­erbt. Er kennt sei­ne Soll – und Haben-Sei­ten gut; sprich: Er weiß, wem er wann zu die­nen hat. Ja: er tut es mit Skru­peln. Mal muß er sich erbre­chen hin­ter­her, mal vor­her, oft geht ein­fach der Gaul mit ihm durch.

Sei­ne Kar­rie­re als Wehr­machts­sol­dat, als (bald ver­schäm­ter) Trä­ger des Eiser­nen Kreu­zes ers­ter Klas­se, als frei­wil­li­ger Held eines Son­der­ein­satz­kom­man­dos ist bereits beacht­lich. Mit knapp 15 hat­te er – unter Druck – bei der SS unter­schrie­ben. Um einem Ein­satz dort zu ent­ge­hen, mel­det er sich auf Geheiß des Vaters rasch als Reser­ve­of­fi­ziers­an­wär­ter der Wehr­macht hat. Die­se Bewer­bung sticht die alte Unter­schrift des Min­der­jäh­ri­gen. Kon­rad zieht hier zum ers­ten, aber kei­nes­wegs zum letz­ten Mal sei­nen Kopf aus der Schlin­ge. Kon­rad ist aus­ge­zeich­net dar­in, Haken zu schla­gen – doch jede Flucht hat Kon­se­quen­zen, zumal Kon­rads Schick­sal­rad (logisch) rund ist. Immer wie­der schließt sich der Kreis.

Ohne frei­lich Fett anzu­set­zen (im Gegen­teil, er schaut so gut aus, daß ihm selbst Min­der­jäh­ri­ge ver­fal­len; er ist ein Frau­en­held!), schwimmt er auch in der Sup­pe des Nach­kriegs stets oben­auf. Dabei ist Kon­rad mit­nich­ten ein Ehr­geiz­ling. Zeit­le­bens fragt er sich, wie sich sei­ne „Reue und Scham in den Griff bekom­men las­sen“ (vor allem die in inne­rer Abspal­tung wüten­den Gewis­sens­bis­se dar­über, daß er sei­nen Schul­freund mit Bauch­schuß hilf­los hat ver­re­cken lassen,und daß er bei der Exe­ku­ti­on eines guten Kame­ra­den mit­wirk­te), aber die Wogen der Zeit las­sen ihn, das Sonn­tags­kind, stets mit der Schaum­kro­ne der Bran­dung sicher das je nächs­te Ufer erreichen.

Als er nach der Flucht aus Pom­mern in Hol­stein als Leh­rer (mit blut­jun­ger Gelieb­ter) reüs­siert, bran­det eine Lei­den­schaft in ihm auf, die aus­nahms­wei­se nicht sei­nen unter­leib­li­chen Gefil­den ent­stammt: Eine Lei­den­schaft für (aus­ge­rech­net!) Kant, den er („Zum ewi­gen Frie­den“) sogar im „Klo­ka­buff auf ver­kus­te­ter Holz­bril­le“ stu­diert. Kon­rad ver­faßt einen Auf­satz „Zur Anti­no­mie zwi­schen Frei­heit und Pflicht zur mora­li­schen Hand­lung“, reicht ihn an über­ge­ord­ne­ter Stel­le ein – und voilá, das Schick­sal trägt ihm aka­de­mi­sche Wei­hen an.

Kon­rad wird Dozent im tief­ro­ten Frank­furt. Und wie immer: er paßt sich for­mi­da­bel ein ins neue Para­dig­ma. Er schließt sich den Ultra­lin­ken an, pre­digt die Phi­lo­so­phie des Par­ti­sa­nen, der anders als der Hee­res­sol­dat (der ja „ent­frem­de­te Arbeit“ leis­tet) sei­ne „urei­gens­ten Inter­es­sen“ ver­tei­digt. Im Grun­de kann Kon­rad nichts für sei­ne neu­er­li­che Bestim­mung – er kann eigent­lich für nichts. Auch nicht dafür, daß er der Sta­si zuar­bei­tet; es sind die Zeit­läuf­te, die sein Geschick bestim­men – und Kon­rad ist nie der­je­ni­ge, der unter die Räder gerät. Mitt­ler­wei­le pflas­tern Lei­chen sei­nen Weg. Ist es denn sei­ne Schuld? Was heißt das über­haupt: Schuld? Jan Kon­eff­ke trifft in sei­ner über­aus unter­halt­sa­men Tra­gö­die an kei­ner Stel­le eine dezi­dier­te Unter­schei­dung zwi­schen guten und bösen Akteu­ren. Alle haben ihre (Ab-) Grün­de, und wel­che! Wir lesen hier einen in jeder Hin­sicht vor­treff­lich geschil­der­ten Aus­schnitt der gro­ßen, klei­nen Geschich­te Deutsch­lands von 1944 – 2007.

Mehr von die­ser fröh­li­chen Wis­sen­schaft, die­ser hei­te­ren, gal­li­gen Misanthropie!

Jan Kon­eff­ke: Ein Sonn­tags­kind, Roman, Ber­lin: Galia­ni 2015. 582 S., 24.99€
Ralf Roth­mann: Im Früh­ling ster­ben, Roman. Ber­lin 2015, 234 S., 19.95 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.