an dem hübschen & subtilen Pseudonym. Der “Wawerka” aus Erich Kästners Fliegendem Klassenzimmer! Nach weiteren klugen und besonnenen Beiträgen googleten wir diesem “Wawerka” ein bißchen hinterher. Witzig war, daß es einen evangelischen Pastor mit Namen “Thomas Wawerka” (Jahrgang 1975) gleich um die Ecke, im sächsischen Frohburg gab!
Als sich der Verdacht erhärtete, daß hier einer mit offenem Visier schrieb, nahmen wir Kontakt auf. Ob das nicht ein bißchen tollkühn sei, in heutigen Zeiten unter Klarnamen zu schreiben? Nein, beschied Wawerka, er habe ein reines Gewissen. Er predige auf der Kanzel niemals politisch und äußere im Kommentarbereich hier ja nichts, was irgendwie krude oder nicht von dem verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Und doch: Die Einschläge kamen näher. Beizeiten wurde Pfarrer Wawerka “ins Gebet” genommen und seit September ist der Pfarrer arbeitslos. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. “Natürlich” habe das nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun. Ich habe mit Thomas Wawerka ein Gespräch über seinen Fall geführt, er selbst ist für Nachfragen oder Unterstützungsvorschläge ab sofort erreichbar unter wawerka(at)sezession.de. Ich leite die Nachrichten an ihn weiter.
Kositza: Herr Wawerka, wen haben Sie vor den Kopf gestoßen? Teile Ihrer alten Gemeinde?
Wawerka: Da ist etliches hinter verschlossenen Türen geschehen, das ich nur zum Teil erfahren habe oder durchschaue. Meine Gemeinde hat jedoch nichts damit zu tun, die hätte mich gern als Pfarrer behalten. Ich pflegte ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern und eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand, die allermeisten Gemeindeglieder kamen gut mit mir klar, und ich mit ihnen ebenfalls. Ich bin von Herzen begrüßt und eher unter Schmerzen verabschiedet worden. Die Entscheidung, meinen Arbeitsvertrag nicht zu verlängern, wurde von meinen Vorgesetzten (dem Superintendenten in Borna und der Personaldezernentin im Landeskirchenamt in Dresden) ohne jegliche Rücksprache mit der Gemeinde getroffen. Das bedeutet, daß es bei dieser Entscheidung nicht um die Beurteilung meiner Arbeit ging, sondern um mich persönlich; darum, ob ich ins Profil der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens passe. Offensichtlich ist das nicht der Fall.
Kositza: Wie hat man das denn begründet?
Wawerka: Die Begründungen waren zum Teil an den Haaren herbeigezogen. Beispielsweise wurde mir vorgeworfen, daß ich mit der kirchlichen Ämterhierarchie nicht klar käme – dabei habe ich das bißchen Hierarchie, das es noch gibt, gegen die fast schon selbstverständlichen Nivellierungstendenzen verteidigt. Oder daß ich illoyal gegenüber meinen Amtskollegen wäre, was ich geradezu grotesk finde, da meine Loyalität schwer zu brechen ist und ich auch mit den linken und/oder liberalen Kollegen stets das theologisch und zwischenmenschlich Einende als Basis suchte – Sie wissen, wie ich mich geziert habe, diesem Interview zuzustimmen, aus Sorge, es könne als Illoyalität aufgefaßt werden.
Der Kern war der für mich absurde Vorwurf der “Menschenfeindlichkeit”. Es gab da einen gut gefüllten Aktenordner, der alle Kommentare enthielt, die ich auf SiN, auf Facebook und wohl auch anderswo gepostet habe. Ich habe immer unter meinem Klarnamen gepostet, und zuweilen habe ich gewiß zugespitzt oder in ironischer Übertreibung formuliert, manchmal auch grob.
