Das Haus Atlantis

pdf der Druckfassung aus Sezession 14/Juli 2006

pdf der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 14/Juli 2006

sez_nr_142von Karl­heinz Weißmann

Vor fünf­und­sieb­zig Jah­ren, am 23. Juni 1931 wur­de das „Haus Atlan­tis” in der Bre­mer Bött­cher­stra­ße ein­ge­weiht. Die Anspra­che bei der fei­er­li­chen Eröff­nung hielt der Bau­herr selbst, der Kaf­fee­ma­gnat Lud­wig Rose­li­us. Rose­li­us hat­te nach und nach die ein­zel­nen Gebäu­de die­ser Gas­se erwor­ben, teil­wei­se erneu­ert, teil­wei­se umge­baut, teil­wei­se abge­ris­sen und durch ande­re ersetzt. Dadurch erhielt die Bött­cher­stra­ße – wie der Name sagt, ursprüng­lich Wohn- und Arbeits­platz der Faß­ma­cher – mit ihren klei­nen dunk­len Gebäu­den einen völ­lig ande­ren Cha­rak­ter. Etwas, das Rose­li­us nicht nur nicht stör­te, son­dern von ihm aus­drück­lich ange­strebt wur­de. Er sah sei­ne Arbeit nicht als denk­mal­pfle­ge­ri­sche an, er woll­te selbst ein neu­es Denk­mal set­zen, auch sei­ner eige­nen Per­son, aber vor allem dem, was er als das „nie­der­deut­sche Genie” betrachtete.

Rose­li­us hat­te ein Ver­mö­gen durch die Erfin­dung des ent­kof­fe­inier­ten Kaf­fees – „Kaf­fee HAG” – gemacht und sich seit der Vor­kriegs­zeit als Phil­an­throp, Kunst­samm­ler und Mäzen betä­tigt. Sei­ne Inter­es­sen waren weit­ge­spannt, sei­ne Begeis­te­rungs­fä­hig­keit außer­or­dent­lich. Schon den Zeit­ge­nos­sen fiel neben sei­ner Tat­kraft und Ziel­stre­big­keit, sei­nem Enthu­si­as­mus für tech­ni­sche Neue­run­gen und Ame­ri­ka ein gewis­ses Schwär­mer­tum auf, eine Nei­gung zu Vor­ge­schich­te und reli­giö­sen Spe­ku­la­tio­nen, als deren wich­tigs­ter Aus­druck das Haus Atlan­tis betrach­tet wer­den kann. Aber auch in die­sem Gebäu­de ver­ban­den sich auf eine für Rose­li­us typi­sche Wei­se Geschäfts­in­ter­es­se, prak­ti­scher Sinn und Visi­on. Schon das zuerst erwor­be­ne Haus, die Num­mer sechs, das ältes­te und schöns­te Gebäu­de der Bött­cher­stra­ße, hat­te Rose­li­us zum Ver­wal­tungs­sitz sei­ner Fir­ma umbau­en las­sen, ab 1928 nahm es sei­ne Kunst­samm­lung auf und wur­de in „Rose­li­us-Haus” umbe­nannt. Ähn­lich ging es mit den Lager­häu­sern in Num­mer vier und fünf, in die sei­ne Haus­bank, die Bre­men-Ame­ri­ka-Bank, einzog.
Zwi­schen 1923 und 1927 war die gan­ze vom Markt aus gese­hen rech­te Sei­te der Stra­ße umge­stal­tet wor­den. Den Auf­trag dazu hat­ten die ange­se­he­nen Bre­mer Archi­tek­ten Alfred Run­ge und Edu­ard Scot­land erhal­ten. Sie ori­en­tier­ten sich an tra­di­tio­nel­len Vor­ga­ben, Mus­tern der Bre­mer Weser­re­nais­sance, und fan­den damit all­ge­mei­ne Aner­ken­nung. Deut­lich anders ver­hielt es sich mit dem Pau­la-Becker-Moder­sohn-Haus, das Rose­li­us von sei­nem Freund, dem Bild­hau­er Bern­hard Hoet­ger errich­ten ließ.

