Zu dieser Thematik lag bisher »nur« ein bio-bibliographisches Handbuch vor. In Die große Autorenschlacht hat Günter Scholdt diese literarische Auseinandersetzung nun nachgezeichnet.
Der Weimarer Streit um die Deutung des Ersten Weltkriegs erschöpft sich bei weitem nicht in der Analyse berühmter Kriegsbücher wie etwa Ernst Jüngers In Stahlgewittern oder Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, zumal es sich meist um Texte handelt, die, bei allen Unterschieden, »ein Kriegsbild teilen, das den Schrecken und das Gräßliche keineswegs ausklammert und den Gegner im Schützengraben menschlich respektiert«. Scholdt entwirft darüber hinausgehend ein Panorama des weiten kulturellen und ideologischen Feldes, auf dem diese »Autorenschlacht« stattgefunden hat.
Dabei wird zunächst mit dem Klischee aufgeräumt, es hätten sich im Streit um die Erinnerung, um das Bild des Krieges zwei »homogene Autorenblöcke« gegenübergestanden, hier die guten, friedliebenden, linken Demokraten, dort die bösen, kriegsverherrlichenden, rechten Reaktionäre. Tatsächlich waren die Lager – was eigentlich niemanden verwundern kann – in sich selbst fragmentiert.
Neben den Pazifisten wie Remarque oder Tucholsky fanden sich auf der Linken mit Johannes R. Becher und anderen KPD-Autoren im Umfeld der Linkskurve auch gleich deren Kritiker, Ex-Pazifisten, die sich derweil der neuen Militanz des revolutionären Klassenkrieges und stalinistischer Säuberungen verschrieben hatten.
Daß Bechers wilder, so expressionistischer wie dokumentarischer Zukunftsroman (CHCl=CH)3As (Levisite) oder Der einzig gerechte Krieg (1926) Anleihen gerade bei Jüngers In Stahlgewittern macht, überrascht dann doch auch wieder nicht.
Auf der Rechten finden wir neben den Jünger-Brüdern Autoren wie Franz Schauwecker, Edwin Erich Dwinger und Ernst Wiechert, die man ebensowenig in eine Schublade stecken mag wie Remarque und Becher.
In Schauweckers Roman Aufbruch der Nation (1929), einem zentralen Text der Konservativen Revolution, wird die Niederlage keineswegs als Ende, sondern als der Beginn einer nationalen Neubesinnung gesehen, als »Wiedergeburt des neuen deutschen Menschen aus der lodernden Flamme des Krieges«, wie Josef Nadler mit vollem Pathos schrieb.
Die Entwicklung bei Wiechert zeigt hingegen eine deutliche Selbstkritik: Enttäuscht von der neuen Gesellschaft, die nach dem Krieg schnell zur Tagesordnung übergehen will, reagiert »Wiecherts Titelheld von Der Totenwolf (1924)«, so Scholdt, »als eine Art früher Rambo auf den Amüsierbetrieb der Nachkriegszeit mit aggressiver Militanz«. Später erschien Wiechert diese Haltung aber »asozial«, gleichwohl vorübergehend unerläßlich, wie »ein Fieber, das den Körper langsam reinigte«.
Erst nach überstandenem Fieber nahm Wiechert Abschied »vom nationalistischen Ressentiment« und schlug in Jedermann (1931) differenziertere Töne an, um »zwischen dem linken und dem rechten Kriegsgenre« zu vermitteln.
Bei aller Kritik am Militarismus und der Absage an die »schauerliche Absurdität« des Krieges betonte Wiechert dennoch die Bedeutung von Pflicht und Opfer, den Wert der Kameradschaft, den es, wie Scholdt ausführt, »als neue Frucht und Sinngebung des Krieges in die Nachkriegszeit« hinüberzuretten gelte.
Damit sind wir bei der Frage nach dem Sinn des Krieges – und diese Frage war es, an der sich die Geister im publizistisch und literarisch geführten »Meinungs- und Gesinnungskrieg« schieden.
