noch nicht an der Garderobe der Geschichte abgegeben hat, so hat sie zuallererst eines nötig: die Erkennung der eigenen Lage. Daran hat es im besiegten Deutschland nach 1945 vor allem gefehlt.
Der Souveränität und damit eigener Entscheidungslagen enthoben, feierte man erbauliche Errungenschaften wie „Demokratie“, „Menschenrechte“, „Frieden“, „Stabilität“ und andere Worthülsen transatlantischer Provenienz, die allein dem Zwecke dienten, die Ohnmacht der Deutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verschleiern.
Dennoch hat es Deutschland auch in dürftigen Bonner Zeiten – wie schon in den Bauernkriegen und den Befreiungskriegen, im Vormärz, im Spätwilhelminismus und in Weimar – nie an glänzenden Denkern gefehlt, die Roß und Reiter unseres nationalen Elends benannt haben.
Je mehr sich der Abschied von eigener Politik in Deutschland institutionalisierte und die real existierende Fremdherrschaft hinter der spanischen Wand der westlichen Werte verschwand, desto giftiger reagierten die Verwalter der politischen Dogmen von heute auf mutige Männer, die die Wirklichkeit aus dem Medienverlies befreiten und den Deutschen wieder Klarheit über ihre Lage verschafften.
Einer dieser Männer war Bernard Willms. Mit dem Satz „Der Mensch existiert politisch oder es gibt ihn nicht“ in seinem großartigen Essay „Antaios – oder die Lage der Philosophie ist die Lage der Nation“ hatte Willms 1982 die beamtete Universitätsphilosophie aus ihrem Theorieschlaf geweckt und eine Verortung der Philosophie an dem Begriff der Nation gefordert.
Damit hatte er ein Themenfeld aufgerissen, das westdeutsche Lehrstuhlinhaber, für die eine deutsche Philosophie nach Auschwitz offensichtlich gestorben war, über 40 Jahre lang unter westlichem Dogmenschutt vergraben hatten.
Im Laufe des nationalen Renouveaus der 80iger Jahre entwickelte sich Bernard Willms mehr und mehr zur Schlüsselfigur einer neuen deutschen Renaissance, die „von sich spie was mürb und feig und lau“ (Stefan George) und die „das harte Brot der philosophischen Wahrheit“ (Willms) suchte.
Wer die Lebenslinien dieses deutschen Philosophen studiert, wird feststellen, daß seine Entwicklung zum neuen Fichte der geteilten Nation nicht zwangsläufig war.
1931 in Mönchengladbach in katholischem Ambiente geboren, hatte Willms – nach einem Intermezzo als Buchhändler – in Köln und Münster Philosophie studiert. Bei Joachim Ritter in Münster promovierte er 1964 mit der Arbeit „Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie“.
In der zweiten Hälfte der 60iger Jahre – als die Frankfurter Schule die deutsche Universität in einen second-mind-shop verwandelte – war Willms Assistent bei dem konservativen Soziologen Helmut Schelsky. In diese Zeit fallen auch Besuche Willms’ bei den Ebracher Seminaren, wo Ernst Forsthoff unabhängige Geister heranzog und förderte.
1970 erhielt Willms einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum, wo er Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Theorie und Ideengeschichte wurde. Geprägt von Hegel – Willms hatte sich einmal als „in der Wolle gefärbten Hegelianer“ bezeichnet – setzte er sich seit seiner Zeit bei Schelsky mit dem englischen Philosophen Thomas Hobbes auseinander.
1969 habilitierte er sich mit „Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes‘ politische Theorie“, 1980 folgte „Der Weg des Leviathan. Die Hobbes-Forschung von 1968 bis 1978“; 1987 schließlich faßte er seine über zwanzigjährige gründliche Beschäftigung mit dem Alten aus Malmesbury zusammen in „Das Reich des Leviathan“.
In dieser Zeit entwickelte sich Willms zu einer internationalen Kapazität der Hobbes-Forschung, er wurde Mitglied im Honorary Board der International Hobbes Association in New York und hielt im In- und Ausland Vorträge auf Fachkongressen über den Philosophen des Leviathan.
Neben diesem sicheren Standbein als profunder Kenner einer Spezialmaterie hat sich Willms jedoch immer den Blick aufs Ganze bewahrt und sein Hauptanliegen, das Zusammendenken von Philosophie und Politik, in den Mittelpunkt seiner Arbeiten gestellt.
Von den zahlreichen Büchern in diesem Zusammenhang seien erwähnt: „Die politischen Ideen von Hobbes bis Ho Tschi Minh“ (1971), „Entspannung und friedliche Koexistenz“ (1974), „Selbstbehauptung und Anerkennung“ (1977), „Einführung in die Staatslehre“ (1979) und „Politische Koexistenz“ (1982).
In den 80iger Jahren begründete Bernard Willms mit seinem Rekurs auf die Nation eine neoidealistische Denkrichtung, die vor allem in dem diskutierenden und tatenlosen Liberalismus ihren Hauptfeind erkennt.
1982 erschien sein Hauptwerk „Die Deutsche Nation. Theorie – Lage – Zukunft“, 1986 folgten „Idealismus und Nation“ sowie „Identität und Widerstand“. Zwischen 1986 und 1988 gab Willms das dreibändige „Handbuch zur Deutschen Nation“ heraus, das die neuen nationalen Ansätze der 80iger Jahre bündelt.
