Abstoßend und zugleich fesselnd: Ein rechtsradikaler Mörder erzählt dem Gefängnispfarrer seine Geschichte. Dabei hält er der Gesellschaft einen Spiegel vor. Der Leser, der sich zunächst auf die nachvollziehbaren Erfahrungen und das hohe Reflexionsniveau des Mörders einlässt, gelangt schließlich zu dem Punkt, an dem er vor sich selbst erschrickt.
Über den Autor erfahren wir:
Wolfgang Gottschalk ist Lehrer für Geschichte und Politik an einem Gymnasium in Norddeutschland. Er ist Initiator zahlreicher Jugendprojekte für Integration und gegen Fremdenfeindlichkeit.
Zunächst einmal muß ich, die typische Leserschaft vor Augen, bei der Vorstellung herzlich lachen, die Lektüre von JF und Sezession könnte jemanden zum psychopathischen Massenmörder machen. Das ist freilich nicht unoriginell und eine interessante Wahl von Gottschalk, daß der Täter sich eher durch neurechte Lektüre scharfmacht als durch Landser-Platten. Worauf will er aber hinaus?
Ich stelle mir einmal vor, jemand schriebe einen Roman, in dem ein junger, nach außenhin integrierter Deutschtürke aus einer relativ assimilierten Familie eine Identitätskrise erleidet und, nachdem er von Skinheads gepiesackt wird, der Millî Görüs beitritt, ein bißchen zuviel Hürriyet, Stephan Braun und Blick nach rechts liest, und schließlich bewaffnet ins schnellrodaische Tal der Wölfe fährt, um dort rambomäßig aufzuräumen. Ohne Zweifel würde man einen solchen Versuch sofort als fragwürdige Hetzliteratur einstufen.
Gottschalk scheint jedenfalls aufgrund seiner Integrationsarbeit durchaus zu wissen, daß wesentliche Punkte der konservativen Kritik am Multikulturalismus zutreffen: daß die “Fremdenfeindlichkeit” beiderseitig ist, daß es Gewalt und Rassismus gegen Deutsche gibt, daß die deutsche Identitätschwäche wehrlos macht. Dinge, die immerhin schon in dem hervorragenden TV-Film “Wut” (2006) von Züli Aladag überraschend drastisch thematisiert wurden.
Erinnert fühle ich mich auch an den Film “American History X” mit Edward Norton aus dem Jahr 1999. Dieser provozierte hierzulande zum Teil gereizte Kritiken, weil er den Weg des jungen Protagonisten in die Neonaziszene als Reaktion auf schwarze Bandengewalt zeigte und auch nicht davor zurückschreckte, das Attraktive dieses Milieus effektvoll in Szene zu setzen. “Zuerst verkauft er (der Regisseur Tony Kaye) Nazi-Gewalt als herrlich heroischen Kraftsport, dann verkauft er die Läuterung des Neonazis als pädagogisch wertvollen Abschluß seiner Wanderjahre,” schrieb damals Volker Gunske im Berliner tip. Man kann den am Ende doch sehr ins politisch-korrekte abbiegenden Film auch anders sehen: die Beweggründe des Helden werden deswegen so plausibel gemacht, um nachher umso deutlicher zu demonstrieren “wohin das führt”.
Womöglich hatte Wolfgang Gottschalk ähnliche Intentionen, wenn sein Protagonist “der Gesellschaft einen Spiegel vorhält”, und der Leser “schließlich zu dem Punkt” gelangen soll, “an dem er vor sich selbst erschrickt.” Ist es denn Gottschalk so ergangen, daß er “vor sich selbst erschrocken” ist, als er so manchen Sezession-Artikel über den “Vorbürgerkrieg” womöglich mit Zustimmung gelesen hat? Dann wäre “Bauchschmerzen” vielleicht auch so etwas wie ein Abwehrmanöver in eigener Sache, eine Gewissensversicherung, und auch etwas gezielte Diffamierung, um am Ende den Deckel wieder auf Topf zu pressen. Der Massenmord wäre dann ein Schreck- um Bannbild, um logische Schlußfolgerungen wieder wegzuwischen, um die “nachvollziehbaren” Gedankengänge im Nachhinein als unethisch erscheinen zu lassen.
Indessen zeigt sich immer wieder, daß sich künstlerische Ambivalenz gemäß ihrer Natur nicht widerspruchsfrei auflösen läßt. Ein anderer Film mit Edward Norton aus demselben Jahr, “Fight Club” sprach mit seiner radikalen Konsumkritik und seinem Zivilisationsekel einer ganzen Generation aus der Seele, nur um in einer plötzlichen Kehrtwendung den Protagonisten als schizoiden Psychotiker vorzuführen. Mit diesem Handlungsdreh war die message von “Fight Club” jedoch keineswegs erledigt, und der Streifen wurde ebenso zum Kultfilm wie “American History X”.
Ein gewisser metaphorischerRealismus steckt freilich in Gottschalks Konzeption: extreme Zustände rufen extreme Reaktionen hervor, und jeder Psychopathie liegt eine massive Störung der eigenen Identität zugrunde. Identität ist nichts weniger als eine Frage auf Leben und Tod. Nun soll man aber achtgeben, nicht wieder die Barometer mit dem Sturm zu verwechseln.
A. E. Neumann
Es wundert niemanden, daß derart viele Linke ein unheilbar gutes Gewissen besitzen. Die Verantwortung wurde anonymisiert oder zum Staat oder der Gesellschaft delegiert. Stets sind die Anderen schuld.
Analogie liefert der aktuelle Bezug. Die achso gefährlichen Killerspiele, die vermeintlich den entscheidenden Impuls für Amokläufer lieferten - den Gedanken zur Tat werden ließen.
Das Beispiel ist ja ganz nett. Und gewiß mag es den Einen oder Anderen, der sich mit solchen Gedanken trägt, geben. Sezession und JF als entscheidenden Impulsgeber zu betrachten ist aber mehr als überzogen (oder sind auf der Rechten die Argumente schlicht die treffenderen und der Entschluß zur Tat nachvollziehbarer; da steckt eine Menge Ironie drin). Wäre nur aufregender Stoff für eine gute Story vonnöten gewesen, so hätte man doch durchaus in der Linken Szene wildern können. Schließlich passiert dort ganz konkret mit Brandsatzwurf und Chemiegranatenangriff wirklich Handfestes auf das man Bezug nehmen könnte. Ach ich vergaß: Da handelt es sich ja um Polizisten ("Und natürlich kann geschossen werden", in alter Tradition und mit klammheimlicher bis ostentativer Freude) und nicht um Türken.