Caroline Sommerfeld:
G.W.F. Hegel: Hamanns Schriften. Notiz zu Hamann, hg von Till Kinzel, Wien: Karolinger 2016. 128 S., 18 €
Johann Georg Hamann (1730–1788) war mir als der große irrationale Widerpart zu Kant bekannt. Nachdem ich Kants “Anthropologie” studiert hatte, konnte ich Kants Vernunftethik danach gründlich vom Kopf auf die Füße stellen. Und merken, daß sich Kants Universalismus in Wirklichkeit auf ziemlich kontingente und prekäre Motive verließ. Warum dann nicht gleich den lesen, der auf “einer Konzentration seiner tiefen Partikularität beharrte, welche aller Form von Allgemeinheit, sowohl der Expansion denkender Vernunft als des Geschmacks, sich unfähig gezeigt hatte”? (Hegel im Vorwort). Hamanns Partikularismus’ wird man alleine nicht Herr. Da brauchen wir dringend die Hilfe desjenigen Zeitgenossen, der das Allgemeine und zugleich das völlig Unvermittelbare denken konnte: Hegel. Der Karolinger-Verlag hat kapiert, daß “Irrationalismus” einer vernünftigen Vermittlung bedarf, und mit einem luzide einordnenden Nachwort von Till Kinzel (ja, auch Schmitt, Jünger, Dávila haben Hamann gelesen!) eine kleine Einzelausgabe von Hegels Handreichung zu Hamann herausgebracht. Klingt wirklich entlegen, ist aber mittendrin in der Reihe unserer seltsamen Vordenker.
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Siegfried Gerlich:
Domenico Losurdo: Der Klassenkampf oder Die Wiederkehr des Verdrängten? Eine politische und philosophische Geschichte, Köln: PapyRossa 2016. 423 S., 24,90 €
Das neue Buch des italienischen Marxisten Domenico Losurdo imponiert vor allem durch seine heimlichen Querfront-Potentiale. In Anbetracht eines One-World-Kapitalismus, der nationale Schutzräume und soziale Sicherungssysteme gleichermaßen bedroht, nimmt der germanophile und amerikanophobe Historiker die durch die vielberedeten Kulturkämpfe unserer Tage nur verdrängten, in Wahrheit weltweit wieder hervorbrechenden Klassenkonflikte ins Visier. Freilich hatte schon Marx die Verlagerung des internationalen Klassenkampfes in einen Kampf zwischen »proletarischen« und »plutokratischen Nationen« vorhergesagt. Aber erst mit Losurdos rechtsabweichlerischer Fortentwicklung solcher unorthodoxer Ideen von Marx drängt sich die dialektische Schlußfolgerung auf, daß eine freundliche Übernahme der »sozialen Frage« in die »nationale Frage« längst auf der Tagesordnung von Rechtskonservativen stehen müßte, zumal die zum Neoliberalismus konvertierten Linkskonformisten sich weit mehr für den Aufstieg von Minderheiten als für den Abstieg der Mehrheitsgesellschaft interessieren.
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Lutz Meyer:
Byung-Chul Han: Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute, Frankfurt: S. Fischer 2016. 112 S., 20 €
Wo es heute noch Unterschiede, wo es noch den Anderen und das Andere gibt, wird im Interesse der ökonomischen und politischen Machtentfaltung mit aller Kraft nivelliert. Diese wuchernde Gleichmacherei macht krank, depressiv, wahnsinnig – wie jede Zigarettenpackung würde sie deshalb den Hinweis auf ihre tödliche Folgen verdienen. Der Philosoph Byung-Chul Han beschränkt sich nicht auf die Beschreibung dieser unheilvollen globalen Vorgänge, sondern spürt Gegenmitteln nach, etwa der Liebe, die Andersheit geradezu voraussetzt. In Theorie und Praxis eine kräftigende Therapie frei von unerwünschten Nebenwirkungen!
Ellen Kositza
Götz Kubitschek: Die Spurbreite des schmalen Grats. 2000–2016, Schnellroda: Antaios 2016. 288 S., 19 €
Ob es schon „Nepotismus“ ist, wenn ich hier den Band aus der Feder meines Geliebten anpreise? Und wenn! Ich habe Kubitschek, noch bevor ich ihn kannte, über seine Texte liebengelernt. Poesie, Tatkraft und gelegentlich Schwermut, sich als Kulturpessimismus tarnend, sind die Ingredienzen dieser 34 ausgewählten Aufsätze. Nüchtern hinzuzufügen: Leitlinienkompetenz. Kubitscheks Artikel fließen ihm nicht in die Feder, sie werden je über Wochen ausgebrütet. Das ist unverkennbar. Daß Skrupulosität und souveräner Aktivismus Hand in Hand gehen, ist wohl einzigartig. Beinhaltet auch Kubitscheks seit langem vergriffenen Titel Provokation.
Stil-Blüte
'Nepotismus'?
Da mußte ich nachschlagen. Natürlich ist es das! Mit Recht! Warum auch nicht? Ich kenne diese Empathie für Freunde, die Kunst produzieren. Auch wenn es nicht immer die allererste Sahne ist, empfinde ich ein starkes Bedürfnis, die Kunstwerke zu erwerben, sie w o h l w o l l e n d zu begleiten. Das ist doch genau das, was in unserem konservativem Raum als das E i g e n e empfunden wird.
Ja, wir kennen auch die Art und Weise, wie Witwen von großen Könnern ihre Verbundenheit mit dem Künstler übertreiben und ihn okkupieren. Das ist ja hier ganz anders .
Also ich bestelle mal gleich! Denn ich habe Ihren 'Liebsten' schon lange vor Ihrem Urteil für gut befunden. er hat mich nicht enttäuscht. Ich habe mich nicht getäuscht.