Formal gesehen könnten manche Texte sowohl von Autoren der Linken wie der Rechten stammen, die dann nur durch »polemische Zuschreibung« (Scholdt) einem Lager zugeordnet wurden. Aber die Antwort auf die Frage nach dem sinngebenden Gehalt des Krieges sorgte für Klarheit.
Die Linke machte es sich leichter und negierte jeden Anspruch auf eine sinnhafte Deutung, denn Soldaten waren, Tucholsky zufolge, Mörder, der Krieg war ein Verbrechen und »spätestens mit der Revolution begann eine pazifistische Totaldekonstruktion des Sinns«, schreibt Scholdt. »Dem Krieg verblieb meist nur mehr die Rolle als zivilisationsfeindlicher Zerstörer, Entfesseler niederster Triebe und urböser Leidproduzent.«
Was er ja alles auch war, aber eine derart pauschal attestierte Sinnlosigkeit wird von Scholdt auf ihre »politische Wirkungsabsicht« hin befragt. Indem die Linke ihre radikale Absage an einen sinnlosen Krieg formulierte, der als logisches Resultat des despotischen Wilhelminismus erschien, schuf sie ein staatstragendes ideologisches Element der Republik.
In dieser Perspektive standen dem militaristischen Geist des Kaiserreichs die hehren demokratischen Werte des Westens gegenüber, was zumindest teilweise auf eine Übernahme der Perspektive der Entente hinauslief und als Erfolg ihrer Propaganda gewertet werden konnte. Die »Deutschland-Karikatur« diente »nun ihrerseits vermeintlich höheren politischen Zielen«.
1916 konstatierte Robert Breuer in der Schaubühne, es gehöre zu den »Unbegreiflichkeiten dieses Krieges, daß unsere Feinde ernsthaft zu glauben scheinen, in Deutschland die Barbarei niederkämpfen zu müssen«.
Und obwohl man in Frankreich durchaus auf eine Revanche für 1871 spekulierte, gerierte man sich dort bei Kriegsbeginn, »als seien deutsche Hunnen in ein friedliches Gartenidyll von Ahnungslosen eingebrochen«. Einschätzungen, die dann nach 1918 auch von deutschen Autoren und Publizisten gepflegt wurden, die sich 1914 vom bösen Militarismus hatten verführen lassen, nun aber ihre Rollen als moralische Instanzen der Demokratie spielten.
Doch der Widerspruch geht noch weiter: Wer schon das Kaiserreich kurzum als Despotie brandmarkte, »war ein fragwürdiger Republikaner, wenn er seinen Landsleuten nun den sowjetischen Totalitarismus empfahl«.
Die Frage nach dem Sinn wurde auf der Rechten erwartungsgemäß anders beantwortet. Denn sobald der Krieg als sinnhaft erfahren worden war, etwa als Verteidigung des eigenen Landes gegen Mächte, die keineswegs eine höhere Humanität geltend machen konnten und nicht frei von eigenen Interessen waren, mußten andere Konsequenzen gezogen werden. »Sinnlos war es aus nationaler Warte also keineswegs, alles dafür zu tun, das abzuwenden, was durch die Niederlage schließlich geschah.«
Dabei malten die Rechten, zumal die Vertreter der Konservativen Revolution, den Wilhelminismus auch nicht in leuchtenden Farben, vielmehr zielten sie auf etwas Neues ab, auf eine nationale Wiedergeburt aus der Niederlage, aus dem Zusammenbruch heraus. Die Einheit des »Burgfriedens« und die Ideen von 1914 sollten wiederbelebt werden, um das darauf bezogene »Sozialprojekt neu zu justieren« (Scholdt).
Die Rechte hätte »also mit Remarque, der die Frontkameradschaft pries, Offizierstapferkeit respektierte und (…) sogar höher wertete als revolutionäre Belange, gewiß am ehesten leben können«.
Daß man ihn aber auf den denunziatorischen Nenner der »Latrinenperspektive« (Hans Zöberlein) bringen wollte, lag gerade nicht am lagerübergreifenden Realismus, sondern an der Weigerung, dem Krieg einen Sinn zuzusprechen.
