pdf der Druckfassung aus Sezession 14/Juli 2006
Vor fünfundsiebzig Jahren, am 23. Juni 1931 wurde das „Haus Atlantis” in der Bremer Böttcherstraße eingeweiht. Die Ansprache bei der feierlichen Eröffnung hielt der Bauherr selbst, der Kaffeemagnat Ludwig Roselius. Roselius hatte nach und nach die einzelnen Gebäude dieser Gasse erworben, teilweise erneuert, teilweise umgebaut, teilweise abgerissen und durch andere ersetzt. Dadurch erhielt die Böttcherstraße – wie der Name sagt, ursprünglich Wohn- und Arbeitsplatz der Faßmacher – mit ihren kleinen dunklen Gebäuden einen völlig anderen Charakter. Etwas, das Roselius nicht nur nicht störte, sondern von ihm ausdrücklich angestrebt wurde. Er sah seine Arbeit nicht als denkmalpflegerische an, er wollte selbst ein neues Denkmal setzen, auch seiner eigenen Person, aber vor allem dem, was er als das „niederdeutsche Genie” betrachtete.
Roselius hatte ein Vermögen durch die Erfindung des entkoffeinierten Kaffees – „Kaffee HAG” – gemacht und sich seit der Vorkriegszeit als Philanthrop, Kunstsammler und Mäzen betätigt. Seine Interessen waren weitgespannt, seine Begeisterungsfähigkeit außerordentlich. Schon den Zeitgenossen fiel neben seiner Tatkraft und Zielstrebigkeit, seinem Enthusiasmus für technische Neuerungen und Amerika ein gewisses Schwärmertum auf, eine Neigung zu Vorgeschichte und religiösen Spekulationen, als deren wichtigster Ausdruck das Haus Atlantis betrachtet werden kann. Aber auch in diesem Gebäude verbanden sich auf eine für Roselius typische Weise Geschäftsinteresse, praktischer Sinn und Vision. Schon das zuerst erworbene Haus, die Nummer sechs, das älteste und schönste Gebäude der Böttcherstraße, hatte Roselius zum Verwaltungssitz seiner Firma umbauen lassen, ab 1928 nahm es seine Kunstsammlung auf und wurde in „Roselius-Haus” umbenannt. Ähnlich ging es mit den Lagerhäusern in Nummer vier und fünf, in die seine Hausbank, die Bremen-Amerika-Bank, einzog.
Zwischen 1923 und 1927 war die ganze vom Markt aus gesehen rechte Seite der Straße umgestaltet worden. Den Auftrag dazu hatten die angesehenen Bremer Architekten Alfred Runge und Eduard Scotland erhalten. Sie orientierten sich an traditionellen Vorgaben, Mustern der Bremer Weserrenaissance, und fanden damit allgemeine Anerkennung. Deutlich anders verhielt es sich mit dem Paula-Becker-Modersohn-Haus, das Roselius von seinem Freund, dem Bildhauer Bernhard Hoetger errichten ließ.
Hoetger, der nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn unter anderem nach Paris und durch die Schule Rodins geführt hatten, in der Künstlerkolonie Worpswede eine Heimat fand, war kein Architekt und gestaltete das Modersohn-Becker-Haus eher wie eine Skulptur. Das erklärt die „organische” Formung der Innenräume ebenso wie die naturhafte Wirkung der vielfach gebrochenen Fassade, aus der Ornamente und reliefartige Symbole hervortreten. Immerhin hat die Verwendung des Backsteins hier wie bei den Gebäuden von Scotland und Runge einen harmonischen Gesamteindruck hinterlassen. Trotzdem gab es bei der Vollendung 1927 auch irritierte Stimmen, die sich vor allem an expressionistischen Elementen und dem Modernismus des Hauses störten, das eine Sammlung mit Werken der von Roselius hoch verehrten, mit Hoetger befreundeten Künstlerin aufnehmen sollte.
