Heimat ist primär nicht mehr die von uns bewohnte geografische Region samt ihrer Historie, ihren Menschen und deren gewachsenen Eigenarten, Heimat ist auch nicht mehr das Vaterland oder der abendländisch-christliche Kulturraum. Heimat ist jetzt das große Ganze. Was bedeutet das für konservative/rechte Positionen?
Das Vertrackte an neugewonnenen Perspektiven ist: Wer sie einmal eingenommen hat, wird sie kaum wieder los. Einmal erlangtes Wissen kann man, ohne Zweifel an der eigenen Zurechnungsfähigkeit zu riskieren, nicht wieder ablegen. Man weiß es einfach. Nach der kopernikanischen Wende war es unmöglich geworden, zum geozentrischen Weltbild zurückzukehren. Mit dem wissend gewordenen Geist ist es wie mit der verlorenen Unschuld – der Urzustand kann nie wieder erreicht werden.
Folgerichtig geht es in dieser Erörterung nicht um die Rettung des konservativen Heimatbegriffs – diese sentimentale Heimat, dieses Krähwinkel, ist längst verloren gegangen an übergeordnete Raumplanung und die Einspannung in harte ökonomische Interessen, verloren gegangen im medialen Chaos der Gleichzeitigkeit und Beliebigkeit.
Entsprechend schwinden für jeden sicht- und spürbar auch die Unterschiede – man baut im Norden wie im Süden, bestellt seinen Acker im Osten wie im Westen, genießt in Kiel wie in Freiburg und Dresden auf austauschbare Weise. Letzte kleine regionalen Besonderheiten und Unterschiede werden nach Kräften touristisch vermarktet, doch sie spielen im realen Leben kaum noch eine Rolle.
Auch Länder- und Kontinentalgrenzen und Ozeane werden vom globalisierten Geist spielend überwunden – die gleichen Vorlieben herrschen rund um den ganzen Globus: Geldgier, Sexgier, seichtes Entertainment, Statussymbole, ungezügelter Genuss – moralisch aufgewertet durch das Sahnehäubchen eines wohlfeilen Humanitarismus. Man gibt sich weltoffen, versteht sich als Weltbürger und ist überall und nirgends zu Hause. Die modernen Verkehrsmittel und die digitalisierte Nachrichtentechnik unterstützen dieses Lebensgefühl durch jederzeitige Präsenz und Nutzbarkeit.
Der astronautische Blick – sei es der vom Mond, der aus der Internationalen Raumstation oder der des in höheren Sphären schwebenden Denkers – nimmt den blauen Heimatplaneten als ebenso schön wie verletzlich wahr und eben als dieses Eine, bei dem Unterschiede und Differenzen kaum noch eine Rolle spielen. An Bord des Raumschiffs sitzen alle im selben Boot.
Dieser universalistische Ansatz wurde ursprünglich vom Gedanken des Weltreichs, des Empire, getragen, in den vergangenen Jahrzehnten aber (als Korrektiv zur ökonomischen Empire-Perspektive) vor allem auch auf der ökologischen Ebene – die Abholzung des Regenwaldes etwa hat immense Folgen für das Leben auch außerhalb der Tropen. Inzwischen hat als dritte universalistische Perspektive die soziale aufgeholt: Nicht nur Ökonomie und Ökologie sind global vernetzt, auch das Soziale existiert nirgendwo losgelöst von globalen Rahmenbedingungen.