Und so ging die Rechte in die »weltanschauliche Gegenoffensive«: Scholdt wertet Schauweckers Aufbruch der Nation (1929), Friedrich Lehmanns Wir von der Infanterie (1929), auch Werner Beumelburgs Die Gruppe Bosemüller (1930) als Reaktionen auf die pazifistischen Erfolgsbücher. Sie zeigen die Realität des Krieges, mythisierten ihn aber gleichzeitig aus der Perspektive der Frontsoldaten, denen aufgrund ihrer spezifischen, neuartigen Grenz- und Gemeinschaftserfahrung eine besondere Rolle für die Zukunft Deutschlands zukomme.
Der »großstädtische Zeitgeist« begünstigte aber die »schrankenlose Feier des Individuums« jenseits von Ordnung und Pflichtvorstellungen, und jenes für die Rechten so zentrale »Augusterlebnis« wurde mehr und mehr als »Legende« hingestellt.
Eine »Identifikation mit der deutschen Sache« fand auf linker oder pazifistischer Seite kaum mehr statt, so daß es in den Auseinandersetzungen nicht nur zu polemischen Überspitzungen kam, sondern zu einer grundsätzlichen Radikalisierung. Das Politische verband sich dabei auch mit fundamentalen psychologischen und kulturellen Dispositionen der Akteure:
»Die Erbitterung bis zuletzt standhafter Frontoffiziere darüber war groß, daß nun ausgerechnet diejenigen das Wort führten, die in ihren Augen weitgehend versagt hatten« und ihnen als »notorische Drückeberger, Simulanten, Wankelmütige, unmännlich feig, dumm in ihrer Spekulation auf Feindesmilde und clever nur im persönlich einträglichen Verrat« galten.
Anstatt den Krieg lediglich moralisch zu verwerfen, was eine relativ leichte Übung ist, hat es Autoren und Intellektuelle gegeben, die sich darum bemüht haben, den Krieg zu ergründen, auszumessen, vielleicht sogar zu verstehen. Dabei haben sie in anderen Kategorien gedacht, als ihre Opponenten, die eilig mit dem Bad des Krieges auch gleich das Kind des »politischen Realismus« ausgeschüttet haben.
Die zweifellos gebotene Moral-Diskussion darüber, wie sich Völker in wilder Enthumanisierung in ein monströses Schlachthaus begeben, aus dem sie jahrelang nicht mehr entrinnen konnten, verkam dabei allzuoft zu einer bigotten, außengesteuerten und von Kreuzzugspropaganda stimulierten Sieger-Veranstaltung.
Es ist Scholdt gelungen, zahlreiche, auch weniger bekannte Autoren wie Alfred Polgar oder Edlef Köppen zu Wort kommen zu lassen, nach Ambivalenzen zu fragen, auf diese Weise die üblichen Einseitigkeiten der Germanistik und des Feuilletons zu überwinden und stattdessen ein sehr buntes und stark differenziertes Bild dieser weitreichenden Kontroverse zu zeichnen.
Das ist schon sehr viel. Zudem setzt er die geschichtspolitische Dimension der »Autorenschlacht« auf erkenntnisfördernde Weise in Beziehung zur Vergangenheitsbewältigung nach 1945.
Kritisch anzumerken bleibt, daß die Rede von Weimars »Literaten« als übergreifende Bezeichnung für Autoren, Kritiker, Journalisten, Verleger im allgemeinen hingehen mag, es sich aber, gerade im konservativen Kontext, um einen abwertend konnotierten Terminus handelt, der dem Ansatz und der Lesart des Buches nicht entspricht.
Von diesem Detail abgesehen bietet Scholdts Arbeit reichlich Gelegenheit, sich anregen zu lassen und von Carossa oder Remarque ausgehend über die anderen hier genannten Autoren bis hin zu Schauwecker in eine kontroverse Thematik einzudringen, deren Bewertung bis heute umstritten ist und daher auch bis heute geschichtspolitische Konsequenzen hat.
Damit zu der Frage, welche Bücher zum Thema man heute noch lesen soll? Jüngers In Stahlgewittern ist an dieser Stelle, gleich im ersten Bücherschrank, bereits zur Lektüre empfohlen worden (Sezession 55) und man nehme den Kampf als inneres Erlebnis (1922) noch dazu.
