McCartens Geschichte über Azime, die weltweit erste burkatragende Komödiantin (»Comedian«), mag sich nicht glasklar ins Genre der Hochliteratur fügen. Sie ist nichtsdestoweniger ein vielschichtiger Lesegenuß, der sich nicht zuletzt der Übersetzungsleistung durch Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié verdankt. Funny girl ist einer dieser Romane, auf die das Klischeewort vom Nicht-weglegen-Können zutrifft.
Azime ist zwanzig, in London als Kind kurdischer Eltern geboren. Die familiäre Situation ist recht typisch – die Eltern führen eine arrangierte, zufriedene Ehe, der Vater hat sich als Möbelhändler (»türkischer Barock«) selbständig gemacht, er handelt mit Möbeln, die nach Azimes Meinung »besser aussahen, wenn man die Plastikhülle drumließ.« Azimes Bruder ist ein patriarchalischer Gernegroß, die neunjährige Schwester möchte Hirnchirurgin oder Topmodel werden, schwenkt aber nach dem einmonatigen »Kopftuch-auf-Probe« mit guten Gründen auf die familiäre Sitte ein.
McCarten beschreibt eindrücklich, warum die Macht der Tradition so groß und verführerisch ist. Aus Azimes nachvollziehbarer Sicht ist sie erdrückend und heimelig zugleich. »Wenn man seinen Platz in der langen Traditionsreihe einnahm und sich den Geboten der alten Kultur beugte, dann bekam man das Gefühl, daß das Leben nicht aus vielen kleinen Schubladen bestand, sondern daß man ein vollständiger Mensch war, Bestandteil eines größeren, schöneren Ganzen.«
Azime liebt die kurdischen Gepflogenheiten. Sie trägt selten Kopftuch, spürt einem mutmaßlichen Ehrenmord an einer Schulkameradin nach, sie ist Jungfrau-bis-zur-Ehe aus Überzeugung – und sie führt ein kleines unmuslimisches Sonderleben, vor allem, seit sie aus Zufall in diesen volkshochschulartigen Comedy-Kurs geraten ist. Sie beschließt, zeltförmig aufzutreten. Ihr einerseits loses, andererseits doch muslimisch-loyales und bei aller Schlagfertigkeit eher mäßig witziges Mundwerk begeistert die Zuhörer – allein aufgrund des Rahmens, des stoffenen Rahmens, aus dem die Worte ans Ohr der Zuhörer dringen.
Was für ein Zündstoff! Eine Burkafrau liest Leviten! Es hagelt Morddrohungen; die Eltern, bislang arg bemüht, das nach deren Einschätzung alte Mädchen unter die Haube zu kriegen, wollen sich von der Tochter lossagen. Allah hat diese Art Witzigkeiten untersagt! Azime fühlt sich zerrissen.
»Im 21. Jahrhundert lebt in so einem Land jeder in der Hoffnung, daß er nie in eine Situation kommt, in der er Zivilcourage zeigen muß«, das ist ihr Empfinden. Azime wird nicht mit ihren Leuten brechen. Sie neigt sich mit den Frauen in der Moschee »tief, richtet sich auf und verneigt sich wieder, wie träge arbeitende Ölpumpen«, aber sie läßt sich nicht kontaminieren, weder von dem klebrigen Gut der einen noch der anderen Seite. Gut!
Anthony McCartens funny girl kann man hier bestellen.