Stammleser äußerten in den Kommentarspalten von taz.de ihren Unmut ob des Wechsels zum einst befehdeten Axel-Springer-Imperium. Sie, die – neben dem Berliner Senat – zu den unverzichtbaren Stützen ihrer linksalternativen Zeitung zählen, zeigten sich irritiert, wie einfach der Übergang von einem linksoppositionellen Blatt zur staatstragenden Konkurrenz vonstatten gehen.
Dabei ist ein solcher Wechsel weder verwunderlich noch ein Einzelfall. Dementsprechend blieben erstaunte Kommentare dann aus, als wenige Wochen später, im Juli 2015, die seit 2009 amtierende taz-Chefredakteurin Ines Pohl ihren Wechsel ins Studio Washington des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders »Deutsche Welle« (DW) bekanntgab.
Immer wieder wird deutlich: Die Axel Springer SE und der gebührenfinanzierte Rundfunk sind die beiden entscheidenden Verteilerknoten für Publizisten aus dem radikal linken Spektrum auf ihrem Weg ins bundesdeutsche Establishment.
Eine Schlüsselrolle nimmt die erklärtermaßen »antideutsche« und mitunter im Verfassungsschutzbericht erwähnte Wochenzeitung Jungle World ein. Sie, die 1997 als angriffslustiges Revolutionsprodukt entstand (weite Teile der damaligen Redaktion der Tageszeitung junge Welt, jW, wandten sich gegen ihre traditionsmarxistische Führung), ist mittlerweile Everybody’s Darling.
Zum 18. Jahrestag des Putsches in der jW ließ es sich die versammelte Linksschickeria nicht nehmen, den postmodernen Antifaschisten zu gratulieren: Neben den üblichen Verdächtigen, etwa von der linksparteinahen Tageszeitung neues deutschland oder der antideutschen Kultband Egotronic, taucht in den gesammelten Lobhudeleien auch der Name Alexander Robin auf.
Robin, seines Zeichens Welt-Journalist und bekannt als Ko-Moderator von Stefan Raabs Politklamauk auf ProSieben, ging einst durch die Volontärschule der taz, bevor er zu einem Promotor der Axel-Springer-Welt wurde. Im weiteren stößt man immer wieder auf solche Gemeinsamkeiten zwischen Axel Springer und (transatlantisch ausgerichteten) linken Publizisten.
Der Jungle-World-Autor Bernd Volkert wurde von der Axel-Springer-Stiftung gefördert; bereits erwähnter Yücel ist nicht nur Türkeikorrespondent der Welt, sondern Urgestein und Mitherausgeber der Jungle World; deren Autor ist auch der Göttinger Politikprofessor Samuel Salzborn, der ebensosehr als Welt-Autor gefragt ist wie Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler aus Hamburg, der der Welt als Antisemitismusexperte gilt und dort, ebenso wie in der Jungle World, die fortwährende Diabolisierung des iranischen Regimes betreiben darf.
Er trifft sich in seiner Iran-Obsession mit seinem Kollegen Thomas von der Osten-Sacken. Dieser berichtet für die Welt aus dem Nahen und Mittleren Osten und ist einer der fleißigsten Beiträger der Jungle World. Sein eigener Jungle-Blog (»Von Tunis bis Teheran«) kann als Musterbeispiel für einseitig-verzerrende, ideologisch verblendete Desinformation gelten.
Bereits anhand einiger weniger, besonders auffälliger personeller Beispiele für die Kumpanei von Welt und Jungle World werden der ideelle Anknüpfungspunkt und die Basis des gemeinsamen Weltbildes von etabliertem und vorgeblich subversivem Linksliberalismus deutlich: die Apologie der westlichen »freien Welt« als Bewahrer universal gültiger Werte wie Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechte im Zeichen einer diffusen »offenen Gesellschaft«.
Der Ausgangspunkt der Öffnung antifaschistischer Publizisten in Richtung der »bürgerlichen« Presse bestand darin, die globale US-amerikanische Hegemonie nicht mehr als »Imperialismus«, sondern als legitime Ausgangsbasis für weitergehende Reflexionen in bezug auf internationale Beziehungen zu begreifen.
Die Barbarisierung weltpolitischer Konflikte – derzeit beispielsweise in der Levante – wird etwa nicht den USA oder den mindestens partiell von ihnen subventionierten sunnitisch-neofundamentalistischen Terrorgruppen wie dem »Islamischen Staat« oder der »Nusra-Front« zugeschrieben, sondern – monokausal argumentierend und fest im transatlantischen Denken verankert – Iran, Syrien oder Rußland angelastet.
Der Kärntner Marxist Werner Pirker, ein 2014 verstorbenes Original der jungen Welt, formulierte bereits 2001 das Aperçu (wiedergegeben in der Anthologie Dialektik der Konterrevolution), daß die Verfechter der US-Hegemonie den »Krieg als Fortsetzung der Globalisierungspolitik zur Dezimierung unabhängiger Nationalstaaten« begreifen.
