»Die Idee, eine Million Menschen ins Land zu lassen und diese zu integrieren, ist gescheitert.« Diese Aussage, die nach der Silvesternacht in Köln und diversen Ausschreitungen in Massenunterkünften viele Menschen nicht mehr überrascht, ist eine besonders bittere Erkenntnis, wenn man selbst vor einem Jahr noch der Gruppe angehörte, die völlig naiv glaubt, dass die derzeitige Flüchtlingsproblematik durch Aussitzen und blindes Engagement vorübergeht.
Die Problematik beginnt schon vor der Ausführung der Hilfemaßnahmen selbst: Turnhallen müssen fehlende Unterkünfte ersetzen, im Bereich der Betreuung fehlen Fachkräfte, obwohl die Fachhochschulen und Universitäten im Minutentakt neue Sozialarbeiter ausspucken. Im Bereich der Jugendhilfe führt dies dazu, dass Vormunde teilweise mit mehr als einem Dutzend Mündeln betraut werden.
Hinzu kommt, dass das Hilfeverständnis der Linken lediglich das Heranreifen zu mündigen, handlungsfähigen Menschen verlangsamt oder gänzlich blockiert. Dies bemerkt man spätestens dann, wenn man diese Ideen im Alltag erlebt.
Insbesondere die freiwilligen Helfer in der Flüchtlingshilfe handeln so, dass sie den Menschen dort nicht auf Augenhöhe begegnen. Motiviert von Mitleid über das normale Maß hinaus, werden Flüchtlinge auf ihre Opferrolle reduziert, mit der Konsequenz, dass man selbst erwachsene Menschen wie Kleinkinder behandelt und bereits Hilfsangebote, die von Betroffenen persönlich beantragt werden müssen (also selbstständiges Aktivwerden erfordern), bei den wohlmeinenden Helfern für Empörung sorgen.
Die Haltung, dass jeder Flüchtling ein Opfer ist, das aufgrund seiner besonderen Biografie keinen weiteren Stressoren ausgesetzt werden darf, gipfelt u.A. darin, dass jedem Neuankömmling zunächst alles geglaubt werden muss. So ist es nicht möglich, einen Flüchtling zu zwingen, sich einer medizinischen Altersuntersuchung zu unterziehen. Die Inaugenscheinnahme zweier Sozialpädagogen wird als Grundlage genommen, um zu bestimmen, ob ein Flüchtling minderjährig ist oder nicht.
Eine Feststellung durch Mediziner kann im Zweifel zwar angeordnet werden, jedoch erfolgen diese Untersuchungen dennoch freiwillig. Deshalb geschieht es immer wieder, dass Menschen in Obhut genommen werden, die gar nicht die Adressaten einer Jugendschutzmaßnahme sind. Da man sie auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht zu einer medizinischen Altersuntersuchung zwingen kann, verstopfen Erwachsene diverse Jugendhilfeeinrichtungen.
Ein Umstand, der sich so schnell auch nicht ändern wird, da viele aufgrund der Nachvollziehbarkeit des Altersschwindels gerne einmal ein Auge zudrücken. Mit einem bemüht solidarischen »Wir würden es in dieser Not auch versuchen« wird begründet, warum man nicht genau nachfragt. Und dabei wird vergessen, dass es hier um mehr geht als die Einhaltung eines Gesetzes: Das Konfliktpotential steigt, da Erwachsene generell eine andere Begleitung brauchen, aber auch, weil Erwachsene in ihren Wertvorstellungen viel gefestigter sind als Jugendliche.
Und diese Wertvorstellungen werden schon in den nächsten Jahren die Gesellschaft Deutschlands nachhaltig ändern. Dazu zählen ethnische Konflikte, die in Stadtteilen mit einem hohen Migrantenanteil ohnehin schon vorhanden sind und die sich weiter verschärfen werden.
Sie sorgen immer wieder für gewalttätige Auseinandersetzungen in den Flüchtlingsunterkünften und stellen im weiteren Verlauf die Jugendhilfe vor unlösbare Dilemmata: Einerseits möchte man diese Konflikte nicht durch die Einrichtung ethnisch homogener Gruppen in den Maßnahmen unterstützen – andererseits muss das individuelle Wohl der Klienten geschützt werden. Ist das überhaupt möglich, wenn man heterogene Gruppen bildet? Wird dadurch ein Lerneffekt erfolgen oder provoziert man damit Eskalationen?
