Unser Brecht 1

von Adolph Przybyszewski

"Als Thomas Mann vorigen Sonntag, die Hände im Schoß, zurückgelehnt sagte: Ja, eine halbe Million muß getötet werden in Deutschland, da klang das ganz und gar bestialisch."

An jenem 1. August 1943 hat­ten sich in Los Ange­les ver­schie­de­ne deut­sche Emi­gran­ten, dar­un­ter die Brü­der Mann und Brecht, zusam­men­ge­fun­den, um die ihnen eben bekannt gewor­de­ne Grün­dung des Natio­nal­ko­mi­tees Frei­es Deutsch­land durch deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne in der Sowjet­uni­on mit einer gemein­sa­men Reso­lu­ti­on zu begrü­ßen. Der “Lin­ke” Brecht war empört über Manns dort geäu­ßer­te Mas­sen­mord­phan­ta­sie: “Der Steh­kra­gen sprach. Kein Kampf war erwähnt, noch in Anspruch genom­men für die­se Tötung, es han­del­te sich um kal­te Züch­ti­gung, und wo schon Hygie­ne als Grund vie­hisch wäre, was ist da Rache (denn das war Res­sen­ti­ment von dem Tier)”, so reg­te sich Brecht über die “ent­schlos­se­ne Jäm­mer­lich­keit” die­ses “Kul­tur­trä­gers” auf, der es “nicht unbil­lig” gefun­den habe, “wenn ‘die Alli­ier­ten Deutsch­land zehn oder zwan­zig Jah­re lang züch­ti­gen’ ”, wie er Manns Äuße­run­gen wei­ter kol­por­tier­te (Brecht: Wer­ke, Bd. 27, S. 163 f.).

Daß Tho­mas Mann sich von der beab­sich­tig­ten gemein­sa­men Reso­lu­ti­on schon einen Tag spä­ter – in einer, wie’s scheint, typisch bür­ger­li­chen Wei­se – wie­der distan­ziert hat­te, war nur der Anlaß für Brechts Nota­te über des­sen Züch­ti­gungs­phan­ta­sien gewe­sen. Dabei ver­merk­te Brecht auch, daß der Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger die Reso­lu­ti­on als “patrio­ti­sche Erklä­rung” ableh­ne, weil er befürch­te, daß man damit “den Alli­ier­ten in den Rücken fal­le”. Mit “Goeb­bels’ Behaup­tung, Hit­ler und Deutsch­land sei eins, stim­men sie über­ein”, ver­merk­te Brecht bit­ter über sol­che Reprä­sen­tan­ten eines ‘demo­kra­ti­schen Deutsch­land’, “wenn Hearst sie über­nimmt”, also wenn sie in der US-Mas­sen­pres­se ent­spre­chend breit­ge­tre­ten wird.

Was wür­de die­ser Schrift­stel­ler wohl heu­te zum Zustand der deut­schen Lin­ken sagen? Die­sem Hau­fen vater­lands­lo­ser Gesel­lIn­nen, die sich wie die hüb­sche, aber ein­fäl­ti­ge SED-Säch­sin Julia Bonk dar­in gefal­len, die Fah­ne von 1848 mit den revo­lu­tio­nä­ren Far­ben des Befrei­ungs­krie­ges zu bekämp­fen, in ihren häß­li­che­ren, meist west­deut­schen und grü­nen Vari­an­ten aber in ras­sis­ti­sche Ste­reo­ty­pe gegen “die Deut­schen” ver­fal­len, sie am liebs­ten aus­rot­ten, wenigs­tens aber “mul­ti­kul­tu­rell” zwangs­as­si­mi­lie­ren möch­ten? Er wür­de wohl in Anleh­nung an Karl Kraus sagen, ihm fal­le zu die­sen “Lin­ken” nichts mehr ein, die von ihm doch so viel ler­nen könn­ten, was ein zwar kri­ti­sches, aber grund­le­gend posi­ti­ves Ver­hält­nis zum eige­nen Volk und sei­ner Nati­on angeht. Aller­dings fie­le ihm gewiß auch zum Zustand der heu­ti­gen “Rech­ten” kaum etwas ein, weil dort eben­so vor allem alte Refle­xe gepflegt zu wer­den scheinen.

Wäre man nicht Pole, wür­de man als Deut­scher, der sich jen­seits der alten Bür­ger­kriegs­ideo­lo­gien zu posi­tio­nie­ren ver­such­te, aber rufen: Brecht ist unser! Von Brecht ler­nen heißt kri­tisch den­ken ler­nen, und hier als ers­tes: Es gibt kei­ne kol­lek­ti­ve Schuld der Deutschen.

Dazu nächs­tens mehr.

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