daß ich anstelle der von mir als nicht vertrauenswürdig eingestuften pseudostaatlichen Institutionen unserer Tage doch bitte alternative Institutionen benennen möge.
Da ich mit Gehlen, der u. a. auch Sprache, Rituale und Kulte zu den Institutionen rechnet, die Institution sehr grundlegend und mithin weit über das Bürokratische und Technokratische hinaus verstehe, fällt mir das nicht schwer. Es sind, dies will ich vorwegnehmen, ausschließlich auf engen personalen Bindungen beruhende Institutionen.
Und noch etwas möchte ich vorausschicken: Es kann sein, daß der eine oder andere Leser die intellektuelle Relevanz der folgenden Bestandsaufnahme vermißt und die Schlichtheit meiner Ausführungen bemängelt. Diese Schlichtheit ist indes Programm – sie zeigt nichts anderes, als daß alles gar nicht so schwierig sein muß.
Ich benenne als prinzipiell vertrauenswürdige Institutionen die Familie, den Freundesbund, die Jagd- oder Kampfgemeinschaft, den kultischen Bund (anders als Jack Donovan lasse ich Frauen auf allen Ebenen zu, würde ich mich ohne sie doch ziemlich langweilen).
Es sind die einfachsten und anfänglichsten Formen des sozialen Miteinanders – archaisch, seit Jahrtausenden bewährt, im Westen allerdings zivilisatorisch zurückgedrängt. Man könnte auch sagen: Wir haben uns diese Dinge abschwatzen lassen ähnlich wie ehedem die Indianer, als sie die Halbinsel Manhattan gegen wertlosen Tand eintauschten.
Natürlich ist mir bewußt, daß unter jene archaischen Institutionen auch (nach den Maßstäben moderner Rechtsprechung) höchst zweifelhafte Organisationen fallen, auf Blutsverwandtschaft basierende Clans und Geheimbünde. Gönnen wir uns dennoch einen unvoreingenommenen Blick auf diese etwas anderen sozialen Institutionen.
Diese Unvoreingenommenheit ist, das ist mir klar, eine Zumutung, leiden wir doch auch unter solchen archaischen Institutionen und keineswegs nur unter den eigenen rest- oder pseudostaatlichen Institutionen. Wir stehen inmitten der Konfliktzone – auf der einen Seite haben wir jene pseudostaatlichen Institutionen und krakenartigen Großbürokratien, die sich zwar vom Bürger üppig alimentieren lassen, sich ihm gegenüber aber immer wenig verantwortlich fühlen und sich oft sogar gegen ihn wenden.
Auf der anderen Seite erstarken – von den pseudostaatlichen bzw. supranationalen Institutionen oftmals unbehelligt und strukturell sogar gefördert – in den Parallelgesellschaften der Zuwanderer die archaischen Institutionen. Wir stehen im Niemandsland – immer in Gefahr, von beiden Seiten unter Beschuss genommen zu werden.
Nun will ich nicht behaupten, daß ausgerechnet die archaischen Institutionen zugewanderter Parallelgesellschaften mir Vertrauen oder gar den Wunsch nach Anschluss einflößen würden. Aber ich erkenne in ihnen etwas, das uns fortgeschrittenen Zivilisationsmenschen zu unserem Nachteil weitgehend abhanden gekommen ist.
Es wurde anfänglich durch das römische Recht und die christliche Moral domestiziert, diskreditiert und dezimiert, Restbestände schließlich durch die Industriegesellschaft und die Globalisierung erledigt. Die alles entscheidende Frage ist, ob da in entlegenen Winkeln in uns doch noch hinreichende Substanz ist, ob da vielleicht noch Wurzelreste, letzte Verbindungen sind, die reaktiviert werden können. Denn wir hatten all das ja einmal selbst, es war in uns – Türken, Chinesen, Libanesen haben die archaischen Strukturen nicht erfunden, sie haben sie im Unterschied zu uns nur nie aufgegeben.
Diese Wildheit in uns liegt – je nach Herkunftsgebiet und Zivilisationsstufe – vielleicht 50, vielleicht auch erst 20 oder noch weniger Generationen zurück. Sind diese Quellen für alle Zeiten versiegt und verschüttet oder lassen sie sich wieder freilegen?
Ehe man in mir den mettrunkenen oder bilsenkrautberauschten Wikinger wittert: Nein, ich will nicht mit Drachenbooten den Rhein oder die Spree hinaufrudern und alles in Schutt und Asche legen. Ich prüfe lediglich die Möglichkeit, die Urstrukturen auf zeitgemäße Art wiederzubeleben.
Aber ist gerade der Bezug auf das Zeitgemäße dann nicht in sich widersprüchlich? Die zeitgemäße Familie – das ist doch die entwurzelte Kleinfamilie, die eben keinen Schutzraum mehr bietet. Und der zeitgemäße Glauben – ist das nicht jenes kraftlose, unverbindliche Gutmenschenchristentum? Und ist die zeitgemäße Verbindung von Individuen nicht gerade die Nichtigkeit sozialer Netzwerke oder allenfalls die Kollegialität zeitweise kooperierender Jobnomaden?
