mit diesen Worten darf man die in Deutschland waltende seelische Grundbefindlichkeit der letzten Jahrzehnte umreißen. Diese Grundbefindlichkeit ist nun gestört. Anlaß zu klagen? Keineswegs. Im Gefolge der Befindlichkeitsstörung erleben wir das Aufkommen realer Ängste und in ihrem Kielwasser die Rückkehr der Instinkte.
Junge Frauen, die gestern noch amüsierfreudig durch die Nacht streiften, halten nun die Augen offen und das Pfefferspray griffbereit. Ehepaare, die sich gestern noch weltoffen gaben, wechseln nun, eingehakt und gesenkten Blickes die Straßenseite, wenn ihnen in ihrer Kleinstadt drei junge Männer mit dunklem Teint begegnen. Der grün wählende Student der Kommunikationswissenschaften, der letzten Sommer noch so herzlich Willkommenskultur demonstrierte – auch ihn beschleichen, obwohl er es unter seinesgleichen niemals zugeben würde, langsam komische Gefühle. Seine Freundin wurde nun schon zum dritten Mal in diesem Monat im öffentlichen Schwimmbad belästigt, ihm selbst haben Schutzsuchende gerade gestern erst iPhone und Kohle abgenommen.
Etwas zutiefst Befremdendes greift nach den gestern noch Unbesorgten. Dieses Befremdende geht tiefer als bloße Furchtsamkeit oder schiere Angst. Es melden sich die längst abhanden gekommen geglaubten Instinkte. Instinktiv weicht man aus, instinktiv vermeidet man die einsamen dunklen Ecken, instinktiv handelt man so, daß Leben, Gesundheit und Eigentum nicht gefährdet werden. Instinktiv tut man – das Richtige.
Was sind Instinkte? Wir werden hier nicht in die Begriffsscharmützel von Anthropologen, Biologen und Verhaltensforschern einsteigen. Es reicht eine einfache Auskunft: Instinkte sind Naturtriebe, die vor allem der Selbsterhaltung dienen. Instinkte helfen uns, sicher durch Gefahrenzonen zu navigieren. Wird dieser Naturtrieb wach, ist der Schleier von Sattheit, Sorglosigkeit und Selbstzufriedenheit im Nu zerrissen.
Der Mensch wird wach, seine Sinne sind plötzlich geschärft. Er beurteilt die städtische Szenerie nicht mehr danach, wo das nächste Vergnügen lockt, vielmehr sieht er die Gefahren. Er ist nicht mehr blind vor Gier auf der Suche nach der nächstbesten schnellen Bedürfnisbefriedigung, sondern entwickelt ein Gespür für die rauhe Realität.
Die Phrasen des Humanitarismus werden abgestreift wie eine Narrenkappe, die Sätze werden knapper, kürzer, kälter, härter. Sie verkünden keine Menschheitsbeglückungsideologien mehr, sondern geben präzise Beobachtungen wieder, sprechen Warnungen aus.
Tritt der Mensch in die Gefahrenzone ein, verändert ihn dieses Erlebnis bis in die letzte Faser seines Daseins. Die uns bedrohenden Gefahren sind die des Urwalds und der Savanne. Es kehrt etwas sehr Altes wieder, das wir längst überwunden glaubten. Es betraf uns, die Kinder der Nachkriegs‑, Wirtschaftswunder- und Wendezeit, nie persönlich. Man hörte davon in den Erzählungen der Großmutter, wenn sie wieder einmal von der dramatischen Flucht aus Ostpreußen berichtete. Ansonsten kannte man derartiges nur aus Büchern und Filmen und nahm es als Fiktion.
Die Wiederkehr der Instinkte ist ein enormer Gewinn. Sie gibt uns die Vielschichtigkeit der Welt zurück, holt uns raus aus unseren Bällchenbädern, konfrontiert uns mit dem Leben selbst. Das mag schmerzhaft sein, aber dieser Schmerz eröffnet eine Tiefendimension der Welterfahrung.
