sagt: „Mama, das mache ich doch nie!“ Kann man das – niemals lügen? Ist nicht dieses Versprechen selbst schon – eine Lüge?
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Erwiesenermaßen gelogen (und zwar über Jahre hinweg) haben die Politiker der Systemparteien, gelogen hat die Kanzlerin, gelogen hat die Systempresse, gelogen hat das Staatsfernsehen, gelogen haben die Polizeipräsidenten und die Funktionäre der Flüchtlingsindustrie, der Wirtschaft, der Kirchen und auch der Bundespräsident, von dem allerdings ohnehin niemand mehr erwartet, eine moralische Autorität zu sein.
Nachdem das Lügengebäude von den „Flüchtlingen und Fachkräften“ schlichtweg unter dem Druck der Ereignisse und aufgrund der speziellen Dynamik der sozialen Medien im Internet (Gegenöffentlichkeit) kollabiert ist, kann man hier und da – längst nicht überall – Annäherungen an die Wahrheit beobachten, während an anderer Stelle schon wieder eifrig versucht wird, den Scherbenhaufen zu kitten und neue Lügengebäude zu errichten.
Wird das eingangs zitierte Sprichwort sich bestätigen? Werden die massenhaft Belogenen nun empört ihre SZ- und FAZ‑, Spiegel- und Regionalpresse-Abos kündigen, die Altparteien Wahl für Wahl tiefer in die Wüste schicken, und sich fortan dem unbarmherzigen Licht der Wahrheit aussetzen? Nichts dergleichen wird geschehen. Die Belogenen werden, nachdem einige der beim Lügen Ertappten ein wenig zu Kreuze gekrochen sind, nur allzu gern an eine Läuterung der Lügner glauben und sich bereitwillig schon bald wieder erneut belügen lassen – verdient nicht auch die Lügenpresse eine zweite Chance? Die Erkenntnis, belogen worden zu sein, hält nicht lange vor. Oder stört es noch nicht einmal, weil es sich gerade auch mit den großen Lügen bequem leben lässt?
Auf die Lügen hereingefallen sind die vielen Gutgläubigen und Harmoniebedürftigen ebenso wie die wohl noch größere Masse derer, denen in ihrem TV- und internetinduziertem Schwachsinn eigentlich sowieso alles wurscht ist, Hauptsache, Konsum und Freizeitgenuss werden nicht gestört. Nicht auf diese Lügen hereingefallen sind diejenigen, die für ihre mangelnde Bereitschaft, den Lügen zu glauben, schon vor dem Zusammenbruch der Lügenfassaden als „rechts“ stigmatisiert wurden. Daraus zu folgern, dass „rechts“ stets dort ist, wo die Wahrheit ist, wäre indessen naiv.
Die Lüge ist nicht links, sie ist nicht rechts, sie ist noch nicht einmal liberal. Die Lüge ist immer dort, wo die Macht ist – sie klebt an der Macht wie der Käse auf der Pizza. Sie wird, sollte es unter dem Druck des sich weiter entwickelten Geschehens zu einem radikalen Systemwechsel kommen, einfach die Fronten wechseln. Insofern ist die Orwell’sche Aussage, dass Lüge Wahrheit und Wahrheit Lüge sei, nichts weiter als eine generell zutreffende Aussage über politische Macht.
Die Lüge hat bekanntlich viele Gesichter. Es gibt sie als verschmitzte Flunkerei, als das bewusste Verschweigen der Wahrheit (zum Beispiel aus Gründen der Staatsräson oder um jemanden zu schonen, der die Wahrheit nicht überleben würde), als Notlüge (moralisch gerechtfertigt, um Schlimmeres zu verhindern), als freche und dreiste Lüge (wie in Sachen „Flüchtlinge und Fachkräfte“), als Aufhübschen der Wahrheit (die bekanntlich oft ein hässliches Gesicht hat) und auch, so will es das Bonmot, als Statistik. Oft belügt man sich auch selbst, man spricht dann von Selbstbetrug und Lebenslügen. Doch nicht allein mit Worten, vor allem auch mit Bildern wird seit Stalins Zeiten gern gelogen, wenn etwa in Ungnade gefallene Personen nachträglich aus Bildern entfernt werden. Die Lüge ist auch dort zu Gast, wo man mal eben ein passend erscheinendes Bild veröffentlich, obwohl es eigentlich nur ein „Symbolbild“ ist. Die Lüge hat keine politische Überzeugung, sie bindet sich als Mutter aller Huren stets an die Macht, wo sie sich dann stets als „Wahrheit“ (als alternativlose Wahrheit) ausgibt.
