der Person wie bei Trump. Die Sezession hat sich in diesem Jahr bereits mehrfach mit der Präsidentschaftswahl beschäftigt, da mit besonderen Rückwirkungen auf Deutschland und Europa, vor allem aber auch auf den Nahen und Mittleren Osten zu rechnen ist. In der 73. Ausgabe (Restexemplare vorhanden!) fragten wir, ob Trump eine Alternative für Amerika verkörpere. Nun ist er gewählt, und die Frage, welche geopolitischen Standpunkte er einnimmt, bedarf daher einer Klärung:
Mit dem Terrorangriff eines Sympathisanten der sunnitischen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Orlando, bei dem im Sommer 2016 fast 50 Gäste eines bei Homosexuellen beliebten Nachtclubs massakriert wurden, spitzte sich der Wahlkampf in den USA weiter zu. Denn ob Homegrown terrorism oder IS-Connection (oder beides): Die Rückwirkungen des grotesken Verhaltens der USA in Syrien und im Irak haben mit aller Brutalität die Partyzone der US-Amerikaner getroffen.
Das lavierende Verhalten des amtierenden Präsidenten Barack Obama, das über Jahre hinweg die Förderung in Syrien agierender »Oppositionsgruppen« mit einbezog, zielte von vornherein ab auf die Schwächung Syriens und seiner regionalen (Iran) wie überregionalen Partner (Rußland). Von Washington D.C. aus ließ sich der Krieg der Rebellen je nach Lage eindämmen oder einheizen. Aber nun ist der Punkt gekommen, an dem das Resultat einer Kombination aus Failed states, Interventionskriegen und sunnitisch-wahabitischer Ideologie – der IS – global für Angst und Schrecken sorgt.
Wie der Herausforderung der bisher mächtigsten Terrormiliz und ihrer geistigen Verwandten um Nusra- oder Islamische Front zu begegnen sei, ist ein heikles Thema im Präsidentschaftswahlkampf. Zumal mit der vormaligen US-Außenministerin Hillary Clinton ausgerechnet eine Demokratin im November zur Wahl stehen wird, die, so Malte Daniljuk treffend in den Blättern für deutsche und internationale Politik, »wie kaum eine andere« für Menschenrechtsimperialismus stehe – ein solcher schürte wiederum den »Flächenbrand« (Karin Leukefeld) im Nahen Osten wesentlich.
Da diese verheerende Rolle Clintons ebenso bekannt ist wie ihre ideelle Nähe zu neokonservativen Positionen, richtet sich das Augenmerk antiimperialistisch orientierter Kreise – speziell in Europa – naturgemäß auf ihren schärfsten Widersacher und Konkurrent um den Einzug ins Weiße Haus: Donald Trump. Dieser Immobilienmilliardär, das Produkt der auf Skandale und Unterhaltung ausgelegten Boulevard-Mediengesellschaft par excellence, ist derzeit das Feindbild aller linksliberalen, liberalen oder auch westlich-konservativen Publizisten. Einerlei ob Frauenverachtung, Waffennarretei, Islam oder Rassismus: Es gibt kaum ein Thema, das sich nicht eignete, um den allzuoft polternden Trump als den Schrecken der Welt zu zeichnen. Dabei ist es neben diesen klassischen Sujets der Politischen Korrektheit die außenpolitische Haltung Trumps, die viele Kolumnisten am meisten verstört. Jan Fleischhauer meinte etwa, Trump sei außenpolitisch von linken Standpunkten geprägt.
Der Vorzeige-Liberalkonservative des Spiegel wirft die Bemerkung so in den virtuellen Raum, als ob diese vermeintlich »linken Positionen« angesichts des perpetuierten Elends »rechter« US-amerikanischer Weltpolitik etwas Schlechtes verheißen müßten. Und Theo Sommer, der Bilderberg-vernetzte »Alt-Kader des Pro-Amerikanismus« (Erhard Crome), stöhnt bei Zeit Online auf: »Bloß nicht Trump!«. Jenseits des Atlantiks stößt Trump bei den außenpolitischen Falken der US-Politik ebenfalls auf Ablehnung. Ob Robert Gates, ehedem Verteidigungsminister, oder Peter King, renommierter Sicherheitsexperte: Unabhängig von Parteizugehörigkeit plagten viele geopolitische Leitwölfe die unklaren, bisweilen variierenden Standpunkte Trumps bezüglich der Rolle der USA in der Welt.
