oder Jürgen Elsässer zum Kanzleramtsminister zu machen #Trump«, tweetete der Spiegel-Deutschlandredakteur Wolf Wiedmann-Schmidt am 12. November, pünktlich zu Beginn des Ringens um die Besetzung des neuen US-Kabinetts unter dem designierten Präsidenten Donald J. Trump.
Woher aber kommt dieser Stephen Bannon, der tags darauf zum Counselor to the President und damit Chefstrategen und obersten Berater im Weißen Haus ernannt wurde; dieser Stephen Bannon, über dessen Einfluß auf die neue Regierung seit seiner Berufung zum Leiter von Trumps Wahlkampfkampagne die etablierten US-Medien (die jetzt über Twitters Enthauptungsschlag gegen die »AltRight« von vorgestern nacht jubilieren) und inzwischen auch ihre deutschen Gegenstücke in heillose Aufregung geraten sind – und was macht Wiedmann-Schmidt so nervös?
Wenn überhaupt etwas, dann ist der Mann eine schillernde Persönlichkeit: Bannon ist Jahrgang 1953, ein Baby boomer also, und Sohn einer irischstämmigen Norfolker Arbeiterfamilie, in der John F. Kennedy und die Gewerkschaftsbewegung idolisiert und ganz selbstverständlich die Demokraten gewählt wurden. Nach seinem politikwissenschaftlichen Abschluß mit Schwerpunkt auf Nationaler Sicherheit an der elitären, von Jesuiten geführten Washingtoner Privatuniversität Georgetown 1976 ging »Steve« zur Marine und diente sieben Jahre lang zuerst als Offizier für Überwasserkampfführung auf dem Eskortzerstörer »USS Paul F. Foster« sowie anschließend als Assistent des Admiralstabschefs im Pentagon.
Parallel erwarb er einen postgradualen cum-laude-Abschluß als Master of Business Administration in Harvard und wechselte nach Ausscheiden aus dem Militär zuerst zu Goldman Sachs, um sich 1990 gemeinsam mit einigen Kollegen als »Bannon & Co.« im Investmentbereich selbständig zu machen. 1993 wurde er zusätzlich für zwei Jahre geschäftsführender Direktor des (inzwischen gescheiterten) Ökologieprojekts »Biosphere 2«, dessen Fokus er von Möglichkeiten der Weltraumkolonisation hin zu Umweltverschmutzung und Klimafragen verschob.
1998 wurde »Bannon & Co.« von der französischen Société Générale aufgekauft, und Bannon begann mit dem Erlös eine neue Karriere als Hollywoodproduzent. Während der Arbeit an einem Dokumentarfilm zu Ronald Reagans Rolle im Kalten Krieg (In the Face of Evil, 2004) begegnete er einem 16 Jahre jüngeren Mann, der – postum – entscheidend für die US-Präsidentschaftswahl 2016 werden sollte: Andrew Breitbart.
Der 2012 unerwartet verstorbene, ursprünglich von links kommende jüdische Publizist Breitbart hatte sein politisches Damaskuserlebnis infolge der Auseinandersetzungen um die Nominierung Clarence Thomas’ für den Obersten Gerichtshof 1991 und orientierte sich unter maßgeblichem Einfluß konservativer Medienmacher wie Rush Limbaugh um zu einer dezidiert rechten Medien- und Kulturkritik.
Vom US-Mainstream enttäuscht, wurde er selbst aktiv: Bereits Mitte der neunziger Jahre Redakteur des Prototyps konservativer Online-Nachrichtendienste, The Drudge Report, beteiligte sich der streitbare Vollblutaktivist (Motto: »Schlag immer doppelt so hart zurück!«) 2005 an der Gründung der ursprünglich konservativen Huffington Post und schuf zeitgleich seine eigene Präsenz breitbart.com, die dank Unterstützung durch Drudge Report umgehend immense Zugriffszahlen erreichte. 2010 unterzog Breitbart seinen Nachrichtendienst einer Generalüberholung und ging mit etlichen Unterseiten und nunmehr selbst recherchierten Geschichten zum Angriff über – der Associated Press sagte er, er sehe sich »der Zerstörung der alten Mediengarde verpflichtet«.
Seither führten Breitbart-Enthüllungen unter anderem zu Bankrott und Liquidation der linken Nichtregierungsorganisation ACORN wegen scheinbarer Unterstützung von Menschenhandel und Kinderprostitution (2009), zum – vorschnell – erzwungenen Rücktritt der Direktorin für landwirtschaftliche Entwicklung des Bundesstaats Georgia wegen »antiweißen Rassismus’« (2010) sowie zum Sturz des New Yorker Kongreßabgeordneten Anthony Weiner über einen Sexting-Skandal (2011, »Weinergate«).
Nach Breitbarts Tod wurde Bannon neuer Vorstandsvorsitzender des Breitbart News Network, formte es endgültig zu einer boulevardzeitungsartigen Netzpräsenz um und vertiefte seinen aggressiven Kurs gegenüber US-Politik und ‑Medien – »Wir sehen uns selbst als sehr scharf gegen das Establishment gerichtet, insbesondere gegen die beständige politische Klasse.« – durch eine Annäherung an die wildwüchsigen rechten Internetzirkel der »AltRight« (vgl. Sezession 69).
