Die Genese des Täters …

... aus dem Geiste der Sezession bereitet mir "Bauchschmerzen": Ein gefütterter Umschlag, darin ein Buch und ein...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Begleit­brief : “Viel­leicht inter­es­siert Sie die­ser Roman, der Autor muß Leser Ihrer Zeit­schrift sein, denn er läßt die Haupt­per­son, den Mör­der, die Sezes­si­on als sei­ne Lek­tü­re erwäh­nen.” Nicht frei von Sor­ge, las ich den Roman Bauch­schmer­zen noch am sel­ben Abend.

Ein jun­ger Mann sitzt in Unter­su­chungs­haft, er hat eine fünf­köp­fi­ge tür­ki­sche Fami­lie umge­bracht. An sie­ben auf­ein­an­der fol­gen­den Tagen erzählt er dem Gefäng­nis­geist­li­chen sei­ne Lebens­ge­schich­te und besteht dar­auf, daß ein Ton­band mit­läuft. Zwi­schen die Abschrif­ten die­ser Gesprä­che sind kur­ze theo­re­ti­sche Abhand­lun­gen gescho­ben, die der Täter abends in sei­ner Zel­le nie­der­schreibt und sei­nem Zuhö­rer am nächs­ten Tag übergibt.

Der Autor hat die­sen dop­pel­ten Kunst­griff mit Bedacht gewählt: Bauch­schmer­zen ist ein Roman, der viel erklä­ren möch­te. Sol­che Mit­tei­lungs­pro­sa wirkt auf­ge­setzt, wenn aus der Per­spek­ti­ve eines Erzäh­lers berich­tet wird. Die Form des Gesprächs ermög­licht hin­ge­gen die Ich-Form und zugleich die Distanz davon, durch den geist­li­chen Zuhö­rer, der stell­ver­tre­tend für den Leser sei­ne Abscheu kundtut.

Wor­um geht es? Es geht um die Gene­se des Täters aus der Erfah­rung des All­tags und der theo­re­ti­schen Auf­rüs­tung durch Leu­te wie uns: In Frank­furt wächst ein Jun­ge auf, kein Rauf­bold, kein Angst­ha­se, recht intel­li­gent. Die Eltern sind Pazi­fis­ten, gefühls­links. Ganz anders ists mit Akin, dem tür­ki­schen Freund, der das Kick­bo­xen lernt und sei­ne Fort­schrit­te an einem deut­schen Jun­gen demons­triert: “Akin drück­te ihn an die Haus­wand. Jetzt pass auf, sag­te er zu mir. Ich zeig dir an ihm ein paar Kicks.” So geht das wei­ter: Deut­sche Mäd­chen sind Schlam­pen und wer­den als sol­che gede­mü­tigt; deut­sche Jungs sind Opfer und sehen sich durch die Leh­re von der his­to­ri­schen Schuld und die mul­ti­kul­tu­rel­le Ideo­lo­gie ihrer Mus­keln beraubt, die sie für den Wider­stand gegen die mul­ti­kul­tu­rel­le Rea­li­tät doch drin­gend bräuchten.

Der spä­te­re Mör­der schiebt die Kulis­sen bei­sei­te, mit denen ihn sei­ne Leh­rer und Eltern umstellt haben. Er liest auf Emp­feh­lung eines Anti­quars die Lite­ra­tur der KR und ent­deckt die Jun­ge Frei­heit und die Sezes­si­on. Er spricht vom “Vor­bür­ger­krieg” und argu­men­tiert im Sin­ne der “Pro­vo­ka­ti­on”.

Dann gibt er dem Drang in sich nach, end­lich etwas gegen die Ent­wick­lung gera­de in sei­ner Stadt tun zu müs­sen: Er schrei­tet zur Tat und mor­det bru­tal – das Patho­lo­gi­sche tritt deut­lich her­vor: Man muß – gott­lob – so nicht wer­den, selbst wenn man unse­re Zeit­schrift liest! Aber es ist unbe­hag­lich, wenn man nach­voll­zieht, war­um der jun­ge Mann für sich kei­nen ande­ren Aus­weg wuß­te. Ein bedrü­cken­des Buch.

Ges­tern war übri­gens von Klaus Rai­ner Röhl ein Leser­brief in der FAZ, zum Fall Kur­ras: Röhl siniert dar­in, ob das wort­rei­che Spiel mit der Gewalt auf den Sei­ten der von ihm damals ver­ant­wor­te­ten Zeit­schrift kon­kret sozu­sa­gen direkt in die 9mm-Pro­jek­ti­le der RAF abfloß. Das ist eine für Theo­re­ti­ker stets inter­es­san­te Fra­ge: Was macht einer aus dem, was ein ande­rer schreibt? Und: Was machen wir eigent­lich, wenn einer aus dem, was wir schrei­ben, absur­de Schlüs­se zieht – vor­erst nur fik­tiv, also in die­sem Roman?

(Mehr Infor­ma­tio­nen und eine Bestell­mög­lich­keit: hier)

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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