Pirker blieb auch bei der Analyse der heutigen Linken nicht bei oberflächlichen Betrachtungen stehen. Er durchstieg die Psyche des postmodernen, antideutschen und westlerischen Antifaschismus, wie er speziell in der Redaktion der Jungle World reüssiert, und griff unter anderem – für einen zeitgenössischen deutschsprachigen Linksradikalen durchaus beachtlich – nicht zuletzt Daniel Goldhagens Diffamierungswerk Hitlers willige Vollstrecker als »Bestseller der Umerziehungsliteratur« an.
Das antideutsche Ressentiment ist ohne Reeducation, Kollektivschuldthese und fortwährende Amerikanisierung der bundesdeutschen Gesellschaft bei allgegenwärtigen Bedrohungsszenarien durch neue und alte Antisemitismen schließlich nicht vorstellbar; derartiges Denken erleichtert überdies auch die Akzeptanz anti-iranischer (und anti-syrischer, anti-libanesischer etc.) Stereotype.
Die aus einem solchen falschen Bewußtsein resultierende permanente Kriegsapologie eines von der Osten-Sacken und anderer übereifriger Westler gegen widerspenstige Nationalstaaten im »responsibility to protect«-Modus – mal unverblümt artikuliert, mal in humanitäre Phraseologie verkleidet – ist denn auch der Kitt zwischen transatlantisch-liberalen Journalisten unweit des Checkpoint Charlie und ihren zwei Kilometer weiter beheimateten transatlantisch-linksradikalen Pendants aus Kreuzberg.
So sehr sich die postmoderne publizistische Antifa auch als widerständig und jenseits des Mainstreams verortet: Natürlich hat wiederum Pirker Recht, wenn er in einem Interview von 2013 deren Rolle als »bellizistische Vorhut« des Establishments akzentuiert.
Seine Konklusion trifft somit die gesamte prowestliche Linke von taz bis Jungle World, die nichts weiter als die sekundierenden Fußtruppen des herrschenden Linksliberalismus verkörpern: Deren »linksradikale Attitüde verbindet sich auf seltsame Weise mit opportunistischer Anpassung an den herrschaftlichen Diskurs, den sie auf eine besonders schrille Weise, das heißt auf kindische Art machtverliebt und elitär zum Ausdruck bringen.«
Deutlich wird dies nicht nur bei den Weltbefriedungsphantasien im Zeichen von freedom and democracy, sondern auch innenpolitisch.
Als im Frühling 2015 sowohl in Halle/Saale als auch im ebenfalls sachsen-anhaltischen Ort Tröglitz der antideutsche Flügel der Antifa gegen die einheimische, teils asylkritische Bevölkerung demonstrierte, wurde das von Pirker konstatierte Gebaren besonders frappierend unter Beweis gestellt.
Sozialchauvinistische Parolen und Pauschalbeleidigungen des »ostzonalen« Prekariats durch saturierte Kinder des rotgrünen Bürgertums (gewissermaßen die »Tellerlecker der Bourgeoisie« im Sinne Rosa Luxemburgs) vertragen sich schlechterdings überhaupt nicht mit dem klassisch antifaschistisch-marxistischen Kampf um die unteren Bevölkerungsschichten. Die längst vollzogene Abkehr der bemüht hippen Postmarxisten vom »Proletariat« als »revolutionärem Subjekt« zugunsten des Minderheitenfetisches à la »LGBT« (»Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender«) korreliert mit einer zynischen Verachtung der arbeitssuchenden, prekär beschäftigten und allgemein sozial benachteiligten Menschen, sofern es sich dabei weitgehend um autochthone Deutsche handelt.
Die marxistischen Autoren Susann Witt-Stahl und Michael Sommer sprechen (im Vorwort zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband »Antifa heißt Luftangriff!« Regression einer revolutionären Bewegung) daher mit einigem Recht von einem »Neoliberalisierungsprozess des organisierten Antifaschismus«, der die kapitalistische Logik als solche nicht hinterfragt, dem Liberalismus kein Bein stellen möchte und der schließlich die – bereits erwähnte – »Integration von Antifaschisten in den bellizistischen Konsens« zur Folge hat.
Das, was Mode-Linksradikale mit ihrem »Luxus-für-alle«-Lifestyle zudem einfordern, ist nichts anderes als die Preisgabe sozialer Programmatik zugunsten des ohnehin dominierenden Konsumismus, den sie lediglich auf die Spitze treiben, mithin die bereitwillige Affirmation des »Reichs des kleineren Übels« (Jean-Claude Michéa) – eigentlich eine gewaltige Steilvorlage für die intellektuelle »Rechte«.
Die postmodern-neoliberale Linke ist also, so wiederum Witt-Stahl, »auf den Hayek gekommen und zum Hilfssheriff für Staat und Kapital verkommen«. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der abschließenden Ergänzung, daß Bernd Langer in seiner (recht lesenswerten) Monographie Antifaschistische Aktion: Geschichte einer linksradikalen Bewegung irrt, wenn er »den« linksradikalen Antifaschismus als »weiterhin ausgegrenzt« bezeichnet.
Das Gegenteil ist der Fall, wie zumindest die transatlantische Einheitsfront von Welt-, taz- und Jungle-World-Autoren unter Beweis stellt – entsprechendes Stühlerücken in den Redaktionen inklusive.