Die Kritik entzündete sich am Formalen, nicht an der inhaltlichen Bestimmung, denn das von Roselius formulierte Programm – „Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße ist ein Versuch, deutsch zu denken” – konnte in der Zwischenkriegszeit durchaus auf breitere Zustimmung rechnen. Problematisch erschien aber vielen, die Art und Weise, in der Roselius diesem „Versuch, deutsch zu denken” künstlerischen Ausdruck verschaffen wollte. Bis Mitte der zwanziger Jahre waren seine Vorstellungen eher restaurativ gewesen. Das änderte sich unter dem Einfluß Hoetgers. Der hatte sich mittlerweile von seiner eigenen akademischen Phase in der Vorkriegs- und Kriegszeit immer weiter entfernt und galt unter den expressionistischen Stürmern und Drängern als eine Art Führerfigur. Eine wichtige Rolle bei seiner Abwendung von der Klassik spielte die Auseinandersetzung mit primitiver Kunst afrikanischer und polynesischer Herkunft, deren Ursprünglichkeit er aber auch als etwas verstand, das dem „Nordischen” ungleich näher kam als die Bemühungen eines völkischen Realismus. In einem Brief von 1924 schrieb er an Roselius mahnend: „Du stehst mit Deiner Idee in der dunklen Halle der schiefgefahrenen Tradition und wagst nicht den Sprung in das helle Licht. … Jeder Rückblick und jede gewollte Anknüpfung, sei es selbst mit der besten Zeit der Germanen, ist ein Beweis unserer Unzulänglichkeit. … Warum all die Beweise, daß der nordische Mensch der befruchtende ist? Ist die Idee des beschaulichen Schaffens aus unserem reinen Zeitgeist nicht viel bedeutender und fruchtbarer? Ich bin fest überzeugt, daß Du mit all den historischen Beweisen zu keinem Beweis kommst, daß die ganze Unternehmung … versinken wird unter das Niveau einer kunstwissenschaftlichen musealen Darstellung.”
Die Angst, daß die Böttcherstraße nichts anderes sein werde, als ein attraktives, kommerziell nutzbares, aber in ihrem Ausdruck unschöpferisches Ganzes, hat Roselius offenbar dazu veranlaßt, Hoetger für die Gestaltung der Gebäude, mit denen er beauftragt wurde, weitgehend freie Hand zu lassen. Das galt schon für das Modersohn-Becker-Haus und dann erst recht für das Haus Atlantis. Auch hier findet sich die Kombination aus Brauchbarkeit und Weltanschaulichem. So beherbergte das Haus neben Klub- und Veranstaltungsräumen, darunter der große „Himmelssaal” im Dachgeschoß, ein „Institut für Gesundheit und Leistung”, eine Art Fitneß-Zentrum, das auch dem Betriebssport der Angestellten von Roselius diente, Bibliotheks- und Leseräume sowie einen musealen Bereich für die „Sammlung Väterkunde”.
Anders als im Roselius- oder im Modersohn-Becker-Haus ging es in der Sammlung aber nicht um die Präsentation wertvoller Kunstwerke – oft begnügte man sich gezwungenermaßen mit Repliken -, sondern um die Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes, in dessen Zentrum die Idee stand, daß die „nordische Rasse” die einzige kulturschöpferische sei, daß ihre Urheimat eine nordische Atlantis war, die in der Vorzeit durch eine Flutkatastrophe vernichtet wurde und deren Überlebende dann in allen Teilen der Welt mit ihrem überlegenen Wissen befruchtend wirkten.
