Lombard: Überrascht – ja und nein. Ein gewisser Erfolg war vorhersehbar, aber unsere realistische Erwartung wurde deutlich übertroffen. Als kurz nach dem Erscheinen jemand ein Selfie mit dem von der Post gelieferten Buch postete (»Ich hab das Ding!«), da wurde mir klar, wie scharf die Leute darauf sind. Und die Zutaten? Pirinçci hat ein simples Rezept benutzt, er hat Elemente der Popliteratur mit libertären, naturrechtlichen oder schlicht vernünftigen Positionen verbunden, vernünftig im Sinne des gesunden Menschenverstandes: Ein Mann ist ein Mann, eine Frau ist eine Frau, und jeder (oder die Familie) sorgt für sich selbst. Beim Schreiben ist das Einfache aber bekanntlich das Schwerste. Und diese Einfachheit hat natürlich auch ihren Preis, was die analytische Tiefenschärfe angeht. Dafür hat das Buch anarchische Züge, ironische Brechungen und schlagfertige Zwiegespräche, es gibt lustige, sentimentale, zornige und melancholische Passagen in lebhaftem Wechsel, ein richtiger Schmöker eben.
Lombard: Nichts gegen Aufstiegschancen! Ansonsten gibt es diese Spitzen, ja, aber sie ziehen sich keineswegs durch das ganze Buch. Generell kann man ein Manuskript nur ablehnen oder annehmen. Auch ein intensives Lektorat kann und soll den Stil des Autors nicht umkrempeln. Die erhoffte Wirkung ist eingetreten, und was mein Ton als Autor nicht wäre, gehört nun einmal zu Pirinçcis Temperament. Man muß diesen Ton nicht mögen, um zu sehen, daß er eine Art Stellvertreterfunktion erfüllt hat: Die Presse nahm die Gelegenheit dankbar wahr, den Inhalten auszuweichen und umso heftiger auf die Form draufzuhauen. Ohne diese Möglichkeit hätte sie vielleicht geschwiegen.
Lombard: Pirinçci pflegt sehr libertäres Gedankengut, aber keinen libertären Egoismus. Dagegen sprechen die Passagen zur ehelichen Treue, zur familiären und nachbarschaftlichen Solidarität – Potentiale, die er an die Stelle staatlicher Betüttelung setzt. Ob sich alle öffentlichen Sicherheits- und Ordnungsaufgaben privatisieren lassen, wie er meint, ist eine andere Frage.
SEZESSION: Profitiert haben Pirinçci und damit auch der Verlag Manuscriptum vom israelfreundlichen, westorientierten, libertär angehauchten und islamkritischen Blog politically incorrect, im Netz unter pi-news zu finden. Auch die AfD hat Pirinçci mittlerweile als zugkräftige Nummer inklusive politischer Nähe entdeckt und in Nürnberg einen Saal mit ihm gefüllt. Ist das alles schon eine stabile Gegenöffentlichkeit oder doch nur ein vorübergehendes Phänomen?
Lombard: Es ist eine erstaunlich starke Gegenöffentlichkeit, und sie könnte noch stärker werden, je verrückter sich die Dinge entwickeln. Aber ob sie stabil ist – keine Ahnung. Wir wissen nicht, welche Einschränkungen möglicherweise auf das Internet zukommen oder wie scharf eines Tages die Antidiskriminierungsgesetze exekutiert werden, die in Berlin und Brüssel in den Schubladen liegen. Manche halten die Genderideologie potentiell für noch gefährlicher und gewalttätiger als Kommunismus oder Faschismus, weil sie theoretisch auf jeden »identitären« Menschen zielt und nicht nur auf definierte Gruppen von Feinden.
Lombard: Ich glaube, das tut sie. Der Verleger Thomas Hoof möchte übrigens generell das Marketing für unsere Bücher stärker auf Inhalte stützen. Es ist ja nicht gerade üblich, daß Verlage die Pressereaktionen auf ihre Bücher auf einer eigens eingerichteten Homepage begleiten. In diesem Fall drängte sich das aber regelrecht auf. Die Seite wird auch nicht nur von Journalisten gelesen. Die hohen Zugriffszahlen, die wir an manchen Tagen erreichen, deuten darauf hin, daß ganz verschiedene Nutzer gern auf die Richtigstellungen zurückgreifen, die wir den zum Teil grotesken Verschwörungstheorien entgegensetzen, die mit dem Buch und seinem Inhalt so gut wie nichts zu tun haben. Vielleicht trägt das auch dazu bei, daß eine Verurteilung des Buches selten eindeutig und nie unisono stattfindet. Kürzlich gab es wieder Stimmen wie im Cicero und in der NZZ, denen es um die abgrundtiefe Diskrepanz zwischen den Medien und ihren Zuschauern und Lesern ging.