Hoet­ger, der nach Lehr- und Wan­der­jah­ren, die ihn unter ande­rem nach Paris und durch die Schu­le Rodins geführt hat­ten, in der Künst­ler­ko­lo­nie Worps­we­de eine Hei­mat fand, war kein Archi­tekt und gestal­te­te das Moder­sohn-Becker-Haus eher wie eine Skulp­tur. Das erklärt die „orga­ni­sche” For­mung der Innen­räu­me eben­so wie die natur­haf­te Wir­kung der viel­fach gebro­che­nen Fas­sa­de, aus der Orna­men­te und reli­ef­ar­ti­ge Sym­bo­le her­vor­tre­ten. Immer­hin hat die Ver­wen­dung des Back­steins hier wie bei den Gebäu­den von Scot­land und Run­ge einen har­mo­ni­schen Gesamt­ein­druck hin­ter­las­sen. Trotz­dem gab es bei der Voll­endung 1927 auch irri­tier­te Stim­men, die sich vor allem an expres­sio­nis­ti­schen Ele­men­ten und dem Moder­nis­mus des Hau­ses stör­ten, das eine Samm­lung mit Wer­ken der von Rose­li­us hoch ver­ehr­ten, mit Hoet­ger befreun­de­ten Künst­le­rin auf­neh­men sollte.
Die Kri­tik ent­zün­de­te sich am For­ma­len, nicht an der inhalt­li­chen Bestim­mung, denn das von Rose­li­us for­mu­lier­te Pro­gramm – „Die Wie­der­errich­tung der Bött­cher­stra­ße ist ein Ver­such, deutsch zu den­ken” – konn­te in der Zwi­schen­kriegs­zeit durch­aus auf brei­te­re Zustim­mung rech­nen. Pro­ble­ma­tisch erschien aber vie­len, die Art und Wei­se, in der Rose­li­us die­sem „Ver­such, deutsch zu den­ken” künst­le­ri­schen Aus­druck ver­schaf­fen woll­te. Bis Mit­te der zwan­zi­ger Jah­re waren sei­ne Vor­stel­lun­gen eher restau­ra­tiv gewe­sen. Das änder­te sich unter dem Ein­fluß Hoet­gers. Der hat­te sich mitt­ler­wei­le von sei­ner eige­nen aka­de­mi­schen Pha­se in der Vor­kriegs- und Kriegs­zeit immer wei­ter ent­fernt und galt unter den expres­sio­nis­ti­schen Stür­mern und Drän­gern als eine Art Füh­rer­fi­gur. Eine wich­ti­ge Rol­le bei sei­ner Abwen­dung von der Klas­sik spiel­te die Aus­ein­an­der­set­zung mit pri­mi­ti­ver Kunst afri­ka­ni­scher und poly­ne­si­scher Her­kunft, deren Ursprüng­lich­keit er aber auch als etwas ver­stand, das dem „Nor­di­schen” ungleich näher kam als die Bemü­hun­gen eines völ­ki­schen Rea­lis­mus. In einem Brief von 1924 schrieb er an Rose­li­us mah­nend: „Du stehst mit Dei­ner Idee in der dunk­len Hal­le der schief­ge­fah­re­nen Tra­di­ti­on und wagst nicht den Sprung in das hel­le Licht. … Jeder Rück­blick und jede gewoll­te Anknüp­fung, sei es selbst mit der bes­ten Zeit der Ger­ma­nen, ist ein Beweis unse­rer Unzu­läng­lich­keit. … War­um all die Bewei­se, daß der nor­di­sche Mensch der befruch­ten­de ist? Ist die Idee des beschau­li­chen Schaf­fens aus unse­rem rei­nen Zeit­geist nicht viel bedeu­ten­der und frucht­ba­rer? Ich bin fest über­zeugt, daß Du mit all den his­to­ri­schen Bewei­sen zu kei­nem Beweis kommst, daß die gan­ze Unter­neh­mung … ver­sin­ken wird unter das Niveau einer kunst­wis­sen­schaft­li­chen musea­len Darstellung.”