Derartige Vorstellungen von kultureller Diffusion waren seit dem 19. Jahrhundert außerordentlich verbreitet, auch die Verknüpfung mit der Annahme einer Urheimat aller Kulturen in Atlantis fand sich relativ oft, aber die Dreiheit Urkultur – Atlantis – Nordische Rasse war ein relativ spätes Produkt, konnte sich niemals auf breiterer Ebene durchsetzen und blieb auf kleinere Kreise beschränkt. Zu deren einflußreichsten Ideengebern gehörte in den Zwischenkriegsjahren der aus den Niederlanden stammende Wahldeutsche Herman Wirth. Wirth hatte in den zwanziger Jahren mit einem ungeheuren Aufwand zu beweisen versucht, daß es in der Frühzeit eine nordische Kultur gegeben habe, deren Weltanschauung sich auf Grund archaischer Symbol- und Schriftsysteme noch rekonstruieren lasse. Reste dieser Zeichen hatten sich nach Wirths Überzeugung auf allen Kontinenten erhalten und ließen keinen anderen Schluß zu, als den, daß die nordischen Atlanter nach der Zerstörung ihres Kontinents zu „Missionaren” wurden und die alte Kultur so wenigstens in ihren Grundelementen bewahrt blieb. Wichtiger als das, erschien ihm aber die Fähigkeit der Nachkommen, durch gleiche rassische Zugehörigkeit, Zugang zum „Ahnenerbe” zu gewinnen.
Wirth hätte seine Ideen einer breiteren Öffentlichkeit niemals vorstellen können, ohne die Unterstützung durch großzügige Förderer, zu deren wichtigsten sein Verleger Eugen Diederichs und Roselius gehörten. Beide haben vor allem die Herausgabe von Wirths Hauptwerk Der Aufgang der Menschheit (Jena 1928) finanziert. Auf dem Umschlag dieses Buches ist ein Bild zu sehen, das sich überhaupt nur verstehen läßt, wenn man Wirths Theorie etwas genauer kennt. Dargestellt ist ein Mann, der an einem gleichseitigen Kreuz hängt, dessen Enden in einem mit Runen besetzten Kreis auslaufen. Es handelt sich dabei um ein Symbol, das Wirth in mehr oder weniger deutlicher Form bei allen von den Atlantern beeinflußten Kulturen gefunden zu haben glaubte. Es brachte seiner Meinung nach alle Hauptaspekte ihrer Religion zum Ausdruck: die Annahme eines unsichtbaren „Hochgottes”, der sich in der Sonne offenbarte, deren Umlauf dem Mythos vom Sterben und Auferstehen dieses „Gottessohnes” entsprach. Das Christentum, so Wirth, sei der in vielem zwar mißverstandene, ins Historische übersetzte, aber im Kern doch zutreffende Ausdruck dieser uralten kosmischen Lehre.
Es liegt auf der Hand, warum Wirths Weltanschauung auf das besondere Interesse von Roselius traf, der Anfang der zwanziger Jahre den Kontakt gesucht hatte und auch Hoetger in Verbindung zu Wirth brachte. Zwischen Hoetger und Wirth blieb das Verhältnis aber nicht ohne Spannung. Das mag man teilweise auf das jeweilige Sendungsbewußtsein zurückführen, teilweise aber auch auf die Schwierigkeiten, die sich aus der unterschiedlichen Kunstauffassung ergaben. Für Wirth sollte die Kunst seine Ideen illustrieren, für Hoetger war sie eine Größe sui generis, in der der nordische Genius unmittelbar sprechen mußte. Es ist insofern anzunehmen, daß Wirth schon der kühnen Stahlkonstruktion des Hauses Atlantis, der Verwendung von Art-déco-Elementen im Schmuck und der an Fritz Langs Film „Metropolis” erinnernden submarinen Lichtwirkung in Treppenhaus und Himmelssaal ablehnend gegenüberstand. Zu scharfen Auseinandersetzungen kam es aber vor allem um den „Lebensbaum”, der über die gesamte Höhe der Fassade laufen sollte. Hoetger hatte als Material Eichenholz gewählt, das teilweise mit Kupferplatten ummantelt war. Der Aufbau begann in Höhe des Eingangs mit drei Säulen, die die Nornen Urd, Verdandi und Skuld symbolisierten, darüber ein Architrav mit nordischem Flechtbandmuster, auslaufend in zwei erhobene Tierköpfe, die an die Drachensteven der Wikingerschiffe erinnern und die atlantischen „Missionare” repräsentierten, dann folgt das Radkreuz mit dem Gekreuzigten, darüber ein lateinisches Kreuz und auf Dachhöhe eine mit Goldblech überzogene, kreisrunde Scheibe, flankiert von Schwänen, den Tieren des Sonnengottes Apoll.
