Die Monarchie habe sehr viel für Preußen und für Deutschland geleistet, aber das Festhalten daran unter den veränderten Umständen zeige lediglich, daß Konservative sich entgegen eigenen Behauptungen eher von Gefühlen als von der Vernunft leiten ließen. Letztere jedenfalls lege nahe, daß einer sich immer weiter parlamentarisierenden Monarchie wie der deutschen bis 1918 eine »Republik mit starker Exekutivgewalt« eindeutig vorzuziehen sei. Jeder Versuch einer Restauration müsse zudem das ohnehin zerrüttete deutsche Volk noch weiter schwächen, da die Monarchie nach ihrem Niedergang ihren größten Vorzug – nämlich den der Überparteilichkeit – eingebüßt habe und nun zu einer Parteiangelegenheit der Rechten geworden sei.
Die »Staatsräson« dagegen gebiete die konstruktive Mitarbeit an der Erhaltung und Stärkung der Republik: »Auch ich bin nicht aus ursprünglicher Liebe zur Republik, sondern aus Vernunft und vor allem aus Liebe zu meinem Vaterlande Republikaner geworden. … Warum sollte es nicht einmal möglich sein, daß sich eine republikanisch-konservative Partei bilde, die innerhalb der endgültig anerkannten Republik alle wirklich guten Werte und Traditionen der alten Zeit, die mit ihr vereinbar sind, pflegt?«
Meinecke konnte sich durchaus auf eine konservative, jedenfalls nichtlinke demokratische Tradition in Deutschland berufen, die er bis auf die Erhebung von 1813 zurückführte. Die politischen Vorstellungen eines Fichte oder Arndt mochten in ihrer Zeit zwar liberal oder sogar revolutionär wirken, aber sie waren doch nicht wie bei der Linken von irgendwelchen abstrakten Prinzipien geleitet, sondern von dem Streben nach einer freien und geeinten deutschen Nation.
Die Impulse, die aus der »Deutschen Bewegung« (Herman Nohl) hervorgingen, fanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Fortsetzung zum einen in der völkischen Bewegung, zum anderen im Nationalliberalismus. Während die Vorstellungen der Völkischen aufgrund ihrer faktischen Gleichsetzung von ethnos und demos selbst dort noch einen »gefühlsdemokratischen« Zug besaßen (Max Scheler), wo man sich an dem zur idealen Ordnungsform erhobenen Führerprinzip orientierte, zogen die Nationalliberalen die klügeren Konsequenzen aus dem Scheitern der Revolution von 1848: Weder ging man in die Radikalität, noch baute man weiter an seinen Wolkenkuckucksheimen, sondern man entdeckte statt dessen die »Realpolitik« (August Ludwig von Rochau) für sich.
Damit war der Ansatz gegeben für eine Verbindung des klassischen Konservatismus mit dem klassischen Liberalismus, deren Verhältnis zur Demokratie keineswegs ein prinzipiell negatives war. Erkennbar ist das gerade an dezidiert konservativen Politikern wie Bismarck oder Disraeli, die »den Tiger reiten« wollten, also unter den gegebenen, zur Demokratie drängenden Zeitumständen die bestmögliche Verwirklichung der eigenen Prinzipien zu erreichen versuchten.
Aber auch diese Prinzipien selbst standen mit der Demokratie als Staatsform keineswegs so vollständig auf dem Kriegsfuß, wie von seiten des politischen Gegners regelmäßig behauptet wurde. Die konservative Opposition gegen die Ideale der Französischen Revolution richtete sich in einem grundsätzlichen Sinne weder gegen die Freiheit noch gegen die Brüderlichkeit, sondern nur gegen die Gleichheit, sofern sie in jeder Hinsicht Geltung beanspruchte.
Das bedeutete zwar, daß die Konservativen in der Regel die alte Ordnung und insbesondere die Monarchie verteidigten, aber gleichzeitig spielte im konservativen Denken auch die von Montesquieu übernommene Vorstellung eine Rolle, daß um der Stabilität der politischen Ordnung willen eine gemischte Verfassung die beste sei, die sowohl monarchische als auch aristokratische und demokratische Elemente enthalte.
Die Konsequenz aus dieser Überzeugung zog nicht nur Bismarck mit seiner 1871 für Deutschland geschaffenen »Hybrid-Verfassung« (Christopher Clark), sondern auch ein ausgeprägter Demokratieskeptiker wie Alexis de Tocqueville. Der äußerte schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Überzeugung, daß gegen die allgemeine Tendenz zur Gleichheit nichts auszurichten sei, daß ein demokratisches Zeitalter unausweichlich bevorstehe und daß daher die einzige Handlungsoption darin bestehe, innerhalb der Demokratie freiheitliche – sprich: aristokratische – Institutionen zu verankern, die eine »demokratische Freiheit« anstelle der drohenden »demokratischen Tyrannei« gewährleisten könnten.