Als 2014 die sogenannte »Gamergate«-Affäre um die Einflußnahme von Feminismusaktivistinnen auf die Computerspielbranche und den Widerstand dagegen losbrach, bewies Bannon (von 2007 bis 2011 selbst Geschäftsführer des Onlinespiele-Unternehmens Affinity Media) strategisches Geschick: Er engagierte einen jungen Briten für die neue »Meinungsfreiheitszentrale« Breitbart Tech, der sich im »Gamergate«-Verlauf zur tabu- und respektlosen journalistischen Stimme der politisch Inkorrekten aufgeschwungen hatte – Milo Yiannopoulos.
Gegenüber Yiannopoulos, Sohn eines Griechen und Enkel einer Jüdin sowie offen Homosexueller mit Vorliebe für grelle Kostümierungen und muskulöse schwarze Männer, liefen liberale Feindmarkierungen ins Leere, so daß sich seine Lust an größtmöglicher Provokation und das Bannonsche Selbstverständnis als Dampframme rechter Dissidenz ergänzten.
Yiannopoulos machte insbesondere als rabiater Kritiker von Feminismus und »Black-Lives-Matter«-Bewegung von sich reden. Es waren Überschriften wie »Wovon würden Sie Ihr Kind lieber befallen sehen, Feminismus oder Krebs?«, die zu seiner namentlichen Erwähnung in Hillary Clintons bereits legendär gewordener öffentlichen Klage über die »AltRight« am 25. August 2016 führten und die amerikanische Gegenöffentlichkeit so in jeden Haushalt hineintrugen. Eine Woche vor Clintons Rede war Bannon vom Vorstandsvorsitz zurückgetreten, um Trumps Kampagne zu leiten.
Was also läßt sich vom Modell Breitbart News lernen und von der politischen Eskalationsspirale, die seinen ehemaligen CEO innerhalb von knapp 13 Wochen auf eine weltgeschichtlich bedeutsame Position katapultiert hat? Die Erfolgsgeschichte ist auf drei zentrale Faktoren zurückzuführen:
- Aktualität: Das Breitbart-Netzwerk verfügt seit 2014 neben der Zentrale in Los Angeles über Regionalbüros für Texas, Florida, Kalifornien, London/Europa, Kairo/Nahost sowie Jerusalem, die rund um die Uhr jeweils bedeutsame tagesaktuelle Themen aufgreifen und besetzen. Eine weitere europäische Ausdehnung ist geplant; Süddeutsche, Welt, Spiegel etc. warnten bereits panisch vor einem möglichen Breitbart News Germany, das den massenmedialen Meinungskonsens aufbrechen könnte.
- Zeitgemäßheit: Die Mitarbeiter von Breitbart News bedienen sich virtuos der sozialen Medien, um einerseits im Trend liegende Themen und Geschichten aufzuspüren, andererseits ihre eigenen Inhalte viral zu verbreiten. Zu dieser Netzkompetenz, die die etablierten Nachrichtendienste und Zeitungen fast ausnahmslos missen lassen, trägt massiv bei, daß der Altersdurchschnitt der Redaktionsmitarbeiter verhältnismäßig niedrig ist und anstelle jahrzehntelang geschulter Berufsjournalisten bevorzugt Fachleute gerade aus Medienbereichen angeworben werden.
- Intransigenz: Bei Breitbart News wird sich nicht entschuldigt, und es werden keine Konzessionen gemacht. Das gilt insbesondere für die Conditio sine qua non der Anti-Establishment-Haltung: Das Netzwerk macht die übliche Liebedienerei der Leitmedien gegenüber der Politik nicht mit (wiewohl die News-Konkurrenz dies während des US-Wahlkampfs behauptete), sondern hat vielmehr den Anspruch, die Politik vor sich herzutreiben. Das galt für Bannon zu seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender genauso wie zuletzt für Raheem Kassam, Chefredakteur von Breitbart News London, der Nigel Farage bis zu dessen Rückzug vom UKIP-Parteivorsitz als oberster Berater diente und im Anschluß vorübergehend selbst für das Amt kandidierte.
Die deutsche Medienlandschaft fürchtet das Modell Breitbart News, weil es ihre Abwehrmechanismen unterläuft. Das US-Portal hat alle Anfeindungen überstanden; Bannons neuer Posten bezeugt die Wirksamkeit der Strategie. Die ratlosen Reaktionen auf erste deutsche Spin doctors außerhalb des politisch-medialen Komplexes, wie Michael Klonovsky und Günther Lachmann, zeugt von dem revolutionären Potential eines deutschen Breitbart-Ablegers: Der erstarrte Konsens der veröffentlichten Meinung würde zertrümmert, die politischen Karten neu gemischt. Es gibt keinen Anlaß, dem nicht gespannt entgegenzusehen.
Unke
Schöne Geschichte. Ich merke, dass ich nicht in allen Belangen auf dem Laufenden bin. Wobei, die alternative Blogosphäre gerade in den USA ist ja gewaltig. Da kann einem der Breitbart schon mal durchrutschen.