in Karlsruhe seine wichtigste, nein: seine letzte existenzielle Frage: „NPD – to be or not to be?“. Für Deutschland, bekanntermaßen:
- das Land mit den vielköpfigen Familien und den glücklichen Kinderaugen,
- das Land, vor dessen demographischer Nachhaltigkeit in puncto Ingenieursnachwuchs man in Shanghai, Singapur und Bangalore zittert,
- das Land mit den Backelohren-Universitäten, über deren Exzellenz Kaiser Wilhelm II. vor Neid erblasst wäre,
- das Land mit den solidesten Staatsfinanzen seit Friedrich dem Großen,
- das Land, dessen Renten noch sicherer sind als seine Grenzen,
- das Land, dessen Steuerquote fast so niedrig ist wie seine Auswandererrate,
- das Land, dessen Gefängnisse noch leerer sind als seine Altersheime,
- das Land, das sich durch den unermüdlichen Einsatz seiner geballten Sympathiepotenz – von Martin Schulz bis Heiko Maas – einer nie gekannten Beliebtheit bei seinen europäischen Nachbarn erfreut,
kurz das Land, das in Gottes weiter Welt ohne Beispiel ist, kann es in der Tat nichts wichtigeres geben, als sich – warum eigentlich erst jetzt? – durch die roten Roben seine braunen Flecken von der weißen Weste entfernen zu lassen. Nur starrsinnige Pizzeria-Inhaber, ahnungslose Neuköllner GemüsehändlerInnen und andere bedauernswerte Zeitgenossen, die nicht zu verstehen scheinen, wie es in dem „geschichts“schwangeren Inneren des neuen Deutschen aussieht, können anders denken.
Bis die Justizmesse im Mittelbadischen gelesen wird, also quasi in der verbleibenden vorverfassungsgerichtlichen Adventswoche, sind vielleicht ein paar Gedanken hilfreich, um die erste Märzsonne noch strahlender auf dieses herrliche Land scheinen zu lassen:
Obwohl die NPD mit 52 Jahren doppelt so alt ist wie ihre vermeintliche Parteivorgängerin im Geiste, Sie wissen schon: die mit den zwei Buchstaben mehr, haben die Deutschen der Partei zu keinem Zeitpunkt – schon gar nicht in einer Bundes- oder Landesregierung – irgendeine ins Gewicht fallende politische Verantwortung übertragen. Wer aber daraus schließen wollte, die Partei sei bedeutungslos, verkennt gründlich das psychopolitische Gefüge dieser Republik und die darin der NPD zugewiesene Rolle.
Tatsächlich füllt die Partei eine kaum zu überschätzende Funktion als Horrorprojektionsobjekt aus, dessen Wichtigkeit in den Jahren zwischen 1964 und 2016 – parallel zu den sich stakkatoartig steigenden Fieberschüben der sog. „Vergangenheitsbewältigung“ und umgekehrt proportional zu den parlamentarischen Erfolgen der Partei – stetig zugenommen hat. Dieser Horrortopos bestimmte und bestimmt auch das politische Kräftefeld, in dessen Rahmen spätestens seit dem Schröder’schen „Aufstand der Anständigen“ Ende der 1990-er Jahre die NPD-Verbotsdebatte am Kochen gehalten wurde.
Diese Dauermediendebatte kam nicht nur einem verfassungswidrigen (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG: ausschließliche Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts für Parteienverbote), faktischen Vorverbot gleich, da niemand eine Partei wählt, von der er befürchten muss, dass sie morgen verboten wird. Das unablässig befeuerte Mantra „NPD-Verbotsantrag – ja oder nein?“ bedient auch ganz bewusst sublime Verdächtigungen gegen den deutschen Souverän, dieser werde, wenn man seitens der Politvormünder der Deutschen nicht aufpasse, womöglich eine Partei wählen, die auf dem atlantischen Wunschzettel nicht vorkommt.
Für eine Republik, die bei der Beschreibung ihres eigenen Staatsverständnisses ihrer Rechtsvorgängerin ausdrücklich „eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung“ zumisst („Wunsiedel“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4.11.2009, Az.: 1 BvR 2150/08 Rn 65), die sich also selbst als Gegenhitlerland definiert, war und ist ein Schreckenskonterpart zu dem gleichgeschalteten Blockparteienkartell von wesentlicher Bedeutung. Ja, fast ist man versucht zu sagen: Nie war die NPD für die präzise einjustierte Bösewicht-Arithmetik der Bundesrepublik so wertvoll wie heute.
Deswegen kann das hart erarbeitete Geld der SteuerzahlerInnen kaum besser verwendet werden als durch die Finanzierung und Lenkung von V‑Leuten, von denen die Partei an praktisch allen maßgebenden Positionen krebsartig durchsetzt ist (das Bundesverfassungsgericht spricht von einer „mangelnden Staatsfreiheit“ der NPD bzw. von einer „massive(n) staatliche(n) Präsenz auf den Vorstandsebenen“, Beschluss vom 18.3.2003, Az.: 2 BvB 1/01). Deshalb kann man die zwangsweise eingetriebenen Mediengebühren kaum zielführender ausgeben als durch die pausenlose Abspulung der Never-Ending-Nazi-Story, in deren Narrativ die NPD schon aufgrund der Dauer ihrer Existenz von über einem halben Jahrhundert eine zentrale Scharnierfunktion einnimmt.
