Das: Hannes Stein (Autor von bezeichnenden Buchtiteln wie Endlich Nichtdenker! (2004), Immer Recht haben! (2008) und Tschüß Deutschland! (2010)) beschreibt auf welt-online (10.11.16) seine Qualen der Wahlnacht:
„Am Wahlabend (…) nahm ich ein Beruhigungsmittel und legte mich in mein weiches New Yorker Bett. Früh um vier (…) stand ich auf (…) und klappte den Laptop auf (…): ‘Donald Trump next US-President.’ Ich schlich zurück ins Schlafzimmer (…), aber meine Frau wachte dennoch auf. Zwischen uns schlief friedlich unser drei Jahre alter Sohn. ‘Donald Trump hat die Wahl gewonnen’, sagte ich leise. Meine Frau sagte nichts, dann fing sie an zu weinen. Ich nahm ihre Hand, so daß unsere Arme eine Art Brücke über unser Kind bildeten, dann weinte ich auch. ‘Unser Sohn, unser Sohn’, sagte ich.“
In Wahrheit geht die Geschichte noch weiter. Ich trug Kubitschek das Rührstück vor, und plötzlich rannen auch hier die Tränen. Vor Lachen, logisch. „Unsere Journaille, unsere Journaille!“
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16. November 2016 – “Schau an, in der Süddeutschen hat die Schlaffer gerade Hermann Bausingers Schwäbische Literaturgeschichte besprochen”, sag ich, „Land der Dichter und Denker! Das ist doch was für Sie als Eingeborener und Teilnehmer, oder? Soll ich’s bestellen?“
Kubitschek überlegt noch. Die große Tochter, an ihrem Wohnort eine Nicht-Autochthone, reagiert hingegen spontan: „Haha, und ich bring dann mal die sachsen-anhaltische Literaturgeschichte heraus. Merseburger Zaubersprüche und ein Textbeispiel aus Hedwig Courths-Mahler Liebesheftchen. Wird letztlich ein Faltblatt, denk ich.“ Ius sanguinis, denk ich: Tochter ist gebürtige Frankfurterin, was soll man da an erworbenem Lokalpatriotismus erwarten?
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17. November – An morgendlichen Werktagen geht es so: Um 6.05 Uhr wecke ich die Kinder. Der Sohn hat seinen Wecker erstens auf 5.55 gestellt und ihn zweitens in gehörigem Abstand zu seinem Hochbett positioniert, neben dem Radio. Grund: Erstens mag er diese langsame Aufwachphase, zweitens will er mich gern mit Neuigkeiten aus den Sechsuhrnachrichten überraschen.
Betrete heute um fünf nach sechs seine Bude. Schmerzverzerrte Stimme: „Morgen, Mama. Mach mal [Stabreim am Morgen: frei von Fäulnis und Sorgen!] das Licht an. Und guck mal bitte.“ Ich gucke. Also: der Sohn ist von seinem Hochbett gestiegen. An der kleinen hölzernen Brüstung hat er all seine Medaillen aufgehängt. Es sind einundzwanzig. Nun hat er beim Hinabsteigen eine Medaille aus ihrer Halterung gerissen und sich den Oberschenkel wirklich übel aufgeschlitzt. Ein kleines Blutbad, eine mitteltiefe Wunde. Natürlich wird er getröstet, verarztet und ein bißchen bewundert für den tränenlos ertragenen Schmerz.
Diese ganze Story ist im Kern eine Parabel. Erstens – Sohn: „Ich hab gemerkt, daß es ein tiefer Riß ist. Es tat gleich richtig weh. Deshalb hab ich das Radio angemacht, ohne das Licht anzuschalten. Ich wollte mich nicht zu sehr erschrecken.“ Eine überaus moderne Herangehensweise!
Zweitens, das Potential der vielzuvielen Medaillen. Als Turner, als Ringer, als Fußballer und aktuell als Handballer wurde der Sohn oft medaillenverziert. Ist er ein Sport-As? Mitnichten! Er ist ein tapferer Breitensportler, und zwar in jeder Disziplin. Nur: Heute regnet es für jede ordentliche Leistung Metall. Anerkennungsanhängsel! Gut, dreimal Silber, sogar auf Landesebene ist dabei. Blutsilber! Alles hat seinen Preis, selbst dieser inflationäre Medaillenregen.
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20. November 2016 – Das hat mir wahnsinnig gefallen: Daß nach meinem letzten Das war’s, in dem ich begründete, warum ich Bov Bjergs überaus unterhaltsames Buch Die Modernisierung meiner Mutter nicht als vlog aufnehmen will, 19 Leser diesen Erzählungsband bestellten! Ich mach´s jetzt nochmal mit Gertraud Klemms Roman Aberland.
Ehrlich gesagt habe ich mir dieses Buch nur ausgeliehen, um mich ein bißchen aufzuregen. Ich hatte Klemm einst bei ihrer Lesung zum Bachmannpreis wahrgenommen und war tierisch genervt von ihrem Mutterschaftsgejammer. Soo zeitgeistig, so jämmerlich, dieses #regrettingmotherhood – Geheule! Frauen, die spät Mutter werden und dann über Ausgrenzung heulen, weil sie ja sooo viele Pläne & Ideen hatten, die sie als Muttertier nur unter Widerständen verfolgen können! Und zufriedenzustellen sind sie eh nie!
Nja, halb trifft das sogar nach erweiterter Lektüre zu, Aberland ist ziemlich dunkel (wie Klemms adoptierte Kinder übrigens.) Und doch: Ich bin angetan. Sehr! Was für eine Sprachwucht! Beobachtungsgabe! Wortkunst! Klar, das hier ist eher ein Frauenbuch. Warum nicht? Ich halte es übrigens für einen Qualitätsausweis der Neuen Rechten, daß sie in Kunstfragen nicht nach der Farbe der Fahne schaut, sondern danach, ob sie aus einem flatterfähigen Material ist.
Stephan
Entschuldigung, dürfte ich bitte kurz das Niveau senken? Danke. Hier und hier.