Tocqueville ließ außerdem keinen Zweifel daran, daß jedes politische Handeln zu jeder Zeit vor diesem Problem der Errichtung und Stabilisierung einer guten Ordnung stehe, daß es »Goldene Zeitalter« niemals gegeben habe und daß insbesondere das von so vielen Konservativen seiner Zeit zurückersehnte Ancien régime keineswegs ein solches Zeitalter gewesen sei.
Prinzipielle, theoretische und praktische Einwände gegen die Demokratie konnten demgegenüber sachlich so berechtigt sein, wie sie wollten: Zu einer besseren politischen Ordnung haben sie letztlich nicht beigetragen. Die konservative Demokratiekritik konnte sich ohnehin eigentlich bloß auf die nichtdemokratische Tradition Europas berufen; im Grundsätzlichen gab es zwar berechtigte Vorbehalte gegen linke und liberale Vorstellungen und Ordnungsmodelle, aber nicht gegen die Demokratie als solche.
Der theologische Hinweis auf die Sündhaftigkeit des Menschen wie der philosophisch-anthropologische auf dessen Riskiertheit und der (sozio-)biologische auf seine Irrationalität konnten, bei Lichte besehen, keinesfalls bloß gegen, sondern mindestens ebensogut auch für eine demokratische Ordnung ins Feld geführt werden, weil eine solche versprach, die Möglichkeiten des Machtmißbrauchs durch einen einzelnen oder eine kleine Gruppe wenigstens erheblich einzuschränken.
Der Sinn für die politischen Realitäten führte nach dem Zusammenbruch von 1918 dazu, daß in Deutschland die Monarchisten selbst auf der Rechten in der Unterzahl blieben. Zwar gab es erhebliche Vorbehalte gegen die von den Feinden aufgezwungene Demokratie, aber es waren doch nicht nur die ehemaligen Liberalen, die sich wie Friedrich Meinecke oder Max Weber als »Herzensmonarchisten« gebliebene »Vernunftrepublikaner« in DDP und DVP sammelten, sondern auch in der Partei der klassischen Rechten, der DNVP, bildete sich ein »volkskonservativer« Flügel, der um ein konstruktives Verhältnis zu den neuen politischen Gegebenheiten bemüht war.
Der Unterschied zu dem, was sich Meinecke vorstellte, war marginal, da man ebenfalls für eine Stärkung der Macht des Reichspräsidenten plädierte, um auf diesem Weg eine Verfassungsreform in Richtung auf ein autoritäreres, aber weiterhin demokratisches Regime in die Wege zu leiten.
Als sich der volkskonservative Flügel 1928 von der DNVP abspaltete und eine eigene politische Formation bildete, war man mit diesem Anliegen angesichts der heraufziehenden »Epoche« des Faschismus (Ernst Nolte) vielleicht nicht mehr auf der Höhe der Zeit; nicht nur in der Rückschau aber handelt es sich doch um die klügere Konzeption oder zumindest um eine gangbare – und demokratische – Alternative zur »totalitären Demokratie« (Jacob Talmon).
Das »Geheime Deutschland« der Verschwörer des 20. Juli 1944 hatte tatsächlich auch viel stärker mit einer solchen Traditionslinie zu tun als mit irgendwelchen phantastischen Reorganisationsplänen, sei es die Restauration einer habsburgischen Ständeordnung oder ein »wahrer« Nationalsozialismus. Im Eid der Verschwörer ist weder vom einen noch vom anderen die Rede, dafür aber von dem Willen, eine Ordnung zu schaffen, die alle Teile des Volkes einbindet. Abgelehnt wird nur die tatsächlich jedem konservativen Denken widersprechende »Gleichheitslüge«, keinesfalls aber jegliche demokratische Staatsform.
Nach 1945 waren die politischen Möglichkeiten der deutschen Rechten infolge der allgemeinen Deutung des Untergangs des Nationalsozialismus als Niederlage der »Gesamtrechten« drastisch beschränkt. Die frühe Bundesrepublik allerdings hatte viele aus konservativer Sicht ausgesprochen sympathische Züge, was nicht zuletzt damit zusammenhing, daß nicht alle Konservativen sich resigniert zurückzogen, sondern in den bürgerlichen Parteien trotz aller dabei unvermeidlichen Konflikte mitarbeiteten. Selbst ein Armin Mohler mit seiner ausgesprochenen Sympathie für die Nationalrevolutionäre der Zwischenkriegszeit unterstützte nicht etwa die NPD, sondern die Straußsche CSU und setzte dann noch einmal Hoffnungen in die aus der CSU hervorgegangenen Republikaner.
Die Enttäuschung dieser Hoffnungen lag sicher nicht daran, daß Fundamentalopposition der bessere Weg gewesen wäre, sondern hatte eher mit gewissen Versäumnissen des deutschen Nachkriegskonservatismus zu tun, die zu einer allmählichen Auflösung der eigenen institutionellen Grundlagen und einem – wegen des mangelnden Widerstands gegen die seit den 1960er Jahren sich abzeichnenden Zersetzungstendenzen erfolgten – sukzessiven Verschwinden konservativer Positionen aus der öffentlichen Meinung führten.