Wem der Roman noch nicht durch Schullektüre verdorben wurde, lese Im Westen nichts Neues von Remarque, denn daß er schreiben konnte, ist bekannt: »Aufrichtigkeit, nicht Effekthascherei kennzeichnet seinen Stil« (Scholdt). Bereits erwähnt wurden Schauweckers Aufbruch der Nation und Wiecherts anders gelagerter Jedermann, die beide als repräsentative Texte unterschiedlicher Segmente der Konservativen Revolution zu empfehlen sind.
Ein fast vergessener Text sei noch hervorgehoben, Hans Carossas Rumänisches Tagebuch (1924). Thomas Mann und Rainer Maria Rilke waren in Friedenszeiten unter seinen Patienten gewesen, als Bataillonsarzt hatte Carossa dann zwischen September 1916 und seiner Verwundung in der Schlacht von Armantières im April 1918 am Ersten Weltkrieg teilgenommen.
Zunächst in Rumänien stationiert, führte Carossa von Oktober bis Dezember 1916 ein Journal, das zur Grundlage des Rumänischen Tagebuchs wurde, aber bei allen genauen Beschreibungen doch weit davon entfernt ist, die Frontzeit detailliert aufzuzeichnen. Stattdessen folgt Carossa einer literarischen Strategie, die ihren besten Ausdruck im Motto des Textes findet: »Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange!«
Es geht also darum, nicht von der Schlange des Krieges verschlungen zu werden, sondern aus ihrem Rachen Erkenntnis zutage zu fördern. Dem Krieg will Carossa etwas abtrotzen, Sinn, Bedeutung, Einsicht, so bedrohlich nahe der Schlund der Bestie auch ist. In einem Brief aus dem Jahr 1935 hat der Autor diese Vorgehensweise leicht variiert erläutert. Er mußte »den Krieg als etwas Gegebenes« hinnehmen, versuchte aber, »den dunklen Stoff geistig zu durchleuchten«.
Beim Spiel zünden drei Kinder eine scharfe Handgranate und werden von ihr zerfetzt, auch die Mutter stirbt. Krankenträger nehmen sich der Leichen an.
Die Großmutter, eine Siebenbürger Sächsin, die weinend den stillen Zug begleitete, meinte, man müsse solche Vorfälle den Kaisern und Königen der ganzen Welt zu wissen machen, damit sie traurig würden und von dem gottlosen Kriegführen abließen. Indessen war auf einmal die Sonne frei geworden und beleuchtete sehr hell einen hohen Berg, der allen auffiel. Der untere Teil zeigte fahlgrüne, mit Steinen durchsetzte Matten, dann folgte, wie mit Sorgfalt umgelegt, ein schmaler Tannengürtel, und aus diesem spitzte sich schneeglänzend eine mächtige Pyramide in das zerfließende Grau.
Der feierliche Anblick bannte jeden; sogar die alte Frau verstummte, und ich, darf ich mirs zugeben, daß das Jammerbild der zerfetzten Kinder mir im Nu völlig ausgelöscht war? Daß es mir in der herrlichen Schau zerschmolz, als wäre es zufällig und nur am Rande geschehen wie die meisten Begebenheiten der Zeit, dort aber, geltend und geisterbehütet, stünde ein geheimes Gesetz, das längst all unsre Leiden und Schrecken übernommen hat.
Verharmlosung? Mangel an Mitgefühl? Ästhetisierung des Krieges?
Die Beschreibung veranschaulicht sehr genau, wie Carossa »den dunklen Stoff« geistig »durchleuchtet« hat: die absurde Zerstörungskraft des Krieges, auch seine »Kollateralschäden« werden nicht verdrängt, aber sie werden Teil eines größeren Bildes.
Carossa hält seine an Goethe und Stifter geschulte poetische Wahrnehmung auch dann und gerade dann durch, wenn um ihn herum Chaos und Gewalt regieren, so »raubt« er aus dem Grauen buchstäblich »das Licht«, sieht durch den Krieg hindurch auf eine andere, viel größere, weitere Welt, die ein hinter den Dingen liegendes »geheimes Gesetz« ahnen läßt, das von Dauer ist, immer da.