Er heißt nun Nannen Preis, zeitgemäß mit sogenanntem Deppenleerzeichen also. Klingt mäßig interessant? Nein. Henri Nannen ist das personifizierte Paradigma der Bundesrepublik Deutschland. Preis wie auch aktueller Preisredner sind dessen Attribute.
Henri Nannen (1913–1996) wurde nur von „ganz alten Freunden und einigen Frauen“ (Nannen-Biographin Stephanie Nannen) Peter genannt. Peter, nicht etwa Heinrich. Müßig, über die Gründe zu spekulieren. Nannen war einer, der gern zweigleisig fuhr. Privat ohnehin.
Er lebte über Jahrzehnte mit zwei Frauen zusammen. Verjüngt („Verjüngung“ sollte auch sein ungeschriebenes politisches Motto sein) hat er sich auch dabei sukzessive: Erstfrau und Drittfrau trennen geburtsjahrgangsmäßig vier Jahrzehnte, darin toppte Nannen selbst Peter Maffay – dies nur nebenbei.
Peter/Henri Nannen hatte für den Völkischen Beobachter stimmungsvolle Schlachtenberichte verfaßt (… „jetzt bricht die ganze aufgestaute Kraft dieser geballten Energie los – mit einer Gewalt, daß den Bolschewisten (…) Hören und Sehen vergehen wird.“
Ab 1944 fungierte Nannen als Führer eines Aktivpropagandazuges der Luftwaffe. Nach dem Krieg erhielt er – nun definitiv „Henri“- von der britischen Besatzungsmacht rasch eine Presselizenz. Daß alte NS-Kämpen in der neuen Republik durch Begünstigung der Siegermächte wieder zu Rang und Namen kamen, war weder Wunder noch Einzelfall. Erstens waren sie professionell, vernetzt und erfahren, zweitens hatte „man“ sie im Zweifelsfall in der Hand.
1948 jedenfalls erschien Nannens Stern erstmalig, und es war sicher kein Zufall, daß es ein Boulevardmagazin gleichen Namens bereits 1938 gegeben hatte. Henri Nannen fungierte weiterhin als journalistischer Propagandist. Sein Stern war – um das Panoptikum dieses Avantgardblattes einmal zu umschreiten – eines der ersten Publikumsblätter, die nackte Frauen aufs Cover hoben und ebenso eines der ersten Organe, die die harte Grenze der Oder-Neiße-Linie stählern verfochten. Soviel zum Blatt an sich.
Nein, dies noch: 2003 hatten sich wöchentlich noch über eine Million Exemplare des Magazins verkauft. 2015 waren es rund 440.000. Wie soll man das nennen? Einen kleinen Knick, eine gewisse Krise? Oder einen Totaleinbruch?
Jedenfalls wurden „Stellenabbau“ und „Sparmaßnahmen“ als Gründe dafür genannt, daß der Henri ‑Nannen-Preis 2015 nicht vergeben wurde. Nun ist wieder da, “relaunched” als Nannen Preis.
2014 hatte einer der Preisträger, Jacob Applebaum, angekündigt, daß er die Preistrophäe (eine Nannenbüste) einschmelzen lassen wolle. Aus Protest gegen den ehemaligen “Nazi” Nannen wolle er den Einschmelzungserlös hälftig zwei linksradikalen Organisationen spenden, nämlich der einschlägigen Vereinigung der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten ) und dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin. Gut, wer Applebaum heißt, darf wohl Gesichtsplastiken verbrennen lassen – wenn es einem guten Ziel dient. Nannen als Büste gab es 2016 nicht mehr, stattdessen einen graphischen Klotz.
Nun hat der Medienwissenschaftler Michael Haller einen einführenden Essay zum “Nannen Preis” verfaßt. Sein Thema: Gründe für den Widerspruch zwischen immer besser werdendem Journalismus und schwindendem Medienvertrauen.
Haller bennent dabei keinesfalls die Gründe. Er liefert sie aber schubweise durch seine eigene Diktion:
Der Nannen Preis ist eine Feier des Berufsstands. Denn er besitzt gerade heute eine symbolische Bedeutung: Die Veranstalter zeigen, dass exzellenter Journalismus weiterlebt.