Diese Fragen wurden bisher nie gestellt, da die naive Annahme, dass Flucht die Menschen eint und ihre Konflikte auflöst, ein fester Bestandteil der Sicht auf Flüchtlinge ist. Ebenso ignoriert die Linke, dass Menschen aus Ländern zu uns kommen, die durch stark hierarchische Strukturen geprägt sind. In Folge dessen werden “autoritäre Charaktere” importiert, die man ansonsten so vehement bekämpfen möchte.
Treffen die ethnischen Differenzen auf diese autoritären Charaktere, entsteht eine explosive Mischung: In den Unterkünften und Betreuungsstellen verhindern die Menschen untereinander Lerneffekte und Persönlichkeitsentfaltungen. Man versucht, sich gegenseitig zu kontrollieren, und fordert für andere lieber strenge Strafen für angebliches Fehlverhalten, anstatt sich zu bemühen, ein friedliches Zusammenleben zu gestalten. Man möchte die strengen Regeln der Heimat teils unhinterfragt fortsetzen und anderen aufzwängen.
Natürlich ist es die Aufgabe pädagogischer Flüchtlingshilfe, genau diese Dinge zu beobachten, zu ändern, zu verbessern. Menschen, die ihr Leben lang so gelebt haben, werden sich nicht von heute auf morgen ändern und sich gänzlich neuen Bedingungen anpassen. Allerdings wird diese Arbeit erschwert, da man Kritik an der Kultur und den Verhaltensweisen der Menschen, die ins Land kommen, überhaupt nicht zulässt. Sie scheinen immer die unschuldigen, armen Opfer zu sein.
Und damit sind sie ihren Altersgenossen aus Deutschland gegenüber durchaus im Vorteil: Zwar sind die Leistungen des Staates die gleichen, aber die Bevölkerung ist viel stärker um sie bemüht. Sie haben das positive Stigma des ehrgeizigen Geflohenen, der alles tut, um sich zu integrieren, und viele fühlen sich verpflichtet, ihnen zu helfen. Die Spendenbereitschaft ist riesig, Ehrenamtliche tun sehr viel, um den Jugendlichen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen.
Doch die gut gemeinte Hilfe geht schnell nach hinten los. Die Erwartungshaltung an Hilfeleistungen (insbesondere materielle Hilfe) steigt schnell an, wenn die Spendenbereitschaft alles ermöglicht und das Verständnis für eine Absage sinkt, da ansonsten immer alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um die Wünsche zu erfüllen.
Ändert sich das Setting, weil die Menschen etwa in konsekutive Maßnahmen überführt werden, ändert sich auch die Bereitstellung diverser Güter. Diese müssen dann selbst bezahlt werden – etwas, an das man sich nur schwer gewöhnt, wenn man vorher alles frei Haus bekam. Dies führt in der pädagogischen Arbeit immer wieder zu Konflikten, da sich die Haltung verfestigt hat, dass man in Deutschland alles bekommt, wenn man nur laut genug fordert. Dies wurde vor und während der Flucht versprochen und wird nur allzu gern von übereifrigen Helfern erfüllt.
Viele helfen mit der Vorstellung im Kopf, dass Menschen, die hierher kommen, ein neues Leben führen wollen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Flucht in Sicherheit auch automatisch der Beschluss ist, ein neues Leben zu beginnen. Denn letztlich bestimmen die Vorstellungen die Integrationsbemühungen: Wer nur in Sicherheit leben möchte, der sieht keine Notwendigkeit, sein Frauenbild zu hinterfragen. Wer in einer neuen Gesellschaft ankommen möchte, hingegen schon.
Hinzu kommt ein oft übersehenes Konfliktpotenzial, das aber nicht weniger sozialen Sprengstoff beinhaltet: die Ungleichbehandlung “eingeborener” Klienten Sozialer Arbeit gegenüber ihren zugereisten, medial allgegenwärtigen Schicksalsgenossen.
