Kositza: Lieber André Lichtschlag, in der Septemberausgabe Ihres Magazins eigentümlich frei setzen Sie sich ausführlich mit der Spaltung der Hayek-Gesellschafft auseinander. Sie konstatieren: Wie in der AfD hätten auch in der Hayek-Gesellschaft die »Systemprofiteure« das Schiff verlassen, die »Systemoppositionellen« seien geblieben. Sie werfen nun Karen Horn und ihren Leuten »Anpassertum« vor, fragen aber zugleich selbstkritisch, ob Horn nicht recht habe, wo sie von »Unvereinbarkeiten zwischen Konservativen und Liberalen« spricht. Als eine der Debatten, die unsere Lager trennten, nennen Sie die Einwanderungsfrage.
Einer Ihrer Autoren nennt im selben Heft die eigentümlich frei eine Zeitschrift, die »ausgesprochen immigrationsfreundlich« argumentiere. Wir hingegen sind ausgesprochen immigrationsskeptisch. Sind wir also jene »Nationalisten«, die nach Ihren Worten »beim Thema Zuwanderung Schaum vor dem Mund bekommen«? Oder anders gefragt: Schäumen Sie gar nicht?
Lichtschlag: Das Wort »Systemoppositionelle« verbinde ich immer gerne mit dem Hinweis darauf, daß es nicht gegen »das System« gehen sollte wie bei den Verschwörungsheinis, sondern um Kritik an »den Systemen« in der Mehrzahl, etwa am staatlichen Gesundheitssystem, am staatlichen Bildungssystem oder am staatlichen Geldsystem. Insofern sind echte Liberale natürlich immer auch Systemoppositionelle.
Ich habe drei Debatten beispielhaft genannt, die dritte und letzte vergleichsweise kurz, die Einwanderungsdebatte. Daß Sie sich die herausgreifen, deutet auf einen Unterschied bei der Gewichtung von Themen hin. In meinem Aufsatz vermute ich, daß sich die meisten Probleme lösen, sobald sich der Staat mit seinen Versorgungsanreizen und Verboten heraushält. Liberal-Libertäre sehen kein Problem darin, wenn jemand sein Glück in der Ferne sucht – auf eigene Kosten. Problematisch wird es erst, wenn auch hier die Freiwilligkeit verletzt wird, indem zum Beispiel die Einheimischen die Neuankömmlinge durch sozialstaatliche Umverteilung zwangsfinanzieren müssen oder diese an eigener Arbeit und also Selbstversorgung im Austausch mit anderen gehindert werden.
Der ungarische Ministerpräsident sprach kürzlich davon, daß es sich bei der sogenannten Flüchtlingskrise »um ein deutsches Problem handelt«. Natürlich hat er recht, es ist ein deutsches Problem aufgrund unserer besonders hohen sozialstaatlichen Anreize. Ob Sie persönlich beim Thema Zuwanderung Schaum vor dem Mund bekommen, das weiß ich nicht. Und ja, ich schäume nicht. Schon gar nicht wegen der Menschen, die kommen, sondern allenfalls aufgrund unserer politischen Anreize und Verbote, die für die Mißstände verantwortlich sind.
In meinem Aufsatz komme ich übrigens zu dem Schluß, daß sich Liberale und Konservative ganz wunderbar ergänzen, solange die Konservativen wirklich konservativ sind und nicht vielmehr »völkische Nationalisten, die zurecht ihren größten Feind im Liberalismus und in der pluralistischen Marktgesellschaft erblicken«. Mir fiel auf, daß in Ihrem Hause tatsächlich häufig recht verächtlich über den Liberalismus gesprochen wird. Mich würde interessieren, wie Sie dieses »Übel« definieren?
Kositza: Mit der Gewichtung haben Sie recht – zumindest aktuell. Die polemische Rede vom »Schaum vor dem Mund« stammt von Ihnen, und das ist ein böses Bild. Ich gehe davon aus, daß unser geistiges Milieu mit jenen mutmaßlich »völkischen Nationalisten«, die vor Asylheimen sich versammeln, ähnlich viel zu tun hat wie Ihre Szene mit den notorischen FDP-»Liberalen«. Und dennoch kann ich die Artikulationsnot dieser schäumenden Wutbürger verstehen.