Die Empörung Wirths entzündete sich an der Darstellung des Gekreuzigten, den er sich als edlen germanischen Krieger gewünscht hatte, Bezug nehmend auf das eddische Lied von Odin, der sich selbst als Opfer am Weltenbaum darbrachte. Aber Hoetger hatte dieses Konzept als steril abgelehnt und Roselius angerufen, dem er mit dem Abbruch des Projektes drohte, wenn Wirth sich durchsetzen dürfe. Roselius stellte sich schließlich auf die Seite von Hoetger und verteidigte dessen Werk auch öffentlich: „Man muß sich die nordischen Felsenbilder ansehen, um es zu verstehen. Mich hat das Werk bis in die Seele erschüttert. Prof. Wirth blieb skeptisch, er möchte heute noch eine naturalistische, statische Lösung finden. Ich glaube nicht, daß es eine andere gibt. Soll die 500.000-jährige Geschichte eines Volkes symbolisch durch eine Figur dargestellt werden, so kann man nicht zur Alltäglichkeit greifen, mag sie künstlerisch noch so gut gestaltet sein.”
Hoetgers Figur des Gekreuzigten bedeckte an den Lenden eine Art Fellschurz, der Körper wirkt ausgemergelt, der Kopf seltsam überproportioniert, maskenhaft unmenschlich. Waren es für Wirth vor allem ideologische Gründe, die seinen Widerspruch herausforderten, so reagierte die breitere Öffentlichkeit empört, weil die Figur keiner üblichen Auffassung von Schönheit entsprach. In den Bremer Nachrichten hieß es: „Scheußlicher Fetisch über einer Bratpfanne mit phosphoreszierenden Spiegeleiern: dieser geräderte, hölzerne Rettich, geschunden, gehötgert, geböttgert – meschugge …” Und der Dichter Rudolf Alexander Schröder empörte sich über „Wotanskult” und „sakrale Roßschlächterei”. Sonderlich beeindruckt waren Roselius und Hoetger dadurch allerdings nicht. Vielmehr eröffnete Roselius am zweiten Jahrestag der Einweihung des Hauses Atlantis in dessen Räumen das „Erste nordische Thing”, an dem einhundertfünfzig Wissenschaftler teilnahmen, zu deren Spezialgebieten die germanische Frühzeit gehörte. Wesentliches Anliegen von Roselius war dabei der Versuch, Wirth die Anerkennung der Zunft zu verschaffen, die ihm bisher versagt geblieben war. In seinem Grußwort beschwor er als „Rufer” des Things die Anwesenden förmlich, dem „seltenen Mann” Gehör zu schenken. Die Bitte war indes vergeblich, der Vortrag Wirths endete mit einem Eklat, als mehrere Wissenschaftler unter Protest den Saal verließen.