Vergleicht man die Situation jugendlicher Flüchtlinge mit der ihrer deutschen Altersgenossen in gleichen oder ähnlichen pädagogischen Maßnahmen, dann stellt man schwerwiegende Unterschiede fest. Die deutschen Klienten tragen schon seit Jahrzehnten in weiten Teilen der Bevölkerung das gleiche Stigma mit sich herum: Sie sind die Kinder asozialer Eltern. Sie gelten als schwierig, anstrengend und undankbar.
Zwar gibt es auch hier Menschen, die sich engagieren, allerdings ist die Anzahl wesentlich geringer, ebenso wie der betriebene Aufwand. Diese Jugendlichen stehen derzeit nicht im öffentlichen Interesse, sie haben keine Lobby.
Mit dieser ausgesprochenen Erkenntnis begibt man sich auf dünnes Eis. Sehr schnell ist hier die Rede von Sozialneid, und nicht selten endet es im zynischen Spott gegenüber vermeintlich jammernden Deutschen, denen es eh zu gut geht. Dabei widerspricht sich die Linke wieder selbst, denn sollte nicht jeder Mensch gleich behandelt werden, und sollte nicht in jedem Menschen das positive Potential gesucht werden? Stattdessen macht man lieber Witze über den bildungsfernen Kevin, aus dem eh nie etwas werden konnte und der es ja auch irgendwie verdient hat, wenn er Angst hat, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland das Lohnniveau drücken.
Die Familien, aus denen diese Jugendlichen stammen, werden entsprechend harsch kritisiert. Eine Kritik, die an die Familien Geflohener nur selten gerichtet wird. Und dabei kommt es oft vor, dass die Familie einen Sohn bestimmt, der gehen MUSS – ohne, dass dieser dabei ein Mitspracherecht hat. Der Krieg schützt vor Angriffen; eine kritische Auseinandersetzung mit dem Beschluss, ein Kind alleine auf eine lebensgefährliche Reise zu schicken, bleibt dabei aus. Auch bei Außenstehenden. Auch bei denen, die diesen Kindern und Jugendlichen den Start ins neue Leben erleichtern wollen.
Und es setzt sich fort bei der Bewertung der Verhaltensweisen der Jugendlichen: Jedes Fehlverhalten wird als Konsequenz eines Traumas gesehen. Ein grober Fehler, der auch unter Fachkräften weit verbreitet ist. Der Gedanke, dass eine schwere Zäsur im Leben nicht automatisch ein Trauma nach sich zieht, scheint ein Paradox zu sein. Durch den Irrglauben, dass unerwünschte Verhaltensweisen Folge einer schweren PTBS sind, läuft man Gefahr, diese therapieren statt erziehen zu wollen.
Hier schließt sich der Kreis zur Ausgangssituation der unbewältigbaren Hilfe für so viele Menschen: Selbst wenn man an diesem Fehlschluss festhält, dass alle Geflüchteten traumatisiert sind, wird man vor der Schwierigkeit stehen, diese Menschen fachgerecht zu betreuen. Traumatherapeuten sind ohnehin rar, und auch auf einen Platz bei einem “normalen” Therapeuten wartet man verhältnismäßig lange – wie möchte man über eine Million Menschen mit Hilfebedarf über die nächsten Jahre stabilisieren und betreuen?
Und wie viele von diesen Menschen werden (nach der Logik, dass sie ohnehin alle traumatisiert sind) in der Lage sein, ein normales Leben zu führen, in dem sie nicht permanent von Fachkräften begleitet werden müssen?
All diese Problematiken waren von Anfang an vorhersehbar – aber niemand hat sie durchdacht. Und noch viel schlimmer ist, dass es auch jetzt niemand tut, wenngleich sich der politische Wind langsam zu drehen scheint. Die einzige Chance, den schweren Aufprall (der irgendwann ohnehin kommen wird) abzufedern, ist die Auflösung ideologischer Dogmen in der professionellen Hilfe.
Chris
Man braucht gar keine Traumatherapeuten, es reicht vollkommen aus, Schuberts Deutsche Messe D. 872 zu hören.
Das Reden von Trauma ist eine Modeerscheinung dieser Tage, in denen der neoliberalistische Anarchokapitalismus die Menschen entwurzelt hat und verbliebene, nur materielle Wünsche ihn auf die Reise schicken.