Doch vielleicht reicht die politische Perspektive nicht aus, um die Macht der Lüge zu verstehen und muss man sie eher in einem anthropologisch-psychologischen Horizont betrachten. Braucht der Mensch die Lüge schlicht und einfach, weil das Licht der Wahrheit eben doch unbarmherzig ist? Man lese hierzu wieder einmal Platons Höhlengleichnis, bevorzugt in der schönen Übersetzung von Heidegger in „Platons Lehre von der Wahrheit“. Der schöne Schein geht, wenn er der Sache dienlich ist, allemal über die Wahrheit.
Es ist, wiederum bezogen auf „Flüchtlinge“ und „Fachkräfte“, weitaus bequemer, sich im wohlfeilen Humanitarismus zu üben und dafür auch noch öffentlich belobigt zu werden, als der realen Humanitas – also dem, was den Menschen als solchen wirklich ausmacht – ins Gesicht zu schauen. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ – was bei Goethe („Das Göttliche“) noch als Forderung an die persönliche Entwicklung des Individuums wie des Menschengeschlechts aufgestellt wurde, gilt heute als ausgemacht: „Edel ist der Mensch, hilfreich und gut (außer er ist rechts)“.
Der Mensch ist, das weiß man hier unter Goethefreunden sehr sicher, nichts weniger als das. Die bunt schillernden Seifenblasen des Humanitarismus zerplatzen zwar in immer rascherer Folge, doch wird der Gutgläubige dennoch niemals danach streben, den Menschen in seiner ganzen Raubtierhaftigkeit und Gefährlichkeit, seiner Lügenhaftigkeit, seiner Niedertracht und Gier zu erkennen geschweige denn zu akzeptieren. Der Gutgläubige wird weiter lieber nach neuen Seifenblasen Ausschau halten. Der weniger Gutgläubige ist in seinem Realitätssinn bereit, die hässliche Seite des Menschen wahrzunehmen und als Wirklichkeit auch anzunehmen – was ihm folgerichtig seitens der linken Macht nicht nur das Prädikat „rechts“ einträgt, sondern was auch zur beliebten Identifikation von „rechts“ und „hässlich“ führt.
Politische Mehrheiten – und damit kehren wir in die Niederungen des Politischen zurück – gewinnt man mit dem Hässlichen nicht. Das Hässliche als die Wahrheit über den Menschen ist niemals mehrheitsfähig. Will der Rechte die Macht erringen, wird er also das Hässliche vertuschen und als das irgendwie Schöne darstellen müssen (rechte Ästhetik) – und damit selbst den Vorhof der Lüge betreten. Es gehört zu den Kernbeständen einer rechten politischen Überzeugung, dass der Mensch eben nicht von Natur aus gut ist, aber gerade deswegen zum Guten (das wohl verstandene Edle, Hilfreiche, Gute) erzogen werden müssen. Aber warum sollte er das? Ein weiterer Schritt in Richtung Macht zwar, aber auch zur Unaufrichtigkeit und zur größer werdenden Lüge. Denn woher heute, in Zeiten der großen Unverbindlichkeit, das Gute als für alle verbindliches Maß nehmen? Ein technokratisch definierter kleinster gemeinsamer Nenner reicht nicht aus, aber wo wäre das große Maß? Kann der Umschwung nur durch die große Katastrophe kommen, die den Zwang zum Hässlichen (zur anthropologischen Wahrheit) mit sich brächte? Nehmen wir an, der Supervulkan unter dem Yellowstone Nationalpark bräche aus. Eine Weile überfällig ist er ohnehin schon.
Goethes Götter schweigen, Nietzsches Wort „Gott ist tot“ muss erst einmal verstanden werden. Es fehlt die höchste Instanz als prägende Macht (womit keineswegs die Möglichkeit eines privaten Glaubens an Gott und Götter ausgeschlossen ist). Denkt man dies konsequent weiter, ergibt sich, dass es paradoxerweise vielleicht gar nicht darum gehen darf, einen politischen Umschwung zu erreichen, bei dem die Lüge zwangsläufig die Seiten wechseln würde: Es muss sich zwar etwas ändern, doch damit sich etwas ändert, muss der Machtumschwung stattfinden. Das aber wird – weil Macht und Lüge untrennbar zusammengehören – nur zu neuen Lügen und neuen Seifenblasen führen. Wollt ihr die Macht oder wollt ihr die Wahrheit auf eurer Seite wissen? Diese Frage muss gestellt werden.
Rüdiger Zimmer
Ich denke schon, dass die Zeitungsauflagen sinken werden. Vor etwa 2 Wochen habe ich die Tageszeitung gekündigt und dem Chefredakteur des überregionalen politischen Teils meine Gründe mitgeteilt. Dieser hat für mich überraschend empfindlich reagiert.