Geoffroy de Lagasnerie: Die Kunst der Revolte – eine Rezension

Rezension aus Sezession 72 / Juni 2016

Geoffroy de Lagasnerie gilt als »junger Wilder der französischen Philosophie« (Der Spiegel).

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Dabei ist der Akti­vist gegen Homo­pho­bie und Frem­den­haß, eil­fer­ti­ge Denun­zi­ant kon­ser­va­ti­ver Kol­le­gen und War­ner vor dem »Rechts­ruck« in Frank­reich alles ande­re als rebellisch.

De Lag­as­ne­rie, 1981 gebo­ren, stu­dier­ter Sozio­lo­ge und Phi­lo­soph, lehrt an der Éco­le Natio­na­le Supé­ri­eu­re d’Arts in Cer­gy. Schlag­zei­len mach­te er erst­mals 2014, als er in der Zei­tung Libé­ra­ti­on einen »muti­gen« Auf­ruf gegen die Teil­nah­me des als kon­ser­va­tiv gel­ten­den His­to­ri­kers Mar­cel Gau­chets am »Ren­dez-vous de l’Histoire de Blois« ver­öf­fent­lich­te. Als Kon­ser­va­ti­ver, so der Duk­tus des Pam­phlets, stün­de es ihm nicht zu, über das dama­li­ge The­ma der Kon­fe­renz, die »Rebel­li­on«, zu sprechen.

Ähn­lich kon­for­mis­tisch wie die­se Epi­so­de liest sich das Buch Die Kunst der Revol­te, das nun im Suhr­kamp-Ver­lag erschie­nen ist (und damit de Lag­as­ne­rie den letz­ten Nim­bus einer Tour gegen das Estab­lish­ment raubt). In die­sem Essay nimmt er auf Edward Snow­den, Juli­en Assan­ge und Bradley/Chelsea Man­ning Bezug, anhand derer er eine neue Theo­rie des Poli­ti­schen ent­wi­ckeln will. Er sieht in die­sen drei Whist­le­b­lo­wern die Vor­bo­ten eines neu­en poli­ti­schen Sub­jekts, das gleich­zei­tig Trä­ger und Kün­der eines neu­en Nomos sein soll.

Dabei geht es de Lag­as­ne­rie weni­ger um das Wesen des Info­kriegs, also den »Leak« zen­tra­ler und wich­ti­ger Daten, als um die Art und Wei­se, wie er von­stat­ten geht. Er hält drei für ihn wesent­li­che Aspek­te fest (die, typisch für die kon­tem­po­rä­re fran­zö­si­sche Phi­lo­so­phie, unter einem Wust an »detours« ver­gra­ben sind). Die neu­en poli­ti­schen Sub­jek­te tre­ten nicht als kon­kret loka­li­sier­ba­re, natio­na­le Grup­pe, son­dern als glo­ba­les Phä­no­men wie das Kol­lek­tiv Anony­mous auf. Ihre Akti­vis­ten wol­len sich in der Regel nicht der Öffent­lich­keit stel­len und »zu ihren Taten stehen«.

Eben­so ver­su­chen sie sich mit der »Pra­xis der Flucht« der natio­na­len Gerichts­bar­keit zu ent­zie­hen. Der Autor sieht dar­in eine Anti­the­se zum klas­si­schen zivi­len Unge­hor­sam der Bür­ger­rechts­be­we­gun­gen. An ihnen und an Theo­re­ti­kern wie Rawls, But­ler und ande­ren kri­ti­siert er eine grund­sätz­li­che Akzep­tanz der »ursprüng­li­chen Ent­eig­nung«, der »Ein­ge­schlos­sen­heit« in einer prä­exis­ten­ten Gemein­schaft. Dezi­diert meint er damit sowohl den Staat als auch die Fami­lie, und über­haupt jede »kon­tin­gen­te Situa­ti­on«, in die man abhän­gig und »ver­wur­zelt« hin­ein­ge­bo­ren wird. Dies sei, so de Lag­as­ne­rie, höchst »unde­mo­kra­tisch«, da man nie danach gefragt wurde.

Gegen die­sen »Zwang« soll nun mit­hil­fe des Inter­nets mit Snow­den und Co. als Avant­gar­de eine »Ent­na­tio­na­li­sie­rung der Geis­ter« statt­fin­den. De Lag­as­ne­rie ent­larvt sich als alt­ba­cke­ner uni­ver­sa­lis­ti­scher Ideo­lo­ge, der in mar­xis­ti­scher Manier auf eine Über­win­dung anthro­po­lo­gi­scher Kon­stan­ten durch die »Elek­tri­fi­zie­rung« hofft. Was de Lag­as­ne­rie mit »Demo­kra­tie« und »Frei­heit« meint, ist nichts ande­res als das völ­li­ge bin­dungs­lo­se hyper­tro­phe Sub­jekt der Auf­klä­rung, das eigent­lich seit Nietz­sche und Heid­eg­ger zu Ende kri­ti­siert ist. Hier wünscht man sich, der Autor hät­te den von ihm viel­zi­tier­ten Fou­cault etwas gründ­li­cher gelesen.

Ins­ge­samt ist das gan­ze Buch fast eine intel­lek­tu­el­le Belei­di­gung für jeden, der sich tie­fer mit poli­ti­scher Phi­lo­so­phie und Ideen­ge­schich­te aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Es wäre nur ein mit­lei­di­ges Lächeln wert, wenn das, was de Lag­as­ne­rie sich links-uto­pisch her­bei­sehnt, nicht schon neo­li­be­ral-prag­ma­tisch umge­setzt wür­de. In den Think-Tanks von Sili­con Val­ley arbei­tet man tag­täg­lich am Abbau natio­na­ler Bezugs­sys­te­me, an der »Enfes­se­lung« des Men­schen von jeder Kon­tin­genz, an einem trans­hu­ma­nis­ti­schen »frei­en Geist«.

Daß die­se Ent­wick­lung aber kei­ne »Frei­heit«, son­dern eine Ver­fal­len­heit an das Gestell, kei­nen »neu­en Men­schen«, son­dern einen Cyborg, und kein liqui­des Wun­der­land des herr­schafts­frei­en Dis­kur­ses, son­dern ein post­de­mo­kra­ti­sches Gang land glo­ba­ler Trusts und Daten­kra­ken ein­läu­tet, ist offensichtlich.

Es ist all jenen klar, die dem poli­ti­schen Uni­ver­sa­lis­mus ent­wach­sen sind, den die­ses bie­de­re Buch wiederkäut.

Geoff­roy de Lag­as­ne­rie: Die Kunst der Revol­te. Snow­den, Assan­ge, Man­ning, Ber­lin: Suhr­kamp 2016. 158 S., 19.95 € – hier bestel­len. (Zu einer Aus­wahl der in Sezes­si­on 72 bespro­che­nen Lite­ra­tur geht es hier ent­lang.)

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

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