So scheint es. Aber so ist es nicht. Wir müssen nur den einen, den existenziellen Schritt wagen und diese Surrogate links liegen lassen und ins Freie hinausgehen. Im Weg steht uns nur unsere eigene Bequemlichkeit, vielleicht auch Verlust- oder Versagensängste. Wir gleichen schon ein wenig den Gefesselten in Platos Höhle, die partout nicht hinter das vertraute Schattenspiel blicken und schon gar nicht ins freie Licht der Sonne treten wollen. Nehmen wir Kants Rede von der selbst verschuldeten Unmündigkeit doch endlich einmal ernst.
Erste Schritte sind niemals einfach. Nichts Wesentliches ist einfach. Was zu tun ist, ist elementar menschlich: Wir müssen die anderen finden, die auch auf der Suche sind. Wir müssen die anderen, die vielleicht nur von der Suche träumen, erkennen und sie ermuntern, nicht nur zu träumen.
Warum nicht eine Familie gründen – gegen alle Widerstände? Ohne Kinder keine Zukunft. Und dann unter Einbeziehung auch entfernterer Verwandtschaft. Ist diese bereits ausgedünnt oder unzuverlässig, setze man auf Wahlverwandtschaften – Blut mag zwar dicker sein als Wasser, aber Wasser ist allemal erfrischender und beweglicher. Man gibt ein wenig Individualismus auf, fügt sich ein – freiwillig und ohne Druck. Und dann lernt man, zusammenzuhalten.
Man gibt das Geld nicht vorrangig für die eigene Bedürfnisbefriedigung aus, sondern sorgt für das Fortkommen der Familie, hilft anderen in Notlagen (nicht nur Cousins und Tanten zählen, sondern eben auch die Wahlverwandtschaften) und kann sich im Gegenzug dann ebenfalls auf Hilfe verlassen.
Die reststaatlichen Strukturen werden auf diese Weise nach und nach entbehrlich und ausgehebelt. Der Staat hat sich schließlich durch nichts anderes unentbehrlich zu machen versucht als durch das Versprechen von Familienersatzleistungen: Hilfe bei Krankheit und Armut, in der Kinderbetreuung und bei der Ausbildung, beim Schutz vor Übergriffen. Die Botschaft war doch: Du brauchst keine Familie mehr, denn du hast ja den starken Staat an deiner Seite. Das alles zerbröselt nun vor unseren Augen – der Einzelne steht ziemlich einsam da, weder Familie noch „Vater Staat“ (diese alberne Phrase hat man tatsächlich einmal ernst genommen) stehen bereit.
Was das Kultische angeht: Es ist notwendig. Und niemand, der an den christlichen Gott glaubt, muss diesen Glauben aufgeben. Aufzugeben sind wohl nur die Kirchen in ihrer heutigen Gestalt. Warum nicht den urchristliche Rückzug in die Katakomben wagen? Auf daß in ihnen neues Leben entstehe – eine Wiederauferstehung. Gleiches gilt für andere wieder erweckbare Kulte. Ohne Wagnis kein Weg.
Wir müssen auch noch in anderer Hinsicht auf die anderen zugehen, uns zusammentun, gemeinschaftlich das große Werk angehen. Ohne Angst vor dem Scheitern. Und immer bereit, mehr zu geben, als wir nehmen. Ich rede deshalb jetzt auch von der Ökonomie und vom Sozialen.
Ich appelliere an alle, zu Gründern zu werden – zu Gründern einer neuen Lebensweise. Denn nur solche Gründung reicht bis auf die tiefsten Gründe hinab. Aber viele der hier Angesprochenen ziehen es nach meinem Eindruck vor, schon zum Morgenkaffee die neuesten schlechten Nachrichten gallig zu kommentieren und für den Rest des Tages in grummelnder oder grollender Unlust zu verharren. Was genau ändert sich eigentlich durch solche übellaunige Passivität? Richtig: Nichts.
Wie wäre es stattdessen mit etwas mehr Initiative – und zwar im Sinne der eben erwähnten Gründung? Geht nicht auch hier Schnellroda mit gutem Beispiel voran? Doch schauen wir zur Abwechslung auch mal auf die anderen.
Ohne daß ich im Folgenden das linksalternative Modell als strahlendes Vorbild hinstellen möchte, lohnt sich doch ein aufmerksamer Blick zurück. Man kann vielleicht etwas lernen.
Viele ökologische und soziale Projekte von links wurden seit den frühen 70ern gegen den oft deutlichen Widerstand der damaligen Mehrheitsgesellschaft und ohne den heute für solche Projekte selbstverständlichen institutionellen Rückenwind gestartet. Man hatte im sich langsam formierenden grünalternativen Milieu ein in sich geschlossenes Weltbild, das enorme Kräfte freisetzen konnte, weil es dem eigenen Selbstverständnis nach auf etwas grundsätzlich Positives gerichtet war – und schuf Schritt für Schritt vor allem im Kleinen und Überschaubaren viele eigenständige ökonomische Strukturen, tat sich zu Projekten zusammen, wurde als Subkultur zunächst belächelt, verspottet oder verachtet und wurde doch immer präsenter.
