„Also nochmal: Daß wir nicht das Publikum dafür haben. Empfehle ich ein Sachbuch über die sogenannte Asylkrise oder über linke Weiber oder sowas, kaufen das noch am gleichen Tag hundert Leute. Empfehle ich einen wirklich großartigen Roman, werden in den kommenden Wochen fünf Stück verkauft! Die Neuen Rechten haben wenig Sinn oder Nerv für Belletristik, Punkt.“
„Stimmt doch gar nicht! Denk doch mal an… XY oder Z!“ – „Klar. Wenn sich der Roman um Zuwanderung, radikalen Islam oder sowas dreht, dann ja, dann ist auch die literarische Qualität zweitrangig, ich weiß…“ – „Komm! Du bist ungerecht!“- „Nö, realistisch.“
Also gut. Ich vlogge nicht über Bov Bjergs „Geschichten“-Band Die Modernisierung meiner Mutter. Aber erwähnen, daß es ein extrem unterhaltsames, kluges Buch ist, will ich durchaus & unbedingt. Bov Bjerg (Künstlername) hatte sich im vergangenen Jahr mit seinem Roman Auerhaus Meriten erworben, ein Verkaufshit. Nostalgische Geschichten aus der Jugend in den Achtzigern hat man (seit Florian Illies) schon zum Erbrechen gehört, eigentlich wäre mal gut damit. Außer, einer schreibt wie Bjerg!
Nichts da mit erinnerungsseligem „Weißt du noch, Wetten daß..? Oder Die Drei???“
Bjerg stammt aus dem Schwäbischen wie Kubitschek, und ich hab ihm (letzterem) das halbe Buch vorgelesen. Jäher Wiedererkenungseffekt: „Ich kenn das! Und wie ich das kenne!!“
Eine der besten der 22 Geschichten heißt „Der eine, der andere“. Einer ist ein normaler schwäbische Kerl, ein eher erfolgloser Journalist, der sich unter dem Namen seiner Frau neu erfunden hat: Feilchenfeldt. Er, plötzlich ein vielgefragter Referent zu allen Fragen der jüdischen Geschichte, erzählt dem Protagonisten all dieser hier versammelten Geschichten: „Capesius [KZ-Arzt aus Peter Weiss: Die Ermittlung, E.K.] hat ihr Gold gestohlen, ich versilbere ihre Geschichten. Wenn dir das erst einmal klar wird, weißt du. Dann wird’s haarig. Die Haufen von abgeschnittenen Haaren. Die Berge von Schuhen. Jeder Tote eine Story. Dann wird’s echt haarig. Millionen Stories.“
Feilchenfeldt profitiert und leidet zugleich unter seinem neuen Namen: „Verstehst du, ich stand nachts am Waschbecken und dachte: So sieht einer aus, der seinen Daseinszweck aus den Leichen zieht. Der eine hat ihr Gold gestohlen, der andere versilbert ihre Geschichten. Der eine, der andere.“
Soll ich aufrufen: Kauft diese wunderbare Geschichtensammlung von Bov Bjerg? Kauft sie bei Antaios? Oder wäre ich dann der tertiäre Nutznießer?
4. 11. 2016 – Das Leben ist so kompliziert. „Mama, wieso steht auf dem Shampoo ‘vegan’? Gibt es Leute, die Shampoos essen?“ Andere Tochter (ich nenne sie hier Tochter 5) wirft Bedenkenswertes ein: „Die Vivian hat gesagt, daß die Zoe erzählt hat, daß die Jenna im Fernsehen gesehen hat, daß manche Leute Katzenfutter essen. Weil sie arm sind und weil es ihnen auch ganz gut schmeckt.“ Jüngere Schwester: „Aber Shampoo!! Das ißt auch in den Fernsehsendungen von Janna kein Mensch! Außerdem: vegan!! Normales Katzenfutter ist sicher nicht vegan!“
Ich will in diesem Moment zu einem kleinen, kindgerechten Referat über 1) Tierethik , 2) über die Maschen der Werbeindustrie anheben. Tochter 5 kommt mir nachdenklich zuvor: „Aber es könnte ja schon sein, daß ein Veganer wirklich sehr arm ist. Und der will trotzdem vegan leben, also ohne Sachen vom Tier. Vielleicht ist er sogar so arm, daß er Shampoo essen muß. Kann doch gut sein, daß das für den wichtig ist, daß das Shampoo vegan ist.“
Tochter 6, überlegen: „Na, dann würde der sich zum Essen aber ein billigeres Shampoo kaufen. Guck mal, die billigen Shampoos sind doch alle auch ‘vegan’. Oder? Die schreiben es nur nicht drauf. Ich glaub eh, daß es nur sehr wenige Menschen gibt, die wirklich Shampoo essen.“ – „Naja, vielleicht aber, wenn sie sehr betrunken sind.“ – „Na, dann ist ihnen aber egal, ob vegan.“ – „Wieso, auch Betrunkene können sehr tierlieb sein!“ Usw., usf. So kann’s gehen. Logik? Ethik? Rabulistik? Solche Probleme hatten wir früher nicht!
