Auch ihr neuer Roman Sieben Sprünge vom Rand der Welt wurde allseits hochgelobt, mit Abstrichen zwar – wegen der Längen. Draesners voluminöses Buch machte deshalb neugierig, weil sie ein Vertriebenenkind ist und weil das Leben mit »Luftwurzeln« und epigenetischen Defiziten – ganz konkret geht es um die Vertreibung des Vaters aus Niederschlesien – Kernthema des Romans ist.
Eine der neun Stimmen aus vier Generationen, die diese Geschichte sprechen, die eigentliche Protagonistin, ist Simone. Sie hat am gleichen Tag wie ihre Autorin Geburtstag, biographische Parallelen liegen nah. Ja, es gibt einzelne Perlen in diesem Romankoloß, die schimmern und funkeln, ein Dutzend, vielleicht zwanzig.
Allein, diese Glanzstellen tragen nicht über fünfhundertneunundfünfzig Seiten voller Gefühligkeiten, unübersehbarer Frau-denkt-sich-in-Männerhirn-Versuche, Plaudereien, Seitenstränge, lyrischer Versatzstücke, konventioneller und wenig subtiler Metaphorik. Mit zunehmender Müdigkeit hangelt man sich von Perlchen zu Perlchen und stolpert dabei laufend über Mißgriffe und Unnötigkeiten.
Simones greiser Vater Eustachius (auch als Stach, Justitsch, Opsi benannt, das soll die Vielstimmigkeit verdeutlichen) ist – wie seine Tochter Simone – Affenforscher. Er liebt die Primaten, weil er den Menschen mißtraut. Das ist sein Vertreibungserbe. Simone verliebt sich erst in die Radiostimme des Psychologen Boris (Arbeitsschwerpunkt: Vertreibung), dann in den realen Menschen. Auch Boris’ Familie wurde vertrieben: Aus Lemberg in die »deutschen Ostgebiete«.
So hat jeder zu kauen an Vergangenem, an Verschwiegenem, an Tabuisiertem, an entgangenen Chancen. Hier wird nichts angedeutet, es wird ausgedeutet, zu Tode geschwatzt, auf immer länger werdenden Seiten. Schade.
Ulrike Draesner: Sieben Sprünge vom Rand der Welt, München 2014, 559 S., 21.99 €.