Daß die sozialstaatlichen Anreize in Deutschland ein Grundproblem der Lage darstellen: dito. Ich zähle aber auch den Verzicht von staatlichen Grenzen hinzu. Persönlich bin ich kein Etatist und empfinde unseren Sozialstaat als ausufernd, halte aber viel vom Begriff der »Hege« – vielleicht wie ein guter Förster ihn verwendet und umsetzt. Er schützt das Verletzliche, durchaus auch durch Eingriffe von außen, hegt ein, hält Invasoren in Schach und sucht den Bestand zu sichern. Sprich: Er bewahrt ein gewachsenes Erbe. Der liberale Plan sieht doch vor, daß der Starke, und allein der, dauernd Ausweichräume findet.
Wenn das keine Utopie ist, dann ist es ein viel härteres Konzept als das der Konservativen: Wer nicht aus eigener Kraft einen Rückzugsraum, ein Auskommen findet, der hat halt Pech gehabt! Die sogenannten oberen Zehntausend tangiert die Einwanderungsflut nicht. Die haben im Zweifelsfall eine gated community in Potsdam oder eine Ranch in Paraguay in der Hinterhand. Ähnlich argumentieren Sie ja anhand des Genderbeispiels. Sie schreiben, Konservative möchten diese Ideologie gern verbieten, wohingegen der Liberale sich – qua Kaufkraft – einfach die passende, ungegenderte Schule oder Uni aussuchen will.
Kurz gesagt, weil Sie nach der Definition des »Übels Liberalismus« fragen: Der Konservative wünscht sich eine Rückbindung an Sitte, Tradition, an Bewährtes, auch an Herkunft, er hält auch und gerade diese nicht für beliebig. Er schätzt die Verantwortung des Einzelnen nicht für gering (weswegen er nicht von Gleichheit ausgeht), aber er setzt sie nicht absolut. Wie der Linke geht der Liberale hingegen von einem emanzipierten, wenigstens emanzipierbaren Individuum aus, das nach universellen Prinzipien sein Heil finden soll. Die ewigen Tellerwäscher dieser Welt müssen sich eben abfinden. Oder? Tangieren Sie die Kategorien »Wir«, »unser«, »Volk« denn gar nicht?
Lichtschlag: Schaum vor dem Mund? Hier das ganze Zitat von mir, auf das Sie anspielen: »Wenn Nationalisten beim Thema Zuwanderung Schaum vor dem Mund bekommen, beschimpfen sie den Liberalismus als ihren Hauptfeind – verantwortlich für die ›Zersetzung der Völker‹.« Ist denn nun der Liberalismus Ihr Hauptfeind? Ist er in Ihren Augen »volkszersetzend«? Wenn nein, sollten Sie sich den Schuh bitte nicht anziehen. Wenn ja, soll ich mich dann nicht angegriffen fühlen?
Ihr Oberförster klingt niedlich, trifft aber kaum den Leviathan, dem Sie den Forstauftrag erteilen möchten, denn der wird ihn zum Kahlschlag des gesamten Geheges nutzen, das ist seine Natur. Den »liberalen Plan«, von dem Sie sprechen, den gibt es nicht. Es gibt nur liberale – und auf der anderen Seite etatistische – Regeln und Mechanismen. Weshalb Liberale nie nur liberal sein können und eben auch Ziele und Pläne haben, mehr oder weniger konservative oder auf der anderen Seite fortschrittliche Pläne und Ziele.
Ich bin froh, daß Sie das größte und falscheste Vorurteil gegenüber dem Liberalismus zur Sprache bringen, er sei für die Starken oder Reichen gemacht. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, daß gerade die Armen und Schwachen überdurchschnittlich profitieren, wenn sie frei handeln dürfen. Nicht von ungefähr waren und sind alle großen liberalen und libertären Denker wie Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek oder Hans-Hermann Hoppe nicht nur Ökonomen, sondern auch Moral- und Sozialphilosophen. Es ging und geht ihnen um die Stärkung dieser Schwachen, Hilfe durch Selbsthilfe. Die Manchesterliberalen haben mit der Freigabe der Kornpreise den Hunger ganz real für immer aus Europa vertrieben. Sie waren die Helden der Ärmsten.
