Begleitbrief : “Vielleicht interessiert Sie dieser Roman, der Autor muß Leser Ihrer Zeitschrift sein, denn er läßt die Hauptperson, den Mörder, die Sezession als seine Lektüre erwähnen.” Nicht frei von Sorge, las ich den Roman Bauchschmerzen noch am selben Abend.
Ein junger Mann sitzt in Untersuchungshaft, er hat eine fünfköpfige türkische Familie umgebracht. An sieben aufeinander folgenden Tagen erzählt er dem Gefängnisgeistlichen seine Lebensgeschichte und besteht darauf, daß ein Tonband mitläuft. Zwischen die Abschriften dieser Gespräche sind kurze theoretische Abhandlungen geschoben, die der Täter abends in seiner Zelle niederschreibt und seinem Zuhörer am nächsten Tag übergibt.
Der Autor hat diesen doppelten Kunstgriff mit Bedacht gewählt: Bauchschmerzen ist ein Roman, der viel erklären möchte. Solche Mitteilungsprosa wirkt aufgesetzt, wenn aus der Perspektive eines Erzählers berichtet wird. Die Form des Gesprächs ermöglicht hingegen die Ich-Form und zugleich die Distanz davon, durch den geistlichen Zuhörer, der stellvertretend für den Leser seine Abscheu kundtut.
Worum geht es? Es geht um die Genese des Täters aus der Erfahrung des Alltags und der theoretischen Aufrüstung durch Leute wie uns: In Frankfurt wächst ein Junge auf, kein Raufbold, kein Angsthase, recht intelligent. Die Eltern sind Pazifisten, gefühlslinks. Ganz anders ists mit Akin, dem türkischen Freund, der das Kickboxen lernt und seine Fortschritte an einem deutschen Jungen demonstriert: “Akin drückte ihn an die Hauswand. Jetzt pass auf, sagte er zu mir. Ich zeig dir an ihm ein paar Kicks.” So geht das weiter: Deutsche Mädchen sind Schlampen und werden als solche gedemütigt; deutsche Jungs sind Opfer und sehen sich durch die Lehre von der historischen Schuld und die multikulturelle Ideologie ihrer Muskeln beraubt, die sie für den Widerstand gegen die multikulturelle Realität doch dringend bräuchten.
Der spätere Mörder schiebt die Kulissen beiseite, mit denen ihn seine Lehrer und Eltern umstellt haben. Er liest auf Empfehlung eines Antiquars die Literatur der KR und entdeckt die Junge Freiheit und die Sezession. Er spricht vom “Vorbürgerkrieg” und argumentiert im Sinne der “Provokation”.
Dann gibt er dem Drang in sich nach, endlich etwas gegen die Entwicklung gerade in seiner Stadt tun zu müssen: Er schreitet zur Tat und mordet brutal – das Pathologische tritt deutlich hervor: Man muß – gottlob – so nicht werden, selbst wenn man unsere Zeitschrift liest! Aber es ist unbehaglich, wenn man nachvollzieht, warum der junge Mann für sich keinen anderen Ausweg wußte. Ein bedrückendes Buch.
Gestern war übrigens von Klaus Rainer Röhl ein Leserbrief in der FAZ, zum Fall Kurras: Röhl siniert darin, ob das wortreiche Spiel mit der Gewalt auf den Seiten der von ihm damals verantworteten Zeitschrift konkret sozusagen direkt in die 9mm-Projektile der RAF abfloß. Das ist eine für Theoretiker stets interessante Frage: Was macht einer aus dem, was ein anderer schreibt? Und: Was machen wir eigentlich, wenn einer aus dem, was wir schreiben, absurde Schlüsse zieht – vorerst nur fiktiv, also in diesem Roman?
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