Die Perspektive auf die eine Welt ist real geworden – und es dürfte unmöglich sein, diese Perspektive wieder loszuwerden, um in die Verfolgung reiner Partikularinteressen zurückzuverfallen. Ist es also nicht völlig in Ordnung, wenn jeder dort hingeht, wo es ihm am besten gefällt? Warum nicht als Afghane nach Schleswig-Holstein streben, warum nicht als Sachse oder Ostfriese geschäftlich im Kongo sein Glück versuchen, warum nicht einfach seinen Wünschen und Sehnsüchten freien Lauf lassen – es ist doch die eine Welt, die allen gehört? Der gegenüber seinen Krähwinkel-Tagen längst weiterentwickelte konservative/rechte Standpunkt erhebt vehement Einspruch, weil das „Raumschiff Erde“ eben kein Bällchenbad ist, sondern nach konkreten Ordnungsmustern funktioniert. Fehlen diese, wird es erst irre- und dann untergehen. Wie geht es zu an Bord des „Raumschiffs Erde“? Peter Sloterdijk hat in seinem jüngsten Buch („Was geschah im 20. Jahrhundert?“) über eine „Philosophie der Raumstation“ nachgedacht:
„Die Menschen im globalen Zeitalter schauen erneut an den nächtlichen Himmel. Sie glauben aber nicht nur, daß sie beobachtet werden, sie wissen es auch, und indem sie dieses Wissen ernst nehmen, werden sie fähig zu handeln, wie ihr Gewissen es fordert. Die Bilder, die unser starker Beobachter uns zusendet, sprechen eine klare Sprache. Sie reden zum Gewissen für die Erde. Die Gewissenlosen aber müssen wissen, daß man ihre Gewissenlosigkeit schon vom Weltraum aus sieht. Es wäre falsch zu verschweigen, daß diese Bilder in einem Prozeß gegen jene, die noch immer nichts wissen wollen, als belastendes Material vorgelegt werden können.“
Der Gedanke, daß die Erde nicht bloß eine beobachtende Raumstation, sondern im Ganzen ein Raumschiff sei, wurde erstmals im 19. Jahrhundert gedacht von Henry George, einem amerikanischen Ökonomen (in „Progress and Poverty“: “It is a well-provisioned ship, this on which we sail through space.“)
1968 erschien mit “Operating Manual for Spaceship Earth” von Buckminster Fuller ein Essay, der sich auf so etwas wie eine umfassende Handlungsanweisung für die globale Ordnung bezog – gedacht vor dem Hintergrund der Raumschiff-Metapher. Buckminster Fuller, dessen Einfluss auf das heutige globale Denken bedeutender sein dürfte als allgemein angenommen, hat mit seiner „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ eine bis heute andauernde Lawine von Überlegungen losgetreten, wie so ein globales Management aussehen könnte. Auch wenn dem konservativen/rechten Geist viele dieser Überlegungen vor allem in den Konsequenzen für den eigenen Standpunkt missfallen dürften, so kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß eine solche globale Perspektive unausweichlich ist – ein Zurück hinter die globale Perspektive könnte es allenfalls unter den Bedingungen einer globalen Katastrophe (Ausbruch des Yellowstone, Asteroideneinschlag, Seuchen) geben, die einen Großteil der heute lebenden Menschen auslöschen würde, nicht aber als Folge einer politischen Willensanstrengung. Das also dürfte die eigentliche geistige Aufgabe der nächsten Zeit werden: Eine Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde aus dezidiert konservativer bzw. rechter Sicht zu entwerfen. Denn das Raumschiff ist keine Phantasie, sondern Realität.
Vielleicht fällt die Aufgabe etwas leichter, wenn man einfach die etwas weniger abstrakte Realität eines nicht im Raum, sondern auf dem Meer segelnden Schiffes betrachtet. Worauf kommt es an Bord an? Richtig: Jeder hat an seinem Platz zu sein und muss jederzeit wissen, was zu tun ist – gerade der universalistische Ansatz verlangt strikte Disziplin und den Verzicht auf individuelle Selbstverwirklichung. Hier, in diesem Verzicht, die Abgrenzung zum gleichmacherischen Ameisenstaat zu schaffen, wird eine der schwierigsten und zugleich spannendsten Gratwanderungen sein.
Nordlaender
"Ist es also nicht völlig in Ordnung, wenn jeder dort hingeht, wo es ihm am besten gefällt? Warum nicht als Afghane nach Schleswig-Holstein streben, warum nicht als Sachse oder Ostfriese geschäftlich im Kongo sein Glück versuchen, warum nicht einfach seinen Wünschen und Sehnsüchten freien Lauf lassen – es ist doch die eine Welt, die allen gehört?"
Ganz einfach: Dem Rheinländer gefällt es im Norden nicht, weil ihn die mangelnde Bereitschaft des Taxifahrers, mit ihm ein Dauergespräch zu führen, in die Verzweiflung treibt.
Und Jens Jensen aus Niebüll empfindet es als freche Distanzlosigkeit, wenn der wildfremde Dortmunder sich für sein Privat- und Intimleben interessiert.
Da trifft man die sympathische Polin. Bis auf minimalen Akzent spricht diese dem Anschein nach ein perfektes Deutsch. Und dann ein Mißverständnis nach dem anderen, weil die Nichtmuttersprachlerin die komplette Bedeutungstiefe der Begriffe nicht kennt, mit Sprachbildern und -Spielen nicht umzugehen weiß.
Unterhalb der Benutzeroberfläche des Planeten, dem sterilen Mief des globalen Dorfes, ist noch jede Menge bunte Vielfalt erhalten geblieben.