Kositza: Ich kenn durchaus solche Zuspitzer und Grobiane aus unserem Kommentarbereich, die aber dennoch ein gutes Herz haben. Nun erinnere ich mich an ü b e r h a u p t keine Überspitzungen aus Ihrer Feder!…
Wawerka: Naja, vielleicht empfindet das jeder anders. Aber auch mir als Pfarrer muß das zugespitzte oder grobe Wort erlaubt sein. Wenn man sich nur noch zitierfähig äußern kann, bleiben am Ende nicht mehr als nichtssagende Wortblasen übrig. Denken Sie nur mal an Martin Luthers Sprache … Offensichtlich hat jemand alle meine Kommentare gesammelt und sich bei der EKD-Leitung über mich beschwert. Ich ahne auch, wer es ist. Die EKD hat wiederum Druck auf die sächsische Kirchenleitung ausgeübt. “Ihretwegen haben wir jetzt richtig große Probleme”, wurde mir im Landeskirchenamt beschieden. Die sächsische Kirche steht ohnehin unter dem permanenten Verdacht, zu wenig gegen “rechts” zu tun, und mir war vom Landeskirchenamt das Etikett des “Pegida-Verstehers” zugeteilt worden. Die Auskunft, es ginge nicht um meine persönliche politische Orientierung, sondern um die “Menschenfeindlichkeit” meiner Kommentare, erscheint mir ehrlich gesagt hanebüchen. Ich vermute eher, hier sollte ein Exempel statuiert werden.
Kositza: Politische Predigten gibt es in Kirchen ja bekanntlich zuhauf. Die sogenannte Flüchtlingskrise bot ja gerade linksfühlenden Pfarrern reichlich Gelegenheit. Haben Sie die Kanzel denn als Ort genutzt, um ein bißchen Wasser in den süßen Willkommenswein zu gießen?
Wawerka: Nein. Das hat hauptsächlich zwei Gründe. Zum einen nimmt man ja wahr, daß selbst sehr vorsichtige und zurückhaltend kritische Äußerungen schnell skandalisiert werden können. Mir steht das Beispiel einer Kollegin aus Brandenburg vor Augen, die im Gottesdienst für verfolgte Christen betete, kurz darauf ein Dienstaufsichtsverfahren wegen “Fremdenfeindlichkeit” am Hals hatte und seitdem unter dauernder Beobachtung ihrer Vorgesetzten steht. Das begann wie auch bei mir mit der Pressure-group-Taktik linker „Aktivisten“. Gegen Vorwürfe wie “Fremdenfeindlichkeit” oder “Menschenfeindlichkeit” kann man sich nicht wehren, weil es um nichts Objektives geht, das man widerlegen könnte oder das überhaupt nachgewiesen werden müßte. Vielmehr kann der, der den Vorwurf erhebt, den Begriff füllen, wie es ihm beliebt – und man findet sich plötzlich in einer Ecke wieder, aus der man nicht mehr rauskommt, zumindest nicht rhetorisch.
Zum anderen, und das ist für mich das schwerer wiegende Argument, verstehe ich mich auf der Kanzel vorrangig als Ausleger der biblischen Texte und als Glaubenslehrer, so altbacken das jetzt auch klingen mag, aber das ist doch die eigentliche Aufgabe des Theologen und Predigers, nicht das Bewerben oder Verwerfen politischer Positionen. Freilich predigt man nicht in ein Nirwana hinein, sondern in eine konkrete geschichtliche Situation mit ihren ethischen Herausforderungen; freilich besteht eine Wechselwirkung zwischen Kirche und Welt, Glauben und Leben. Mitunter kann es fruchtbar sein, politische Phänomene in der Predigt mitzubedenken, wenn der Bibeltext das hergibt – obwohl ich das brennend Aktuelle lieber ins Fürbittengebet hineinnehme, statt es mit vielen Worten zu zerreden.
In den letzten zwei Jahren habe ich jedoch an keinem Gottesdienst teilgenommen, in dem die Predigt nicht früher oder später auf die Flüchtlingsproblematik zurechtgebogen wurde und in einem Gewitter moralischer Appelle gegen „rechts“ endete, und das betrifft beide Kirchen. Es ist für mich kaum zu begreifen und nur schwer zu ertragen, dass so viele meiner Kollegen persönlich und die Kirchen insgesamt, als Institutionen, sich derart politisch instrumentalisieren lassen. Das hat sicher einiges mit den zeitgeschichtlichen Entwicklungen seit ’68 zu tun, muß darüber hinaus aber tiefere, geistliche Ursachen haben. Ich habe mich jeglicher Instrumentalisierung entschieden verweigert und auf der Kanzel eine strenges Regiment der “politischen Hygiene” betrieben – das schien mir notwendig, um meiner Berufung als Prediger gerecht werden zu können.
