Präventivkrieg 1941 – »Deutschland im Visier Stalins«

von Olaf Haselhorst

Die Frage, ob Deutschland am 22. Juni 1941 mit seinem Angriff der Sowjetunion zuvorgekommen war,...

ist nach wie vor Gegen­stand his­to­ri­scher Dis­kus­sio­nen. Bis 1989 waren es vor allen Din­gen Doku­men­te und Erin­ne­run­gen deut­scher Her­kunft, die Indi­zi­en dafür lie­fer­ten, daß Sta­lin sei­nen Bünd­nis­part­ner Hit­ler 1941 angrei­fen woll­te. Mit den Publi­ka­tio­nen des exi­lier­ten GRU-Offi­ziers Wla­di­mir Resun ali­as Vik­tor Suwo­row trat die Kon­tro­ver­se in eine neue Phase.

Suwo­rows Ver­dienst war, daß er eine gro­ße Anzahl frei zugäng­li­cher sowje­ti­scher Quel­len prä­sen­tiert hat­te, die den Topos vom »Über­fall auf die fried­li­che Sowjet­uni­on« in Fra­ge stell­ten. Wei­te­re Arbei­ten deut­scher For­scher wie Wal­ter Post, Joa­chim Hoff­mann, Wer­ner Maser oder Ste­fan Scheil run­de­ten das Bild von der hoch­ge­rüs­te­ten, angriffs­be­rei­ten Roten Armee ab, zumal sie sich auf rus­si­sche Quel­len­pu­bli­ka­tio­nen stüt­zen konn­ten, in denen u.a. die sowje­ti­schen Auf­marsch­an­wei­sun­gen ver­öf­fent­licht wor­den waren.

Die eta­blier­te His­to­ri­ker­zunft sah sich daher ver­an­laßt, dem dro­hen­den Ver­lust ihrer Dis­kurs­ho­heit mit eini­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen ent­ge­gen­zu­tre­ten. Ihr Haupt­ar­gu­ment: Man habe kei­nen Befehl Sta­lins vor­le­gen kön­nen, als hät­te es im tota­li­tä­ren Sowjet­reich wesent­li­che poli­ti­sche und mili­tä­ri­sche Ent­schei­dun­gen – etwa die Ver­le­gung Dut­zen­der Armeen an die West­gren­ze – ohne Zustim­mung des Kreml-Dik­ta­tors geben können.

Den meis­ten die­ser Arbei­ten man­gel­te es zudem an dem nöti­gen mili­tä­ri­schen Wis­sen, um die Quel­len sach­ge­recht zu deu­ten. Das ist bei Bernd Schwip­per anders.

Der Autor, Gene­ral­ma­jor a.D. der NVA, pro­mo­viert an der Mili­tär­aka­de­mie »Fried­rich Engels« in Dres­den und aus­ge­bil­det an der Aka­de­mie des Gene­ral­sta­bes der Sowjet­uni­on in Mos­kau, hat genaue Ein­bli­cke in Auf­bau und Funk­ti­on mili­tä­ri­scher Ver­bän­de, spricht per­fekt rus­sisch und kennt die Sowjet­ar­mee aus eige­nem Erleben.

Er prä­sen­tiert mit Hil­fe zahl­rei­cher Kar­ten, Tabel­len und Doku­men­te die umfang­rei­chen sowje­ti­schen Maß­nah­men und Befeh­le, die dem größ­ten Trup­pen­auf­marsch der Welt­ge­schich­te vorausgingen.

Die in zehn Kapi­teln geglie­der­te Arbeit befaßt sich u.a. mit der Dis­lo­zie­rung der Roten Armee im Wes­ten, der Ent­schei­dung zur mili­tä­ri­schen Offen­si­ve, Umstel­lung der Rüs­tungs­in­dus­trie auf Krieg, den sowje­ti­schen Angriffs­pla­nun­gen und dem Vor­be­fehl Sta­lins vom 11. Juni 1941, der anord­ne­te, »zum 1. Juli 1941 zur Durch­füh­rung von Angriffs­ope­ra­tio­nen bereit zu sein«.

Die­ser Befehl, 2004 erst­mals vom rus­si­schen His­to­ri­ker Igor Bunit­sch ver­öf­fent­licht, müs­se nach Schwip­pers Quel­len­kri­tik als echt ange­se­hen wer­den, denn er sei das feh­len­de Bin­de­glied, das alle poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Maß­nah­men der UdSSR in den Jah­ren 1939 bis 1941 plau­si­bel mache. Die­se hat­ten nur ein Ziel: die Revo­lu­ti­on nach West­eu­ro­pa zu tragen.

Bernd Schwip­per: Deutsch­land im Visier Sta­lins: Der Weg der Roten Armee in den euro­päi­schen Krieg und der Auf­marsch der Wehr­macht 1941, Gil­ching: Druf­fel & Vowin­ckel. 2015. 552 S., 24,80 € – hier bestel­len!

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