Die Angst, daß die Bött­cher­stra­ße nichts ande­res sein wer­de, als ein attrak­ti­ves, kom­mer­zi­ell nutz­ba­res, aber in ihrem Aus­druck unschöp­fe­ri­sches Gan­zes, hat Rose­li­us offen­bar dazu ver­an­laßt, Hoet­ger für die Gestal­tung der Gebäu­de, mit denen er beauf­tragt wur­de, weit­ge­hend freie Hand zu las­sen. Das galt schon für das Moder­sohn-Becker-Haus und dann erst recht für das Haus Atlan­tis. Auch hier fin­det sich die Kom­bi­na­ti­on aus Brauch­bar­keit und Welt­an­schau­li­chem. So beher­berg­te das Haus neben Klub- und Ver­an­stal­tungs­räu­men, dar­un­ter der gro­ße „Him­mels­saal” im Dach­ge­schoß, ein „Insti­tut für Gesund­heit und Leis­tung”, eine Art Fit­neß-Zen­trum, das auch dem Betriebs­sport der Ange­stell­ten von Rose­li­us dien­te, Biblio­theks- und Lese­räu­me sowie einen musea­len Bereich für die „Samm­lung Väterkunde”.

Anders als im Rose­li­us- oder im Moder­sohn-Becker-Haus ging es in der Samm­lung aber nicht um die Prä­sen­ta­ti­on wert­vol­ler Kunst­wer­ke – oft begnüg­te man sich gezwun­ge­ner­ma­ßen mit Repli­ken -, son­dern um die Ver­mitt­lung eines bestimm­ten Geschichts­bil­des, in des­sen Zen­trum die Idee stand, daß die „nor­di­sche Ras­se” die ein­zi­ge kul­tur­schöp­fe­ri­sche sei, daß ihre Urhei­mat eine nor­di­sche Atlan­tis war, die in der Vor­zeit durch eine Flut­ka­ta­stro­phe ver­nich­tet wur­de und deren Über­le­ben­de dann in allen Tei­len der Welt mit ihrem über­le­ge­nen Wis­sen befruch­tend wirkten.
Der­ar­ti­ge Vor­stel­lun­gen von kul­tu­rel­ler Dif­fu­si­on waren seit dem 19. Jahr­hun­dert außer­or­dent­lich ver­brei­tet, auch die Ver­knüp­fung mit der Annah­me einer Urhei­mat aller Kul­tu­ren in Atlan­tis fand sich rela­tiv oft, aber die Drei­heit Urkul­tur – Atlan­tis – Nor­di­sche Ras­se war ein rela­tiv spä­tes Pro­dukt, konn­te sich nie­mals auf brei­te­rer Ebe­ne durch­set­zen und blieb auf klei­ne­re Krei­se beschränkt. Zu deren ein­fluß­reichs­ten Ideen­ge­bern gehör­te in den Zwi­schen­kriegs­jah­ren der aus den Nie­der­lan­den stam­men­de Wahl­deut­sche Her­man Wirth. Wirth hat­te in den zwan­zi­ger Jah­ren mit einem unge­heu­ren Auf­wand zu bewei­sen ver­sucht, daß es in der Früh­zeit eine nor­di­sche Kul­tur gege­ben habe, deren Welt­an­schau­ung sich auf Grund archai­scher Sym­bol- und Schrift­sys­te­me noch rekon­stru­ie­ren las­se. Res­te die­ser Zei­chen hat­ten sich nach Wirths Über­zeu­gung auf allen Kon­ti­nen­ten erhal­ten und lie­ßen kei­nen ande­ren Schluß zu, als den, daß die nor­di­schen Atlan­ter nach der Zer­stö­rung ihres Kon­ti­nents zu „Mis­sio­na­ren” wur­den und die alte Kul­tur so wenigs­tens in ihren Grund­ele­men­ten bewahrt blieb. Wich­ti­ger als das, erschien ihm aber die Fähig­keit der Nach­kom­men, durch glei­che ras­si­sche Zuge­hö­rig­keit, Zugang zum „Ahnen­er­be” zu gewinnen.
