Ich würde nie zugeben, daß ich vor dem Einschlafen bete

aus Sezession 59 / April 2014

Ein Leser, der genug hat von solipsistischen Bewußtseinsströmen verzweifelter, tatenarmer, mitteljunger Protagonisten,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

wird die­ses Buch rasch zur Sei­te legen. Scha­de wär’s! Der Phi­lo­soph Heinz Hel­le, Jahr­gang 1978, hat kein erfreu­li­ches, doch bei aller Bedrückt­heit genia­les Roman­de­büt vor­ge­legt. Der namen­lo­se Ich-Erzäh­ler dürf­te dem Autor näher bekannt sein, er ist eben­falls Phi­lo­soph, ver­bringt wie Hel­le eine Zeit an der New Yor­ker Uni­ver­si­tät, er ist noch kei­ne Dreißig.

Es ist kurz nach 2006, damals saß er wäh­rend der WM auf einer Ampel und schrie »Deutsch­land«.

Ich schreie es ein klein wenig lei­ser, als ich könn­te, weil ich weiß, sie steht irgend­wo da unten, und sie schaut zu mir her­auf und denkt, jetzt sitzt er auf einer Ampel und schreit Deutschland.

Sie: das ist sei­ne Lie­be, an deren Zer­fall uns Hel­le teil­ha­ben läßt. Das Wir ist zer­bro­chen, nun gibt es nur noch ein arm­se­li­ges Ich, und auch das zer­brö­selt. Wo war der Knack­punkt? Viel­leicht bei sei­nem »fei­er­li­chen Schwur, ihr zur Sei­te zu ste­hen, wie immer sie sich ent­schei­de, wir ste­hen das durch, wir zie­hen gemein­sam ein Kind groß oder holen ein Kind aus ihrem Kör­per her­aus und wer­fen es weg, ganz wie du willst, mein Schatz«. Letz­te­res geschieht, sach­lich und pragmatisch.

Sie spie­len »Nin­ten­do, drei Tage lang, ab und zu drückt sie auf Pau­se und steht auf, um ein wenig totes, orga­ni­sches Mate­ri­al in die Toi­let­te lau­fen zu las­sen.« Er beob­ach­tet sich selbst, sei­ne Bewe­gun­gen, sei­ne Gedan­ken, sei­ne Gefüh­le, im Sekun­den­stil. Ich! Wer denn? Was maßt die­ses Ich sich lau­fend an? »Ich ver­su­che, nicht zu bemer­ken, daß der Fah­rer eine ande­re Haut­far­be hat als ich, ver­su­che, mein Porte­mon­naie nicht so schnell wie mög­lich weg­zu­ste­cken, nur weil der Fah­rer eine ande­re Haut­far­be hat als ich.«

Er, das zer­sto­be­ne Ich, stellt sich vor, den schrill schrei­en­den Jun­gen im Café, »den ich inner­lich als Schwuch­tel beschimp­fe«, zu schla­gen, er stellt sich die Wir­kung des Schlags in Zeit­lu­pe vor, er stellt sich vor, den Hahn zu span­nen mit dem Lauf an sei­nem eige­nem Joch­bein, den Abzug zu drü­cken. Doch er tut es nicht. Er denkt nur. Er hat nicht genug Mut, zuviel oder zuwe­nig »Trau­er Wut Haß Lan­ge­wei­le …, nur die wei­chen Begrif­fe, die sich anein­an­der­rei­ben wie eine Men­schen­men­ge, die nur des­halb nicht in Panik gerät, weil sie weiß, es gibt kei­nen Aus­gang.« Hel­les klei­ner Roman ist irr­sin­nig gut.

Heinz Hel­le: Der beru­hi­gen­de Klang von explo­die­ren­dem Kero­sin, Ber­lin 2014. 160 S., 18,95 €.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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