Natürlich gab es auch viele Projekte, die scheiterten. Natürlich gab es moralische Verworfenheit und menschliches Elend – das war keine heile Welt friedliebender Latzhosenträger und genügsamer Müsliwiederkäuer. Aber irgendwann in den späten 70ern und frühen 80ern hatte dann fast jede Kleinstadt in der alten BRD ihren Bioladen, ihre Kulturwerkstatt, ihren alternativen Fahrradladen und vieles andere mehr – man wedelte dabei nicht ununterbrochen mit dem ideologischen 68er-Fähnchen, sondern lebte den Gegenentwurf einfach vor.
Es gab bald überall im Land ökologisch wirtschaftende landwirtschaftliche Betriebe, Cafés, Kneipen, Hersteller von Lebensmitteln und Möbeln, Erziehungs‑, Beratungs- und Rechtshilfeeinrichtungen, ein eigenes Bankenwesen, Zeitungsprojekte, Verlage, Musiker – alle werkelten mit Energie am großen Projekt, es entstanden – bei allen Differenzen innerhalb dieser vielschichtigen Großszene – ein funktionierendes Großkollektiv (wir würden lieber sagen: eine Gemeinschaft). Man lebte mit- und voneinander.
Nachdem das grünalternative Modell immer mehr Anhänger auch im bürgerlichen Lager gefunden hatte, nahm es auch ökonomisch immer mehr Fahrt auf. Die Medien berichteten zunehmend wohlwollend. So wurde aus dem grünalternativen Modell binnen weniger Jahre eine tonangebende gesellschaftliche und später auch politische Macht.
Die Anfänge fanden wohlgemerkt zu Zeiten statt, als dieses Milieu noch nicht wie heute durch die inzwischen von den eigenen Leuten übernommenen staatlichen Institutionen verhätschelt und finanziell gefördert wurde. Man ging seinen Weg, wurde in der Fläche sichtbar, erlebbar, konnte durch das eigene Vorbild Überzeugungsarbeit leisten, wurde – auch wenn es manchen hier wehtut – glaubwürdig durch sichtbar vorgelebtes Leben, nicht durch fruchtloses Herumstänkern.
Das konnte nur gelingen, weil in der Fläche unzählige Berührungs- und Kristallisationspunkte geschaffen wurden – und weil es im Hintergrund eine politische Botschaft gab, die etwas versprach, was konsensfähig war: Wir werden die Natur schützen, eine solidarische Welt schaffen und die Lebenssituation vieler Menschen verbessern (Umwelt, Anti-AKW, Frieden, andere Ernährungs- und Lebensformen). Man muss das alles nicht naiv idealisieren (zumal sich aus alledem zwischenzeitlich ein ziemlich unangenehmes Bevormundungsunwesen entwickelt hat), aber es zeigt eindrucksvoll, daß man etwas bewegen kann, wenn man nur will und die Sache mit Überzeugung und Optimismus anpackt.
Auf diese Weise – und nur auf diese Weise – wachsen neue, tragfähige Strukturen und Institutionen heran. Nur auf eins sollten wir achten: daß wir dann nie so werden wie jene anderen. Also niemals Gouvernanten werden. Und Wurzeln werden wir stets für wichtiger halten als jede noch so verlockende Utopie.
Natürlich macht das alles noch keinen Staat. Und natürlich reicht all das eben locker Skizzierte noch lange nicht aus. Aber das sind (wir sind! – jeder Einzelne von uns!) mögliche Keimzellen für die Entwicklung funktionierender neuer Strukturen. In den Anfängen entsteht – die heutigen Mehrheitsverhältnisse richtig eingeschätzt – vielleicht nur eine weitere Parallelgesellschaft. Aber es könnte diejenige sein, die sich auf Dauer durchsetzen wird.
Morbrecht
Der These, dass das Potential für starke Gemeinschaften durch das Christentum "diskreditiert und dezimiert" worden sei, widerspreche ich. Die katholische Kirche ist nicht nur die dauerhafteste Institution in der Weltgeschichte, sondern hat gerade in Europa unter Anknüpfung an die Stärken heidnischer Konzepte (Kriegergefolgschaften, kultische Bünde etc.) mit dem Rittertum ein noch stärkeres Konzept geschaffen, ohne das es Europa heute nicht mehr geben würde.
Auch für den Sozialstaat und seine in der Tat problematischen Folgen kann man nicht das Christentum verantwortlich machen, dass diese Aufgaben im Sinne des Subsidiaritätsprinzips in der Familie oder allenfalls in der Gemeinde verortet sieht.
Davon abgesehen stimmt es natürlich, dass zahlreiche Verfallserscheinungen auch in der katholischen Kirche um sich greifen. Die Kirche war aber schon in schlechterer Verfassung als heute (etwa vor dem Beginn der Reformation) und hat sich immer wieder erneuert. Gerade jetzt bilden sich wieder Erneuerungsbewegungen in ihr, von denen man noch hören wird.