Wirth hät­te sei­ne Ideen einer brei­te­ren Öffent­lich­keit nie­mals vor­stel­len kön­nen, ohne die Unter­stüt­zung durch groß­zü­gi­ge För­de­rer, zu deren wich­tigs­ten sein Ver­le­ger Eugen Diede­richs und Rose­li­us gehör­ten. Bei­de haben vor allem die Her­aus­ga­be von Wirths Haupt­werk Der Auf­gang der Mensch­heit (Jena 1928) finan­ziert. Auf dem Umschlag die­ses Buches ist ein Bild zu sehen, das sich über­haupt nur ver­ste­hen läßt, wenn man Wirths Theo­rie etwas genau­er kennt. Dar­ge­stellt ist ein Mann, der an einem gleich­sei­ti­gen Kreuz hängt, des­sen Enden in einem mit Runen besetz­ten Kreis aus­lau­fen. Es han­delt sich dabei um ein Sym­bol, das Wirth in mehr oder weni­ger deut­li­cher Form bei allen von den Atlan­tern beein­fluß­ten Kul­tu­ren gefun­den zu haben glaub­te. Es brach­te sei­ner Mei­nung nach alle Haupt­aspek­te ihrer Reli­gi­on zum Aus­druck: die Annah­me eines unsicht­ba­ren „Hoch­got­tes”, der sich in der Son­ne offen­bar­te, deren Umlauf dem Mythos vom Ster­ben und Auf­er­ste­hen die­ses „Got­tes­soh­nes” ent­sprach. Das Chris­ten­tum, so Wirth, sei der in vie­lem zwar miß­ver­stan­de­ne, ins His­to­ri­sche über­setz­te, aber im Kern doch zutref­fen­de Aus­druck die­ser uralten kos­mi­schen Lehre.

Es liegt auf der Hand, war­um Wirths Welt­an­schau­ung auf das beson­de­re Inter­es­se von Rose­li­us traf, der Anfang der zwan­zi­ger Jah­re den Kon­takt gesucht hat­te und auch Hoet­ger in Ver­bin­dung zu Wirth brach­te. Zwi­schen Hoet­ger und Wirth blieb das Ver­hält­nis aber nicht ohne Span­nung. Das mag man teil­wei­se auf das jewei­li­ge Sen­dungs­be­wußt­sein zurück­füh­ren, teil­wei­se aber auch auf die Schwie­rig­kei­ten, die sich aus der unter­schied­li­chen Kunst­auf­fas­sung erga­ben. Für Wirth soll­te die Kunst sei­ne Ideen illus­trie­ren, für Hoet­ger war sie eine Grö­ße sui gene­ris, in der der nor­di­sche Geni­us unmit­tel­bar spre­chen muß­te. Es ist inso­fern anzu­neh­men, daß Wirth schon der küh­nen Stahl­kon­struk­ti­on des Hau­ses Atlan­tis, der Ver­wen­dung von Art-déco-Ele­men­ten im Schmuck und der an Fritz Langs Film „Metro­po­lis” erin­nern­den sub­ma­ri­nen Licht­wir­kung in Trep­pen­haus und Him­mels­saal ableh­nend gegen­über­stand. Zu schar­fen Aus­ein­an­der­set­zun­gen kam es aber vor allem um den „Lebens­baum”, der über die gesam­te Höhe der Fas­sa­de lau­fen soll­te. Hoet­ger hat­te als Mate­ri­al Eichen­holz gewählt, das teil­wei­se mit Kup­fer­plat­ten umman­telt war. Der Auf­bau begann in Höhe des Ein­gangs mit drei Säu­len, die die Nor­nen Urd, Ver­dan­di und Skuld sym­bo­li­sier­ten, dar­über ein Archi­trav mit nor­di­schem Flecht­band­mus­ter, aus­lau­fend in zwei erho­be­ne Tier­köp­fe, die an die Dra­chens­te­ven der Wikin­ger­schif­fe erin­nern und die atlan­ti­schen „Mis­sio­na­re” reprä­sen­tier­ten, dann folgt das Rad­kreuz mit dem Gekreu­zig­ten, dar­über ein latei­ni­sches Kreuz und auf Dach­hö­he eine mit Gold­blech über­zo­ge­ne, kreis­run­de Schei­be, flan­kiert von Schwä­nen, den Tie­ren des Son­nen­got­tes Apoll.