1988 veröffentlichte Willms zusammen mit Paul Kleinewefers in „Erneuerung aus der Mitte. Prag – Wien – Berlin – Diesseits von Ost und West“ eine geopolitische Mitteleuropa-Konzeption, die die historische Entwicklung seit 1989 vorwegnahm.
In seinem letzten Essay „Postmoderne und Politik“ (1989) knüpfte Willms im Rückgriff auf Carl Schmitt und Arnold Gehlen an die zeitgenössische französische Kritik der Moderne (Foucault, Lyotard, Derrida, Baudrillard u.a.) an, wobei seine Ideenlinie von der Negation der Moderne zum Prinzip der freien Nationen führte.
Wenn Bernard Willms etwas gehaßt hat, dann war es der Liberalismus, den er als die Schwundstufe des Politischen aufgefaßt hat:
Der Liberalismus ist von der Sache her anti-institutionell, er hat politisch fast immer parasitär existiert. Er entfaltet sich innerhalb politischer Ordnungen, die andere für ihn besorgen. Der Liberalismus ist eine Haltung, die von der ständigen Maximierung ihrer Forderungen lebt und die nur die Freiheit will, die angenehm ist.
Willms’ vor der kleinen Wiedervereinigung ausgesprochener Satz über den real existierenden westdeutschen Liberalismus „Die Bundesrepublik hat nur Freunde unter der Voraussetzung, daß sie das bleibt, was sie ist“ hat an Wahrheitsgehalt – leider – nichts eingebüßt.
Wer so gegen die „liberalen Schwachdenker“ (Willms) angeht und das „Elend unserer politischen Klasse“ brandmarkt, schafft sich nicht nur Freunde. Schon Anfang der 70iger Jahre prangten an der Ruhr-Universität Bochum große Transparente mit „Willms weg!“ von den Wänden.
Im Laufe der in den 80iger Jahren sich verschärfenden inneruniversitären Auseinandersetzung wurde Willms als „Der Blutige“ diffamiert, was zeigt, wie liberal es tatsächlich zugeht, wenn man die mediengemachten Ideologietrampelpfade zwischen Franz Alt und Günter Jauch verläßt und in den Innenhof der offenen Gesellschaft tritt.
Arno Klönnes Bemerkung, Willms sei der „führende Philosoph des Neo-Nationalismus“ und das Spiegel-Wort von „Deutschlands intelligentestem Faschisten“ waren demgegenüber noch wahre Komplimente und belegten ex negativo, daß das Werk des Posthegelianers Willms zum Ariadnefaden für junge Deutsche geworden war, die deutsch denken können, ohne von Hitler zu träumen.
Bernard Willms war ein Philosoph, der das Cicero-Wort „vivere est cogitare“ (Leben heißt denken) ernst nahm. Mit seinem Tod verlor die Nation den führenden philosophischen Kopf der Jahre vor dem 9. November.
Wenn es – wie Ernst Jünger sagt – die Aufgabe des Autors ist, geistige Heimat zu stiften, so ist Bernard Willms dieses seltene Kunstwerk gelungen.
„Bücher schreibt man“, so hatte er 1985 in einem Interview geäußert, „in der Hoffnung, daß sie von den richtigen Leuten gelesen und verstanden werden“.
Eine junge Generation neoidealistischer Prägung jenseits von Bonn und Bon(n)zen wird die Idee der Nation, für die Willms Handelnde gesucht hat, aufgreifen und seine Bücher als Vademecum auf dem Weg nach Berlin brauchen.
In Münster in Westfalen trugen seine Schüler ihn in der ersten Märzsonne zu Grabe. Auf seinem Sarg war eine Kupferplatte mit dem Titelblatt des „Leviathan“ des Weisen aus Malmesbury angebracht.
Willms’ berühmter Satz von kurz vor dem Mauerfall bleibt sein Vermächtnis an die deutsche Nation: „Ceterum censeo Germaniam esse restituendam“.
(Bernard Willms wählte am 27. Februar 1991 den Freitod. Der Nachruf Thor v. Waldsteins erschien ursprünglich in der Jungen Freiheit Nr. 4 (April 1991) und wird hier mit Genehmigung des Autors in einer leicht aktualisierten Form wiederveröffentlicht.)
Zum 25. Todestag des Vordenkers eines Neuen Deutschen Idealismus sei besonders auf seine noch im Handel erhältlichen Werke verwiesen:
Philosophie der Selbstbehauptung, reihe kaplaken, Bd. 4, 2. Aufl., Schnellroda 2014. 80 Seiten, 8,- Euro – hier bestellen!
Heidegger und der Antifaschismus, Wien u. Leipzig 2015. 136 Seiten, 19,90 Euro – hier bestellen!
Identität und Widerstand. Rede aus dem deutschen Elend, reihe kaplaken, Bd. 34, 2. Aufl., Schnellroda 2016. 92 Seiten, 8,50 Euro – hier bestellen!
Thomas Wawerka
Willms‘ vor der kleinen Wiedervereinigung ausgesprochener Satz
Was bedeutet "kleine Wiedervereinigung"?