Durch diese VS-Regiearbeit (von deren nützlichen Idioten schweigt des Sängers Höflichkeit…) und die medial in den bewährten Brauntönen perfekt ausgeleuchtete Inszenierung wird eine wichtige Balance im BRD-Politsystem seit Jahrzehnten sorgsam austariert: die Bedeutungslosigkeit der Partei muss stets „eins zu eins“ ihrer „Gefährlichkeit“ entsprechen. Damit schlägt man zwei politische Fliegen mit einer Klappe: die Partei hatte (jedenfalls nach 1969) und hat nie eine echte Chance auf politische Teilhabe, figuriert aber gleichzeitig als eine Art dauerpräsenter Gottseibeiuns, der kurz davor sein scheint, den Politzombie aus Braunau wieder zu beleben und – horribile dictu – Fackelzüge durch das Brandenburger Tor zu organisieren.
„Je erfolgloser, desto gefährlicher“ – diese nur für den oberflächlichen Beobachter paradoxe Formel ist der wahre Grund dafür, dass der Politleichnam NPD nicht sterben darf. Denn kaum etwas ist in dieser Taburepublik wichtiger als das unablässige Dampfen der „Hitler-Scheiße“ (Martin Walser), als die ständige Einsatzfähigkeit eines dunkelbraunen Punching-Balls, an dem sich die edlen Gestalten des hiesigen Polit- und Medienbetriebs totemartig abarbeiten und ins moralische Bessersein hinüber retten können. Und durch nichts kann man den Pawlow’schen Zweibeiner in diesem Staat mehr an der Nase herumführen, um ihn von der Wahrnehmung seiner tatsächlichen Lage abzuhalten.
Ob das unverwüstlich mittelmäßige Politpersonal, das in Karlsruhe den Verbotsantrag des Bundesrates zu vertreten hat, sich über die vorgenannten psychopolitischen Zusammenhänge vollständig im Klaren ist, darf füglich bezweifelt werden. So richten sich die um die Zukunft der wohltemperierten Berliner Republik besorgten Augen wieder einmal auf den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Es bleibt zu hoffen, dass dieser Senat und sein Vorsitzender, Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der sich nach außen gerne leicht blasiert und demonstrativ unaufgeregt gibt, über die Weisheit verfügen, die im Lichte der unverzichtbar erscheinenden Zombiefunktion der NPD unbedingt geboten ist.
Denn an welchem Totempfahl sollte die Republik sonst ihre Opfer darbringen? Und welchen Ersatz sollte es für die „Hinterwiemelskirchen-bleibt-bunt“-Demos anlässlich von NPD-Parteitagen geben? Und wie sollten wir weiterleben können ohne die süß-sauren, unendlich lutherfernen Talkshow-Warnungen eines Herrn Bedford-Strohm vor der kurz bevorstehenden Machtübernahme des Ungeistes unseligen Angedenkens?
Sollte es in Karlsruhe gleichwohl für die Partei ein finale furioso geben, sollte also das Bundesverfassungsgericht für ein – in Anbetracht des Durchgewurstels der politikunfähigen Führungsfiguren der Partei ([nicht bezahlte] Ausnahmen bestätigen die Regel) gänzlich unverdientes – heroisches Ende der NPD sorgen, könnte das möglicherweise daran liegen, dass man der in die Jahre gekommenen Partei nicht mehr die nötige Spannkraft und Vitalität zutraut, die gerade in den jetzt anstehenden stürmischen Zeiten für eine Dauerperhorreszierung der Bürger unbedingt vonnöten sind.
Vielleicht ist ja die AfD – nach einer Diffamierungsvorglühphase von immerhin drei Jahren – schon als würdige Nachfolgerin auserkoren und könnte im fliegenden Wechsel die dann vakante Rolle als neues Politungeheuer übernehmen.
Wie auch immer: Die Karlsruher Richter werden sich ihrer Verantwortung für die Werterepublik und dem ihr immanenten Hunger nach exorzistisch aufgeladenen Schattenbildern an der Wand nicht entziehen können. Befürchtungen, das bewährte Spiel mit den braunen Schmuddelkindern könne ein abruptes oder gar staatsgefährdendes Ende nehmen, entbehren daher jeder Grundlage.
Die Damen und Herren in rot, an jener Nahtstelle zwischen Theologie und Technik sitzend, an der die Jurisprudenz in Europa spätestens seit Ende des I. Weltkrieges ihren zweifelhaften Bestimmungsort gefunden zu haben glaubt, werden die Taburepublik nicht enttäuschen:
In Karlsruh wächst ein Gummibaum
Lemuren schlurfen durch den Raum
und hängen ihren Wertetraum
als Schmuck an ihren Gummibaum.
Nanu –
Was sagst denn du dazu?
Wir sagen: psst – tabu!
(Carl Schmitt 1961)
(vgl. Giesler, Hüsmert u. Spindler (Hrsg.): Gedichte für und von Carl Schmitt, Plettenberg 2011, S 25.)
Erik Sieven
hat eigentlich schon einmal ein einigermaßen prominenter Politiker ein Parteiverbot der AfD ins Spiel gebracht? Wenn nicht, wie lange mag es wohl dauern bis das kommt?
Nicht ganz unverwandt: der Papst hat ja mal eben informell Donald Trump exkommuniziert, sich dabei im neuen ökumenischen Sinne zum Sprecher aller Christen aufgeschwungen