SEZESSION: Die führenden Medien streiten die von Ihnen als gegeben vorgestellte »abgrundtiefe Diskrepanz« zu den eigenen Zuschauern und Lesern rundweg ab. Worauf gründet Ihre Annahme, daß die Leser anders ticken als die Meinungsmacher? Gibt es da handfeste Argumente?
Lombard: Die führenden Medien haben ihre Anhänger, aber nicht nur. Sie brauchen doch nur in die Leserforen zu schauen. Die Pirinçci-Debatte läuft parallel zur Meinungsschlacht um Rußland und die Ukraine, und hier wie dort ist die Mehrzahl der Leser völlig anderer Meinung als die Medien. Ich habe oft nachgezählt: Es ist wirklich die Mehrheit derer, die sich da äußern, und es ist völlig egal, ob es sich um das ZDF, den Spiegel, die FAZ oder Die Zeit handelt. Letztere hat diese Diskrepanz schließlich offen zugegeben und ihr Staunen zum Thema eines eigenen Feuilleton-Aufmachers gemacht, ohne Selbstkritik zwar, aber immerhin: Sie hat aus Anlaß von Deutschland von Sinnen vernehmlich gestaunt. Ein zweiter Beleg ist das schnelle Wachstum alternativer Nachrichtenportale im Netz, das wissen Sie selbst. Die Leute lesen nicht weniger, sie lesen woanders, und das immer mehr.
Lombard: Weder noch, da wird systematisch und europaweit manipuliert. Diese Conchita W. ist letztes Mal bei der Vorauswahl gescheitert und wurde diesmal ohne Vorauswahl nach Kopenhagen geschickt. Ein abgekartetes Spiel, eine weitere PR-Aktion, antirussische Proteste ausdem Publikum inklusive. Wie bei Hitzlspergers Outing wurde das gründlich vorbereitet; man sieht es am Timing. Zwei Tage nach dem Finale wird in Wien das Plakat für den diesjährigen »Lifeball« präsentiert, das ein barbusiges Zwitterwesen mit männlichen Genitalien zeigt. Prompt soll in Österreich das Adoptionsrecht für Homosexuelle eingeführt werden … Europa von Sinnen. Und was die Einschaltquoten betrifft: Die werden auf einer sehr kleinen, fragwürdigen Basis erhoben (FAZ vom 16. 2.). Und selbst wenn sie wirklich einmal hoch sind, sagen sie nichts über die Zuschauermeinungen aus. Ich höre oft Deutschlandfunk, obwohl der ja fast nur noch von Frauen mit Frauen für Frauen gemacht wird. Vielleicht, weil es mich amüsiert, für welch naiven Unsinn die bezahlt werden.
SEZESSION: Sie amüsieren sich, aber das Programm bleibt in deren Hand, trotz der Bestseller, die Pirinçci und vor allem Sarrazin vorgelegt haben, und trotz der gegenläufigen Kommentarspalten. Sehen Sie wirklich ein Tauwetter?
Lombard: Um auch mal etwas Gutes über den DLF zu sagen: Am 17. Mai gab es einen ehrlichen Beitrag zur Ausländerkriminalität und zur Radikalisierung moslemischer Jugendlicher bei uns. Diese Ehrlichkeit könnte durchaus von Pirinçcis Erfolg inspiriert sein, auch wenn ich das nicht gleich für ein Anzeichen von Tauwetter hielte. Aber die Tatsache, daß Die Zeit bei ihrer Leserbefragung durch Herrn Willeke die Hosen runtergelassen hat, hat mich schon überrascht. Ansonsten halte ich viel von der »geheiligten Parteilichkeit«, von der der Theologe Urs von Balthasar sprach, ein Schweizer übrigens. Sie macht die Frage von Sieg und Niederlage, von Optimismus und Pessimismus weniger dringlich – eine Frage, die mich immer sofort verkrampft. Optimismus ist naiv, was die irdischen Fragen betrifft, Pessimismus wiederum ist irgendwie »unehrlich« (Gadamer). Die anderen tun das, was sie für richtig halten, aber wir tun es auch, und dann schauen wir mal, was dabei herauskommt. Das Ergebnis liegt nicht in unserer Hand. Das heißt nicht, daß einem die Wirkung egal ist, aber es macht einen gelassener.