Das Kernanliegen der französischen Historikerin ist es dabei, revolutionäre politische Emotionen verständlich zu machen und zu zeigen, daß die Gewalt, die Frankreich 1789 und 1793/94 traf, mangels gangbarer politischer Alternativen folgerichtig war.
Wahnich will die Französische Revolution in ihrer Gesamtheit rehabilitieren, und sie meint damit die integrale Revolutionsgeschichte, keinen entkoffeinierten Kaffee, also: keine Scheidung von begrüßenswerten hehren Idealen (Menschen- und Bürgerrechtserklärung, Abschaffung der Feudalzustände) einerseits und abzulehnender Gründungsgewalt (»La terreur«) andererseits, sondern die Affirmation einer historischen Zäsur mit all ihren verstörenden Freisetzungen zerstörerischer Gewalt auch während der Schreckensherrschaft (September 1793 bis Juli 1794).
Ihre Argumentation verläuft überwiegend in klassischen Bahnen: Ein umwälzender gesellschaftlicher Prozeß rufe die konterrevolutionären Kräfte auf den Plan, diese würden den gesamten Akt der Revolution gefährden, so daß das Schwert die einzige nachhaltige Option bleibt, den Bestand der Revolution und das begonnene, emanzipatorische Aufbauwerk der Republik zu bewahren. Interessanter ist Wahnichs Verweis auf die Kernanliegen der Revolutionäre, denn sie vermittelt die Revolutionsgeschichte als (stark idealisierte) Volksgeschichte; dementsprechend resultiert bei ihr die Gewalt des sich erhebenden Volkes aus den Klassenantagonismen des vorrevolutionären Frankreich.
Wahnich lehnt dabei die gängige Vorstellung der Revolutionäre als Ansammlung fanatischer Egalitaristen ab, vielmehr habe es gegolten, in einem Akt der strikten Disziplinierung der Gesellschaft »die Arbeit dem Müßiggang entgegenzuhalten, die Tugend dem Laster«, und der Arbeit an sich wieder Wert zu geben gegenüber der arbeitsverhöhnenden Dekadenz der Feudalherren. Für diese Argumentation zieht sie Robespierre heran, der die »Gleichheit aller Güter« für eine »Schimäre« hielt: »Es gilt viel eher, die Armut ehrbar zu machen, als den Überfluß zu verbieten«, so der jakobinische Scharfmacher.
Angesichts dieses Aspekts, den Wahnich ausführlich darlegt, wird verständlicher, wieso so unterschiedliche Denker der politischen Rechten des 20. Jahrhunderts – darunter der Nationalbolschewist Ernst Niekisch und der Eurofaschist Maurice Bardèche – Gefallen am plebejischen, im wahrsten Sinne des Wortes spartanischen Geist der Französischen Revolution fanden. Deren in Aufsätzen und Büchern publizierte Sympathien für die soziale Dimension von 1789ff. sind heute kaum noch präsent.
Es ist dies auch der Grund, weshalb sich die Lektüre der Wahnich-Schrift als Ergänzung der Standardliteratur zur Französischen Revolution lohnt: Jenseits der in der Rechten üblichen pauschalen Revolutionsverdammung im Zeichen der Gegenrevolutionäre à la Joseph de Maistre bietet Wahnich gewissermaßen einen Blick von unten auf die blutigen Ereignisse von damals. Diese – wieder: im Wortsinne – populistische Sicht auf die Dinge gefällt natürlich Žižek, der schon länger recht einsam einen neuen, forschen Blick auf die Gewaltfrage als Gründungsmotor einer Revolution fordert.
Weniger erhellend ist indes das Nachwort Wahnichs, das unter dem Eindruck der Terroranschläge in Frankreich vom Januar und November 2015 entstand. Sie verzettelt sich hierbei in stereotyper, linksrepublikanischer Phraseologie: Die Aufklärung müsse gegen jedwede Extreme verteidigt werden, der Erhalt der modernen Gesellschaft erfordere tägliche Anstrengung aller, die Französische Revolution und ihre Ideale dürften nicht verabschiedet werden.
Sophie Wahnich ist Historikerin und Forschungsdirektorin am renommierten Centre national de la recherche scientifique in Paris. Ihre Stärke ist die parteiische »große Erzählung« der Französischen Revolution, gewiß keine Gegenwartsanalyse.
+ Sophie Wahnich: Freiheit oder Tod. Über Terror und Terrorismus, Berlin 2016. 222 S., 15 €.