Die Empö­rung Wirths ent­zün­de­te sich an der Dar­stel­lung des Gekreu­zig­ten, den er sich als edlen ger­ma­ni­schen Krie­ger gewünscht hat­te, Bezug neh­mend auf das eddi­sche Lied von Odin, der sich selbst als Opfer am Wel­ten­baum dar­brach­te. Aber Hoet­ger hat­te die­ses Kon­zept als ste­ril abge­lehnt und Rose­li­us ange­ru­fen, dem er mit dem Abbruch des Pro­jek­tes droh­te, wenn Wirth sich durch­set­zen dür­fe. Rose­li­us stell­te sich schließ­lich auf die Sei­te von Hoet­ger und ver­tei­dig­te des­sen Werk auch öffent­lich: „Man muß sich die nor­di­schen Fel­sen­bil­der anse­hen, um es zu ver­ste­hen. Mich hat das Werk bis in die See­le erschüt­tert. Prof. Wirth blieb skep­tisch, er möch­te heu­te noch eine natu­ra­lis­ti­sche, sta­ti­sche Lösung fin­den. Ich glau­be nicht, daß es eine ande­re gibt. Soll die 500.000-jährige Geschich­te eines Vol­kes sym­bo­lisch durch eine Figur dar­ge­stellt wer­den, so kann man nicht zur All­täg­lich­keit grei­fen, mag sie künst­le­risch noch so gut gestal­tet sein.”

Hoet­gers Figur des Gekreu­zig­ten bedeck­te an den Len­den eine Art Fell­schurz, der Kör­per wirkt aus­ge­mer­gelt, der Kopf selt­sam über­pro­por­tio­niert, mas­ken­haft unmensch­lich. Waren es für Wirth vor allem ideo­lo­gi­sche Grün­de, die sei­nen Wider­spruch her­aus­for­der­ten, so reagier­te die brei­te­re Öffent­lich­keit empört, weil die Figur kei­ner übli­chen Auf­fas­sung von Schön­heit ent­sprach. In den Bre­mer Nach­rich­ten hieß es: „Scheuß­li­cher Fetisch über einer Brat­pfan­ne mit phos­pho­res­zie­ren­den Spie­gel­eiern: die­ser gerä­der­te, höl­zer­ne Ret­tich, geschun­den, gehöt­gert, gebött­gert – meschug­ge …” Und der Dich­ter Rudolf Alex­an­der Schrö­der empör­te sich über „Wotans­kult” und „sakra­le Roß­schläch­te­rei”. Son­der­lich beein­druckt waren Rose­li­us und Hoet­ger dadurch aller­dings nicht. Viel­mehr eröff­ne­te Rose­li­us am zwei­ten Jah­res­tag der Ein­wei­hung des Hau­ses Atlan­tis in des­sen Räu­men das „Ers­te nor­di­sche Thing”, an dem ein­hun­dert­fünf­zig Wis­sen­schaft­ler teil­nah­men, zu deren Spe­zi­al­ge­bie­ten die ger­ma­ni­sche Früh­zeit gehör­te. Wesent­li­ches Anlie­gen von Rose­li­us war dabei der Ver­such, Wirth die Aner­ken­nung der Zunft zu ver­schaf­fen, die ihm bis­her ver­sagt geblie­ben war. In sei­nem Gruß­wort beschwor er als „Rufer” des Things die Anwe­sen­den förm­lich, dem „sel­te­nen Mann” Gehör zu schen­ken. Die Bit­te war indes ver­geb­lich, der Vor­trag Wirths ende­te mit einem Eklat, als meh­re­re Wis­sen­schaft­ler unter Pro­test den Saal verließen.