Den wiedererwachten Instinkten beigesellen wird sich bald die Intuition. Wo der Instinkt im Wesentlichen der Gefahrenabwehr dient, ist die Intuition aufbauorientiert. Sie begreift, sie versteht, sie findet sich im Unbegangenen zurecht. Während der Instinkt das Fundament schützt, greift die Intuition vor und baut auf. Intuition geht weit über das Sichzurechtfinden auf intuitiven Benutzeroberflächen technischer Geräte hinaus. Intuition ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte oder in die Richtigkeit von Entscheidungen durch spontan sich einstellende Eingebungen zu erlangen.
Intuition begründet Kulturen. Man kann unschwer erkennen, daß Instinkt und Intuition für uns zusammengehören. Wo nur der abwehrbedachte Instinkt als Selbsterhaltungstrieb waltet, wäre das Leben arm und freudlos. Die Intuition und mehr noch die Imagination sind gleichsam die Türöffner zu einer Welt jenseits des Kampfes und mehr noch die Grundlagen einer an der Wirklichkeit orientierten Daseinsgestaltung, im privaten wie auch auf überindividueller Ebene. Soweit die Perspektive.
Kehren wir zu den Instinkten zurück. Die, nennen wir sie mal so, gesunden Instinkte werden offensichtlich nicht bei jedem Zeitgenossen gleichermaßen wach. Nach wie vor gibt es viele Freunde und Kollegen, die es in erster Linie bedauerlich finden, daß persönliche Freiheiten nun durch die ständig mitlaufende Sorge eingeschränkt werden – Liberalität und Überlebensinstinkt scheinen sich nicht immer gut zu vertragen. Und nach wie vor gibt es jene im Prinzip Willkommenskulturgläubigen, die die dramatischen Veränderung unserer Gesellschaft entweder nicht als dramatisch empfinden oder sogar euphorisch begrüßen.
Demgegenüber definiert sich das rechte oder konservative Lager dadurch, daß es mit Vehemenz und immer wieder aufs Neue auf die zunehmende Gefährdung unserer Sicherheit verweist – und sich fragt, ob die anderen es denn nicht sehen können oder nicht sehen wollen. Können die anderen vielleicht wirklich nicht anders? Und können auch wir nicht anders?
Britische Forscher haben vor einiger Zeit festgestellt, daß Menschen mit rechtskonservativer Einstellung eine deutlich vergrößerte rechte Amygdala haben. Die Amygdala oder der Mandelkern ist der Ort, der wesentlich an der Entstehung von Angst beteiligt ist und hypersensibel für Gefahren macht. Linksliberale sollen hingegen deutlich mehr graue Hirnmasse im vorderen Hirngürtel haben – das ist die Hirnregion, in der Konflikte und Unsicherheiten verarbeitet werden.
Entsprechend gilt: Konservative Menschen sind angstanfälliger, können Unsicherheiten nicht verarbeiten, weil es ihnen an der entscheidenden Stelle an grauer Hirnmasse fehlt, die hier besser ausgestatteten Linksliberalen hingegen sind offener gegenüber Unbekanntem. Konservative vertreten, so könnte man das zuspitzend formulieren, ihre seltsamen Ansichten nur, weil sie hirnorganisch betrachtet abnorm sind, während der weltoffene Linksliberale gleichsam zum hirnorganischen Mustermenschen geadelt wird.
Ist „rechts“ also so eine Art Geisteskrankheit? Wenn dem so wäre, wäre es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis den Sezessionisten kostenlose Hirnoperationen oder sonstige Therapieformen angeboten werden, um diese Misanthropen endlich auch an den Segnungen der edlen humanitaristischen Gesinnung partizipieren lassen zu können – und um auf diese Art das Ende der Menschheit einzuläuten.
Das ist keine unnötige Dramatisierung, denn Tatsache dürfte sein, daß es seit Urzeiten einen Menschenschlag gibt, der mehr zur Wachsamkeit neigt als andere – die nordische Mythologie stellte diesem Menschentypus mit Heimdallr sogar eine eigene Gottheit zur Seite. Ebenso unbestritten dürfte sein, daß dieser Wachsamkeitsinstinkt in allen Phasen der menschlichen Geschichte überlebenswichtig war.
Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde der Wachsamkeitsinstinkt zunächst als inhuman denunziert und dann als ewiggestrig lächerlich gemacht – wozu sollte man in Zeiten umfassender Sekurität, in denen Menschen aller Kulturen sich in freundschaftlicher Verbundenheit die Hände reichen, denn noch Wachsamkeit walten lassen? Wachsamkeit leugnet die Gleichheit und Friedfertigkeit aller Menschen. Sie unterscheidet zwischen gut und böse, zwischen Freund und Feind, zwischen Leben und Tod.
Solche Unterscheidungen müssen – das liegt im Wesen der Wachsamkeit und der Gefahr – stets sehr schnell getroffen werden, da bleibt keine Zeit für langes Fragen. Man muß den Feind im Sekundenbruchteil identifizieren – und zwar anhand meist sehr grober, rein äußerlicher Faktoren wie Stammeszeichen, Sprache oder Uniform. Doch wer heute in diesem Sinne Wachsamkeit zeigt, gerät umgehend in einen Hexenkessel aus Verleumdung, Rassismusverdacht und zivilgesellschaftlicher Nachstellung.
Denn auch auf der anderen Seite – bei den Tugendwächtern und Moralaposteln der Zivilgesellschaft – waltet offenkundig ein Wachsamkeitsinstinkt, der sich aber nicht gegen das Fremde als potenzielle Gefahr, sondern gegen das Eigene richtet. Dieser Wachsamkeitsinstinkt ist krankhaft verändert (die solcherart Erkrankten sehen sich selbst freilich als Fahnenschwenker des Zivilisationsprozesses). Man könnte geradezu von einer zivilisatorischen Autoimmunerkrankung sprechen – eine Kultur bekämpft und zerstört ihr eigene Grundlagen. Man könnte auch an bösartige Erkrankungen wie Leukämie denken.
Das führt zu der Frage, ob es auf kultureller Ebene so etwas wie eine rettende Transplantation gesunder Stammzellen in den gesellschaftlichen Organismus geben kann. Gibt es gesunde Gesellschaften, die eine solche Stammzellenspende leisten könnten? Wäre das eine geistig-kulturelle Stammzellenspende, wie würde sie zu verabreichen sein? Welche Nebenwirkungen wären zu erwarten?
Fragen von rein akademischem Interesse. Für eine großangelegte kulturelle Stammzellen-Transplantation oder andere aufwändige Therapieformen bleibt keine Zeit mehr. Heilung kann allein aus der harten und schmerzhaften Begegnung mit der rauhen Wirklichkeit kommen – so oft wie möglich und an so vielen Stellen wie möglich. Man nennt es Roßkur. Nur so werden die Instinkte wiederkehren und zur Grundlage einer Neuausrichtung werden können.
Der Gutmensch
Holla die Waldfee, lieber Herr Meyer! Meine - wie war das? Meine krankhaft vergrößerte, rechte Amygdala schießt aus allen Rohren: Hat man uns nicht immer und immer wieder erklärt, dass die Nazis schlimme Pseudowissenschaft betrieben haben, indem sie die Schädel von Verbrechern vermaßen?
Und was tun nun hier die Briten (und Sie würdigen das noch einer kreuzbraven Auseinandersetzung, als habe da jemand verständig gesprochen)? Sie diagnostizieren eine böse "rechtskonservative Einstellung" und stellen die Verknüpfung mit biologischen Merkmalen her!
Was waren die Nazis nochmal? Rechts oder links oder ist das vielleicht doch eher eine Frage, in welche Richtung man selber gerade blickt? Falls man überhaupt Augen hat zu sehen, heißt das. Ich möchte jedenfalls wetten, dass die Amygdala eines Dummkopfes keinen grundlosen Stress verursacht, es sei denn, jemand redet ihm einen solchen arglistig ein! Denn wie heißt es schon in der heiligen Schrift: Selig sind die, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr! Doch wer, nötigt mich meine Amygdala misstrauisch zu fragen, ist eigentlich der Gott, der uns solche Forscher geschickt haben will?
Auf der Suche nach den Baldriantropfen zur Beruhigung meiner Gehirnchemie,
d. G.