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5.11. 2016 – Apropos „solche Probleme“: Diese Kurzgeschichtensammlung der letzten Tage wird hier nicht publiziert, obwohl sie sehr heitere Anekdoten enthält. Es begann vor einer Woche mit der eher sinnfreien rhetorischen Frage eines Familienmitglieds: „Was ist das eigentlich für ein Wetter?!“ Was soll man da schon sagen? „Irgendwie… Weltspartagwetter, oder?“
WELTSPARTAG! Wir haben in den folgenden Tagen immer mal hier & dort die Frage aufgeworfen: „Kennt ihr das noch – Weltspartag? Gibt’s den eigentlich noch?“ Und sofort hagelt es Erinnerungen. An die guten, alten Achtziger. An das Aufkommen der Zählmaschine. Der anerkennende oder mißbilligende Blick vom Kassierer (hat man sich vielleicht nur eingebildet, aber empfunden hat ihn jeder.). Der ganz spezielle Griff ins Sparschwein, um professionell nachzuforschen, ob noch Scheine am Schlitz klemmen. Die vielen grandiosen Billiggimmicks von der Bank. Tausend Geschichten, jedes westdeutsche Kind der Schmidt- und Kohl-Ära kennt ein paar. Angesichts von dräuendem Bargeldverbot und Negativzinsen: selige Zeiten, damals.
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7.11. 2016 – Jaja, die Wüste wächst! Auch die Service-Wüste! „Ihr Anruf ist uns sehr wichtig. Bitte legen Sie nicht auf!“ Während ich hier schreibe, hänge ich bei Minute 28:16 in der Warteschleife des FAZ-Abodienstes. Dabei will ich nur wissen: „Wie wichtig genau?“ Ich probiere die Zeitung etwa einmal pro Jahr für 2 Wochen. Wenn sie jemals zuverlässig zehn Tage am Stück (minus Sonntag) geliefert worden wäre – wer weiß, vielleicht hätt’ ich mich zu einem Abo hinreißen lassen.
Wahrheitssucher
"Die neuen Rechten haben wenig Sinn oder Nerv für Belletristik, Punkt".
Liebe Frau Kositza, das mag stimmen und trifft wohl übewiegend zu, aber es ist nicht die Haupt-Scheidelinie.
Die verläuft eindeutig (Ausnahmen bestätigen fast immer die Regel) zwischen Männern und Frauen überhaupt.
Das ist meine (auch persönliche) Erfahrung und vielleicht auch die Ihre?
Warum preisen Sie und gerade Sie als Frau die Romane Ihres Hauses an?
Und das ist doch auch gut so, kann es doch nur in und an der Natur liegen...
Vive la difference!
Kositza: Interessante Überlegung! Angeblich wird tatsächlich in D Belletristik zu 65-70% von Frauen gekauft. Dazu zählen aber auch all jene Schinken (die einen Großteil des Marktes ausmachen), die unter "Bahnhofskioskliteratur" firmieren, "Die Hebamme von Braunschweig", "Wilde Leidenschaft" oder wie sie alle heißen. Gehobene Lit. (und ich stelle ja nie Trivia vor) macht doch nur ein schmales Marktsegment aus, und dort geh ich nicht davon aus, daß mehr F als M Leser sind. Ein bißchen ist es wie beim Reitsport: In den Hobbyreitställen tummeln sich zu 95% Mädchen. Ab einer gewissen Turnierklasse ist das Geschl.verhältnis plötzlich ausgeglichen bzw. überwiegen die Männer.
Und apropos "Frau des Hauses": Kubitschek hat ja genau wie ich Germanistik studiert, aus Leidenschaft für die Literatur übrigens. Er liest selten (nur ganz gezielt) Sachbücher,zu 90% Belletristik. Daß er nicht so häufig Romane vorstellt, liegt daran (seufz), daß er Wichtigeres zu tun hat...