Ich würde auch jede Wette machen, daß die Leser meiner libertären Zeitschrift im Durchschnitt nicht stärker im Sinne von wohlhabender sind als die Leser Ihrer nationalkonservativen Zeitschrift. Und um es »last but not least« doch auch noch ökonomisch zu erläutern: Es ist das kapitalistische Wunder, das in Form der Lehre der komparativen Kostenvorteile dafür sorgt, daß selbst der arme Tor, der wirklich alles schlechter kann und langsamer macht als Sie, von freiem Handel und Arbeitsteilung mit Ihnen profitiert so wie sie von ihm.
Wenn Sie recht hätten, daß Staatseingriffe den Armen tendenziell helfen können, dann sollten Sie den Mindestlohn auf eine Million Euro hochsetzen. Pro Stunde. Und dann wären die Armen in Nordkorea sicher viel reicher als die bedauernswerten Armen im tendenziell noch liberaleren Deutschland. Eine solche Erkenntnis gilt auch für das Beispiel Schule, das Sie ansprechen: Auch der Arme zahlt doch die viel teurere staatliche Monopolschule mit seinen Steuern heute. Gerade er würde vom Wegfall dieses Zwangsmonopols und von mehr Auswahl und auf ihn und seine Bedürfnisse besser »zugeschnittenen« Bildungsangeboten – oder gegebenenfalls einfach durch schnellere und bessere Praxiserfahrung im Berufsleben – profitieren.
Zurück zu dem, was Sie »Einwanderungsflut« nennen: Wie gesagt, wenn die kämen, ohne daß ich sie finanzieren müßte und wenn sie mir statt dessen ihre Dienstleistungen freiwillig anbieten dürften, dann sähe ich das Problem gar nicht. Oder stört Sie der türkische Gemüsehändler qua Existenz? Ob mich die Kategorien »Wir«, »unser« und »Volk« tangieren? Bei solchen Vokabeln bin ich immer aufgeschreckt, denn das »Du« bezahlt. Die größten Scharlatane benutzen genau solche Vokabeln am häufigsten. Und damit meine ich jetzt nicht Sie.
Kositza: Ich sehe, wir könnten ein ganzes Heft füllen, mindestens. Wir haben nicht ein Riesenfaß aufgemacht, sondern gleich mehrere. Sie halten meinen sorgenden Förster für eine eher infantile Vorstellung; hingegen halte ich ihre Vorstellung vom freien Markt und den mitprofitierenden Langsamtuern (nicht zu vergessen die Invaliden, die kinderreichen Ehen, denen ein Einkommen für lange Zeit entgeht, die aber logisch pro Kopf sich krankenversichern und Schulgeld zahlen müßten und so weiter) für utopistisch, für einen Reißbrettentwurf.
Beschränken wir uns lieber auf die Asyl- und Einwanderungsdebatte. Bekanntlich sind es zwei Paar Schuhe. Wem, säßen Sie an den Schalthebeln, gewährten Sie Asyl? Und wen ließen Sie einwandern? Und, da will ich doch nachhaken: Die Rückbindung an die Entität »Volk« läßt bei Ihnen wirklich Alarmglocken schrillen?
Für mich ist das Volk etwas Gewachsenes. Nichts nach wirtschaftlichen Erwägungen Zusammengestelltes. Ihren türkischen Gemüsehändler finde ich sympathisch. Er ist ja schon so lange hier und wurde in normativ restriktiveren Zeiten sozialisiert. Anders als die Kinder seines Konkurrenten (des Vietnamesen) erlebe ich aber jene zwei türkischen Gemüsehändlersöhne, die es anders als der Dritte nicht aufs Gymnasium geschafft haben, als Bedrohung. Sie haben andere Loyalitäten, andere Sitten und Codes. Und sie sind nicht allein, sondern in »bester Gesellschaft«. Ich will nicht den IS bemühen, ich spreche von Banden, wenigstens von Subkulturen, communities.