Kositza: Gut. Nun steht man als Pastor doch aber „in der Welt“ und kann daher nicht nur vom Himmel reden, wenn die Leute auf Antworten auf diesseitige Fragestellungen warten, oder?
Wawerka: Genau. In meine Predigten aufgenommen habe ich konkrete, anschauliche Begebenheiten. So schilderte ich im letzten Weihnachtsgottesdienst die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus dem kurdischen Irak. Mann und Frau waren von ihren Eltern für jeweils andere Partner bestimmt, verliebten sich aber und verweigerten die Zwangsheirat. Die Frau gebar einen Sohn, blind und mit Gaumenspalte. Die Eltern des Ehepaars erklärten, dies sei die Strafe Allahs für ihre Sünde. Der behinderte Sohn sollte mit Drogen getötet werden. In ihrer Verzweiflung besuchten die jungen Eltern den Gottesdienst einer christlichen Gemeinde. Dort hörten sie als Evangelium Johannes 9,1–3. Dieses Wort befreite sie aus ihrer Angst und Verzweiflung. Sie wurden Christen, ließen sich taufen und nahmen als neue Namen “Josef” und “Maria” an. Ihre Familien verstießen sie, sie erhielten Asyl in Deutschland. Ich lernte sie in Borna kennen – eine Familie, die Asyl bei uns benötigt, weil sonst ihr Leben in Gefahr ist; eine Familie, die sich mit all ihrer Kraft bei uns zu integrieren versucht.
Mittlerweile sollen sie abgeschoben werden, irgendein Beamter hat den Vorwurf erhoben, sie hätten sich nur taufen lassen, um sich Vorteile für die Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Mit meinem katholischen Kollegen habe ich einen Brief verfaßt, in dem wir diesen Vorwurf widerlegen und für die Beibehaltung des Asyls plädieren. Zur Not hätten wir ihnen auch Kirchenasyl gewährt. Diese persönliche Begegnung, diese Geschichte mit all ihren Härten, in der doch gleichzeitig die Kraft des Evangeliums so klar und deutlich aufscheint, schien mir ein gutes Gegengewicht zur üblichen sentimentalen Weihnachtsfolklore zu bilden. Auch die Anschläge in Paris vom 7.1. und 13.11. letzten Jahres habe ich in meine Predigten und ins Gebet aufgenommen.
Als Pegida Fahrt aufnahm und in der Berichterstattung eine dumpfe, ressentimentgeladene Hysterie dominierte, habe ich einen “offenen Abend” veranstaltet, über die Unterschiede zwischen Christentum und Islam informiert und den Fragen, die Pegida stellt, einen Raum zur Diskussion gegeben. Das war ein Abend mit anregenden Gesprächen, mit offenem, ehrlichem Suchen. Und auch das Gebet für die verfolgten Christen hatte in meinen Gottesdiensten selbstverständlich einen festen Platz.
Jenseits der Kanzel habe ich mich mit meinen politischen Ansichten zu erkennen gegeben. Ich habe sie niemandem aufgedrängt, sie aber auch nicht zurückgehalten, wenn ich gefragt wurde. Die meisten Leute konnten gut damit umgehen, etliche äußerten auch Anerkennung dafür, dass ich ins Marschblasen des Mainstreams nicht mit einstimmte. Die meisten Leute in den Gemeinden hier neigen zum strukturellen Konservatismus, und die Erinnerung an die sozialen Mechanismen der DDR-Gesellschaft und die befreiende Wirkung der Demonstrationen zur Wendezeit sind noch lebendig.
Kositza: Die Beendigung des Vertrags geschah ja nun nicht aus heiterem Himmel. Es gab Warnschüsse.