Weiterleben, ein Euphemismus in Zeiten des trunkenen Feierns! Ich schaue mir die IVW-Daten deutungsstarker Zeitungen des letzten Quartals 2015 an, gerundet: Bildzeitung: minus 11%, Süddeutsche: minus 7%, FAZ minus 14 %, WELT minus 6.5 %, taz- minus 3.4%. Allein die Junge Freiheit verzeichnet ein Plus von, ja, 16%.
Dazu muß man wissen, daß all diese Trends seit einigen Jahren anhalten: Der zu feiernde „Berufsstand“ des mainstreamigen Journalisten in also mit der Etikettierung „im freien Fall“ ganz gut getroffen.
Weiter Haller:
Wenn ich die in den vergangenen Jahrzehnten von Journalistenjurys geprägten Gütekriterien als Maßstab anlege, dann belegen manche der nominierten Arbeiten im Vergleich zu früheren Preisträgern sogar einen Zuwachs an Qualität: erhellend, wie in diesem Feature typische Szenen mit Trenddaten verwoben und mit einem Video anschaulich wurden. Mitreißend, wie uns der Reporter die Verzweiflung jener Menschen nahebringt. Unglaublich, wie dieses Foto eine existenzielle Erfahrung ins Bild überträgt. Großartig, wie dieses Rechercheteam zugespielte Informationen hart gemacht und in eine packende Enthüllungsstory umgesetzt hat. Erzähle, Erzähle, Erzähle: Das in seiner Subjektivität schwelgende Storytelling steht derzeit in üppiger Blüte.
Herr Haller, noch da? Was Sie als Verquickung von „Trenddaten mit anschaulichem Video“ und Verzweiflungsnahebringung auffassen, was Sie „packende Entüllungsstory“ nennen und – Mann, haben Sie ihren Wolf Schneider eigentlich nie gelesen? – als, man glaubt es kaum, „in Subjektivität schwelgendes Storytelling“ preisen: Genau das ist doch der Grund, warum sich die Nichtmehrleser verhohnepiepelt fühlen! Die sagen nämlich: „Erzählt uns keine Geschichten! Erst recht kein subjektivistisches Wunschdenken! Keine Propaganda!“
Und, apropos „üppiger Blüte“. Die weltweit üppigste Blüte hat der Titanenwurz. Blüht demnächst auch hierzulande in botanischen Gärten. Deutlichstes Merkmal für die Sinnesorgane: Diese Blüte stinkt zum Himmel.(Wobei ich nichts gegen die aktuell prämierten Texte sagen will – wegen derer dürfte kein Leser sein Abo kündigen.)
Haller ff:
Also könnten die Veranstalter ihre Schultern und jene der Preisträger klopfen und die Hassredner aus dem AfD-Lager als realitätsblinde Wirrköpfe abkanzeln. Sie werden dies nicht tun, weil sie vermutlich wissen, dass dieses blödsinnige „Lügenpresse“-Geschrei als Symptom zu deuten ist und die Gründe der Journalismuskrise tiefer reichen. Ihre Selbstbelobigungen würden wie das Pfeifen im finstern Walde tönen.Wie dunkel es dort ist, zeigt dieser Befund: Je nach Meinungsumfrage zweifeln derzeit 40 bis 50 Prozent der Erwachsenenbevölkerung an der Glaubwürdigkeit des Journalismus.
Ah, das wäre also Ihr Storytelling: mittels Vokabeln und argumentfreier Zuschreibungen wie „Hassredner“, „realitätsblind“, „Wirrköpfe“, „blödsinnig“, „Geschrei“ den unwilligen Leser als Narren markieren. Wo aber die Argumente fehlen, wird es krude.
„40 bis 50 Prozent der Erwachsenenenbevölkerung“ stellen keinen finsteren, dunkeldeutschen Wald dar? So wird ein Schuh draus: Sie haben es einfach satt, von journalistischen Wirrköpfen und Haßrednern realitätsblindes und blödsinniges Geschrei vorgeschrieben zu bekommen. “Dunkel” wird Deutschland wohl kaum durch allenthalben gebrandmarkte “AfD-Redner”. So kann man sich verheddern, wenn man bildreich schreiben will..
Haller:
Ob deshalb das Vertrauen in die Medien erodiert, wie derzeit zahlreiche Studien zeigen, weiß ich nicht.