Tat­säch­lich war die Stel­lung Wirths zu die­sem Zeit­punkt schon unhalt­bar gewor­den. Das hing vor allem damit zusam­men, daß er sich für die Authen­ti­zi­tät – des Tex­tes – der seit lan­gem als Fäl­schung iden­ti­fi­zier­ten Ura-Lin­da-Chro­nik ein­setz­te, deren angeb­lich alt­frie­si­scher Text eine Über­lie­fe­rung ent­hielt, die mit Wirths eige­nen Spe­ku­la­tio­nen zur Früh­ge­schich­te har­mo­nier­te. Das Scher­ben­ge­richt, das die Wis­sen­schaft dar­auf­hin über Wirth hielt, trug ihm aller­dings das Wohl­wol­len eines Mäzens ein, des­sen Ein­fluß den von Rose­li­us deut­lich über­stieg. 1933 kam es zu einer fol­gen­rei­chen Begeg­nung zwi­schen Wirth und Hein­rich Himm­ler, der dar­an dach­te, mit des­sen Hil­fe eine Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­ti­on der SS, das „Ahnen­er­be”, auf­zu­bau­en. Die Koope­ra­ti­on begann mit gro­ßem gegen­sei­ti­gem Enthu­si­as­mus. Aber der Eigen­sinn und die Ver­schro­ben­heit Wirths auf der einen, der Ver­such Himm­lers, sich stär­ker um seriö­se Vor­ge­schichts­for­schung zu bemü­hen auf der ande­ren Sei­te, führ­ten schon 1935 zu einem Zer­würf­nis und zur Tren­nung. Wie sich die Bezie­hung Wirths zu Rose­li­us wei­ter­ent­wi­ckel­te, ist nicht bekannt, immer­hin war der gezwun­gen, den offi­zi­el­len Füh­rer der Bött­cher­stra­ße ab 1933 mit einem Hin­weis zu ver­se­hen, dem­zu­fol­ge das „Pau­la-Becker-Moder­sohn-Haus und der Lebens­baum vor dem Hau­se Atlan­tis kei­nes­falls der heu­ti­gen natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kunst­an­schau­ung entsprechen”.
Die­ser Akt der Selbst­zen­sur blieb nicht der ein­zi­ge, dem sich Rose­li­us und Hoet­ger unter­war­fen, die bei­de nach der Macht­über­nah­me Hit­lers ver­such­ten, sich den neu­en Ver­hält­nis­sen anzu­pas­sen, ohne allen Spiel­raum auf­zu­ge­ben. Das war aber nur in der Anfangs­zeit des NS-Regimes durch­zu­hal­ten. Im Früh­jahr 1935 begann Das Schwar­ze Korps, die Wochen­zei­tung der SS, die ihre beson­de­re Auf­ga­be dar­in sah, die „ver­deck­ten” Geg­ner des Sys­tems zu ent­lar­ven, mit Angrif­fen auf Rose­li­us und Hoet­ger. Auf­schluß­reich war dabei die Bezug­nah­me im Fall des Künst­lers: „Der Fall Hoet­ger”, so Das Schwar­ze Korps, „ist gewiß mit dem viel umstrit­te­nen Fall Bar­lach zu ver­glei­chen. Bei­de schaf­fen im bes­ten Man­nes­al­ter eine Fol­ge von Bild­wer­ken, die jeder von uns als art­fremd emp­fin­det.” Der gereiz­te Ton im Ver­gleich des „Fal­les Hoet­ger” mit dem „Fall Bar­lach” erklärt sich dar­aus, daß es inner­halb der NSDAP eine kul­tur­po­li­ti­sche Min­der­heit gab, die den einen wie den ande­ren für adäqua­te Trä­ger eines erneu­er­ten Kunst­wil­lens hielt.