Die Wiedervereinigung ließ die Rechte für kurze Zeit noch einmal auf eine Änderung der Lage hoffen, zumal sich die Prognosen der Linken so eklatant als falsch, die der Rechten als richtig erwiesen hatten. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen des Gegners führte die Neue Demokratische Rechte um Rainer Zitelmann und Karlheinz Weißmann das »demokratisch« aber keineswegs als Camouflage im Namen, sondern forderte tatsächlich nichts anderes als einen »Normalisierungsnationalismus« (Peter Glotz) und vertrat Positionen, die in allen westeuropäischen Staaten selbstverständlich zum politischen Spektrum dazugehörten und in man chen eher der »Mitte« als der »Rechten« zuzuordnen waren.
Das Scheitern dieser Bemühungen führte zu einem taktischen Rückzug, aber nicht aus dem politischen Geschäft überhaupt. Die Gründung des Instituts für Staatspolitik etwa erfolgte mit dem Zweck, die politische Lage aus konservativer Perspektive zu analysieren und Handlungsoptionen auszuloten. Das Ziel war dabei alles andere als rechte Lagerfeuerromantik, sondern der »kalte Blick von rechts« (Marc Felix Serrao) und die Suche nach realistischen Wirkmöglichkeiten.
Diese haben sich in jüngster Zeit unbestreitbar erweitert, da die politische Lage in Bewegung gekommen ist. Das hat die denkbaren Handlungsoptionen drastisch vermehrt, und die Frage nach den richtigen Konsequenzen ist ebenso unsicher wie die Frage der angemessenen Lageanalyse überhaupt.
Angesichts der nun schon seit einigen Jahren laufenden Debatte über »Postdemokratie« und auch angesichts des Erfolgs von Politserien wie Borgen und vor allem House of Cards, die man als Ankündiger eines neuen Zynismus verstehen könnte, wäre es auf den ersten Blick durchaus denkbar, den bisher insbesondere vom IfS verfolgten demokratisch-rechten und »volkskonservativen« Weg zu verlassen und eine rechte Alternative zur Demokratie zu entwerfen.
Wer sich dafür entscheidet, sollte aber nicht außer acht lassen, wie wenig aussichtsreich jeder ausdrückliche Bezug auf »rechte« Ideen ist – mit nach wie vor steigender Tendenz – und wem gegenwärtig eine Ächtung des Mehrheitswillens tatsächlich nützt.
Die jüngsten Verschiebungen der politischen Lage können außerdem nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind nur vor dem Hintergrund der erwähnten jahrzehntelangen Zersetzungstendenzen angemessen zu deuten. Auf das Prinzip der Elite nämlich konnten sich die konservativen Revolutionäre der Zwischenkriegszeit oder auch ein Stauffenberg nur deshalb mit gutem Gewissen berufen, weil man das Vorhandensein einer real existierenden Gegenelite voraussetzen konnte.
Dies aber ist heute unmöglich: Nicht nur wird die gegenwärtige politische Elite regelmäßig und zu Recht als politischer Gegner jedes Konservatismus markiert, sondern dasselbe gilt auch für alle denkbaren Gegeneliten aus dem wirtschaftlichen Bereich. Gerade dort befinden sich die vehementesten Befürworter – und Vorbereiter – einer postdemokratischen Plutokratie, deren künftige Elite alle Befürchtungen einer »schönen neuen Welt« noch in den Schatten stellen wird.
In dieser Situation wird niemand mit Aussicht auf Erfolg eine rechte Gegenelite aufbauen können. Die einzig realistische Alternative bestünde dagegen in der Erkenntnis, daß, wenn überhaupt, dann in der Stärkung des Mehrheitsprinzips noch Widerstandsreserven gegen die massiven staatlichen Selbstzerstörungstendenzen zu finden sind.
Dazu aber ist nicht nur eine eindeutige Parteinahme für die Demokratie erforderlich, sondern auch die Bereitschaft, »anknüpfend« zu agieren. Denn wo außer in einer Mobilisierung der »Mitte«, im Namen des gesunden Menschenverstandes, wäre es heute noch möglich, Mehrheiten für eine andere Politik zu finden? Vor allem die UKIP in Großbritannien und die AfD in Deutschland sind derzeit diejenigen politischen Formationen, die diesen Weg beschreiten.
Man kann die dabei gewählten Mittel und Wege wenig bunt finden, sich im Einzelfall mehr Deutlichkeit wünschen und manche Positionierungen aus rechtsintellektueller Perspektive als naiv kritisieren. An diesem ganzen, auf einer langen konservativen Tradition beruhenden Versuch einer prinzipiell konstruktiven Arbeit für den Erhalt der staatlichen Ordnung führt aber kein Weg vorbei. So viel metapolitische Klugheit, so viel Realismus sollte schon sein.