Besonders die Neocons, unter George W. Bush noch lautstarke Republikaner und aktivste außenpolitische Netzwerkgruppe, stoßen sich an Trump und präferieren – erstmals seit Reagan – die Demokraten in der Person von Hillary Clinton. William Kristol, Sohn des Neocon-Veteranen Irving Kristol, ätzt regelmäßig gegen Trump, Robert Kagan zieht Vergleiche zwischen Trumps Siegeszug innerhalb der Grand Old Party mit der Heimsuchung durch die Pest, und ein Sammelsurium Dutzender einflußreicher populärer Neokonservativer um den Historiker Max Boot verbreitete einen Offenen Brief gegen Trumps »Prinzipienlosigkeit« in außenpolitischen Fragen.
Die Angst des Neocon-Mainstreams ist begründet – und somit die Hoffnung all jener, die eine defensive bis isolationistische Wende der USA befürworteten. Denn Trump bricht gleich mit mehreren Tabus der gegenwärtigen neokonservativen Agenda: Verhandlungen mit Iran? Ja, aber bitte besser, als es die gegenwärtige Regierung bezüglich des Atomdeals leistete. Israel? Er wolle als ehrlicher Makler zwischen Palästinensern und Israelis wirken. Militärische Interventionen, etwa in Syrien? Kostspielig und kontraproduktiv. Putin? Interessanter, starker Mann. NATO? Könnte man auflösen. Der Irak-Krieg? Basierte auf Lügen und verursacht bis heute Probleme.
Trump schlachtet somit eine heilige Kuh der Neokonservativen nach der anderen. Und doch verhält es sich freilich nicht so einfach und holzschnittartig, wie Kristol, Fleischhauer, Sommer et al. befürchten und Kritiker des US-Interventionismus hoffen. Es lohnt sich daher, Donald Trumps außenpolitische Grundsatzrede, die er im April 2016 vor exklusiv geladenen Gästen des Nixonschen »Center for National Interest« hielt, einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Denn obwohl Trump durchaus dafür bekannt ist, widersprüchliche Auffassungen innerhalb weniger Tage medial zu kommunizieren, werden doch einige Leitlinien deutlich, entlang derer Trumps außenpolitische Standpunkte verlaufen.
Trump sieht zunächst eine Tradition des Scheiterns der amerikanischen Außenpolitik seit Ende des Kalten Krieges wirken. Die fehlgeleitete Politik unter George W. Bush und – vor allem – Barack Obama habe alle möglichen Kontrahenten oder Gegner der USA – von China bis Islamismen – gestärkt, während das eigene Prestige auf der Strecke geblieben sei. Die NATO ergebe zwar in der Theorie Sinn, könne aber nur dann beibehalten bleiben, wenn andere Partner des Verteidigungsbündnisses stärker aktiv werden; ansonsten stünde ein Austritt der USA aus dem von ihr geschaffenen Konstrukt zur Debatte.
Bezüglich des Iran verhält sich Trump allerdings hier kritischer, als die erwähnten Neocons die Öffentlichkeit glauben lassen wollen. Denn Trump schwört sein Publikum ein, daß es mit ihm einen nuklear bewaffneten Iran nicht geben werde. Unklar bleibt, wieviel Energie und Risikobereitschaft Trump investieren würde, um Teheran an diesen Selbstschutzmaßnahmen zu hindern. Möglich, daß es dem Präsidentschaftskandidaten vor allem um Sanktionen und Verhandlungsdruck geht, denn einen – schier unglaublichen – Präventivkrieg gegen den Iran fordern allenfalls Neokonservative auf aller Welt, Trump bis dato jedoch in keiner Weise.
