hieß es etwa anerkennend in der Zeit, »befreit sich aus dem Korsett der Wissenschaft«. Es wird nach der Einleitung des Buches deutlich, was damit gemeint ist, allerdings ist dieser Umstand eher zu bedauern denn zu loben.
Was der Autor, immerhin Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, vorlegt, ist keine tiefschürfende Analyse der Wendepunkte und Widersprüche in der Lebensgeschichte eines Staatsmannes, wie man es etwa von mehreren Stalin-Biographien kennt, sondern eine Beurteilung anhand normativer Maßstäbe der Gegenwart. Das allein wäre kein Grund, die Biographie enttäuscht beiseite zu legen. Auch »engagierte« Geschichtsschreibung kann lesenswert sein, solange sie auf raunende Spekulationen verzichtet.
Ein Beispiel für letzteres: Der junge Mussolini der Zeit vor 1914 habe bereits als revolutionärer Sozialist die Standardwerke der Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts gelesen. Dabei habe er sich bei der Lektüre nicht explizit von den Inhalten distanziert, bejahte gegebenenfalls also deren Thesen. In dieser Logik hieße es also: Wer sich von gelesenen Büchern nicht öffentlich distanziert, stimmt zu.
Es treten weitere Mängel auf. Einmal wird Mussolini in seiner Frühphase als Antiimperialist gezeichnet, der gegen die Kolonialabenteuer in Nordafrika agitierte. 80 Seiten später erfährt der Leser, daß Mussolini schon als Kind und junger Erwachsener an den fehlenden imperialen Erfolgen gelitten habe. Dann werden die eurofaschistischen Gruppen der Comitati d’Azione per l’Universalità di Roma (CAUR) Mussolinis vorgestellt. Fast alle der internationalen Teilnehmer beim Kongreß von Montreux 1934 werden als Rassisten und Antisemiten angeführt.
Die CAUR als »Vorstufe zur faschistischen Internationale« (Hans Werner Neulen) waren jedoch explizit darum bemüht, Rassendenken fernzuhalten: Vidkun Quisling, Vertreter des Nasjonal Samling Norwegens, vermißte deswegen eine völkische Schlagseite, der Rumäne Ion Moţa monierte das Fehlen des Antisemitismus beim Gros der Teilnehmer, woraufhin eine Debatte um die sogenannte Judenfrage entstand.
Die abschließende Resolution versuchte sich am Spagat, daß jede Nation selbst feststellen müßte, was ihrer Integrität nutze, daß eine internationale Kampagne gegen Juden indes kategorisch auszuschließen sei. Völkische Nationalisten aller Länder ignorierten die CAUR daher und wandten sich NS-Deutschland zu. Das könnte ein ehemaliger Chefredakteur der renommierten Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte wissen. Leider berichtet Woller aber insgesamt wenig Erhellendes über Benito Mussolini und den Faschismus; die gesamte Biographie kann auf den mißglückten Versuch reduziert werden, Mussolini als dritten Satan neben Hitler und Stalin zu positionieren.
Auch sein Blick auf die italienische Gegenwart erscheint zu oberflächlich, zu pauschalisierend. Neofaschisten in Italien wüßten »vom historischen Faschismus nicht viel«. Dort agierten »Hooligans« und andere gewaltbereite rechtsradikale Gruppen mit »Verbindungen in die kriminelle Unterwelt«. Bedauerlicherweise erweist sich Woller auch hier als ein Autor, der das ethische Unbehagen an seinem Forschungsgegenstand allzu deutlich und überdies holzschnittartig darbietet.
+ Hans Woller: Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biographie, München 2013. 397 S., 26,95 €.