Tatsächlich war die Stellung Wirths zu diesem Zeitpunkt schon unhaltbar geworden. Das hing vor allem damit zusammen, daß er sich für die Authentizität – des Textes – der seit langem als Fälschung identifizierten Ura-Linda-Chronik einsetzte, deren angeblich altfriesischer Text eine Überlieferung enthielt, die mit Wirths eigenen Spekulationen zur Frühgeschichte harmonierte. Das Scherbengericht, das die Wissenschaft daraufhin über Wirth hielt, trug ihm allerdings das Wohlwollen eines Mäzens ein, dessen Einfluß den von Roselius deutlich überstieg. 1933 kam es zu einer folgenreichen Begegnung zwischen Wirth und Heinrich Himmler, der daran dachte, mit dessen Hilfe eine Wissenschaftsorganisation der SS, das „Ahnenerbe”, aufzubauen. Die Kooperation begann mit großem gegenseitigem Enthusiasmus. Aber der Eigensinn und die Verschrobenheit Wirths auf der einen, der Versuch Himmlers, sich stärker um seriöse Vorgeschichtsforschung zu bemühen auf der anderen Seite, führten schon 1935 zu einem Zerwürfnis und zur Trennung. Wie sich die Beziehung Wirths zu Roselius weiterentwickelte, ist nicht bekannt, immerhin war der gezwungen, den offiziellen Führer der Böttcherstraße ab 1933 mit einem Hinweis zu versehen, demzufolge das „Paula-Becker-Modersohn-Haus und der Lebensbaum vor dem Hause Atlantis keinesfalls der heutigen nationalsozialistischen Kunstanschauung entsprechen”.
Dieser Akt der Selbstzensur blieb nicht der einzige, dem sich Roselius und Hoetger unterwarfen, die beide nach der Machtübernahme Hitlers versuchten, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, ohne allen Spielraum aufzugeben. Das war aber nur in der Anfangszeit des NS-Regimes durchzuhalten. Im Frühjahr 1935 begann Das Schwarze Korps, die Wochenzeitung der SS, die ihre besondere Aufgabe darin sah, die „verdeckten” Gegner des Systems zu entlarven, mit Angriffen auf Roselius und Hoetger. Aufschlußreich war dabei die Bezugnahme im Fall des Künstlers: „Der Fall Hoetger”, so Das Schwarze Korps, „ist gewiß mit dem viel umstrittenen Fall Barlach zu vergleichen. Beide schaffen im besten Mannesalter eine Folge von Bildwerken, die jeder von uns als artfremd empfindet.” Der gereizte Ton im Vergleich des „Falles Hoetger” mit dem „Fall Barlach” erklärt sich daraus, daß es innerhalb der NSDAP eine kulturpolitische Minderheit gab, die den einen wie den anderen für adäquate Träger eines erneuerten Kunstwillens hielt.
Den Bildhauer Ernst Barlach und ähnlich den Maler Emil Nolde hatte die nationalistische Intelligenz schon in den zwanziger Jahren als Vertreter einer „unbürgerlichen, unrealistischen Kunst der Phantasie” gefeiert und gegen eine völkische „Verspießerung” (Fritz Meyer-Schönbrunn) in Schutz genommen. Der Konflikt erreichte seinen ersten Höhepunkt, als der von der nationalsozialistischen Landesregierung Thüringens 1930 mit einer Säuberung der staatlichen Sammlungen beauftragte Paul Schultze-Naumburg die Arbeiten von Barlach und Nolde als „entartet” entfernen ließ.
Es ist angesichts der Bedeutung von Hitlers persönlichem Geschmack für die Kunstpolitik des NS-Regimes nicht überraschend, daß nach 1933 alle Versuche, modernen Richtungen, insbesondere wenn sie vom Expressionismus beeinflußt waren, Duldung zu verschaffen, ohne Aussicht auf Erfolg blieben. Im Fall der Böttcherstraße kam außerdem der Verdacht der ideologischen Häresie hinzu, den Hitler immer gegen die völkischen „Rückwärtse” mit ihren spekulativen Neigungen empfand. In seiner großen kulturpolitischen Rede auf dem Nürnberger Parteitag von 1936 erklärte er dann auch unmißverständlich: „Wir haben nichts zu tun mit jenen Elementen, die den Nationalsozialismus nur vom Hören und Sagen her kennen und ihn daher nur zu leicht verwechseln mit undefinierbaren nordischen Phrasen und die nun in einem sagenhaften Atlantischen Kulturkreis ihre Motivforschungen beginnen. Der Nationalsozialismus lehnt diese Art von Böttcherstraßen-Kultur schärfstens ab.”
