K. sagte Krieg, H. Hunger. War mir klar. Ich hab mich mit L. schon so unterm Tisch angestoßen, und wir haben die Augen verdreht, weil’s Strebertum ist. Für V. wäre vermutlich in Wahrheit das schlimmste, wenn sie samstags nicht shoppen gehen könnte.
L. hat dann geflüstert: ‘Wetten, jetzt sagt R.: ‘Rassismus´? R. kam dran und sagte, logisch: ‘Rassismus´. Ich leise zu L. : ‘Jetzt kommt Armut dran!. ´ A. hatte schon so mit dem Arm gewedelt. Und dann natürlich: ‘Armut´.“
Zwischenfrage Mutter, also ich: „Wer ist noch mal dieser A.?“ –
„Na, der Hetzer. Kennst Du doch. Der immer zu mir arme Sau sagt, wegen Lederranzen und Vollkornbrot und so. Egal. Jedenfalls haben wir gegrinst, und dann sollte ich sagen, was für mich das sogenannte Schlimmste sei. Schon die Frage! Was für mich persönlich das Schlimmste wär – als würd´ ich das vor allen sagen. Hab ich also gesagt: Massenmigration und vor allem Asylbetrüger.“
- „Und, was sagte der Herr E. dazu?“ – „Nichts. Hat zu allem genickt. Alle sollen jetzt in Gruppen eine kleine Wandzeitung zu ihren Schlimmheits-Themen machen.“
Drei Jungs in der Massenmigrationsgruppe. Zu Hause Materialsammlung. Sohn schneidet zu Hause Artikel und Bilder aus. Sehr fleißig. Liest tagelang dazu. Fragt viel. Inforausch.
9. Juni 2016 – „Wie war eigentlich Reli? Habt Ihr die Wandzeitung fertig?“- „Nö, war blöd. In der ersten Stunde sollten wir alles zusammenstellen. In der kleinen Pause mußte ich auf’s Klo. Währenddessen hatte Herr E. meine Sammlung inspiziert. Dann sagte er zu mir, so sei das nicht gemeint gewesen. Es müsse darum gehen, was Flucht für die Flüchtlinge bedeute, und nicht, was sie für mich bedeute. Beziehungsweise für Deutschland.“
11. Juni 2016 – Was weiß ich von Flüchtlingen? Ich meine, aus dem real life? Ehrlich gesagt: Wenig. Ich lese mir mittlerweile die Sachen an. Einerseits aus den Mainstreammedien, andererseits aus dissidenten Quellen. Da man einigermaßen leseerfahren ist, ergibt sich ein Bild. Erster Hand ist wenig, hier in der deutschdeutschen Provinz.
Für (zahlreiche) Nachrichten aus zweiter Hand bürgen jene beiden großen Töchter, die mittlerweile in Großstädten studieren. Manchmal glaube ich, die beiden haben einen gewissen Erlebnis-/Erkenntnishunger von mir geerbt.
Ich erinnere mich noch an ein Gespräch aus meinen Abiturzeiten. Meinte eine: „Meine Güte, Ellen, was Du immer erlebst! Deine Geschichten könnten ja Bücher füllen! Du bist irgendwie dauernd unterwegs, oder?“ Knurrte damals die Stufenlinke, meine beste Feindin, dazwischen: „Ja, erstens das. Zweitens nimmt die Ellen anscheinend jeden irgendwie ernst, der ihr ein Gespräch auf’s Auge drückt. Dann hat man halt Geschichten zu erzählen.“
Jedenfalls könnte ich nun mit den Flüchtlingsgeschichten meiner in urbanen Gefilden wohnenden Kinder „Bücher füllen.“ Die eine (Thüringen) erlebt etwa eine pro Woche, die andere (Bayern; daneben: besonders auffälliges Äußeres) nahezu täglich mehrere.
Ich habe in meinem Leben noch nicht mit so vielen Afghanen, Syrern etc. gesprochen wie die beiden Großen im vergangenen Dreivierteljahr. Hochinteressant sind die Begegnungen fast immer.
Zwischen zudringlichen Heiratsanträgen (Inder) und regelmäßigen Schachtreffen (Perser): alles dabei. Schlimme Belästigungen im Zug (schwarz), nette Essenseinladungen (Kurden) ebendort, abendlang fortgesetzte radebrechende Diskussionen über französische Philosophie des 20. Jahrhunderts (wieder: Iran), Nachstellungen, liebe Pflückblumenstraußübergabe durch anhängliche Syrerkinder: Bunter geht’s kaum.
Neueste Beobachtung: im studentisch-urbanen Milieu ist es wohl schick, zu privaten Klein-Parties ein paar Flüchtlinge einzuladen. Aktuelle Bekanntschaft der Tochter: A. aus Afghanistan. Ist nie zur Schule gegangen. Will hier unbedingt Arzt werden. Aber ganz ernsthaft! Ist nun Klassenbester in der Hauptschule. Kotzt sich über seine Mitschüler aus: „Die Deutschen haben null Respekt. Vor keinem Lehrer.“
A. liest Tag und Nacht. Ist vor vier Jahren in der Türkei zum Christentum konvertiert. Kennt – behauptet die Tochter – „die Bibel echt auswendig.“ Ich hake mißtrauisch nach. Christliche Mission im türkischen Asyl?
Tochter, seufzend: „Mama. Mach Dir mal keine Sorgen. Ja, ich will, daß mir meine Kinder mal sehr ähnlich sehen. Mit Muhammed Ali kann ich das ja jetzt getrost sagen, gell.“
Druide
Das ist aus meiner Perspektive das Drama der Gegenwart: Wie gut wollte dieser Lehrer sein? Es ist die Erschütterung, die mit seinem Versagen verbunden ist, die uns so aufreibt. Das ganze zu persiflieren und zu versimplfizieren, wäre so wunderschön und ergiebig. Allerdings geht es um mehr, deshalb ist es nicht mehr witzig, sondern bestenfalls tief tragisch.
Wie Ihr Kind das durchschaut, würde mich dennoch mehr interessieren, als dass es das tut.
Kositza: Wie: w i e? Falls ich die Frage richtig verstanden habe: Ich denke, weil es durch seine Eltern geprägt ist. Daß die Kinder dabei eine Art "kritischen" Blick auf Leute entwickeln, die sie eigtl. als Autoritätspersonen wahrnehmen sollten, empfinde ich übrigens als eher negativen Nebeneffekt.