“Weiß ich nicht“ wird von der aktuellen Ausgabe des Philosophie-Magazins als rhetorischer „Kniff Nr. 27“ vorgestellt: „Es ist verblüffend, wie sehr man seine Gegner durch das eigene Eingeständnis seiner Dummheit entwaffnen kann. Auf diese Weise nehmen Sie eine unschuldige Haltung ein und sind nicht mehr angreifbar.“ Aber: „Unkenntnis schützt vor Strafe nicht.“
Hinter manchen Tendenzen, so gesteht Haller, könne man eine „Gleichschaltung der medialen Debattenkultur mit dem Diskurs der politischen Elite“ ausmachen:
Das kann man nicht gut finden. In autoritären Systemen wie der Türkei oder Russland soll der Journalismus als Lautsprecher fungieren, der die Politik der Machtelite rechtfertigt.
Achso, dort ist das so! Undenkbar in Deutschland, gell? Haller zitiert (wie eigentlich gerade jeder, der über Glaubwürdigkeitskrisen schreibt) Uwe Krügers glorreiches Buch Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. Dessen Essenz scheint Haller nicht im Mindesten begriffen zu haben.
In einer lebendigen Demokratie indessen hat der politische Journalismus dafür zu sorgen, dass der öffentliche Diskurs in Gang bleibt und abweichende Sichtweisen mit ihren Vorstellungen und Bedenken zur Sprache kommen, jedenfalls solche, die mehrheitsfähig sind.
Das nun nennt man Hochseilakrobatik: abweichende Sichtweisen dann zur Sprache bringen, wenn sie „mehrheitsfähig“ sind. Der Volksmund sagt dazu: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!“ Ich zitiere Klonovsky, Ende 2014: „Prognose: Ab 50.000 Pegida-Mann wird die Berichterstattung freundlicher, ab 100.000 war mancher Journalist immer dabei.“
Haller muß seine „exzellenten Jounalisten“ natürlich auch mal rügen:
Der Schwund an innerer Unabhängigkeit scheint mir aber auch mit der (den Deutschen nicht ganz fremden) Autoritätsgläubigkeit zusammenzuhängen. (…) Natürlich wird auch recherchiert. Aber meist entlang der Stoßrichtung, die von Autoritäten vorgegeben wird. Gegen den Strich bürsten? Selbstverständliches infrage stellen? Da muss erst ein britischer Journalist kommen und Frauke Petry ein bisschen hartnäckiger und schroffer befragen als unter deutschen Journalisten üblich – und schon ist es eine Sensation.
Klar. Altmännerträume. Hier dieser: Aufgrund einer treudeutschen Autoriätsgläubigkeit hat sich bis auf einen britischen Journalisten (man kann das belämmerte Interview hier sehen) kein Kollege gefunden, um die Frauke Petry „ein bisschen hartnäckiger und schroffer“ zu befragen „als üblich“. Bin ich zu blöde, all die weichen, zarten und empathischen Petry-Interviews zu finden? Suche händeringend!
Mit einem stilistischen Vollblütenerregungszitat will ich Herrn Hallers Blütenregen in Nannens Namen beenden:
Die für den Nannen Preis ausgewählten Arbeiten sind exzellent, einige auch beispielgebend für Entwicklungen, für die der Teamgedanke Pate steht. Unabhängigkeit ist nicht nur die individuell einzulösende Bedingung, sondern auch Merkmal der Teamarbeit von Spezialisten, die hinter der sie schützenden Firewall Herausragendes zustande bringen.
„Herausragend“: Nochmals der Verweis auf die üppig blühende Titanenwurz.
Wer übrigens seinen Uwe Krüger zum Thema Mainstreampresse noch immer nicht gelesen hat, findet ihn hier.
Arminius Arndt
Das ist nun in der Tat eine Entblödung allerster Güte.
Exzellenter Journalismus weiß insbesondere eindeutig zwischen Bericht und Kommentar zu unterscheiden und diesen Unterschied auch dem Leser klar erkennbar zu machen. Alles andere ist Dschornalismus und dafür gibt es jetzt einen schicken Nannenpreis, dessen Logo mich alten Nazi doch sofort an geschickt sublimierte Wolfsangeln erinnert :)