David Vann: Goat Mountain

David Vann: Goat Mountain, Berlin 2014. 270 S., 22,95 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Als Flo­ri­an Illies (1971) im Jah­re 2000 die Gene­ra­ti­on Golf einer Inspek­ti­on unter­zog, schlug er deren Grund­ton mit­tels einer Auf­zäh­lung des Sams­tags­in­ven­tars an: Man habe als Zehn­jäh­ri­ger in Schaum geba­det, dabei das Pira­ten­schiff von Play­mo­bil zu Was­ser gelas­sen, her­nach den Frot­tee­man­tel ange­zo­gen, Fisch­stäb­chen von Iglo ver­zehrt und sich auf »Wet­ten daß …« gefreut.

Der ame­ri­ka­ni­sche Autor David Vann (1966) wür­de viel­leicht viel dar­um geben, sei­nen eige­nen See­len­haus­halt gegen das fried­vol­le Mobi­li­ar der deut­schen Acht­zi­ger ein­tau­schen zu kön­nen. Jedoch: Wor­über soll­te er dann schrei­ben? Wenn man sei­nen Äuße­run­gen Glau­ben schenkt, dann hat Vann erst mit sei­nem jüngs­ten Buch, Goat Moun­tain, die »letz­ten Res­te des­sen weg­ge­brannt, was mich ursprüng­lich zum Schrei­ben trieb, näm­lich die Geschich­te über mei­ne von Gewalt gepräg­te Familie.«

Vann wuchs als Sohn eines Mili­tär­arz­tes auf, der sich das Leben nahm, als Vann drei­zehn Jah­re alt war und schon längst Wild geschos­sen und (wäh­rend Illies in der Wan­ne den Jol­ly Roger hiß­te) auf einen Men­schen gezielt hat­te. Jüngst schil­der­te Vann die­se Sze­ne im Rah­men der Prä­sen­ta­ti­on der deut­schen Über­set­zung sei­nes neu­en Romans: Er habe durch das Ziel­fern­rohr auf dem Gewehr sei­nes Vaters einen Wil­de­rer beob­ach­ten dür­fen, sei ihm mit dem Lauf gefolgt, und dann »pack­te mich ein Schwin­del, so als stün­de ich am Rand einer Klip­pe, und etwas in mir, von dem ich damals nicht wuß­te, daß es in mir ist, woll­te abdrücken.«

Das ist fast wört­lich aus Goat Moun­tain über­nom­men. Aber dort drückt der elf­jäh­ri­ge Ich-Erzäh­ler tat­säch­lich ab und tötet nicht sei­nen ers­ten Hirsch, son­dern sei­nen ers­ten Men­schen. Der Schock dar­über bleibt aus, ein Psy­cho­lo­ge ist nicht not­wen­dig, »viel­leicht lag das an den vie­len Hir­schen und all den ande­ren toten Din­gen, die ich in mei­nem Leben hat­te her­um­lie­gen sehen.«

Die Reak­ti­on der drei Män­ner, mit denen der Jun­ge zur Jagd durf­te, kenn­zeich­net die­ses spar­sa­me Per­so­nal des Romans: Bis zuletzt blei­ben alle vier in ihren Rol­len ste­cken: Der Vater reagiert über­for­dert, bru­tal und weh­lei­dig (»Ich kann nichts tun. Du hast mich in eine Lage gebracht, in der ich nichts tun kann«), der Groß­va­ter ent­schie­den und über­le­gen (auch kör­per­lich!). Er stellt in einem der aufs Wesent­li­che redu­zier­ten Dia­lo­ge sei­nen Sohn vor eine archai­sche Wahl: Ent­we­der er erwei­se dem Getö­te­ten Respekt und bestra­fe den Enkel (»wir kön­nen ihn schla­gen oder ver­bren­nen oder erschie­ßen und begra­ben, was auch immer nötig ist, um es wie­der­gut­zu­ma­chen«), oder der Getö­te­te sei bedeu­tungs­los, und das Gesetz zäh­le nicht für die­sen Wil­de­rer (»Wir haben Vor­rang. Die Sippe.«).

Bleibt noch der Freund der Fami­lie, Tom: »Ver­wan­delt in einem ein­zi­gen Moment. Hän­gen­de Schul­tern, gesenk­ter Kopf, Gewehr schlaff in der Hand, ein Mensch, der an der Über­zeu­gung fest­hielt, man kön­ne die Zeit zurück­dre­hen. Selbst mit mei­nen elf Jah­ren ver­ach­te­te ich ihn.« Damit ist alles an sei­nen Platz gestellt und kann sich ent­wi­ckeln aus der Zeit­schleu­se der Tötung her­aus, vor der alles anders war, als es danach sein muß.

Nicht ohne Grund erin­nert das Dra­ma, das nun sei­nen Lauf nimmt, an eine grie­chi­sche Tra­gö­die: Vann ori­ent­tiert sich in sei­ner Redu­zie­rung des Per­so­nals und sei­nen exis­ten­ti­el­len Fra­ge­stel­lun­gen an den anti­ken Vor­bil­dern und wählt etwa in Goat Moun­tain eine denk­bar kras­se Form der Kathar­sis, der Rei­ni­gung von einer, man möch­te sagen: grund­sätz­li­chen Schuld.

Er ver­stärkt dies dadurch, daß er nach dem Mord von Kain und Abel berich­tet und jedes Kapi­tel mit einer Refe­renz an die Bibel ein­lei­tet. Wer mit Fisch­stäb­chen und »Wet­ten daß …« auf­ge­wach­sen ist, sieht in die­ser an der Gren­ze zur Wild­nis agie­ren­den, groß­ka­li­brig bewaff­ne­ten Män­ner­grup­pe viel­leicht eine Ban­de, die das eige­ne Camp zu ver­tei­di­gen und sogar einen Mord im eige­nen Geviert zu regeln in der Lage sei.

Vann indes graut vor der­lei Mythen: Die Ame­ri­ka­ner klam­mer­ten sich aus Angst vor dem zivi­len Abstieg an ihre Waf­fen und Pio­nier­er­zäh­lun­gen, nicht aus Stär­ke. Mit sol­chen The­sen kommt er nicht gut an in einem Land, in dem jüngst in Iowa die Repu­bli­ka­ne­rin Joni Ernst ihren Kon­kur­ren­ten mit dem Slo­gan »Mut­ter, Sol­da­tin, kon­ser­va­tiv« aus­stach und auch im Wahl­kampf stets mit einer Pis­to­le in der Hand­ta­sche unter­wegs war. Vanns Kon­se­quenz: In zwei Jah­ren war er genau für einen Tag in Amerika.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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