Was ich sagen will: Man holt sich die Leute, weil sie in eine marktwirtschaftliche Lücke stoßen, einen Bedarf decken, aber man vergißt den großen Rest an Identität jenseits des pekuniär Berechenbaren. Konkret: Bei uns in Leuna haben sie derzeit über 200 unbesetzte Ausbildungsplätze. Ich wünschte mir, es gäbe Anreize, daß der unentschlossene junge Deutsche lieber dort seine Lehre beginnt statt im benachbarten Merseburg Sexualpädagogik zu studieren. Sie, Herr Lichtschlag, würden sagen: Wenn 200 Kosovoalbaner gern eine Lehre zum Chemielaboranten antreten, why not? Oder? Und für den (aus humanitären Gründen gebotenen) Familiennachzug hätten sie eine Lösung? Mir jedenfalls erscheint ein (vergröbert gesagtes) »Grenzen dicht!« eine probatere, sprich: näherliegende Lösung zu sein als ein Kappen des sozialstaatlichen Gefüges.
Lichtschlag: Kinderreiche Familien mit einem Alleinverdiener, der auch für Schule und Krankenversicherung aufkommt – das halten Sie für eine Utopie? Muß ich als Libertärer jetzt eine reaktionäre Konservative – das verstehen Sie hoffentlich als Kompliment! – über Geschichte informieren? Das Beispiel war doch der Normalfall – solange, bis der staatliche Monopolist mit immer neuen Steuern und Abgaben diesen zum seltenen Ausnahmefall absterben ließ. Ich hatte gehofft, daß wenigstens und gerade Sie die Rückführung des Staates auf das Niveau von vor 50 oder 100 Jahren nicht für einen »Reißbrettentwurf« halten.
Asyl – auch so eine verdammte staatliche Erfindung, früher sind die Menschen aus- und eingewandert auf eigene Kosten. Vielleicht war da auch mal ein Kosovoalbaner dabei. Wer verfolgt war, dem wurde zuweilen von Mildtätigen geholfen. Das ist ja das Problem nicht nur des Asylstaats, sondern auch sonst des Sozialstaats innen oder der Entwicklungshilfe nach außen, daß er auf beiden Seiten entmenschlicht: Echte Solidarität und Anteilnahme wird mit erzwungenen Abgaben getötet und die großzügig mit dem Diebesgut Alimentierten verlieren mit der Zeit jeden Antrieb und jede gesunde Selbstachtung.
Also: Selbstverständlich würde ich auch die Asylfrage privatisieren und die Grenzen abbauen, die überhaupt nur durch Sozialismus in der heutigen Form aufgebaut werden mußten. Grenzsicherungen sind eine typische Folge der staatlichen Interventionsspirale. Ein Wohlfahrtsstaat ohne bürokratische Grenzziehung ist nicht haltbar. Mit Ihrem »Grenzen dicht!« statt »Kappen des sozialstaatlichen Gefüges« folgen Sie genau dieser Logik. Margot Honecker hat nicht anders argumentiert. Sie mögen damit eine schlauere Linke sein, aber ich finde, Sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem richtig beobachteten Dilemma. Besser wäre, sie ließen die Menschen vor Ort entscheiden, auch darüber zum Beispiel, wen diese zur Lehre einstellen.
Sie haben übrigens meine Frage noch nicht beantwortet: Ist der Liberalismus nun Ihr Hauptfeind? Ist er in Ihren Augen »volkszersetzend«?
ingres
Leider hat sich Lichtschlag noch nicht dazu geäußert, ob er jeden der nach Deutschland wil, einlassen will. Sieht aber so aus. Nun wird sicher auch Lichtschlag die Intelligenz besitzen (die Polemik klärt sich gleich!), dass 3 Mrd Menschen (denen es hier besser gehn könnte als in ihrere Heimat) nicht in Deutschland leben können. Insofern muß ich unterstellen, dass Lichtschlag folgendes Modell hat (könnte ja korrigierft werden) Jeder der nach Deutschland will kann kommen. Er versucht sich dann auf eigene Faust durchzusetzen oder unterzugehen. Alles im Rahmen geltenden Rechts und wie gesagt auf eigene Rechnung.
Da das nun nicht für 3 Mrd funktionieren kann werden am Ende halt die übrig bleiben, die sich durchgesetzt haben. Wenn nicht nahezu 3 Mrd (die kleinen Zahlen die tatsächlich zurückgehen kann man vernachlässigen) wieder zurückgehen werden also nahezu 3 Mrd auf der Strecke bleiben.
Lichtschlag hat ein interessantes Modell.