Hervorzuheben aus deutscher und europäischer Perspektive ist sicherlich Trumps Ankündigung, mit Putins Rußland stärker bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammenarbeiten zu wollen. Gerade die momentane Weigerung Obamas, sich besser mit dem ewigen Rivalen im Antiterrorkampf in Syrien abzustimmen, sorgt für die bestürzende Lage in der kriegsentscheidenden Region Aleppo: Weil bei den Rebellenallianzen, die dort unter der Regie der Al-Qaida-nahen Nusra-Front kämpfen, auch US-unterstützte Kräfte wirken, kann Rußland seinem Verbündeten Syrien nicht in der Form helfen, wie es militärstrategisch nötig wäre. Putin will nicht als Zerstörer der Verhandlungshoffnungen dargestellt werden können und beläßt seine Luftstreitkräfte daher vor allem in den Wüstenregionen Syriens gegen den IS im Einsatz, während im urbanen Raum Aleppo von Seiten Rußlands – relative – Zurückhaltung geübt werden muß.
All das könnte sich mit einem Präsidenten Trump ändern, der die Priorität der gemeinsamen Bekämpfung des Islamismus nicht zuletzt seit Orlando gebetsmühlenartig preist. Allein, das tat auch der Neocon Bush jr. und verschlimmerte die Lage im Nahen und Mittleren Osten auf drastische Art und Weise. Der IS als größte der Terrormilizen ist beispielsweise ein Folgeprodukt der kriegsbelasteten Ära Bush, einer Ära, die politisch und finanziell bis heute an der Substanz der USA zehrt. Genau dies stößt Trump auf: Der Imperialismus von Bush hat den Staaten nur neue Feinde eingebracht, und der humanitär verkleidete Softimperialismus Obamas brachte ebenfalls kein verbessertes Ansehen der USA in der Welt, sondern neue Konfliktherde, kriegerische Verwicklungen und – für Trump zentral – finanzielle Verluste in exorbitanter Art und Weise.
Es geht Trump also um die Umkehr dieser seit mindestens 9/11 anhaltenden Entwicklung. Er ist kein Isolationist wie die Ikone eines besseren Amerika, Ron Paul, und auch »linke« Standpunkte in der globalen Politik, sind nicht seine Sache, sondern die des Clinton unterlegenen Bernie Sanders. Ein Präsident Trump würde, soviel dürfte feststehen, an konservative (nicht: neokonservative) Grundsätze traditioneller Außenpolitik anknüpfen. Das heißt: Anstatt einer moralisierenden und intervenierenden Weltpolizei-Attitüde wäre es Trumps Streben, im Sinne einer realistisch ausgerichteten Politik das Bestmögliche für die letzte Supermacht zu erreichen. Das Bestmögliche meint hier im Sinne der Trumpschen Leitmotive: »America First« und »Make America Great Again« – und zwar ohne militärische Husarenritte, ökonomische Abenteuer und Imperial overstretch.
Wie Erhard Crome richtig zusammenfaßt, strebt Trump also zuallererst nach wirtschaftlicher Stärkung der USA. Deshalb artikuliert er sich so kritisch zum kostspieligen interventionistischen Prinzip. Die Frage, die sich all jene stellen müssen, die geopolitisch eine multipolare Welt anstreben, ist freilich die, ob Trump nach einer eventuellen Gesundung der derzeit katastrophalen ökonomischen Lage innerhalb der USA bei seinem momentan eingeschlagenen außenpolitischen Kurs bliebe, ob er also auch nach einer amerikanischen Renaissance »den falschen Gesängen des Globalismus« widerstünde und den »Zyklus der Feindschaft« zu Rußland weiterhin durchbrechen wollen würde.
Für Europa ist aber so oder so zudem von immenser Bedeutung, daß Trump aus protektionistischer Perspektive heraus argumentiert und internationalen Freihandelsabkommen wie TTIP, TiSA und CETA eine Absage erteilt. Er trifft nicht zuletzt hier die Stimmung des »einfachen Mannes« der unteren Schichten, der sich von Obama und der linksliberalen bis neokonservativen politmedialen Elite nicht vertreten fühlt, dessen Verdienst häufig nicht zum Leben ausreicht und der sich verbittert von Job zu Job hangelt, während gerade im Finanzsektor weiter spekuliert und profitiert wird.