Den Bild­hau­er Ernst Bar­lach und ähn­lich den Maler Emil Nol­de hat­te die natio­na­lis­ti­sche Intel­li­genz schon in den zwan­zi­ger Jah­ren als Ver­tre­ter einer „unbür­ger­li­chen, unrea­lis­ti­schen Kunst der Phan­ta­sie” gefei­ert und gegen eine völ­ki­sche „Ver­spie­ße­rung” (Fritz Mey­er-Schön­brunn) in Schutz genom­men. Der Kon­flikt erreich­te sei­nen ers­ten Höhe­punkt, als der von der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Lan­des­re­gie­rung Thü­rin­gens 1930 mit einer Säu­be­rung der staat­li­chen Samm­lun­gen beauf­trag­te Paul Schult­ze-Naum­burg die Arbei­ten von Bar­lach und Nol­de als „ent­ar­tet” ent­fer­nen ließ.
Es ist ange­sichts der Bedeu­tung von Hit­lers per­sön­li­chem Geschmack für die Kunst­po­li­tik des NS-Regimes nicht über­ra­schend, daß nach 1933 alle Ver­su­che, moder­nen Rich­tun­gen, ins­be­son­de­re wenn sie vom Expres­sio­nis­mus beein­flußt waren, Dul­dung zu ver­schaf­fen, ohne Aus­sicht auf Erfolg blie­ben. Im Fall der Bött­cher­stra­ße kam außer­dem der Ver­dacht der ideo­lo­gi­schen Häre­sie hin­zu, den Hit­ler immer gegen die völ­ki­schen „Rück­wärtse” mit ihren spe­ku­la­ti­ven Nei­gun­gen emp­fand. In sei­ner gro­ßen kul­tur­po­li­ti­schen Rede auf dem Nürn­ber­ger Par­tei­tag von 1936 erklär­te er dann auch unmiß­ver­ständ­lich: „Wir haben nichts zu tun mit jenen Ele­men­ten, die den Natio­nal­so­zia­lis­mus nur vom Hören und Sagen her ken­nen und ihn daher nur zu leicht ver­wech­seln mit unde­fi­nier­ba­ren nor­di­schen Phra­sen und die nun in einem sagen­haf­ten Atlan­ti­schen Kul­tur­kreis ihre Motiv­for­schun­gen begin­nen. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus lehnt die­se Art von Bött­cher­stra­ßen-Kul­tur schärfs­tens ab.”
Die Reak­ti­on der Ange­grif­fe­nen war beschä­mend. Sie unter­war­fen sich nicht nur dem Dik­tum Hit­lers bedin­gungs­los, sie mach­ten ihrer­seits Vor­schlä­ge, wie man die „Kul­tur­schan­de” behe­ben kön­ne. Zu den wich­tigs­ten Ver­än­de­run­gen gehör­te ohne Zwei­fel die Ent­fer­nung des expres­sio­nis­ti­schen Zie­gel- und Bunt­glas­ge­fü­ges über dem Ein­gangs­tor der Bött­cher­stra­ße, das Hoet­ger durch ein gold­schim­mern­des Reli­ef erset­zen ließ, das einen vom Him­mel her­ab­sto­ßen­den Engel mit Schwert zeig­te, der einen Dra­chen nie­der­schlägt. Die­ser „Licht­trä­ger”, so Hoet­ger, sol­le „den Sieg unse­res Füh­rers über die Mäch­te der Fins­ter­nis” dar­stel­len. Zeit­gleich bat Rose­li­us Hit­ler per­sön­lich um Abän­de­rungs­vor­schlä­ge für die Bau­ten. Am 26. Okto­ber 1936 ent­schied Hit­ler aber, daß kei­ne Kor­rek­tu­ren vor­zu­neh­men sei­en, viel­mehr sol­le die Bött­cher­stra­ße der Nach­welt als abschre­cken­des Bei­spiel für „ent­ar­te­te Kunst” erhal­ten wer­den: Nach der Bege­hung durch Albert Speer wur­de das gan­ze Ensem­ble ein hal­bes Jahr spä­ter zu die­sem Zweck sogar unter Denk­mal­schutz gestellt.

