Fast alle häßlichen Playmobilsachen, anderer Plastikkrempel, die Klamotten mit Aufdruck, die Schrottbücher: raus damit. Es regnet leicht, es gibt kaum Stände, die Kinder haben am Ende einen ganz guten Schnitt gemacht. Wir Eltern schauen alle zwei Stunden nach dem Rechten und sammeln, die kleinste Tochter an der Hand, ein paar Großstadteindrücke aus Offenbach. Mindestens drei sind eine Notiz wert:
1.Besuch der städtischen Kinderbücherei. Mein oft beschriebener Eindruck, daß man an Kultur-Orten selbst in kunterbunten Vielvölkerstädten fast nur Autochthone trifft, paßte wenigstens auf die Kinderbibliothek noch nie. Hier finden sich die guten Neubürger stets reichlich ein. Keineswegs nur an den Internetplätzen, sondern auch am papiernen Bildungsgut. Meine Tochter hockt sich mit ihren Lesestücken auf ein Sofa, auf dem schon ein streng verhülltes, vielleicht elfjähriges Kopftuchmädchen Platz genommen hat. Was liest die denn so? Ah! Den Holocaust, ein Bildband auf den Knien, zwei weitere neben sich. Sie liest sehr aufmerksam, blättert langsam. Mir fallen ein paar sozialpädagogische Wendungen ein: Was macht das mit dir? Wie fühlt sich das an? Ich sage, frage nichts.
2.Dreihundert Meter Rückweg von der Bücherei zum Stand unserer Kinder. Unsere Kleine plappert munter und laut, die Passanten abzählend: Ausländer, Ausländer, Ausländer, Ausländer, Deutsche, nein doch nicht, ich habs an der Sprache erkannt, Ausländer, Ausländer. Ich laß sie plappern, es ist nichts dabei, sie ist nur aufmerksam. Sie wertet nicht, wie könnte sie! Zwei deutsche Jungs!, ruft sie, dann drehen die zwei sich um, und ich mich auch. Die gucken zuerst weg. Auf dem Rucksack des einen steht im Ernst: „Still not loving Heimat.“ Ja, bestimmt, Deutsche.
3. Ein paar Stände neben dem meiner Kinder wird laut gestritten. Die Kinder sagen: Das gehe schon seit einer halben Stunde so. Der Käufer samt Frau fühlt sich ebenso betrogen wie der Verkäufer, referieren meine beiden kurz den Sachverhalt. Ich bekomme nur die Eskalationsstufe mit. Der Verkäufer, ein ausgemergelter Südeuropäer, ruft: „Ich sag euch: ich bin eine ehrliche Haut, und diese Schuhe wurden niemals getragen!! Keinen Meter!“
Ich sehe, wie sich der Käufer (hat anscheinend einen kleineren Schein gegeben als verlangt) bedrohlich aufbaut, seine entfernt stehende Frau die Hände wütend in die Hüften stützt und ihrem Begleiter, nähertretend, Rückendeckung gibt. Die beiden werden laut, ja, aggressiv. Es geht um das Wortspiel der „ehrlichen Haut“. Die beiden sind erstens der deutschen Sprache weniger mächtig als der Südeuropäer, zweitens haben sie eine tiefdunkle Hautfarbe – pechschwarz hätte man früher gesagt.
Die beiden haben nun Oberwasser, ich höre nicht genau, was sie rufen und drohen, verstehe aber das Gegenüber: „Mann! Du willst nicht verstehen! Ehrliche Haut, das mein ich doch von innen! Ich bin von innen eine ehrliche Haut!! Von innen!!“ Die Dunkleren gewinnen (schon allein moralisch), der Kontrahent macht am Ende Kehrbewegungen; weg, haut ab, weg mit euch, ab!, scheiß auf das Geld!
23.September 2015
Was ist zu sagen über eine Musiklehrerin, in deren Unterricht die Kinder gerade Ain´t nobody und Wie schön du bist singen?
„Kenn das Zeug nicht, singen Sie mal.“
„Also, das eine ist sehr niedlich eigentlich, eine Liebeshymne einer Mutter an ihren kleinen Sohn. Bißchen kurios, daß zwölf- und dreizehnjährige Mädchen und Jungen sowas vorsingen müssen, oder? In der Schule? Und das andere [ich singe/versuche es]: At first you put your arms around me; Then you put your charms around me; I can’t resist this sweet surrender; On a night so warm and tender; lalala, und dann, kennen Sie doch, oder? Ain´t nobody, Loves me better, Makes me happy, Makes me feel this way; und so weiter.”
“Also eine Art poetische Beschreibung einer handfesten Liebesnacht?”
„Würd sagen, ja. Was sagt man dazu?“
„Vermutlich das: Daß die Lehrerin vor dreißig Jahren den Volkspolizist hätte einstudieren lassen… und vor fünfundsiebzig Jahren Horst Wessel oder irgendwas mit Feind und Sieg.“
„Also, Sie finden dieses Schulliedgut normal, irgendwie zeitgemäß?“
„Normal nicht. Zeitgemäß schon. Schätze, die Lehrerin will einfach alles richtig machen. Verwirrte Zeiten eben, auch heut.“
„Heißt, ich soll mich auf- oder abregen?“
[greift nach der Gitarre]„ Immer nur das Bessere dagegensetzen. Was kann uns der Rest dann schon anhaben? Kommt, singen wir eine Runde. Den ersten Liedwunsch haben Sie.“
„Schließ Aug und Ohr.“
25. September 2015
Wenn fast alle mitmachen, machen weitere mit, beinahe ein Automatismus. Je euphorischer die Stimmung, desto größer der blinde Mitreißeffekt. Der Mensch ist eben ein soziales Wesen! Seit vielen Jahren besuche ich mit meinen kleinen Kindern Aufführungen „klassischer“ Stücke in kindgerechten Inszenierungen. Wie oft hab ich schon Peter und der Wolf gesehen, Peer Gynt, die Vier Jahreszeiten?
Ich mag mich täuschen, aber der Trend geht bei diesen Aufführungen dahin, daß die Kinder dabei vorn an der Bühne hocken (meist nicht Bühne, sondern ebenerdig – bloß keine Barrieren!) und das erwachsene Begleitpersonal weiter hinten auf Stühlen. Früher saßen die Kleinen öfter neben ihren Eltern.
Heute: Karneval der Tiere. Es hat seinen Reiz, das Töchterchen unter (annähernd) Gleichaltrigen zu beobachten. Zu sehen, wie sie sich ohne elterliche Einflüsterungen („schau mal, der Klarinettist!“; „Achtung! Jetzt kommt…-!“ etc.) mitreißen läßt, wie sie sich strahlend umdreht, wenn ihr Lieblingsstück an die Reihe kommt.
Gut. Das Stück, mit Ballett, ist zu Ende. Alle klatschen. Das Klatschen wird rhythmisch. Dann beginnt die junge peer group (und wirklich nur die) zu skandieren: „Zugabe! Zugabe!“ Frenetisch wird gerufen, über Minuten. Die meisten Kinder erheben sich aus dem Schneider- oder Hocksitz ins Knien. Meine Tochter auch. Sie ist hin und weg, klatscht begeistert und ruft mit.
Anschließend frage ich sie, was ihr am besten gefallen hat an der Darbietung. Das: „Wie wir am Ende alle Su- Wa- We! Su-Wa-We! gerufen haben!“ Dabeisein ist alles.
Erkenbrand
"Su-Wa-We!"
Das hat mir an diesem Abend voller Schreckensmeldungen von der Asylfront ein Lächeln entlockt...
Danke dafür!