Die Reaktion der Angegriffenen war beschämend. Sie unterwarfen sich nicht nur dem Diktum Hitlers bedingungslos, sie machten ihrerseits Vorschläge, wie man die „Kulturschande” beheben könne. Zu den wichtigsten Veränderungen gehörte ohne Zweifel die Entfernung des expressionistischen Ziegel- und Buntglasgefüges über dem Eingangstor der Böttcherstraße, das Hoetger durch ein goldschimmerndes Relief ersetzen ließ, das einen vom Himmel herabstoßenden Engel mit Schwert zeigte, der einen Drachen niederschlägt. Dieser „Lichtträger”, so Hoetger, solle „den Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis” darstellen. Zeitgleich bat Roselius Hitler persönlich um Abänderungsvorschläge für die Bauten. Am 26. Oktober 1936 entschied Hitler aber, daß keine Korrekturen vorzunehmen seien, vielmehr solle die Böttcherstraße der Nachwelt als abschreckendes Beispiel für „entartete Kunst” erhalten werden: Nach der Begehung durch Albert Speer wurde das ganze Ensemble ein halbes Jahr später zu diesem Zweck sogar unter Denkmalschutz gestellt.
Alle folgenden Versuche von Roselius und Hoetger, sich mit dem System zu arrangieren, schlugen fehl. Ein Antrag von Roselius auf Parteiaufnahme wurde 1938 abschlägig beschieden, er verließ Bremen und starb fünf Jahre später vereinsamt und resigniert. Der Rückzug war auch die einzige verbleibende Möglichkeit für Hoetger, der den Ruch des „Entarteten” nicht mehr abstreifen konnte. Er starb 1949 in Berlin. Das bedeutete auch, daß er die Zerstörung der Böttcherstraße miterleben mußte, die den alliierten Luftangriffen auf Bremen am 19. August und 6. Oktober 1944 zum Opfer fiel. Nur das Haus Atlantis blieb weitgehend unversehrt, die Stahlkonstruktion war stabil genug. Allerdings wurde der Lebensbaum zum großen Teil ein Opfer der Flammen. Daß man bei der Rekonstruktion der Böttcherstraße, die 1954 abgeschlossen war, nicht an eine Restauration dachte, wird man vielleicht als verständlich ansehen müssen, aber bis 1965 wurden auch die Reste der Hoetgerschen Fassade unkenntlich gemacht. Lediglich Treppenhaus und Himmelssaal ließen die neuen privaten Eigner restaurieren.
Armin Mohler hat einmal gesagt, man müsse den revolutionären Charakter der Konservativen Revolution in Zweifel ziehen, weil sie keinen eigenen Baustil hervorgebracht habe. Das ist im strengen Sinn richtig, obwohl nicht zu bezweifeln ist, daß es im Umkreis der Konservativen Revolution auch Architekten gegeben hat, deren Vorstellungen vom Historismus ebenso weit entfernt waren wie vom „Internationalen Stil”. Man kann in dem Zusammenhang die Siedlungsentwürfe der Lebensreformer ebenso nennen wie das völkische Bauen eines Hermann Hendrich, die Monumente eines Wilhelm Kreis, die kühne Erneuerung der Backsteinbauweise durch Fritz Höger ebenso wie die Neuromanik der dreißiger Jahre. In diesem Ganzen haben Roselius und Hoetger sicher eine Randstellung, vor allem, weil sie versuchten, einer ganz bestimmten – im Grunde esoterischen – Weltanschauung architektonischen Ausdruck zu verschaffen. Daß sie sich moderner Mittel bedienten, um dieses Ziel zu erreichen, trennte sie nicht von der Konservativen Revolution insgesamt, sondern wirft Licht auf deren Facettenreichtum.