Daß gerade die Verlierer der kapitalistischen Ellbogengesellschaft den Sieger einer solchen bejubeln und von Erfolg zu Erfolg treiben, mag verwundern, ist aber einerseits, so Johannes Simon zutreffend in konkret, dem Fakt geschuldet, daß sie sich mit der souverän zur Schau gestellten Macht – bzw. dem starken Mann, den Trump mimt – identifizieren. Andererseits gilt es zu ergänzen, daß Trump trotz aller Erfolge einstweilen ein Außenseiter im hegemonialen Betrieb ist. Er kommt aus keinem der etablierten neokonservativen oder liberalen Netzwerke, die Partei-Funktionäre sind gegen ihn, selbst der republikanisch-populistische TV-Sender Fox News ist Trump-kritisch. Und so ist Trump für die einheimischen Deklassierten der liberalkapitalistischen Gesellschaft – bereits als »Trumpenproletariat« verspottet – das Symbol eines abseits stehenden Titanen, der mit den klassischen Positionen und Ikonen der Demokraten und Republikaner aufräumt.
Ob es dem Ziel einer multipolaren Welt dienlich sein wird, falls ein sich auf Inneres und Sicherheit konzentrierender Trump tatsächlich 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika würde, steht freilich in den Sternen. Alain de Benoists Skepsis gegenüber dem »machtdurchtränkten Dr. Seltsam« ist jedenfalls ebenso begründbar wie die politische Faszination für das nur unter heutigen Verfallskonstellationen denkbare »Phänomen Trump«. Aus souveränistischer Perspektive ist Trump in jedem Falle das kleinere Übel gegenüber der ausgewiesenen, nach Interventionen dürstenden westlichen Universalistin Hillary Clinton. Trump verkörpert einstweilen die minimale Hoffnung, der endgültig zuschnappenden »Amerikanisierungsfalle« (Michael Wiesberg) zu entkommen.
Es ist gewiß widersprüchlich, auf der einen Seite eine schwer kalkulierbare Person zu favorisieren, die »Amerika wieder groß machen« möchte, aber auf der anderen Seite der Idee eines substantiellen »Antiamerikanismus« treu zu bleiben, einer Idee, die aufgrund der geopolitischen Gesamtlage wieder an Bedeutung zunimmt. Doch diesen Antagonismus gilt es faute de mieux auszuhalten.
__________________
Alle Literaturhinweise entnehmen Sie bitte der PDF der Druckfassung. Die Druckausgabe 73 kann hier bestellt werden, wobei sich ein Abonnement der Zeitschrift Sezession aktuell besonders lohnt. Denn wer jetzt abonniert, abonniert den Jahrgang 2017 mit seinen sechs Heften (drei offene, drei themengebundene) – die Hefte 73 (August), 74 (Oktober) und 75 (Dezember) des aktuellen Jahrgangs (2016) gibt es als Prämie dazu!
Der_Jürgen
Der vorsichtige Optimismus dieses Artikels sagt mir sehr zu. Benedikt Kaiser verfällt nicht in den Fehler mancher amerikanischer und deutscher Patrioten, die Trump hymnisch allerlei Vorschusslorbeeren streuen und ihn als "great leader" bzw. als "Retter der weissen Menschheit" feiern. Er wird sich bewähren müssen, und an Feinden wird es ihm nicht fehlen. Dennoch, was für ein himmelweiter Unterschied zu Hexe Hillary. Natürlich ist der Spielraum der nationalen Kräfte in Deutschland und anderswo durch dieses Wahlergebnis mit einem Schlag sehr viel grösser geworden.
Der Krieg gegen den Grossen Austausch und die Vernichtung der abendländischen Kultur ist längst nicht gewonnen, wohl aber eine grosse Schlacht