Wawerka: Los ging das vor etwa anderthalb Jahren. Ich wurde von meinem direkten Vorgesetzten, dem Superintendenten, zu Gesprächen eingeladen, die ganz freundlich mit der Frage begannen, wie es mir ginge, ob ich mich eingelebt hätte usw., die aber mit der Warnung endeten, genauer darauf zu achten, wo im Netz ich unter Klarnamen schriebe – „damit sind Sie ja identifizierbar“. Ich nickte und wartete, aber mehr kam nicht. Weder beim Superintendenten noch im Landeskirchenamt kam es zu irgendeiner Art inhaltlicher Debatte. Nie. Diese Debatte wurde vielmehr mit allen Mitteln verweigert. Ich wartete darauf, aber mittlerweile habe ich begriffen, dass ich nicht mit dem, WAS ich geschrieben habe, eine „rote Linie“ überschritt, sondern mit dem WIE und WO.
Ziemlich zügig folgten weitere Gespräche, abwechselnd beim Superintendenten und im Landeskirchenamt, zuletzt mit einem Kirchenjuristen als Gegenpart. Mir war völlig klar, daß man mich „auf dem Kieker“ hatte, aber damit konnte ich umgehen. Theologisch konnte man mir ja nichts vorwerfen, von der praktischen Amtsführung her auch nicht, und was meine Äußerungen im Netz betrifft, so halte ich diese für überwiegend reflektiert und differenziert und durchweg innerhalb des politisch und kirchlich-theologisch akzeptierten Meinungsspektrums positioniert – ich dachte also, was soll mir schon passieren?! Die Kaltschnäuzigkeit, mit der ich dann abserviert wurde, hat mich überrascht und auch entsetzt.
Kositza: Und nun? Wie geht es weiter für Sie? Oder, in Coachingsprache gefragt: Wo sehen Sie sich in einem, in zwei Jahren?
Wawerka: Zunächst einmal muß ich erstaunt feststellen, daß ich mich u.a. auch erleichtert fühle. Die Entbindung von Amt und Würden bringt mehr Freiheit mit sich. Das Korsett, in dem man sich als amtskirchlich ordinierter Gemeindepfarrer bewegt, ist schon recht eng. Jetzt kann ich mich leichter bei Dingen einbringen, die ich für wichtig halte, die mir vorher aber verwehrt waren bzw. zu problematischen Folgen geführt hätten. Ein schönes Beispiel ist die Friedensandacht, die ich in Schnellroda anläßlich des Aufmarschs linksextremer/autonomer Demonstranten gehalten habe. (Für einen Lothar König beispielsweise ist dergleichen natürlich kein Problem, aber er steht eben auf der „richtigen Seite“.) Vielleicht ergibt sich so etwas in Zukunft öfter.
Durch das, was ich im Lauf der Zeit erfahren habe, was ich selbst erlebt oder mit anderen besprochen habe, ist in mir ein Bild gewachsen – eine Vision, wenn Sie so wollen: Eine kleine Kirche, eine kleine Kommunität, die dort im Rahmen eines traditionalen, kulturell selbstbewußten, heimatverbundenen Christentums lebt und arbeitet. Die mit anderer Stimme spricht und in der moralischen Debatte, von der jede politische Äußerung begleitet und gerechtfertigt wird, entsprechend andere Akzente zu setzen vermag. Die vielleicht jene Leute auffangen und seelsorgerlich begleiten kann, die die Amtskirchen verlassen, weil sie sich dort geistlich und politisch nicht mehr vertreten fühlen. – Ich weiß, das ist eine sehr vage Vorstellung, und man bräuchte vor allem die richtigen Leute, weiterhin auch Finanzen und andere Ressourcen, über die ich nicht verfüge … Aber so ist das mit Visionen, wenn was dran ist, wird Gott auch etwas fügen und wachsen lassen.
Milarepa
Sehr geehrter Herr Wawerker,
Ihre Vision werden Sie verwirklichen.
Ganz bestimmt.
Beste Grüße Milarepa