Alle fol­gen­den Ver­su­che von Rose­li­us und Hoet­ger, sich mit dem Sys­tem zu arran­gie­ren, schlu­gen fehl. Ein Antrag von Rose­li­us auf Par­tei­auf­nah­me wur­de 1938 abschlä­gig beschie­den, er ver­ließ Bre­men und starb fünf Jah­re spä­ter ver­einsamt und resi­gniert. Der Rück­zug war auch die ein­zi­ge ver­blei­ben­de Mög­lich­keit für Hoet­ger, der den Ruch des „Ent­ar­te­ten” nicht mehr abstrei­fen konn­te. Er starb 1949 in Ber­lin. Das bedeu­te­te auch, daß er die Zer­stö­rung der Bött­cher­stra­ße mit­er­le­ben muß­te, die den alli­ier­ten Luft­an­grif­fen auf Bre­men am 19. August und 6. Okto­ber 1944 zum Opfer fiel. Nur das Haus Atlan­tis blieb weit­ge­hend unver­sehrt, die Stahl­kon­struk­ti­on war sta­bil genug. Aller­dings wur­de der Lebens­baum zum gro­ßen Teil ein Opfer der Flam­men. Daß man bei der Rekon­struk­ti­on der Bött­cher­stra­ße, die 1954 abge­schlos­sen war, nicht an eine Restau­ra­ti­on dach­te, wird man viel­leicht als ver­ständ­lich anse­hen müs­sen, aber bis 1965 wur­den auch die Res­te der Hoet­ger­schen Fas­sa­de unkennt­lich gemacht. Ledig­lich Trep­pen­haus und Him­mels­saal lie­ßen die neu­en pri­va­ten Eig­ner restaurieren.
Armin Moh­ler hat ein­mal gesagt, man müs­se den revo­lu­tio­nä­ren Cha­rak­ter der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on in Zwei­fel zie­hen, weil sie kei­nen eige­nen Bau­stil her­vor­ge­bracht habe. Das ist im stren­gen Sinn rich­tig, obwohl nicht zu bezwei­feln ist, daß es im Umkreis der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on auch Archi­tek­ten gege­ben hat, deren Vor­stel­lun­gen vom His­to­ris­mus eben­so weit ent­fernt waren wie vom „Inter­na­tio­na­len Stil”. Man kann in dem Zusam­men­hang die Sied­lungs­ent­wür­fe der Lebens­re­for­mer eben­so nen­nen wie das völ­ki­sche Bau­en eines Her­mann Hendrich, die Monu­men­te eines Wil­helm Kreis, die küh­ne Erneue­rung der Back­stein­bau­wei­se durch Fritz Höger eben­so wie die Neu­ro­ma­nik der drei­ßi­ger Jah­re. In die­sem Gan­zen haben Rose­li­us und Hoet­ger sicher eine Rand­stel­lung, vor allem, weil sie ver­such­ten, einer ganz bestimm­ten – im Grun­de eso­te­ri­schen – Welt­an­schau­ung archi­tek­to­ni­schen Aus­druck zu ver­schaf­fen. Daß sie sich moder­ner Mit­tel bedien­ten, um die­ses Ziel zu errei­chen, trenn­te sie nicht von der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on ins­ge­samt, son­dern wirft Licht auf deren Facettenreichtum.

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